Entführung des Juden Lew vom Hof auf dem Weiher bei Steinau

HStAM Protokolle Nr. II Hanau A 2c Bd. 2  
Laufzeit / Datum
1567 Oktober 3-1603
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Räte und Befehlhaber zu Hanau, bei denen sich die Jüdin [Gela] zu Steinau über die Entführung ihres Mannes [Lewe (Leuwe, Löw, Leo)] beklagt hat, haben den Steinauer Keller zum Bericht aufgefordert, und dieser verwahrt sich am 3. Oktober 1567 zunächst gegen den Vorwurf, die Anwesenheit des Juden der Kanzlei verschwiegen zu haben. Er verweist auf eine dem Kämmerer bei der Rechnungslegung gemachte Anzeige. Allerdings war ihm nicht bekannt, daß Lewe, dessen Schutzgesuch der Amtmann zu Steinau abgelehnt hat, unter Hoelins Schutz lebte.
Was den Weiherhof angeht, so war dort nachts stets soviel Licht und Lärm, daß man schon lange fürchten mußte, es werde einmal "ein ander unrath drauß erfolgen". Daher haben auch die Steinauer Turmwächter, als sie in der Entführungsnacht Lärm hörten, ihn nur dem üblichen Treiben auf dem Hof zugeschrieben. Der Keller wird angewiesen, unauffällig nach den Tätern zu forschen. Am 17. Oktober 1567 erscheinen Lewes Schwiegersohn David "uff dem weyer" und Lewes zu Windheim in Franken unter dem Komtur [des Deutschen Ordens] lebender Bruder Joseph vor der Kanzlei und berichten, daß Lewe in Johann Lenings Haus zu Volkartshain gefangen gehalten wird. Da der Entführte nicht unter hanauischem Schutz steht, lehnen die Räte ein direktes Eingreifen ab, beschließen aber, Graf Ludwig von Königstein zu ersuchen, die unter seiner Obrigkeit lebenden Täter für den auf hanauischem Gebiet begangenen Landfriedensbruch der Reichsordnung gemäß zu bestrafen. Außerdem sollen die in Steinau lebenden Mittäter und Helfer verhaftet und peinlich verhört werden. Ferner wird entschieden, Valentin Hoelin mit 200 Talern zu büßen, weil er Lewe ohne Vorwissen der Herrschaft Hanau Schutz gewährt hat.
Am 5. November wird [Hoelins gewesener Schreiber] Conrad Craft von Steinau vor dem Hanauer Hofgericht verhört. Er bekennt, daß ihm die Juden, die statt der geforderten 600 nur 100 Taler Lösegeld zahlen wollten, für seine Vermittlung ein Hemd und, als dies dem jungen Juden zu wenig schien, noch ein Bett versprochen haben. Außerdem hat auch Johann Lening ihm ein Geschenk zugesagt.
Craft beschreibt Lenings sechs Helfer und gesteht, daß er selbst, weil es gegen einen Juden und nicht gegen einen Christen ging, beratend mitgewirkt hat, als die lange vorbereitete Tat in seinem Haus mit dem eigentlichen Anstifter Hensel von Hammelburg besprochen wurde. Eine Mitwisserschaft des Hoelinschen Hofmannes auf dem Weiher schließt Craft nicht aus, denn dieser hat vor der Tat gesagt, er wünschte, der Jude würde entführt, "der junge jud fragte nichts darnach, den es seye ihme zuvor auch bedrawet worden". Von dem [jungen] Juden hat Craft gehört, daß Hoelins Frau ihren Hofmann angewiesen hat, nachts im Haus zu bleiben, weil der Jude geholt werden sollte. Danach hat sich der Hofmann dann auch gerichtet.
Der Jude ist an einem Donnerstag entführt und zunächst in den Wald gebracht worden, wo er sich aber befreien konnte und seinen Wächter mit einem Messer angegriffen hat, bis ihn ein weiterer Entführer überwältigte und man ihn wieder fesselte. Als sich später herumsprach, daß Lening Lewe gefangen hielt, hat Craft Lening gewarnt, so daß dieser den unter dem Dach seines neugebauten Hauses untergebrachten Juden am 25. Oktober in den Gaden eines Gevatters in Volkartshain bringen konnte, wo er noch war, als Lening nach einer neuerlichen Warnung durch Craft am 29. Oktober davongeritten ist.
