Eröffnung des 28. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Wiesbaden

 

Ereignis

Was geschah

In Wiesbaden wird um 12 Uhr im großen Sitzungssaal der Regierung der 28. Kommunallandtag des Regierungsbezirks Wiesbaden durch folgende Ansprache des stellvertretenden königlichen Landtagskommissars, Regierungspräsident Victor von Tepper-Laski (1844–1905), eröffnet: Meine hochgeehrten Herren!
Gestatten Sie mir, daß ich auch diesmal beim Beginn Ihrer Sitzungen Sie in diesen Ihnen wohlbekannten Räumen herzlich willkommen heiße. Die Königliche Staatsregierung hat Ihnen in diesem Jahre Vorlagen nicht zu machen. Dagegen befinden sich unter den Vorlagen des Landesausschusses mehrere von hoher Bedeutung. Der Etats-Voranschlag des Bezirksverbandes für 1894/95 bietet das erfreuliche Bild, daß es durch Sparsamkeit in der Verwaltung des Vorjahres und durch erhöhte Ueberschüsse aus der Nass. Landesbank und Sparkasse gelungen ist, nicht nur den gesammten verbliebenen Fehlbetrag aus dem Vorjahre zu decken, sondern auch bei einzelnen Ausgabe-Titeln – wie bei den Ueberweisungen an den Meliorationsfonds und zur Unterstützung des Gemeindewegebaues – geringe Erhöhungen eintreten zu lassen. Neben dem Etats-Voranschlage sind diejenigen Vorlagen, welche den Bau von Kleinbahnen und die Aufstellung bestimmter Grundsätze für die Förderung des Kleinbahn-Bauwesens im diesseitigen Regierungsbezirk betreffen, von besonderer Bedeutung und von hohem Interesse auch für die Königliche Staatsregierung. Die Erkenntniß von der Unzulänglichkeit der beiden im Bezirk vorhandenen Irrenanstalten hat den Landesausschuß dazu geführt, dem Kommunallandtag den Bau einer dritten solchen Anstalt vorzuschlagen. Die Staatsregierung hegt das Vertrauen, daß Sie Ihre bewährte Opferwilligkeit in der Fürsorge für die Armen und Unglücklichen auch dieser Vorlage gegenüber bethätigen werden. Der im vorigen Jahre zurückgestellte Entwurf einer Ordnung über die Errichtung einer Wittwen- und Waisenkasse für die Kommunalbeamten des Regierungsbezirks Wiesbaden ist Ihnen zu erneuter Beschlußnahme vorgelegt. Nachdem inzwischen durch Annahme der Städteordnung von Seiten einer weiteren Anzahl von Kommunen der Kreis der für eine solche Kasse in Betracht kommenden Beamten sich erweitert hat und eine größere Erweiterung dieses Kreises durch die für das nächste Jahr in bestimmter Aussicht stehende Landgemeindeordnung zu erwarten ist, dürfte eine Verabschiedung dieses Entwurfes in einer seinen Zweck erfüllenden Form nunmehr zeitgemäß erscheinen. Mit dem Wunsche, meine Herren, daß Ihre Verhandlungen auch diesmal von dem versöhnlichen und unparteiischen Geiste aller früheren getragen sein möchten, erkläre ich auf Befehl Sr. Majestät des Königs den 28. Kommunallandtag des Regierungsbezirks Wiesbaden für eröffnet.
1 Als Alterspräsident wirkt Dr. Philipp Bertram aus Wiesbaden, die jüngsten Mitglieder, der Höchster Landrat Dr. Wilhelm Meister und der Landrat des Oberlahnkreises Freiherr von der Goltz, stehen ihm als Schriftführer zur Seite. Bertram richtet bei Übernahme seines Amtes folgende Ansprache an die Abgeordneten: Meine Herren!
Indem ich als Alterspräsident die Sitzungen des 28. Kommunallandtages einzuleiten die Ehre habe, glaube ich zunächst meiner Genugthuung darüber Ausdruck geben zu sollen, daß in diesem Jahre wie auch in den vorderen Jahren von der Erhebung einer Provinzialsteuer voraussichtlich wird abgesehen werden können. Die Ueberschüsse der Nass. Landesbank und Sparkasse aus 1893 reichen aus, um die durch die Staatsdotationen nicht gedeckten nothwendigen und nützlichen Ausgaben des Verbandes zu bestreiten und überdies den Fehlbetrag des vorigen Jahres auszugleichen. Die gedeihliche Einwirkung der kommunalständischen Verwaltung auf die Wohlfahrt des Verbandes nimmt ihren ständigen Fortgang. Die fünf großen Landstraßenzüge, deren Ausführung der Kommunallandtag seiner Zeit beschlossen hat, 1. die Saynbachstraße, 2. die Braubach- und Ehrstraße, 3. die Laubusbachstraße, 4. die Weilbach- und Urselbachstraße, sowie 5. die