Irrungen und Händel des Juden Heinemann zu Witzenhausen, später zu Weende und Prag

HStAM 17/I Alte Kasseler Räte Nr. 84  
Laufzeit / Datum
1575 Juni 8 - 1609 Mai 16 [n. St.]
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Am 8. Juni 1575 antwortet die am 1. Juni zum Bericht aufgeforderte Stadt Witzenhausen Statthalter, Kanzler und Räten zu Kassel auf die Klage des an Stelle des verstorbenen Schmol in Witzenhausen aufgenommenen Juden Heinemann über die Pfändung seiner Kühe, eine Buße von 2 fl. und den Versuch des Bürgermeisters, seinen "schebychten willen" an ihm zu üben. Bürgermeister und Rat erklären, daß der von Herzog Erich aus dem Lande Braunschweig verjagte Heinemann um Ostern vom Schultheißen die Erlaubnis erhalten hat, mit Frau, Kind und seinem zahlreichen Gesinde nach Witzenhausen zu ziehen. Da die Stadt nicht gewillt ist, sich Juden vom Schultheißen aufdrängen zu lassen und sie ohne ausdrücklichen landgräflichen Befehl aufzunehmen, hat sie Heinemann aufgefordert, einen solchen Befehl beizubringen oder abzuziehen. Gleichzeitig ist sie in Kassel vorstellig geworden und hat sich beklagt, daß "die menge der jueden", die von überall her heimlich und Öffentlich Unterschlupf in Witzenhausen suchen, die Stadt über Gebühr belasten, weil sie die Waren verteuern, so daß die Bürger an den Festtagen weder Fisch noch Fleisch, Getränke, Frucht oder sonstiges kaufen können. Auch treiben sie unchristlichen Wucher und verlangen unerhörtes Wechselgeld. Auf den Wunsch der Stadt, alle mit Ausnahme der drei Schutzjuden auszuweisen, hat der Kanzleisekretär in Heinemanns Beisein erklärt, dem Landgrafen liege wenig an den Juden und ihrem Schutzgeld, und Heinemann den Ansetzungsbescheid verweigert.
Davon unbeeindruckt hat Heinemann sich "trötziglich" vernehmen lassen, daß ihn Bürgermeister und Rat nicht kümmern und er auf den Schutz des Schultheißen baut. Er hat seine Kühe weiter auf die Gemeindeweide getrieben, obwohl dies doch auch Christen ohne Bürgerrecht nicht erlaubt ist, geschweige denn einem Juden. So sah sich die Stadt zur Wahrung ihrer Rechte genötigt, ihm die Kühe zu pfänden.
Bürgermeister und Rat berichten, daß der Landvogt an der Werra, bei dem sich Heinemann kürzlich durch Vermittlung des Schultheißen ebenfalls beschwert hat, nach Anhörung der Stadt die Ausweisung aller unvergleiteten Juden verfügt hat. Sie bitten den Schultheißen zur Durchführung dieses Befehls zu veranlassen, da Witzenhausen an drei Juden mehr als genug hat und die glücklicheren Nachbarstädte wie Lichtenau, Eschwege und Allendorf "dieses verfluchten gotlosen volcks muegen geubriget sein". Gleichzeitig fordern Bürgermeister und Rat Heinemanns Bestrafung durch den Schultheißen wegen Beleidigung des Bürgermeisters oder eine Gerichtsverhandlung in Kassel.
Als Heinemann offenbar dennoch einen Schutzbrief bekommt, beschwert sich die Stadt erneut, und am 15. Juni 1576 verfügt Landgraf Wilhelm die Ausweisung mit dem Bemerken, daß "wir selbst nitt gern sehen, das das unchristlich judengeschmeis in unsern landen zu weit eynreist".
Ende August berichtet Heinemann nach Kassel, daß er, des Streits und Haders mit Bürgermeister und Stadt überdrüssig, dem Schultheißen das seit Ostern fällige Schutzgeld bezahlt, seine Frau bei dem Juden Unger untergebracht und Witzenhausen mit der Absicht verlassen hat, sich einen neuen Wohnort zu suchen. Nach seiner Rückkehr ist er jüdischem Gebrauch nach bei Unger eingekehrt, doch wollen ihm seine Neider jetzt Paß und Herberge verweigern, obwohl er wie ein fremder Jude Zoll und Geleit bezahlt hat. Er bittet, den Schultheißen anzuweisen, ihm den vorübergehenden Aufenthalt am Ort zu gestatten. Der Bitte wird am 31. August entsprochen.
