Bürgermeister und Schöffen zu Windecken beschweren sich über die Juden zu Windecken
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Regest
Bürgermeister und Schöffen zu Windecken, denen der Keller mitgeteilt hat, daß auf einem leeren Platz in der Judengasse ein Haus für zwei Juden gebaut werden soll, wenden sich an Graf [Philipp Ludwig] von Hanau und geben zu bedenken, daß an dieser Stelle Stadtmauer und Türme baufällig sind. Sie müßten ausgebessert werden, ehe das Judenhaus gebaut wird, da man sonst "weder inwendig noch außwendig" an die Mauer herankommt und keinen Platz zum Bauen hat.
Davon abgesehen beschwert sich die Stadt über die ständig wachsende Zahl der Juden, die Anlaß zu täglichen Klagen geben. Die, wie der Augenschein noch zeigt, ehemals abzuschließende Judengasse, die ein von der Stadt beauftragter Bürger während der Predigten und bei kirchlichen Handlungen sowie an Sonn- und Feiertagen sperren konnte, ist derzeit geöffnet, und auch außerhalb der Gasse wohnen Juden, die den Bürgern damit die Mieten verteuern. Selbst wenn man die Gasse sperren wollte, so haben sich die Juden inzwischen eigene Ausgänge in die Stadt gebrochen. Trotz des in der Gasse vorhandenen und zum Waschen und Kochen ausreichenden Brunnens benutzen die Juden "aus sonderlichem trotz und muthwillen" den "außerbron" genannten besten Brunnen der Stadt und mißbrauchen ihn, um ihre "unreyne geschyrre" darin zu säubern, was doch selbst den christlichen Bürgern untersagt ist. Dabei ist den Juden seit alters verboten, aus diesem Brunnen zu schöpfen und allenfalls erlaubt, Wasser aus dem Über- und Ablauf zu entnehmen.
Obwohl den Juden nicht gestattet war, Holz aus der Windecker Gemarkung zu kaufen, halten sie sich nicht daran, so daß die Bürger kein Holz bekommen können, wenn sie die Juden nicht ums Doppelte überbieten.
Bürgermeister und Schöffen klagen, daß "des unzieffers der juden" von Tag zu Tag mehr wird. Wo vor kurzem noch zwei waren, sind jetzt vier und wo vierzig gewesen sind, findet man jetzt siebzig oder achtzig. Dazu kommen die durchreisenden fremden Juden, die ihr Nachtlager in Windecken nehmen und dabei zu Roß oder zu Fuß erscheinen "in gestalt als wenn es treflichen von adel wehren", auch das ihnen seit alters verordnete gelbe Ringzeichen nicht tragen.
Obwohl es den Bürgern verboten ist, unterhalten die Juden ihren eigenen Weinschank und zapfen für Fremde und Einheimische, ohne Ungeld zu entrichten.
Die Stadt muß die acht Judenhäuser, von denen sie nur 24 fl. 15 Schilling erhält, in Bau und Besserung halten, während die Juden, die die von ihnen beherbergten fremden Juden wohl kaum umsonst aufnehmen, allein allen Nutzen aus dieser Untervermietung ziehen. Dabei mußten im laufenden Jahr 100 fl. für Reparaturen aufgewandt werden, weil die Juden alles verwüsten und keiner auch nur einen Nagel einschlägt.
Den größten Schaden aber haben Stadt und Amt davon, daß die Juden vor den Wochenmärkten Gänse, Hühner, Eier, Butter, Obst, Frucht und anderes "umb anderthalb geld, das es schwerlich eins werd ist", aufkaufen. Sie erwarten die Händler bereits auf halbem Weg oder am Tor, ziehen sie in ihre Häuser und überbieten die anderen Käufer. Dabei lassen sie alles, auch Brot, Roggen und Weizen, durch ihre "unreyne hende" gehen, gleich ob sie es dann kaufen oder nicht, während ihnen doch früher verboten war, eine Ware anzugreifen, ehe sie mit dem Verkäufer handelseinig waren. Die im Lande und auf den Märkten aufgekauften Waren schaffen die Juden nach Frankfurt und verkaufen sie dort an ihresgleichen.
Vormals war den Juden untersagt, ihre Toten öffentlich durch die Stadt zu tragen, sie mußten vielmehr hinten herum und außerhalb der Stadt entlang geführt werden. Inzwischen aber halten sich die Juden nicht mehr daran, sondern führen ihre Leichenzüge öffentlich und auch sonntags "in grosser procession" durch die Stadt, gleich den Christen. Erst am vergangenen Sonntag haben sie während der Predigt einen fremden toten Juden durch die Stadt getragen und begraben.
Zum Spott und Hohn der christlichen Religion laufen sonntags unter der Predigt vor der Kirche und auf dem Kirchhof mutwillige Juden hin und her.
All dies veranlaßt die Stadt zu der Bitte, "deß untrewen schedlichen volks der judden nit so viel zu unß kommen" zu lassen.
Ausfertigung
Papier ohne Datierung
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Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
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„Bürgermeister und Schöffen zu Windecken beschweren sich über die Juden zu Windecken“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/4819_buergermeister-und-schoeffen-zu-windecken-beschweren-sich-ueber-die-juden-zu-windecken> (aufgerufen am 26.11.2025)
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