Wisperstraße mit der Verbindungsstraße zwischen Emsbach und Weilbach sind nunmehr als vollendet zu betrachten. So besteht hinter dem Rücken der Taunushöhe in längerer Linie eine wohlgebaute Landstraße, welche sich von Lorch a. Rh. über Langenschwalbach, Wehen, Idstein und Usingen nach der Wetterau hinzieht und die das Wisperthal mit dem Aarthal, dem Wörsbachthal, dem Weilthal und dem Usthal verbindet. – Das Eisenbahnnetz des Bezirks hat sich immer mehr vervollständigt. Neben den älteren verkehrsreichen Eisenbahnen in der Mainebene, längs des Rheines und der Lahn sind in den verschiedenen Bachthälern, zum Theil unter kräftiger Unterstützung Seitens der Kreisverbände und des Kommunalverbandes 10 Eisenbahnen ausgebaut worden: 1. die Eisenbahn an der oberen Lahn, 2. die Bahn von Gladenbach nach der Lahn, 3. die Bahn im Dillthale, 4. die Bahn im Diezhölzthale, 5. die Bahn im Kerkerbachthale, 6. die Eisenbahn im Elbthale und einem Theile des Nisterthals und des Wiedbachthals, 7. die Eisenbahn im Erbach- und Brexbachthale, 8. die Eisenbahn im unteren Weilthale, 9. die Eisenbahn im Goldbach- und Emsbachthale, 10. die Eisenbahn im Aarthal. Die letztere Eisenbahn wird in den nächsten Tagen eröffnet werden; sie wird, abgesehen von ihrer allgemeinen Bedeutung, voraussichtlich einen lebhaften Verkehr zwischen den Kurorten Wiesbaden, Langenschwalbach und Ems vermitteln. – Das Gesetz über den Bau von Kleinbahnen wird dazu beitragen, daß auch unsere übrigen Thalgründe allmählich der Wohlthaten des Eisenbahnverkehrs theilhaftig werden, und ich darf voraussetzen, daß die kommunalständische Verwaltung nicht säumen werde, zur Erreichung dieses Zieles thatkräftig mitzuwirken. Die Erbauung von Kleinbahnen wird das Fortfahren in der Ausbildung des Vicinalwegenetzes nicht stören oder hemmen, und es ist erfreulich, daß, nachdem der kommunalständische Verband das erforderliche technische Personal zur Disposition stellt und die minder vermögenden Gemeinden ausgiebig unterstützt, im Uebrigen die Gemeinden bestrebt sind, nach Möglichkeit aus eigenen Kräften die verbesserte Verbindung zwischen den einzelnen Ortschaften herzustellen. – Hand in Hand mit der Vervollkommnung der Verkehrsverbindungen steigt unter Anregung und Unterstützung des Kommunalverbandes die Entwickelung der landwirthschaftlichen Verbesserungen, insbesondere im Bereiche der Wiesenkultur. Von den mittelalterlichen Reallasten, insbesondere Zehnten und Gülten, ist das Grundeigenthum im nassauischen Gebiete nunmehr im Wesentlichen befreit, nachdem von der Nass. Landesbank s. Z. die erforderlichen Ablösungskapitalien vorgestreckt und die an die Landesbank zu zahlenden Annuitäten bis auf geringe Beträge abgetragen sind. – Die Güterconsolidation nimmt unter der Herrschaft des erleichternden Gesetzes vom 31. März 1887 weiteren Fortgang und wird nach Umständen aus kommunalständischen Mitteln unterstützt. – Die beiden kommunalständischen Credit-Institute: die Landesbank und die Sparkasse, tragen dazu bei, die landwirthschaftlichen und sonstigen Creditverhältnisse auf gesunder Grundlage zu erhalten. Die Fortschritte in unserer wirthschaftlichen Lage verdanken wir den Segnungen eines ungestörten Friedens. Diese Segnungen aber verdanken wir der Weisheit und Thatkraft unseres Allergnädigsten Kaisers und Königs. Ich bitte Sie deshalb mit mir einzustimmen in den freudigen Ruf: Seine Majestät unser Allergnädigster Kaiser und König Wilhelm, er lebe hoch! hoch! hoch!
2 Zum Vorsitzenden des Kommunallandtages wird per Akklamation noch in derselben Sitzung Justizrat Hilf aus Limburg wiedergewählt, zu seinem Stellvertreter Dr. Humser aus Frankfurt am Main. Als Schriftführer werden die Abgeordneten Flügel (Montabaur) und Dr. Flesch (Frankfurt am Main) gewählt.3 Der 28. Kommunallandtag des Regierungsbezirks Wiesbaden wird in sieben öffentlichen Sitzungen bis zum 28. April 1894 tagen. Dem Kommunallandtag gehören 55 Mitglieder an. Die Abgeordneten Dr. Fresenius und Velde haben sich entschuldigen lassen und nehmen nicht an den Verhandlungen teil.

