Beschwerde der Juden von Hochstadt über ihre Nachbarn und die Gemeinde

HStAM Protokolle Nr. II Hanau B 1 Bd. 5  
Laufzeit / Datum
1577 Juni 3 - Juli 26
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Am 3. Juni 1577 beschweren sich die Juden von Hochstadt vor dem Oberamtmann zu Hanau über ihre Nachbarn und die Gemeinde.
Isac ist von Hochstädter Einwohnern auf der Straße ergriffen worden, als er am Pfingstsonntagabend [Mai 26] seinen Schwiegervater Eli in dessen Haus aufsuchen wollte, und hat sich vergeblich auf den Schutz des Amtmanns berufen. Von drei Juden, die sich am Pfingstmontag auf den Weg nach Frankfurt gemacht hatten, haben die Hochstädter einen "auf der leuchte" gefaßt und einen zweiten bis ins Haus seines Vaters verfolgt. Sie haben erklärt, sie fragten nicht nach dem Amtmann und hätten andere Befehle. Dies hat ihr Anführer Andres Vetter auch dem Schultheißen wiederholt und gesagt, er wollte den Juden pfänden, als der Schultheiß die Herausgabe des jungen Juden verlangte und anbot, ihn in sein Haus zu nehmen.
Als am Sonntag Korn ausgeboten wurde, hat der Kirchenschöffe Faust erklärt, die Juden dürften am Sonntag kein Korn kaufen. Klagen der Hochstädter über das Spielen der Juden sind unberechtigt, da diese niemals mit Christen spielen, ausgenommen Faust und Vetter, mit denen sie sonntags Kegel geschoben haben.
Kilian Kaus hat einem Juden ein Haus vermietet, die Vermietung aber, als dieser sein Holz dort einräumen wollte, rückgängig gemacht mit der Begründung, man habe ihn "vexiert", das Haus keinem Juden zu geben, er "hette den eynen brief".
Auf diese Klagen antwortet der Pfarrer von Hochstadt, daß die Juden keinen Vorkauf vor den Christen haben sollen und sich an christlichen Feiertagen zwar Wasser und Feuer besorgen, bei Strafe von 5 Batzen aber keine anderen Geschäfte mit den Christen treiben dürfen. Sie halten sich aber, wie die Geschworenen dem Pfarrer geklagt haben, nicht daran. Meyer hat sich vernehmen lassen, daß er den sehen wollte, der ihn hindern könnte, sonntags auszugehen, und hat dem Kirchenschöffen auf die Frage, wohin er wollte, geantwortet, das ginge ihn nichts an, es sei ihm unbenommen, ins Wirtshaus zu gehen.
Die behauptete Mißachtung des Amtmanns wird vom Pfarrer bestritten. Er hält dagegen, daß Meyer aus "stolz und trutz" den alten Schultheißen und Jörg Trapp mit groben, stolzen Worten geduzt und daß Isac eine Schwangere beschimpft hat. Somit haben die Juden selbst Anlaß zum Streit gegeben.
Der Pfarrer, der es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, Christen, die bei den Juden als "sabats-joim" arbeiten, das Abendmahl zu geben, hält es für unerträglich, daß seine Pfarrkinder "mit den gotteslesterern sollen beladen sein". Lästerte ein Christ Gott so, wie es die Juden im Übermut tun, risse man ihm die Zunge aus. Er beruft sich auf die bestehende Ordnung und verlangt deren Einhaltung. Vor allem soll den Hochstädter Juden ebenso wie denen von Frankfurt bei 5 Batzen Strafe untersagt werden, an christlichen Sonn- und Feiertagen ihre Häuser zu verlassen, damit sie sich nicht unter die Gläubigen mengen, über Feld laufen und die armen Christen, die die Woche über mit saurem Schweiß gearbeitet haben, am Sonntag mit ihren Rechnungen behelligen, wie es die Hochstädter Juden am Pfingstmontag getan haben. Zeugen können bestätigen, daß und wo sie Abrechnung gehalten haben.