Mitte November erhebt der Witzenhäuser Bürger Hans Emserodt (Embzerath) Klage in Kassel. Er hat Heinemann, der es bereits an seinem früheren Wohnort Münden mit "jüdischem boßen handeln" gehalten haben soll, einen Kessel im Wert von 5 Talern für 1 1/2 Taler versetzt. Die seither fällig gewordenen Zinsen sind mit einem Tragkorb voll Äpfel für 10 Albus und Weintrauben für 4 Albus bezahlt, zumal Emserodts Frau Heinemanns Frau noch überdies zur Hand gegangen ist und ihre Kinder mit Brei gefüttert hat. Da Heinemann jetzt seinen Abzug vorbereitet und Frau und Habe bei Unger untergebracht hat, fordert Emserodt die Herausgabe des Kessels für 1 1/2 Taler oder einen Wertausgleich.
Zum zweiten hat Emserodt bei Ungers Frau einen Weiberrock im Wert von 6 Talern für 1 1/2 Taler versetzt, den er für die gleiche Summe auslösen will, nachdem die Jüdin von ihm bereits einen Tragkorb Äpfel, einen Scheffel Hafer und vier Esellasten Brennholz bekommen hat, womit nach Emserodts Meinung auch die 2 fl. für Fleisch bezahlt sind, die Ungers Frau noch fordert.
Darauf wird der Schultheiß am 17. November angewiesen, für einen Vergleich zwischen der Jüdin und Emserodt zu sorgen und Heinemanns Habe so lange zu beschlagnahmen, bis Emserodt zufriedengestellt ist.
Am 1. Dezember teilt der Pfarrer von Bernshausen der Stadt Witzenhausen mit, daß Heinemann sich am Z7. November bei einem Treffen mit etlichen Adeligen in Jobst Degenhardts Haus in Münden mit Erfolg für den Bürgermeister von Witzenhausen ausgegeben hat. Der Pfarrer hat ihm indessen keinen Glauben geschenkt, da doch die Juden als Mörder der Propheten und des Gottessohnes und seiner Apostel "anderst nicht, alß die gefangene undt misthetter" zu halten und von Adel und Ehrbarkeit ausgeschlossen sind. Er fordert Heinemanns Bestrafung wegen Amtsanmaßung.
Als Heinemann dann auch noch in den Verdacht gerät, den Landgrafen beleidigt zu haben, läßt der Schultheiß am 1. Januar 1577 die Pfändung seiner in Ungers Haus untergebrachten Habe vornehmen.
Davon durch einen Boten seiner Frau unterrichtet, erkundigt sich Heinemann am 2. Januar nach den Gründen der Pfändung und droht seinerseits, Besitzungen des Schultheißen im Braunschweigischen pfänden zu lassen, wenn er keine befriedigende Erklärung erhält 1#Das Schreiben trägt das aufgedrückte Verschlußsiegel des Ausstellers.. Er wird durch Boten aufgefordert, nach Witzenhausen zu kommen und sich die Erklärung anzuhören.
Stattdessen verlangt Heinemann am 4. Januar vom Schultheißen die Ausstellung eines Passes, der ihm erlaubt, sicher nach Witzenhausen zu kommen, und beklagt sich, daß man seiner Frau und dem Kind alles genommen und ihnen weder Hemd noch Vortuch gelassen hat, so daß sie "uff der erden leigen" müssen. Für den Fall, daß man seine Habe nicht herausgibt, droht er mit Klage und beruft sich auf den braunschweigischen Schutz. Gleichzeitig verwenden sich die braunschweigischen Räte für ihn und verlangen die Aufhebung der Pfändung.
Inzwischen hat in Witzenhausen am 3. Januar ein Verhör begonnen, das bis zum 7. Januar dauert und klären soll, ob Heinemann den Landgrafen beleidigt hat.