Zusammensetzung des 28. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Wiesbaden

Alberti, Dr. Alexander (1855–1929); Rechtsanwalt; Wiesbaden; Kreis Stadt Wiesbaden
Beckmann, Dr. August (1852–1914); Landrat; Usingen; Kreis Usingen
Berns, Wilhelm (1836–1902); Kaufmann; Dillenburg; Dillkreis
Bertram, Dr. jur. Philipp (1812–1899); Appellationsgerichts-Vize-Präsident a.D.; Wiesbaden; Kreis Stadt Wiesbaden
Born, Heinrich Christian (1847–1897); Bürgermeister; Erbenheim; Kreis Land Wiesbaden
Christoph, Heinrich (1841–1905); Bürgermeister; Eschborn; Kreis Höchst
Drill, Johannes (1836–1908); Stadtverordneter; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Eichmann, Heinrich (1832–1920); Bürgermeister; Hundsangen; Kreis Westerburg
Epstein, Philipp Christian (1834–1918); Bürgermeister; Nassau; Unterlahnkreis
Ferger, Heinrich (1847–1917); Bürgermeister; Westerburg; Kreis Westerburg
Fink, Philipp (1831–1913); Bürgermeister a.D.; Weyer; Oberlahnkreis
Flesch, Dr. Karl (1853–1915); Stadtrat; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Flügel, Jakob (1828–1895); Kaufmann; Montabaur; Unterwesterwaldkreis
Fresenius, Dr. Remigius (1818–1897); Geheimer Hofrat, Professor; Wiesbaden; Kreis Stadt Wiesbaden
Fromme, Paul (1855–1929); Landrat; Dillenburg; Dillkreis
Geiger, Dr. Berthold (1847–1919); Rechtsanwalt; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Gemmer, Johann Jakob (1826–1907); Landwirt, Bürgermeister a.D.; Ebertshausen; Unterlahnkreis
Freiherr von der Goltz, Friedrich (1856–1905); Landrat; Weilburg; Oberlahnkreis
Groos, August (1845–1919); Bürgermeister; Offenbach; Dillkreis
Hartherz, Emanuel (1842–1915); Stadtverordneter, Bildhauer; Frankfurt am Main; Kreis Frankfurt am Main-Stadt
Heineken, Frédéric (1839–1897); Stadtrat; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Hengsberger, Dr. jur. Adalbert (1853–1923); Bürgermeister; Bockenheim; Kreis Land Frankfurt am Main
Herber, Franz (1846–1918); Gutsbesitzer; Eltville; Rheingaukreis
Hesse, Hubert (1826–1908); Kommerzienrat; Heddernheim; Kreis Land Frankfurt am Main
Heussenstamm, Dr. Karl (1835–1913); Bürgermeister; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Freiherr von der Heydt, Bernhard (1840–1907); Landrat, Geheimer Regierungsrat; Homburg vor der Höhe; Obertaunuskreis
Hilf, Hubert (1820–1909); Geheimer Justizrat; Limburg; Kreis Limburg
Höchst, Georg (1838–1908); Bürgermeister a.D.; Oberbrechen; Kreis Limburg
Höhn, Rudolph (1834–1906); Bürgermeister; Langenschwalbach; Untertaunuskreis