Darauf wird von Amts wegen die in der Grafschaft Hanau gültige Judenordnung bestätigt und in Erinnerung gerufen. Danach ist den Juden bei Strafe von S Batzen oder - in schweren Fällen - Turmhaft untersagt, an Sonntagen ihr Haus zu verlassen. Allerdings können sie früh von 6-7 und spät von 3-4 Uhr Brot, Fleisch, Salz und was sie sonst zur Leibesnotdurft brauchen, bei den Christen kaufen. Es ist ihnen jedoch nicht gestattet, an ihrem Wohnort oder außerhalb desselben mit Christen zu handeln, abzurechnen, zu spielen, unnützes Geschwätz zu führen oder sich überhaupt bei Christen finden zu lassen. An anderen christlichen Feiertagen können die Juden zwar ausgehen, sollen aber während der Predigtzeiten in ihren Häusern bleiben.
Was den Vorkauf angeht, so steht er den Christen bei Fleisch, Holz, Fisch, Kraut, Rüben und anderem fraglos zu und erst, wenn die Waren eine Stunde nach dem Ausbieten noch nicht verkauft sind, dürfen die Juden sie erwerben.
Ob die von den Juden "sabats-joim" genannten alten Weiber, über die sich der Pfarrer beschwert, den Juden "auf ir feyer dinen" und ob die Christen Häuser an Juden vermieten, bleibt ihnen freigestellt.
Hinsichtlich des Viehs, das die Juden in ihren Häusern, "zu scheischen und abzuthun pflegen", bleibt es bei dem Kanzleibescheid, daß zum eigenen Bedarf geschächtet und das Hinterteil den Christen verkauft werden darf, ein darüber hinausgehender Fleischverkauf an Christen oder Juden zu Frankfurt aber mit Turmhaft zu ahnden ist.
Am 12. Juli beklagen sich die Juden der Grafschaft über das sonntägliche Ausgehverbot, das ihnen nur an zwei Stunden erlaubt, ihre Häuser zu verlassen. Sie erklären sich bereit, bis nach der Predigt zu Hause zu bleiben und auch danach keinerlei Hantierung zu treiben, bitten aber um eine Lockerung der Bestimmung, damit sie nicht "wie arme gefangene müssen einsitzen". Außerdem ist es dem "jüdischen glauben zum höchsten beschwerlich", daß die Pfarrer versuchen, arme Christen abzuhalten, den Juden an ihren Feiertagen zur Hand zu gehen, obwohl sie das doch der Bezahlung wegen gerne tun. Das vom Keller zu Windecken ausgesprochene Verkaufsverbot hindert die Juden, sich bei ihren Schuldnern mit Wein oder Korn bezahlt zu machen. Die Juden bitten, sie bei der alten Ordnung zu lassen.
Am 26. Juli erklärt der Oberamtmann dazu, daß diese Beschwerde vor allem von den Juden zu Hochstadt ausgeht. Er bestätigt die getroffenen Bestimmungen, gibt aber Anweisung, das Sonntagsausgehverbot soweit zu lockern, daß die Juden einander in ihren Häusern besuchen können, doch bleibt ihnen das Spazieren auf den Gassen und jegliches Hantieren verboten. Was die "sabatsjoim" angeht, so soll der Pfarrer zu Hochstadt angewiesen werden, daß er die armen Leute, die sich etwas damit verdienen wollen, daß sie den Juden das Feuer anzünden, "linder tractiren" und sich nach den Frankfurter Pfarrern richten soll, die ihre Pfarrkinder auch nicht daran hindern.
In Windecken sind die Juden auf dem freien Markt erst nach den Christen zum Kauf zuzulassen, und damit es deswegen keinen Streit gibt, soll nach altem Brauch "das fenlein aufgesteckt werden", sobald die Christen gekauft haben. Außerhalb des Marktes und auf dem Lande dürfen die Juden Korn und Frucht ohnehin nur zum Eigenbedarf kaufen, wobei ihnen unverwehrt sein soll, sich von ihren Schuldnern, wenn diese es vorziehen, mit Naturalien statt mit Geld bezahlen zu lassen.

Weitere Angaben

1576-1577 Bl. 389r-393v, vgl. auch HStAM, 86 Hanauer Nachträge Nr. 28512; eine Teilabschrift der Hanauer Judenordnung findet sich auch in: vgl. auch HStAM, 86 Hanauer Nachträge Nr. 25892 Bl. 3-4.

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Beschwerde der Juden von Hochstadt über ihre Nachbarn und die Gemeinde“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/4943_beschwerde-der-juden-von-hochstadt-ueber-ihre-nachbarn-und-die-gemeinde> (aufgerufen am 25.11.2025)

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