Händel und Irrungen des hessischen Werbers Michel von Derneburg mit Graf Ulrich von Regenstein
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Regest
Händel und Irrungen des hessischen Werbers Michel von Derneburg mit Graf Ulrich von Regenstein und anderen
Auf eine Supplik des Juden Michel teilt Landgraf Philipp von Hessen seinen Räten im März 1534 mit, daß Michel ihm an Eides Statt gelobt hat, sich wegen etwaiger Forderungen des Grafen von Regenstein vor ihm zu verantworten oder auch "zum uberflus" vor dem König, dessen Diener er ist, wie Brief und Siegel ausweisen. Michel soll das landgräfliche Schreiben beantworten, damit man dem Grafen von Regenstein Antwort geben kann, "dan ane not, dem graven die handlung, so zwuschen uns und Michel aufgericht, zutzuschicken".
Am 16. März weist Graf Ulrich von Regenstein die ihm von Landgraf Philipp übersandte Klage des Juden Michel von Derneburg als ein "stoltz und grob schreyben", in dem ihn der Jude mit "schmeheworten antast", zurück und erklärt, daß sich Michel zu Unrecht als ein "frommer, seiner dinst als getrawe, beruhmet". Graf Ulrich dankt für die angebotene Vermittlung des Landgrafen, will aber die Entscheidung des von Michel ebenfalls angerufenen Herzogs Erich von Braunschweig abwarten und bis dahin Michels Kind, das gut versorgt wird, und seine ohnhin nur geringe Habe, die nicht angetastet werden soll, behalten. In einem Schreiben vom 21. März macht Herzog Erich sein Eingreifen davon abhängig, daß Michel den mit ihm geschlossenen Vertrag und die Urfehde hält.
Auf die ihm von den Kasseler Räten übersandte Klagschrift des Grafen von Regenstein antwortet Michel, daß er einen Prozeß nicht scheut, da er sich doch, als er noch in braunschweigischen Landen lebte, "mit blossen schlechten worten" bei dem Herzog rechtfertigen konnte. Er ist bereit, sein Recht mit Wort und Tat vor dem König, dem Grafen von Henneberg oder auch vor dem Reichskammergericht zu beweisen, denn er hat seiner Tage "die warheyt gelibt und dielugen gehasßt und briff und sigel geren gehalten". Die verlangte Kaution will er stellen. Darauf fordern die Kasseler Räte Graf Ulrich auf, Michels Kind und Habe herauszugeben und wiederholen diese Forderung am 8. April.
Einen Tag zuvor hat die Kanzlei Michel eine Instruktion über die Anwerbung von Reitern für den Landgrafen erteilt, und dieser berichtet am 24. April, daß er mit Rittmeistern und Adeligen verhandelt und, wie er hofft, eine ordentliche Rüstung zustande gebracht hat, der Zug aber nicht vor dem Sonntag Cantate zusammengestellt werden kann. Da er aus Gründen, die er nicht mitteilen kann, in Stadthagen kein Geld aufnehmen will, bittet er um 500 fl. Falls gewünscht, kann er noch weitere 400 oder 500 gerüstete Pferde beschaffen. Am 28. April schicken die Räte Michel 250 Taler, für die sie eine Quittung fordern, und weisen ihn an, alle Reiter, die kommen, fest anzuwerben. Braucht er mehr Geld, soll er es in Stadthagen auftreiben, mit den Reitern verhandeln, daß sie sich mit der Bezahlung gedulden, oder auch statt 5 nur 4 fl. pro Pferd oder weniger geben. Was der Landgraf sparen kann, soll Michel zugute kommen. Über die Beschaffung der zusätzlichen 400 - 500 Pferde soll der Landgraf entscheiden. Gleichzeitig erhalten zwei weitere Werber und Truppenführer Geld aus Kassel und werden aufgefordert, sich, wenn es nicht reicht, mit Michels Hilfe mehr zu beschaffen.