Holdheim, Dr. jur. Paul (1847–1904); Rechtsanwalt; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Hummel, Hermann Joseph (1834–1921); Direktor; Hochheim; Kreis Land Wiesbaden
Humser, Dr. Gustav (1836–1918); Justizrat; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Ibell, Dr. jur. Carl von (1847–1924); Oberbürgermeister; Wiesbaden; Kreis Stadt Wiesbaden
Jamin, Georg (1825–1909); Bürgermeister; Kronberg; Obertaunuskreis
Kalle, Dr. Wilhelm (1838–1919); Kommerzienrat; Biebrich; Kreis Land Wiesbaden
König, Philipp (1842–1899); Schultheiß; Oberrad; Kreis Land Frankfurt am Main
Körner, Karl (1832–1914); Bürgermeister; Wehen; Untertaunuskreis
Kröck, Wilhelm († 1914); Bürgermeister; Bettendorf; Kreis St. Goarshausen
Leikert, Anton (1835–1896); Bauunternehmer; Oberlahnstein; Kreis St. Goarshausen
Lieber, Dr. Ernst (1838–1902); Reichs- und Landtagsabgeordneter; Camberg; Kreis Limburg
Mack, Georg Siegismund (1826–1908); Privatmann; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Meister, Dr. Wilhelm (1863–1935); Landrat; Höchst am Main; Kreis Höchst
Raabe, Johann Conrad (1828–1905); Bürgermeister; Rennertehausen; Kreis Biedenkopf
Remy, Friedrich (1823–1906); Bürgermeister a.D.; Vielbach; Unterwesterwaldkreis
Sartorius, Otto (1831–1911); Landesdirektor; Wiesbaden; Oberwesterwaldkreis
Schäfer, Friedrich (1829/30–1898); Bürgermeister; Alpenrod; Oberwesterwaldkreis
Schmidt, Wilhelm (1839–1901); Postagent; Rod an der Weil; Kreis Usingen
Schmitt, Johann (1823–1899); Bürgermeister a.D.; Obertiefenbach; Oberlahnkreis
Seidel, Philipp August (1837–1907); Stadtrat; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Stern, Theodor (1837–1900); Bankier; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Sturm, Eduard (1845–1920); Weinhändler; Rüdesheim; Rheingaukreis
Theis, Adolf (1842–1924); Kaufmann; Gladenbach; Kreis Biedenkopf
Unverzagt, Jakob (1827–1898); Bürgermeister; Biedenkopf; Kreis Biedenkopf
Varrentrapp, Dr. Adolf (1844–1916); Stadtrat; Frankfurt am Main; Kreis Stadt Frankfurt am Main
Velde, August (1829–1904); Justizrat; Diez; Unterlahnkreis
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„Eröffnung des 28. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Wiesbaden, 17. April 1894“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/6786_eroeffnung-des-28-kommunallandtages-des-regierungsbezirks-wiesbaden> (aufgerufen am 25.11.2025)

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