Die Beute bestand zur Hauptsache in Silberzeug. Mitgenommen wurden zwei vergoldete Deckelkelche, zwei Silberbecher mit Füßen, ein großer und ein kleiner silberner Bisamknopf, eine Silberkette, ein kleiner Becher wie ein Hellerglas, etliche gefaßte Wolfszähne, ein Silberring und ein großer, aber wertloser Büffelring, dazu ein gewirkter roter Teppich mit Bildwerk, ein Handtuch, um dem Juden die Augen zu verbinden, ein Laken, Burschett 1#Burschett - halbseidenes Zeug. und eine Burschettschaube 2#Schaube - weites Obergewand., die sich die Entführer später geteilt haben.
Craft erklärt, daß er selbst 20 Taler und eine Zusage über weitere 10 Taler erhalten hat sowie einen etwa acht Maß fassenden Silberbecher, unten eng, oben weit, zwei Silberringe, Edelgestein, Wolfszähne und einen Schleier für seine [Frau] Merga. Er hat seinen Anteil zu Hause im Bettstroh versteckt.
Am 17. November 1567 widerruft Craft die Aussage über seinen Anteil und erklärt, daß er außer dem Schleier für Merga von Lening nur das Versprechen eines guten Geschenks erhalten hat. Nach Hoelins Frau befragt, sagt Carft, daß sie in seinem Haus mehrfach mit Hensel von Hammelburg verhandelt, ihn am Mittwoch vor der Tat an ihren Anteil erinnert und ihm nach der Entführung zwei Boten geschickt hat. Sie hat mit Hensel auch über eine Truhe gesprochen und Merga am Freitag nach der Entführung, nachdem sie Craft gebeten hatte, für eine baldige Freilassung des Juden zu sorgen, einen Schlüssel zur Truhe mit dem Auftrag gegeben, alles, was Hensel von Lewes wegen nach Steinau brächte, darin zu verschließen, damit ihr Schwiegersohn Stefan Rüd [von Bödigheim] nichts davon erführe. Craft hat sich gewundert, daß sich eine Frau in ihrem Alter noch auf solche Händel einließ.
Am 11. März 1568 ersucht Lew zu Witzenhausen Räte und Befehlhaber zu Hanau um Amtshilfe gegen Lening und seinen Sohn, damit er nicht gezwungen ist, sie als Landfriedensbrecher vor dem Reichskammergericht zu verklagen. Er wird von Räten und Befehlhabern an den Grafen von Königstein verwiesen, unter dessen 0brigkeit die Beklagten sitzen, doch soll den beiden zu Hanau einsitzenden, an der Tat beteiligten Gefangenen ihr Recht werden.
Am 18. Mai 1569 beginnt vor dem Stadtgericht von Oberursel das bis zum 24. Mai dauernde Verhör des Johann Lening, seines Sohnes und seines Knechtes.
Lening bekennt, daß er Hensel von Hammelburg und Conrad Craft bezahlt hat und sie ihm den Juden ausgekundschaftet haben. Hensel hat später auch die Konzepte der sechs an Lewes Frau geschickten Briefe verfaßt.
Die Entführer sind von Volkartshain aus zu Fuß und zu Pferd zum Hof des Juden gezogen, und der Schmied von Oberseemen hat unterwegs ein Pflugeisen zum Aufbrechen der Türschlösser mitgenommen. Die sonst benötigten Werkzeuge hatten Hensels Gesellen bei sich.
Von der nach Lenings Meinung nur geringwertigen Beute hat er selbst nur einen Sack voll Schleier mitgenommen, der Rest ist ihm von den anderen gebracht und in seinem Haus mit Ausnahme des Silbergeschirrs geteilt und verlost worden.
Lening erinnert sich an ein Bettuch, Schleier, zwei Kelche, zwei hohe Becher mit Fuß, zwei gemeine Tischbecher, einen Frauen- und einen Bauernrock, zwei Leilachen und ein Silberkettchen mit zwei Bisamknöpfen, das er seinem Schwager gegeben hat, der es aber vertan hat.