Am 6. Juni läßt Graf Wilhelm von Henneberg die Kasseler Räte wissen, daß seine Bemühungen um eine Vermittlung zwischen seinem Schutzverwandten Michel und dem Grafen von Regenstein gescheitert sind. Michel, dessen Werbertätigkeit für den Landgrafen, wie ein Schreiben der Räte vom 12. Mai zeigt, inzwischen weitergeht, antwortet am 22. Juni einem ungenannten Adeligen, der ihm eine "schmeh- und schantschrifften" des Grafen von Regenstein zugesandt hat. Darin behauptet Graf Ulrich, daß Michel ihm Brief und Siegel gefälscht und ihn übervorteilt und bestohlen hat, so daß er sich genötigt sieht, seine "unmessige buberey in eym gemein anschryben und druck" an den Tag zu bringen. Michel erklärt, daß der, der dem Grafen zu diesem Schritt geraten hat, ein "ehrloser, siegelloßer und trewloser boswicht" sein muß. Es wird sich zeigen, daß Graf Ulrich "uber syne briefe und siegel strack, frey, sicher geleide in gutem treuwen und glauben" mit Michel, den Seinen und seinen unmündigen Kindern verfahren ist. Michel ermächtigt den Adeligen, Graf Ulrich die gewünschte Auskunft über die Geschäfte, die sie vier oder fünf Jahre lang miteinander gemacht haben, zu geben und auch die Hauptsumme sowie die Zahl der Pferde und Wagen zu nennen, die Michel erhalten hat, da er "der handelung gar kein scheuwenß" trägt.
Am 26. Juni berichten die Kasseler Räte Landgraf Philipp, daß die Stadt Göttingen Michel insgeheim nach Witzenhausen bestellt und ihm dort, wie er glaubhaft versichert, aufgetragen hat, den Landgrafen wissen zu lassen, daß Göttingen, Goslar, Braunschweig, Hannover, Magdeburg und Einbeck bereit sind, sich mit ihm in zeitlichen und evangelischen Sachen zu vereinen. Als sich Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg wegen 600 fl., die Michel seinem Untertan Konrad Becker für Ochsen schuldet, an die Kasseler Räte wendet, bittet Michel am 23. Juli, ihm Zeit bis zum vereinbarten Zahlungstermin am 11. November zu lassen. Michel hatte gehofft, daß die Ochsen, die Herzog Erich von Braunschweig bekommen hat, in Anbetracht seiner erheblichen Schatzung bereits bezahlt worden wären, ist aber als Bürge zur fristgerechten Bezahlung bereit.
Am 24. Juli teilt Michel Landgraf Philipp mit, daß er beim Reichskammergericht Klage gegen Graf Ulrich von Regenstein erhoben hat, nachdem alle Vermittlungsbemühungen fehlgeschlagen sind und Graf Ulrich seine Boten bedroht hat. Da sich Graf Ulrich trotz eines ergangenen Mandats weigert, Michels Kind und Habe herauszugeben, haben sich Graf Wilhelm von Henneberg sowie die Grafen Hoyer und Gebhard von Mansfeld zur Vermittlung bereit erklärt. Michel hat wenig Hoffnung auf Erfolg, da Graf Ulrich Schand- und Schmähbriefe gegen ihn an etliche Adelige gesandt hat, und bittet Landgraf Philipp, ihm als sein Schutzherr im Falle eines Fehlschlags zu seinem Recht zu verhelfen. Darauf kommt es zu einer Unterredung zwischen Graf Gebhard von Mansfeld, Landgraf Philipp und Michel.
Die Kasseler Räte berichten Landgraf Philipp am 11. September, nachdem sie die Klagschrift des Grafen von Regenstein geprüft haben, daß man nun Michel ohne rechtliche Untersuchung nicht mehr loswerden wird, da ihm der Landgraf die Niederlassung in Kassel gestattet hat, "wiewol wir uns wol leiden mochten, man weren seiner uberig plieben". Auf die Anklage wegen "falsches und betrog" kann man derzeit noch nicht antworten, da Michel, von dem es heißt, daß er in Wasungen krank liegt, noch nicht wieder in Kassel ist. Soll er förmlich geladen werden, muß man ihn wissen lassen, daß ein peinliches Verfahren auf ihn wartet. Beantragt Graf Ulrich einen Rechtstag und Michel erscheint nicht, "so wirdet er ime selbst ein groß infamien und argwon machen", will er aber kommen, so muß man ihm Geleit gewähren. Allerdings ist zu vermuten, "er werde so stoltz sein, als er sich horen lesset", und nicht um Geleit bittet. Auf Michels dann offenbar doch ausgesprochene Bitte um Geleit antwortet Landgraf Philipp, daß zwar der Schutzbrief bereits freies Geleit zusichert, man ihm aber dennoch einen Geleitsbrief ausstellen kann.
Am 30. September klagt Wolf Fechter von Nürnberg, daß ihm Michel aus seiner Braunschweiger Zeit noch 1710 Goldgulden und 303 Gulden 10 Schilling in Münzen für Perlen, Edelsteine, Gold und Silber schuldet. Das Geld hätte Ostern 1533 in Leipzig bezahlt werden sollen, doch sind alle Versuche, es einzutreiben, fehlgeschlagen und haben Kosten von 250 fl. verursacht.
Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg überschickt Landgraf Philipp am 14. November die ihm am Vortag zugegangene Supplik seiner Untertanen Curt Becker und Curt Pinxstfos, die sich bisher vergeblich bemüht haben, die 600 fl. zu bekommen, die ihnen Michel für 150 Ochsen schuldet. Sie bitten, notfalls seine Habe in Kassel zu pfänden. Darauf antwortet Michel, daß Dietrich Holer zu Unrecht behauptet, ihm von geschuldeten 57 fl. am Pfingstmontag 1533 in seinem Haus in Hannover 40 fl. bezahlt zu haben. Holer soll beweisen, daß er zur angegebenen Zeit in Hannover und in Michels Haus war. Zwar hat ihn Michel einmal, als Holer in Hannover war, pfänden lassen, doch ist er damals entkommen, und Michel hat ihn vergeblich überall suchen lassen. Er bittet sich bei Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg dafür zu verwenden, daß Holer zur Zahlung angehalten wird, damit er seinerseits Becker bezahlen kann und nicht gepfändet wird.
Am 4. Dezember bekundet König Ferdinand, daß er Michel von Derneburg auf sein Bitten mit Frau, Kindern und Gesinde in Schutz und Schirm genommen hat mit der Auflage, daß sich Michel bei etwaigen Klagen am jeweils gebotenen Gerichtsort verantwortet. Alle Stände und Untertanen des Reiches werden aufgefordert, Michel und die Seinen zu schützen und bei der Eintreibung von Forderungen zu unterstützen.
Archivangaben
Altsignatur
3 PA Nr. 328 Bl. 82-86, 88, 97; Nr. 340 Bl. 3, 9, 23-26, 115-116; Nr. 411 Bl. 30-31; 17 I Alte Kasseler Räte Nr. 3435 Bl. 1-7, 1
Digitalisat vorhanden
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Arcinsys-ID
Archivkontext
Nachweise
Edition
Regestdruck
Indizes
Personen
- Blankenburg-Reinstein, Ulrich XVI., Graf
- Erich I., Herzog von Braunschweig-Calenberg
- Ernst, Herzog von Braunschweig-Lüneburg
- Ferdinand I., Römischer König
- Henneberg-Schleusingen, Wilhelm VI., Graf
- Philipp I., Landgraf von Hessen
- Pinxstfos Curt, Einwohner von Lüneburg
- Holer, Dietrich, Einwohner von Lüneburg
- Becker, Konrad (Curt), Einwohner von Lüneburg
- Mansfeld, Gebhard VII., Graf
- Mansfeld, Hoyer III., Graf
- Michael (Michel), aus Derneburg, zeitweise in Hannover und Kassel, Bruder der Techa, Vater der Lewe
- Fechter, Wolf, Einwohner von Nürnberg
Orte
- Braunschweig
- Einbeck
- Frankfurt am Main
- Goslar
- Göttingen
- Hannover
- Leipzig
- Magdeburg
- Stadthagen
- Wasungen
- Witzenhausen
Sachbegriffe
- Beleidigung, von Christen durch Juden
- Betrug
- Bürgschaften, jüdische
- Diebstahlsbeschuldigungen gegen Juden
- Eid
- Entführung
- Fürstendiener
- Gefängnis, Haftstrafen
- Geleit
- Gerichtsstand
- Handel
- Gold, Silber, Kleinodien (Handelsgut)
- Pferde (Handelsgut)
- Vieh (Handelsgut)
- Hausbesitz
- Hausrat
- Judensiegel
- Krankheit, Gebrechen
- Kriegsrüstung
- Pfändung jüdischen Vermögens
- Pfändungen durch Juden
- Polemik gegen Juden
- Reden, ungebührliche
- Reichskammergericht
- Schutz
- Schutzbriefe, Reverse
- Siegelfälschung, Siegelmißbrauch
- Steuer
- Truppenwerber
- Unterschriften, Vermerke, hebräische
- Urfehde
- Urkundenfälschung
- Verhöre, peinliche
Siehe auch
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Orte
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- Topografie des Nationalsozialismus in Hessen
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Quellen und Materialien
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Rechtehinweise
Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
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„Händel und Irrungen des hessischen Werbers Michel von Derneburg mit Graf Ulrich von Regenstein“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/3467_haendel-und-irrungen-des-hessischen-werbers-michel-von-derneburg-mit-graf-ulrich-von-regenstein> (aufgerufen am 25.11.2025)
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