Verhaftung des Juden Heinemann durch Diener des Grafen Wolrad von Waldeck

HStAM [ohne Angabe] Nr.  
Laufzeit / Datum
1573 Juli 12 - September 18
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Am 12. Juli 1573 wird der Jude Heinemann (Heinmann) von Warburg durch Diener des Grafen Wolrad von Waldeck vor Korbach am Hoppenberg verhaftet.
Am 15. Juli erklärt Graf Wolrad vor einem Notar, daß seine Diener dem Juden, den sie auf einem der gräflichen Jurisdiktion unterstehenden Gebiet verhaftet haben, folgende Gegenstände abgenommen und zum Eisenberg geschickt haben: ein geladenes Feuerrohr mit Pulverflasche und Span, ein "karnehl"1#Ledertasche mit dreierlei Käse, eine Butterbüchse, einen halben Laib Brot, ein Paar wollene Strümpfe, ein "schlepgen"2#Kappe mit Pelzfütterung, zwei Lederriehmen, "gleich als wens lora wehren", mit denen vor Zeiten Straffällige gebunden wurden, ein grünes Tuch, "als solt es uf daß judisch fest gehören", je ein gedrucktes und geschriebenes hebräisches Buch, einen "brakenfelder" und einen weißen Ledergürtel. Graf Wolrad protestiert in aller Form dagegen, daß die Korbacher seinen Dienern den Juden, der von einem Korbacher Bürger begleitet wurde, am Langefelder Tor abgefordert und später auch ihm die Herausgabe verweigert haben. Die am 14. Juni von der Stadt geäußerte Bitte, den bei der Gefangennahme verwundeten Juden gegen das Versprechen, sich für etwaige Gerichtsverhandlungen zur Verfügung zu halten, freilassen zu dürfen, hat Graf Wolrad abgelehnt.
In den mit der Stadt am 18. und 20. Juli geführten Verhandlungen lehnt es der Graf ab, seine Gründe für Heinemanns Gefangennahme anzugeben und verlangt die Überstellung des Juden in seinen Gewahrsam.
Am 22. Juli fordern die braunschweigischen Räte zu Münden Graf Wolrad auf, umgehend für Heinemanns Freilassung zu sorgen, da dieser unter Herzog Erichs Schutz ”sunder clage und ohne verweis" in Münden lebt und sich nach allem, was man weiß, auch in der Grafschaft Waldeck nichts hat zuschulden kommen lassen.
Am 23. Juli läßt sich Graf Wolrad herbei, dem von Heinemann beauftragten Juden Benedictus folgende Anklagepunkte mitzuteilen:

