Erlass einer neuen Judenordnung durch Abt Wolfgang von Fulda
Stückangaben
Regest
Wegen vielfacher Verstöße gegen die von seinen Vorgängern gesetzte Ordnung und unter Berufung auf den von der Reichspolizeiordnung geforderten Schutz der Untertanen vor dem Wucher der Juden erläßt Abt Wolfgang von Fulda eine neue Judenordnung. Darin wird verfügt:
- Ohne Wissen und Willen der Regierung zu Fulda soll sich kein Jude im Stift niederlassen. Zuwiderhandelnden droht eine Haftstrafe.
- Die Juden haben sich jeder Lästerung des christlichen Glaubens und jedes bösen Beispiels zu enthalten.
- Da die Juden nicht nur auf hohe Verschreibungen und gegen Unterpfand leihen, sondern bisweilen auch auf Raub- und Diebesgut, soll ihnen künftig das Leihen auf Pfänder gänzlich untersagt sein. Verfallene Pfänder, die sich noch bei ihnen finden, haben sie ohne Erstattung des Geldes herauszugeben. Werden ihnen Kirchengut, Kirchengeschmeide und -kleinodien oder Harnisch, Geschütz und was sonst zur Rüstung gehört angeboten, so haben sie davon sofort die Obrigkeit zu benachrichtigen.
- Der erlaubte Zinssatz beträgt einen alten Pfennig pro Woche und Gulden. Das Beleihen und der Kauf von Erbgütern ist den Juden untersagt. Verliehen werden darf nur Bargeld und keine Ware. Die Berechnung von Zinseszins ist untersagt. Auf Anfordern sollen die Juden Amtshilfe gegen säumige Schuldner erhalten, die die Kosten dafür zu tragen haben.
- Zur Vermeidung von Irrungen wegen des von Juden ausgeliehenen Geldes wird jede Ausleihe untersagt, sofern sie nicht in das dafür eingerichtete Judenbuch eingetragen wird. Geschieht dies nicht, verliert der Jude den Anspruch auf das ausgeliehene Geld, und beiden Parteien droht eine Bestrafung.
- Ein Jude darf nur dann Geld ausleihen, wenn dies mit Wissen und Willen beider Ehepartner geschieht und die Frau des künftigen Schuldners zustimmt.
- Das Ausleihen an Verschwender, Unsinnige, Unmündige und Frauen ist untersagt.
- Über die Eintragung im Judenbuch hinaus sollen keine weiteren Verschreibungen ausgestellt werden. Der Eintrag genügt, um gegebenenfalls Amtshilfe zu erwirken.
- Nachts haben die Juden in ihren Häusern zu bleiben. Wenn sie in Notfällen auf die Gasse gehen müssen, sollen sie das mit einem Licht und öffentlich tun. Auch haben sie sich des Geschreis in ihren Häusern zu enthalten. Die Stadtmauer sollen sie nicht besichtigen.
- Wo das Heiligtum getragen wird, sollen die Juden nicht an der Straße sitzen. Während der Karwoche, an Sonn- und hohen Festund Feiertagen sowie während der Predigt sollen sie in ihren Häusern bleiben und nicht um die Kirche, auf den Markt oder auf die Gassen laufen.
- Die Errichtung einer neuen Schule oder Synagoge in Hammelburg ist ebenso untersagt wie die Aufnahme und Heranziehung fremder Juden.
- Der Schultheiß zu Hammelburg soll dafür sorgen, daß die Juden bei den dortigen Metzgern Fleisch kaufen können. Es ist den Juden untersagt, Fleisch, Fisch, Obst oder andere Speisen anzugreifen und zu besudeln, wenn sie sie nicht behalten wollen. Was sie angefaßt haben, müssen sie bezahlen und kaufen.
- Die Juden sind gehalten, "in gewonlicher judencleidung" wie in Würzburg und Schweinfurt zu gehen oder sich der Judenzeichen zu bedienen, damit man sie von den Christen unterscheiden kann.
- Streitigkeiten innerhalb der Judenschaft sind von dieser selbst zu regeln, unbeschadet der Rechte der Obrigkeit, der bei allen Malefizsachen und Freveln die Rechtsprechung obliegt.
- Alle Juden im Stift sollen vor der Stadt Fulda, wo ihre Synagoge ist, begraben werden; widrigenfalls sind 10 fl. Strafe zu bezahlen.
- Änderungen dieser Ordnung sollen vorbehalten bleiben.
Ausfertigung
Ausfertigung, Papier, mit aufgedrücktem Siegel.
Ausstellungsort
Fulda
Archivangaben
Altsignatur
91 Weltl. Regierung Fulda Nr. 418; Abschrift d.Z. K 443 Nr. 386; vgl. Thomas, Privatrechte, S 218ff.
Arcinsys-ID
Archivkontext
Indizes
Personen
Orte
Sachbegriffe
- Ausgangsbeschränkungen
- Bußen, Geldstrafen
- Diebesgut
- Ernährung
- Fest- und Feiertage der Christen
- Gefängnis, Haftstrafen
- Gerichtsstand
- Gotteslästerung
- Handel
- Fisch (Handelsgut)
- Fleisch (Handelsgut)
- Gold, Silber, Kleinodien (Handelsgut)
- Grundstücke (Handelsgut)
- Obst (Handelsgut)
- Waffen (Handelsgut)
- Hausbesitz
- Judenfriedhof
- Judenordnung
- Judenschulden
- Judenzeichen
- Kirchengerät
- Kleidung
- Landesverrat
- Lärm und Geschrei
- Metzger, christliche
- Pfandleihhandel
- Streit unter Juden
- Synagogen
- Wucher
- Zinsen
- Toponym
Siehe auch
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Orte
- Hessische Flurnamen
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- Historisches Ortslexikon
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- Topografische Karten
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Personen
Quellen und Materialien
Nachnutzung
Rechtehinweise
Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Erlass einer neuen Judenordnung durch Abt Wolfgang von Fulda“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/3896_erlass-einer-neuen-judenordnung-durch-abt-wolfgang-von-fulda> (aufgerufen am 25.11.2025)
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