Der Jude Amschel sagt bei seinem jüdischen Eid, daß er von Levins Sohn Hirsch gehört hat, daß Heinemann in Gottschalcks Haus gekommen ist, als Jacob und Gottschalck dort beim Spiel saßen. Heinemann hat Gott gedankt, daß ein frommer Fürst ihn in seinen Schutz genommen hat, der sein Wort hält und nicht wie Landgraf Wilhelm Brief und Siegel mißachtet und nachmittags bricht, was er vormittags verspricht.
Hirsch sagt, daß er von dem Vorfall im Haus des Juden Jeremias zu Wahlhausen gehört hat, wo Gottschalck sich vor Jeremias und seiner Frau beklagt hat, daß Heinemann sich despektierlich über den Landgrafen geäußert hat, als er, Gottschalck, ihn als frommen und gerechten Schutzherren lobte.
Schmols Sohn Jacob von Weende bestätigt ebenfalls bei seinem Eid, daß Heinemann sich über die Wortbrüchigkeit des Landgrafen be-- schwert hat, als Gottschalck und er, Jacob, vor etwa vierzehn Tagen beim Brettspiel saßen. Anschels Frau Anna sagt auf Eid, daß Hirsch sie von dem Vorfall unterrichtet hat mit dem Bemerken, sie könne sich jetzt dafür rächen, daß Heinemann versucht hat, sie und ihre Tochter zugrunde zu richten.
Ungers Bruder Jobst weiß von der ganzen Sache ebensowenig wie Unger selbst.
Gottschalck bestätigt die Aussagen der früheren Zeugen und fügt hinzu, daß Heinemann auf seinen Hinweis, daß der Landgraf sie doch für 3 Taler Schutzgeld bei Herkommen und Gerechtigkeit ließe, erwidert hat, er werde seine Anschuldigungen beweisen und hat "darzu einen gnib geschlagken".
Am 9. Januar tadelt der Landvogt an der Werra den Schultheißen, daß gegen Heinemann nicht ermittelt worden ist, ehe er das Land verließ, zumal sein gepfändeter Besitz kaum die für seine Übertretung zu erwartende Strafe decken dürfte. Er weist den Schultheißen an, die Entscheidung des Landgrafen abzuwarten und den braunschweigischen Räten vorerst nicht zu antworten.
Diese haben sich indessen am 11. Januar bereits direkt an die landgräfliche Kanzlei gewandt und eine Bittschrift Heinemanns vom 9. Januar überschickt. Darin berichtet Heinemann, daß er sich zwar gemäß dem ihm zu Ostern 1576 ausgestellten Schutzbrief oder "plancat" so verhalten hat, daß niemand in Witzenhausen sagen kann, daß er "mit einem heller werdt beschwerlich oder betreglich gehandelt" hat, daß aber der Rat zu Witzenhausen, weil er "das geleit nicht bey inen gesucht", dafür gesorgt hat, daß ihm der Schutz schon nach wenigen Monaten aufgekündigt wurde. Heinemann hat daraufhin Frau und Kind zurückgelassen und ist einige Zeit "im elende" herumgezogen, bis er wieder in den braunschweigischen Schutz aufgenommen wurde. Als er dem Schultheißen seinen Abzug ankündigte, hat dieser, ebenso wie zum Einzug, 2 Dukaten zum Abzug verlangt. Heinemann hat jedoch die Zahlung verweigert, weil er gezwungen und nicht aus freien Stücken fortziehen mußte. Daraufhin hat der Schultheiß Unger die Herausgabe von Heinemanns Habe bei 10 Talern Strafe untersagt. Als Heinemann, der glaubt, in Hessen niemand etwas schuldig zu sein, dem Schultheißen gedroht hat, ihn seinerseits pfänden zu lassen, wenn er sein Eigentum nicht bekommt, ist der Schultheiß zornig geworden, hat Heinemanns Frau und Kind aus Bett und Schlafkammer in Ungers Haus vertrieben und die Kammer versiegelt, unerachtet, daß Kleider und Hausrat zur Morgengabe der Frau gehörten und der Schultheiß darauf keinerlei Anspruch erheben kann. Ohnehin würde jeder ehrbare Christ "wegen weibliger ehr und tugent" von einer so rigorosen Pfändung abgesehen haben. Heinemann behauptet, daß der Schultheiß ihn wegen der nicht gezahlten zwei Dukaten verfolgt, und