  1. Der verstorbene Johann Goldschmied hat Graf Wolrad eine Zeichnung des zu Flechtdorf gestohlenen Kelchs, den er bei Heinemann gesehen hat, geschickt.
  2. Heinemann hat sich durch Korbacher Bürger durch gräfliches Gebiet bis Medebach und weiter bis vor Eisenberg geleiten lassen, dort in der Herberge übernachtet und sich ohne Wissen des Grafen wieder entfernt und in Korbach aufgehalten. So wollte er auch weiterhin durch gräfliches Gebiet wandern, als "ob er vom Herzog von Braunschweig deßhalben brief oder geleidt gehabt".
  3. Er ist ohne Geleit mit Waren an Flechtdorf vorbeigezogen.
  4. Es soll untersucht werden, ob Heinemann zur Zeit der Gefangennahme gegen die Grafschaft gerichtete Briefe bei sich trug.
Graf Wolrad ist bereit, sich gnädig zu zeigen, wenn keine derartigen Briefe gefunden werden, Heinemann eine Erklärung wegen des Kelchs abgeben kann und eine Strafe für den Bruch des Geleitsrechts bezahlt.
Am 24. Juli überbringt Benedictus Heinemanns Antwort. Er bestreitet, je einen in Flechtdorf gestohlenen Kelch besessen zu haben. Hinsichtlich des Geleits erklärt er, daß er, als er zu Korbach "ufm geltthaus gelegen" hat, etliche Korbacher dafür bezahlt hat, ihn nach Medebach zu geleiten. Für die an Flechtdorf vorbeigeführten Waren war der Fuhrmann verantwortlich, der den Zoll wohl entrichtet haben wird. Verdächtige Briefe führt Heinemann nicht bei sich.
Darauf erklärt Graf Wolrad, daß er mit Heinemanns Entlassung einverstanden ist, sofern dieser wegen des Geleitsbruchs 200 Taler Buße zahlt. Was den Kelch angeht, so ist ein Zeuge bereit, zu beeiden, daß der Goldschmied ihn seinerzeit in Heinemanns Haus in Warburg gesehen hat.
Am 27. Juli beschweren sich die braunschweigischen Räte bei Graf Wolrad, daß ihr vorangegangenes Schreiben ohne Antwort geblieben ist, überschicken eine Supplik von Heinemanns Frau, erklären die Verhaftung des Juden für Landfriedensbruch und drohen, wenn er nicht entlassen wird und Ersatz für den durch "uffhawung seiner wagen und guter" entstandenen Schaden erhält, mit der Verhaftung waldeckischer Untertanen auf braunschweigischem Gebiet.
Am 4. August wenden sich die Räte erneut an Graf Wolrad und erklären seine Anklagepunkte, über die sie zwar nicht von ihm, aber doch auf andere Weise unterrichtet worden sind, für unzulänglich und fordern Heinemanns Freilassung und Entschädigung.
Das braunschweigische Drängen veranlaßt Graf Wolrad schließlich, trotz seiner Bedenken wegen des gestohlenen Kelchs und des gegen Heinemann erhobenen Vorwurfs, vor zwei Jahren fünf Hakenschützen angeworben zu haben, die ihn durch gräfliches Gebiet geleiten sollten, zuzustimmen, daß Heinemann, nachdem er geschworen hat, sich für weitere gerichtliche Untersuchungen zur Verfügung zu halten, am 7. August entlassen wird.
Der von Heinemann3#In den in diesem Zusammenhang gemachten Angaben über seine Person wird gesagt, daß er aus Münden gebürtig ist. abgelegte Eid hatte folgenden Wortlaut: "Jude du sollt wissen, daß wir Christen anbetten den einigen almechtigen undt lebendigen Gott, der himel undt erden undt alle dingk beschaffen hat, undt daß wir ausserhalb deßen keinen andern Gott ehren noch anbetten. Darumb solltu nicht meinen du seiest vor Gott eins falschen aidt enttschulltigt, als wan due denselben denen, die unrechte Gotter anbetten gethan hettest, sondern gedenck, wie die haubtleut deß volgks Israel sich schulltigk erkenneten, denen von Giffhan, so doch frembdten Gottern dieneten, als viel destomehr bistu schulltigk uns Christen, die wir dem lebendigen undt almechtigen Gott anbetten, deinen eidt zu hallten.
Undt darumb beschwere ich dich bij dem almechtigen Gott Adonaj, du wollest mir sagen, ob diesse nicht sein die wor[tte] der thorah undt gesetzes, so derselbe Gott [sein]em diener Mosi auff dem berg Sinaj geben [un]dt allem volck gebotten hatt? Ja So gleubstu undt weissest, daß einer schendet undt lestert den almechtigen Gott Adonaj, welcher bei seinem namen einen falschen aidt schweret? Ja Wolan, so lege deine rechte handt uff die wort der ersten taffel undt sage mir nach:
Adonaj, ein schoepfer der himel undt deß erdtreichs undt alles, waß darinnen ist, diessen urphandt, welcher alhir undter den wortten deiner h[eiligen] thorah ligt, ich wol verstanden undt mit eigener handt geschreben habe, wil ich ohne allen falsch, gefehrdt undt verborgene argelist gewenlich hallten, sonsten laß du, Adonaj, alle fluche, die in deinem gesez geschrieben stehn, uber mich kommen undt wollestu mir nimmermehr zuhulff oder zustatten kommen, daß bitt ich dich undt rede eß vor deinem angesicht undt bej deinem h[eiligen] namen, etc."
Am 18. September verwahrt sich die Stadt Korbach vor einem Notar förmlich gegen die Forderungen, die Graf Wolrad gegen sie erhebt, weil sie seinen Dienern den in der städtischen Feldmark verhafteten Juden Heinemann, der zu Münden ”ahn der wiesen" wohnt, abgefordert hat. Die Stadt erklärt, daß sie Heinemann in Erwartung einer von Graf Wolrad zu erhebenden Klage vier Wochen in einer offenen Herberge in Haft gehalten und ihn dann, nachdem Herzog Erich von Braunschweig sich für ihn verwandt hatte, nach beschworener Urfehde entlassen hat.

Weitere Angaben

Archivangaben

Altsignatur

115 Waldeck, Ältere Kanzlei 4 Korbach Pak. 85

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Verhaftung des Juden Heinemann durch Diener des Grafen Wolrad von Waldeck“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/4665_verhaftung-des-juden-heinemann-durch-diener-des-grafen-wolrad-von-waldeck> (aufgerufen am 25.11.2025)

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