Konfrontiert mit dem von Lewe erstellten Verzeichnis der geraubten Habe gibt Lening zu, daß er drei silberbeschlagene Messer, zwei Silberringe mit Steinen, eine der beiden wertlosen Feuerbüchsen, einen Teppich, eine Zinnkanne und eine Schraubflasche bekommen hat. Von weiteren Ringen weiß er nichts, auch nicht, wer den londischen Mantel bekommen hat. Zwei Becher hat Hensel dem Schultheißen zu Gedern für 6 Schilling verkauft, und der vergoldete Kelch von etwa 24 Lot ist in Fulda veräußert worden. Außerdem sind zwei Bettücher, eine ganze und eine zerschnittene Lederhose und ein Feuerschloß verteilt worden, und jeder hat zwei Schleier, 3 Ellen Burschett und 1 Stück von der Burschettschaube bekommen. Lening schätzt seinen und seines Sohnes Anteil auf etwa 20 fl.
Lenings Knecht sagt, daß er seinen Anteil, bestehend aus 5 Ellen Leinwand und zwei Hüllen 3#Hülle - Umhang, Umschlagtuch. sowie einer halben "scheren von der burschetschauben" seinem Herrn gebracht und nur einen Rock mit Ärmeln behalten hat, der höchstens 1 fl. wert war.
Zum Hergang der Entführung befragt sagt der Knecht, daß ihnen Lewe zunächst im Hemd entkommen, dann aber von Lening eingeholt worden ist, der ihn zu sich aufs Pferd genommen, später aber dem Knecht übergeben hat, weil Lewe so stark aus der Nase blutete .
Am 13. Juni 1572 werden Valentin Hoelin zu Steinau, Stefan Rüd zu Bödigheim, Hans Lening zu Mittel- und der Schmied Contz zu Oberseemen zum 18. August vor das Reichskammergericht geladen, wo der Jude Lewe zu Merlau (Mörlin) klagt, daß ihn Landfriedensbrecher am 26. September 1567 nachts um 10 Uhr in seinem Haus und Hof genannt "uff dem weyhers" bei Steinau überfallen, verwundet, beraubt und entführt und ihn an die sieben Wochen "an drey eisine schloß gelegt erbarmlich und uber die massen ubel" gefangen gehalten haben. Die Geladenen werden der Mittäterschaft angeklagt.
Am 23. Dezember 1572 legt Lewes Anwalt dem Gericht die förmliche Klagschrift vor und verweist dabei insbesondere darauf, daß Hoelin trotz des ihm gezahlten jährlichen Schutzgeldes Lewe nicht nur nicht beschützt, sondern sich vielmehr an der Entführung beteiligt hat.
Am 11. September 1573 fordert Hoelins Anwalt die Abweisung der Klage, da der Kläger als landbekannte "vagabunda persona" ohne feste Bleibe und Besitz keine Kaution stellen kann und zu fürchten ist, daß er nach der kaum zu bezweifelnden Freisprechung der Beklagten "auß dem reich entlauffen, sich in frembde nationes oder sobalt gar in die Turckey begeben oder zum wenigsten dermassen verkriechen [wird], daß niemandt wurdt wuessen mögen, wo er hinkumen, wie dan solcher exempel mit dergleichen zigeynersjuden viel vor Augen." Der Anwalt bestreitet, daß Hoelin Lewe Schutz gewährt hat.
Am 6. Oktober 1573 ersucht Lewes Anwalt das Gericht, die Akten der gegen Conrad Craft und Johann Lening und seine Helfer geführten Prozesse anzufordern.
Am 17. Mai 1574 bekennt Christoffel von Merlau, daß ihn Gela, die Witwe des Juden Lewe von Witzenhausen gebeten hat, ihr ihre Armut zu bescheinigen, da ihr Mann gestorben ist, ehe er vor dem Reichskammergericht den "ayt des armuts" ablegen konnte, und sie den von ihm begonnenen Prozeß fortführen will. Christoffel von Merlau bestätigt, daß Lewe etliche Jahre zu Merlau in großer Armut gewohnt hat und seine Witwe jetzt zu Niederohmen von Almosen lebt.
Am 19. August 1574 legt der mit Gelas Vollmacht versehene Jude Jacob von Berghausen [Pfalz] vor dem Reichskammergericht den Armeneid ab.