glaubt, daß er aus gleichem Grund die beiden von ihm ohne landgräflichen Befehl zu Witzenhausen aufgenommenen Juden Amschel (Ampsel) und Hirsch angestiftet hat, zu behaupten, Heinemann habe den Landgrafen beleidigt. Dabei ist bekannt, daß Amschel und Hirsch an allen früheren Aufenthaltsorten "außgeborget, gelogen und gedrogen haben". Hätten sie wirklich die behaupteten respektlosen Bemerkungen von Heinemann gehört, hätten sie ihm solche Reden untersagen sollen "und nicht als die vorretter iren judeschen bruder" bei der Obrigkeit anschwärzen dürfen. Es läßt sich leicht ermessen, wie jemand, der den eigenen Glaubensgenossen gegenüber so handelt, Andersgläubigen gegenüber verfährt. Übrigens weist Heinemann darauf hin, daß es einem Juden schlechterdings unmöglich ist, einen Landesfürsten zu beleidigen oder gar dessen gekränkte Ehre mit Geld zu bezahlen.
Der zum Bericht aufgeforderte Schultheiß verweist am 21. Januar auf seine stets ordnungsgemäße Abrechnung des Schutzgeldes und verwahrt sich gegen Heinemanns Vorwürfe. Beim Einzug hat der Schultheiß lediglich wie üblich 1 Dukaten "verehrung" bekommen, und die vorgenommene Pfändung steht keineswegs im Zusammenhang mit persönlichen Forderungen. Was Amschel und Hirsch (Hersßen) angeht, so zahlt Amschel seit drei oder vier Jahren Schutzgeld und Hirsch ist gegen die übliche Gebühr die erbetene Duldung für einen Monat zugesagt worden. Über den Wert von Heinemanns gepfändeter Habe kann der Schultheiß keine Angaben machen und ihn auch nicht feststellen, weil Heinemanns Frau zur Zeit nicht in Witzenhausen ist.
Am 28. Januar läßt Landgraf Wilhelm den braunschweigischen Räten mitteilen, daß ihn zwar ein Jude nicht beleidigen kann, daß er aber nicht beabsichtigt, Heinemann ungestraft zu lassen, "damit er inkunftig dem maul ein zaum anlege und hinfurter seiner redt behutsamer gemacht werd".
Am 8. Februar teilt das braunschweigische Hofgericht zu Münden dem Schultheißen zu Witzenhausen mit, daß Heinemann ihn wegen Beleidigung verklagt hat, und lädt ihn zum 25. März.
Als Landgraf Wilhelm davon erfährt, wendet er sich am 20. März an die Räte zu Münden und zeigt sich verwundert, daß sie sich des "losen jueden" so sehr annehmen, der doch nicht allein aus dem Stift Köln und Paderborn "mit schanden abgescheiden" ist, sondern auch seinerzeit "umb seiner schelmerey willen" von Herzog Erich des Landes verwiesen wurde, so daß anzunehmen ist, daß seine jetzige Wiederaufnahme in Braunschweig ohne Wissen des Herzogs erfolgt ist und ihm die Niederlassung allenfalls "durch ein ambtknecht umb seines schendtlichen eigen nutzen willen" gestattet wurde. Der Landgraf verwahrt sich dagegen, daß sich seine Untertanen in Münden verantworten sollen, und fragt sich, ob die Räte "durch den jueden bezaubert" sind, oder was sonst sie veranlaßt, eine solche Ladung ausgehen zu lassen, während doch Heinemann wegen seiner Vergehen eindeutig vor das Kasseler Gericht gehört.
Die Räte zu Münden lassen sich jedoch nicht abhalten, den von Heinemann angestrengten Prozeß weiterzubetreiben, so daß der erneut zum 17. April und 26. Juni geladene Schultheiß schließlich am 17. Juli seinen Sohn nach Münden schickt. Dieser erklärt, daß alle in Witzenhausen gegen Heinemann ergriffenen Maßnahmen erfolgten, als er noch hessischer Untertan war, und daher in Münden nicht einklagbar sind, und bestreitet Heinemanns Recht auf eine Beleidigungsklage, denn es ist "der lex diffamari nicht den juden geschrieben, dan die juden sein re ipsa infames", da sie Christus leugnen, gegen den christlichen Glauben handeln und Wucher treiben.
Am 23. Juli spricht das Hofgericht zu Münden den inzwischen zu Moringen lebenden Heinemann von allen Anschuldigungen frei und verurteilt den Schultheiß zu ewigem Stillschweigen in dieser Sache und zur Übernahme der Gerichtskosten. Dagegen wendet sich der Schultheiß am 30. Juli mit einer Appellationsklage an das Reichskammergericht.
Am 28. August übergibt Heinemann dem Hofgericht die Abrechnung über seine vom Schultheiß zu zahlenden Kosten in Höhe von 19 Talern 19 1/2 Groschen und erhebt gleichzeitig Klage gegen Unger, Gottschalck, Amschel und Hirsch, die daraufhin vom Hofgericht zum 18. September geladen werden. Die Beklagten antworten, daß sie sich vor keiner anderen als der eigenen Obrigkeit rechtfertigen werden.
Am 30. Oktober fordert das Reichskammergericht in Münden die Prozeßakten an und lädt Heinemann, in Speyer zu erscheinen. Der Schultheiß wendet sich am 16. Dezember mit der Bitte um Prozeßhilfe und Unterstützung durch den Landgrafen an die Kasseler Kanzlei und teil dabei beiläufig mit, daß die Juden Heinemanns beschlagnahmte Habe auf 200 fl. schätzen.
Am 12. April 1578 beklagt sich Landgraf Wilhelm bei Herzog Erich, daß sich dessen Räte des Juden Heinamnn so annehmen, und berichtet, daß dieser bei seinem Aufenthalt in Witzenhausen nicht allein verbotenen Wucher getrieben, sondern auch begonnen hat, mit den Untertanen "von der religion zu disputiren und etliche vom christenglauben uff den judischen irthumb abzufüren". Als Heinemann daraufhin der Schutz aufgekündigt wurde, hat er sich dazu hinreißen lassen, den Landgrafen des Wortbruchs zu bezichtigen, und da er selbst bereits außer Landes war, ist bis zu seiner Bestrafung seine Habe mit Arrest belegt worden. Mit dem Bemerken, daß ein Jude einen Reichsfürsten natürlich nicht "schelten" oder beleidigen kann, daß Heinemann jedoch bestraft werden muß, damit er sich "die gedancken nit machen dorffe, das er recht und wol daran gethan", fordert Landgraf Wilhelm Herzog Erich auf, seine Räte anzuweisen, ihn künftig mit Heinemann nicht mehr zu "molestiren" und ihn nach Kassel auszuliefern, damit ihm der Prozeß gemacht werden kann. Er fügt hinzu, daß vermutlich Gebhard Schenck Heinemann in Braunschweig schützt und "ihme den weg bereitet und solchen favor" macht. In einem gleichzeitigen Schreiben an die Räte zu Münden wird der Landgraf noch deutlicher und unterstellt, daß Heinemann einigen Räten "jüdischem brauch nach in die buchßen gebloßen haben werde", daß sie sich seiner so annehmen.
Die Räte verwahren sich gegen diesen Vorwurf am 24. April und erklären eine Bestechung schon deshalb für unmöglich, weil Heinemann "so bloß und arm" ist, daß er alle Hofgerichtsgebühren schuldig bleiben mußte und in der Welt nichts mehr hat als seine zu Witzenhausen liegende Habe. Er muß sich von anderen Juden "bottenlauffensweiß erhalten" lassen.
Am 16. November 1579 weist das Reichskammergericht die Appellationsklage des Schultheißen ab und verurteilt ihn zur Übernahme der Kosten. Heinemann übergibt daraufhin dem Gericht am 14. Januar 1580 seine Abrechnung über die Prozeßkosten, gegen deren Höhe der Anwalt des Schultheißen auf der Stelle protestiert.