Am 6. Oktober 1578 erteilt Gela (Geylche) von Witzenhausen ihrem Sohn Moße Prozeßvollmacht, weil sie wegen Abgelegenheit ihres Wohnorts, hohen Alters und Armut nicht in Speyer erscheinen kann.
Am 22. Januar 1579 ersucht das Gericht, das diese Vollmacht anerkennt, die Grafen von Hanau-Münzenberg und Königstein, die Akten der vor ihren Gerichten gegen Beteiligte der Entführung geführten Prozesse wegen Armut der Klägerin unentgeltlich nach Speyer zu übersenden. Die königsteinschen Räte kommen dieser Bitte am 24., die hanauischen am 25. Juni nach.
Am 27. November 1579 moniert Gelas Anwalt, daß bei den zugeschickten Prozeßakten die Aussage des Conrad Craft fehlt, und verlangt deren Anforderung.
Dagegen protestiert am 4. Januar 1580 der Anwalt von Stefan Rüd und Hoelin, da er die Aussagen von Landfriedensbrechern, zumal wenn sie im peinlichen Verhör gemacht wurden, für nicht beweiskräftig hält. Sofern sie seine Mandanten belasten sollten, erklärt er sie vorab für falsch und unwahr.
Am 22. März 1580 erwidert Gelas Anwalt, daß zu Zeiten, als Lewe unter Landgraf Ludwig von Hessen lebte, ein Prozeß wegen der Entführung vor dem Hofgericht Marburg anhängig gemacht und Rüd dabei der Mittäter- und Mitwisserschaft überführt worden ist. Gelas Schwager Baroch sind die auf der Marburger Kanzlei liegenden Akten, die der Anwalt nun ebenfalls anzufordern bittet, noch vor sechs Wochen vorgelesen worden.
Nachdem Gelas Anwalt am 7. Juli 1580 nochmals das Protokoll von Conrad Crafts Verhör erbeten hat, geht eine entsprechende Aktenanforderung des Kammergerichts am 22. Februar 1581 an die hanauische Regierung. Räte und Befehlhaber antworten darauf am 28. August 1582, daß sie die Mandate des Gerichts erst am 13. und 16. August erhalten haben, und fügen Abschriften der bereits am 25. Juni 1579 übersandten Akten sowie der Aussage des hingerichteten Craft bei.
Am 6. Juli 1583 erklärt derAnwalt der Juden, daß die von Hanau übersandten Akten nicht den Abschriften entsprechen, die seinerzeit das Hofgericht Marburg erhalten hat und auf die sich die Anklage stützt. Er bittet daher nochmals, auch diese Akten anzufordern.
Am 13. November 1590 erklärt Gelas Anwalt, daß er von seiner Mandantin seit etlichen Jahren nichts gehört hat und weder weiß, wo sie sich aufhält, noch ob sie überhaupt noch am Leben ist.
Am 30. Oktober 1591 beschwert sich Stefan Rüd, daß der von dem "gottlosen" Juden Lew zu Merlau angestrengte und von seinem Sohn fortgeführte Prozeß gegen ihn nun schon an die fünfzehn Jahre dauert. Die vom gegnerischen Anwalt behauptete Unkenntnis über Verbleib und Aufenthalt seiner Mandanten hält er für unglaubhaft, da der klagende Jude Mosche bekanntlich seit vielen Jahren in guten Vermögensumständen in Berghausen lebt und sich allwöchentlich in Speyer sehen läßt.
Am 26. Oktober 1593 erteil Rüds Sohn dem Anwalt seines inzwischen verstorbenen Vaters Prozeßvollmacht.
Das Prozeßprotokoll, das vermerkt, daß zwischen 1595 und 1601 das Verfahren keinen Fortgang genommen hat, schließt mit den Worten "anno [1]603 nihil".

Weitere Angaben

1567 Bl. 328r-329r, 332v-333r, 408r; vgl. auch HStAM, 255 Reichskammergericht Nr. I 99; 81 Regierung Hanau D 1 Nr. 99/1; vgl. auch HStAM, K Nr. 357 Bl. 36-44

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„Entführung des Juden Lew vom Hof auf dem Weiher bei Steinau“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/4319_entfuehrung-des-juden-lew-vom-hof-auf-dem-weiher-bei-steinau> (aufgerufen am 26.11.2025)

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