Am 13. April 1580 erhebt Heinemann erneut Klage gegen den Schultheißen vor dem Hofgericht in Münden, das diesen daraufhin zum 25. Mai vorlädt.
Am 1. Juni übergibt der Anwalt des jetzt zu Weende lebenden Heinemann dem Gericht eine Auflistung der seinem Mandanten bisher entstandenen Kosten und ein Inventar der beschlagnahmten Habe (s. Anlage).
Am 12. Dezember erhebt der hessische Fiskal vor dem Kasseler Hofgericht Klage gegen Heinemann wegen Beleidigung des Landgrafen. Daraufhin wird Heinemann mit Erteilung von Geleit zum 15. Februar 1581 nach Kassel geladen.
Am 19. Dezember berichtet der Gerichtsbote, daß Heinemanns Frau zu Weende nach anfänglichem Zögern sich geweigert hat, die Ladung in Abwesenheit ihres Mannes anzunehmen. Sie hat den Boten auch gehindert, ihr die Ladung an die Tür zu schlagen, so daß er sie ihr schließlich ins Haus geworfen hat und gegangen ist.
Am 20. April 1581 berichtet der Bote, daß die Frau auch die Annahme einer zweiten Ladung zum 15. April verweigert hat. Bei einem weiteren Gerichtstermin am 30. und 31. Mai beschließt das Hofgericht, daß Heinemanns Güter, da der Jude nicht erschienen ist und nur einen nicht bevollmächtigten Boten geschickt hat, konfisziert und dem Fiskal zugesprochen werden sollen.
Dagegen wendet sich Heinemann am 6. Juni mit einer Appellationsklage an das Reichskammergericht. Am 7. Juli weisen die Räte zu Münden Heinemanns Anwalt an, dessen Klage in Speyer nachdrücklich zu vertreten.
Am 6. September wird die Regierung Kassel vom Reichskammergericht zur Zahlung einer Strafe von 10 Mark lötigen Goldes verurteilt, die halb an Heinemann und halb an die Kammergerichtskasse fallen soll, und aufgefordert, so lange alle Verhandlungen gegen Heinemann, der den Armeneid geschworen hat, einzustellen, bis dieser zu besserem Vermögen gekommen ist.
Am 15. September klagt Heinemanns Anwalt vor dem Reichskammergericht auf Herausgabe seiner noch immer in Witzenhausen liegenden Habe, deren Wert er auf 2000 Taler schätzt.
Am 26. November teilen Bürgermeister und Rat zu Medebach einem Marburger Hofrichter, der sich offenbar im Kasseler Auftrag nach Heinemann erkundigt hat, mit, daß der Jude während seines Aufenthaltes in Medebach zwar nicht straffällig geworden ist, aber mit seinem Wucher so viele Bürger von Haus und Hof gebracht hat, daß man Gott dankt, ihn los zu sein und weder seine Wiederkunft wünscht noch die von seinesgleichen.
Am 4. April 1582 schickt der Hofrichter diese Antwort nach Kassel und fügt - wohl aufgrund weiterer Nachforschungen - hinzu, daß Heinemann seinerzeit in Medebach allerlei hochstrafbare Handlungen begangen hat. So hat er etwa heimlich das Stadtsiegel "erpracticiret" und damit den Medebachern zu großem Schaden allerlei Geld an sich gebracht. Ferner hat er ein Christenmädchen in sein Haus gelockt, ihr süßen Wein gegeben und sie geschwängert. Das Kind lebt heute noch in Medebach. Als diese und andere Vergehen bekannt wurden, ist Heinemann geflohen. Sein Haus ist konfisziert worden. Die Medebacher könnten all das, wenn sie nur wollten, bezeugen. Am 19. Januar 1583 erteilt der noch immer zu Weende lebende Heinemann einem Reichskammergerichsprokurator Prozeßvollmacht 2#Das Schreiben trägt das aufgedrückte Verschlußsiegel des Ausstellers sowie seine eigenhändige deutsche und hebräische Unterschrift..
Am 18. April 1583 legt Heinemanns Anwalt dem Reichskammergericht seine Klagschrift vor. Er berichtet darin, daß Heinemann sich in Witzenhausen niedergelassen hat, als um Ostern 1574 die Juden aus Braunschweig ausgewiesen wurden und er wie alle anderen das Land verlassen mußte. Als ihm dann der Schutz in Witzenhausen überraschend ebenfalls aufgesagt wurde, hat er den Schultheißen aufgefordert, seinen Abzug öffentlich bekannt zu geben, damit jeder, der noch Forderungen hatte, sie geltend machen könnte. Das hat der Schultheiß für unnötig gehalten, weil außer einer in Kassel anhängigen Klage wegen eines verpfändeten Kessels keine Forderungen bekannt waren. Daraufhin hat Heinemann den ehemaligen Besitzer des Kessels vor den Schultheißen laden lassen und ihm gesagt, daß er den Kessel, nachdem er ihn über Jahr und Tag aufbewahrt und dreimal durch den Stadtknecht zur Auslösung hatte anbieten lassen, nach "jüdischer freiheit und gebrauch" verkauft hat. Er hat versprochen, sich dennoch für eine rechtliche Klärung der Irrung zur Verfügung zu halten, und Unger als Bürgen benannt, worauf ihm der Schultheiß den Abzug gestattet hat.
Als Heinemann am 14. November 1576 seinen vorherigen Schutz bei Herzog Erich wiedererlangte, hat er den Schultheiß davon unterrichtet und dieser hat ihm gratuliert und ihn aufgefordert, ihm selbst sowie Bürgermeister und Rat, die durch seinen Abzug viel Ungelegenheiten gehabt hätten, einige Dukaten zu verehren. Heinemann hat das abgelehnt, sich aber erboten, dem Schultheißen, sobald er wieder häuslich eingerichtet wäre, ein Stück zum Hausrat zuzuschicken. Allein aus Ärger über das versagte Geldgeschenk ist dann später die Pfändung von Heinemanns Habe erfolgt. Da der Schultheiß das aber nicht zugeben konnte, hat er in seinen Berichten nach Kassel behauptet, Heinemann hätte den Landgrafen beleidigt. Die dafür beigebrachten jüdischen Zeugen sind, wie die Aussage von Amschels Witwe Anna beweist, Heinemann feindlich.
Zudem haben sie laut Protokoll ihre Aussagen zwar bei ihrem jüdischen Eid gemacht, doch fehlt jeder Hinweis auf eine formelle Vereidigung, so daß zu vermuten ist, daß sie gar nicht stattgefunden hat; auch war die Vernehmung augenscheinlich nicht öffentlich und ist nur auf Betreiben des Schultheißen erfolgt.
In der am gleichen Tage vom Anwalt des hessischen Fiskals übergebenen Gegenerklärung wird zunächst versucht, die Glaubwürdigkeit des "verlauffene, landtreumige und vorfluchtige" Juden zu erschüttern. Der Anwalt berichtet, daß Heinemann an die zehn oder zwölf Jahre mit Frau und Kindern in Medebach gelebt hat und ihm dort, als er den Ort seiner Verfehlungen wegen verlassen mußte, Haus und Besitz konfisziert worden sind. Darauf hat er sich mit seiner Familie einige Zeit in Warburg aufgehalten, bis er auch dort ausgewiesen wurde. Er hat dann bis zur erneuten Vertreibung unter braunschweigischem Schutz gelebt und sich schließlich nach Witzenhausen begeben. Sein mitgebrachter Besitz bestand lediglich aus "etzlich geringschetzig fahrnus". Der Anwalt beschuldigt Heinemann, sich zur Geldbeschaffung das Siegel einer Stadt erschlichen zu haben, ferner soll er ein Christenmädchen geschwängert, sich mehrfach als Bürgermeister von Witzenhausen ausgegeben, den Landgrafen beleidigt und die Witzenhäuser Juden zum Aufruhr gegen den Landesherrn angestiftet haben. Daß er später wieder Schutz und Unterstützung in Braunschweig gefunden hat, lag nach Meinung des Anwalts vor allem an der damals zwischen Hessen und Braunschweig bestehenden Irrung wegen Plesse. Der Anwalt fordert die Abweisung von Heinemanns Klage.
Am 18. Juni 1583 erklärt Heinemanns Anwalt in Speyer, daß sein Mandant "leibsschwacheit und gefahrs halben" nicht vor dem Kammergericht erscheinen kann, um sich vereidigen zu lassen, und bittet ihm zu erlauben, den Eid vor den braunschweigischen Räten abzulegen.
Am 26. November 1583 bestätigen Bürgermeister und Rat zu Medebach Statthalter, Kanzler und Räten zu Kassel, daß Heinemann während seines Aufenthaltes in Medebach, als seine Frau über "felth gewandert" war, der Tochter einer armen Frau Wein gegeben und Geld geboten und sie schließlich trotz ihres Sträubens geschwängert hat. Als die Schwangerschaft offenbar wurde, hat er ihr befohlen anzugeben, daß ein fremder Berggeselle sie bedroht und vergewaltigt hätte, doch hat das Mädchen kurz vor der Geburt, bei der es gestorben ist, die Wahrheit bekannt. Darauf haben Großmutter und Tante des aus der Verbindung hervorgegangenen Kindes Klage beim Erzbischof zu Köln geführt, der Heinemanns Behausung hat konfiszieren und verkaufen lassen. Vom Erlös hat das Kind gnadenhalber 15 Taler bekommen. Johann Judde ist derzeit zweiundzwanzig Jahre alt, lebt zu Münden im Gaugericht Medebach und ist seinem Vater sehr ähnlich.
Am 31. August 1586 läßt der Heinemann "alß einer armen parteyen" kürzlich ex officio zugeordnete Anwalt vor dem Reichskammergericht eine Erklärung wegen des am 26. Oktober 1580 ergangenen Urteils über die Zahlung der Gerichtskosten abgeben und bittet Heinemann, der sich wegen Leibesschwachheit und anderer Verhinderungen nicht früher in Speyer einfinden konnte, den "expensaydt" abzunehmen, was auch geschieht.
Am 15. Juni 1591 [n. St.] teilt das Reichskammergericht dem Schultheißen zu Witzenhausen mit, daß Heinemann erneut Klage gegen ihn erhoben hat, weil er die Gerichtskosten, zu deren Zahlung ihn das Urteil vom 26. Oktober 1580 verpflichtet, nachdem Heinemann die Richtigkeit der Abrechnung seiner Kosten in Höhe von 23 fl. 55 Kreuzer am 31. August 1586 [n. St.] beeidet hatte, noch immer nicht beglichen hat. Der Schultheiß wird angewiesen, Heinemanns Kosten bei Strafe von 6 Mark lötigen Goldes binnen sechs Wochen und drei Tagen nach Erhalt des Mandats zu bezahlen und das Kammergericht davon zu benachrichtigen.
Daraufhin übergibt der Anwalt des Schultheißen in Speyer am 3. September 1591 [n. St.] eine schriftliche Erklärung und 25 fl. 8 Batzen 1 Kreuzer. Am 26. Oktober 1591 [n. St.] macht Heinemanns Offizialanwalt jedoch weitere Gerichtskosten geltend, deren Bezahlung aber durch den Anwalt des Schultheißen am 12. Januar 1592 [n. St.] verweigert wird.
Am 12. Mai 1600 [n. St.] bekundet der jetzt zu Prag lebende Heinemann, daß er Alters und Krankheits halber nicht mehr in der Lage ist, die Herausgabe seines ihm zwar gerichtlich zugesprochenen, aber noch immer in Hessen zurückgehaltenen Besitzes im Wert von etwa 3000 Talern durchzusetzen, und deshalb alle seine Ansprüche an diesen Besitz an seinen Schutzherrn Friedrich von Schleinitz abgetreten hat. Er hat diese Abtretung vor Zeugen und, so wahr ihm "der ware Gott Adonay helfen soll", beschworen und beeidet.
Laut Prozeßprotokoll erstrecken sich die Verhandlungen vor dem Reichskammergericht noch bis zum 16. Mai 1609 [n. St.].

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„Irrungen und Händel des Juden Heinemann zu Witzenhausen, später zu Weende und Prag“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/4767_irrungen-und-haendel-des-juden-heinemann-zu-witzenhausen-spaeter-zu-weende-und-prag> (aufgerufen am 26.11.2025)

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