Schatzung der Juden zu Wetzlar durch den hessischen Feldmarschall von Schachten

HStAM 3 Nr. 3046  
Laufzeit / Datum
1552 (Juli 29) August 1 - 1553 November 2
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Schatzung der Juden zu Wetzlar durch den hessischen Feldmarschall von Schachten
Am 1. August 1552 verlangt der hessische Feldmarschall Wilhelm von Schachten von der Stadt Wetzlar die sofortige Erfüllung seiner von der Stadt zunächst zurückgewiesenen Forderungen an die dortigen Juden.
Am 21. Februar 1553 berichtet der Rat zu Wetzlar Landgraf Philipp von Hessen, der am 18. Februar die Klage der Wetzlarer Juden Gottschalck und Joseph zur Stellungnahme übersandt hat, daß Wilhelm von Schachten am 29. Juli 1552 einen ersten und später einen zweiten Boten in die Stadt geschickt und verlangt hat, daß der Rat ihm entweder "die juden mit dem leibe" oder die Zusicherung gibt, daß ihm die Wetzlarer Juden ebensoviel bezahlen wie die von Friedberg. Da die Juden damals "nith beyn handen gewesen, sonder sich verkrochen" hatten, war die Stadt trotz anfänglicher Weigerung gezwungen, in einer besiegelten Verschreibung zu versprechen, daß ihre Juden binnen vierzehn Tagen soviel bezahlen würden wie die zu Friedberg, doch "was sie bey denen kriegs-, Chur-, und fürsten ... abtragen khonten, das solt ienen an derselbigen summa abgehen". Die Stadt hat außerdem in der Erwartung, dies werde bis zum Ablauf der Frist genügen, für die Juden 280 fl. bezahlt. Trotzdem sind Schachtens Diener noch am gleichen Tage in die Häuser der Juden gedrungen, haben Kisten und Kasten erbrochen und Sachen im Wert von mehr als 50 fl. mitgenommen. Unter diesem Druck haben sich die Juden beeilt, binnen zwei Tagen 1000 fl. aufzubringen, die sie dem Feldmarschall am folgenden Tag als erste Rate ins Lager bringen wollten. Vorher aber sind bereits dessen Diener erschienen, haben die getroffene Vereinbarung im Namen des Feldmarschalls für nichtig erklärt und sofortige Zahlung oder die Auslieferung der Juden verlangt. Der Bürgermeister, der sich vergeblich auf den den Juden zugesicherten Schutz berufen hat, ist mit Waffengewalt gezwungen worden, den Aufenthalt der Juden preiszugeben. Die Soldaten haben Gotschalck und Joseph festgenommen, sie "an die geul gebunden und durch die stadt geschlept" und sie nach Gießen gebracht. Nach dem von Gotschalck und Joseph später gegebenen Bericht sind beide in Gießen von den Dienern des Feldmarschalls verhöhnt, am Bart gerauft und schließlich nach Momberg gebracht und dort über Nacht gefangen gehalten worden. Am andern Tag hat man sie nach Neuenstein geführt, dort drei Tage im Keller und vierzehn Tage in der Stube eingesperrt, ihnen Stricke um die Arme gelegt, einen wie ein Nachrichter aussehenden Mann zu ihnen geführt und ihnen gedroht, sie zu hängen, so daß einer der beiden bei diesen und ähnlichen Mißhandlungen ohnmächtig geworden ist.
Die Frau des einen Juden hat beim Feldmarschall zu Gießen versucht, ihren Mann durch eine Abschlagszahlung zu befreien, wobei Schachten vor Zeugen erklärt hat, die Juden würden freigelassen, sobald er 3000 fl. habe. Seine Diener aber haben der Frau gesagt, sie hätten ihren Mann auch dann noch in ihrer Gewalt, wenn Schachten zufriedengestellt wäre. Als die Frau das geforderte Geld nicht aufbringen konnte, hat man die Juden in ein noch schlechteres Gefängnis gesteckt und so gezwungen, schließlich alles Verlangte zu unterschreiben. Sie haben durch einen Boten ihre Frauen und die Stadt Wetzlar auffordern lassen, doch um ihres Lebens willen dafür zu bürgen, daß Schachten 3000 und jeder seiner beiden Diener je 1000 fl. erhielte. Der Rat zu Wetzlar hat darauf verlangt, daß Joseph und Gottschalck in die Nähe von Wetzlar gebracht wurden und mit Vertretern der Stadt sprechen konnten. Beide haben sich dabei zu der von ihnen gegebenen Verschreibung bekannt, so daß die Stadt genötigt war, sie zu akzeptieren und sich für die Bezahlung bis zur Fastenmesse zu verbürgen. Da aber die fünf hausgesessenen Juden, zu denen auch Gotschalck und Joseph gehören, bereits 2000 fl. bezahlt haben und, weil in Wetzlar sonst nur arme Juden leben, unmöglich mehr als 3000 fl. aufgebracht werden können, bittet die Stadt Landgraf Philipp, weitergehende Forderungen niederzuschlagen und für die Freilassung der Juden zu sorgen.
Am 20. März rechtfertigt von Schachten sein Verhalten gegenüber dem Landgrafen mit einer vom Kurfürsten von Sachsen erteilten Erlaubnis, die Juden zu "rantioniren", weil diese den sächsischen Verbündeten allenthalben entgegenarbeiteten und die Gegner des Kurfürsten mit Verrat und Geld unterstützten. Da Schachten von der dabei gemachten Beute nie den ihm zustehenden Anteil erhalten hat und zudem des Glaubens war, die Juden, die Landgraf Philipp, weil sie sich nicht nach der Landesordnung hielten, in Hessen nicht hatte dulden wollen, genössen dort keinen besonderen Schutz, nachdem sie sich während der Abwesenheit des Landgrafen dort heimlich wieder eingeschlichen haben, hat er "nach inen trachten und sie uff eine aussonung sich verschreiben lassen". Die von der Stadt Wetzlar behauptete Gewaltanwendung bestreiten seine Diener ebenso wie den Empfang der 300 fl. Die Plünderung hat der Feldmarschall dagegen erlaubt, um seine Diener unter Schonung der landgräflichen Kasse für ihre jahrelang erwiesenen besonderen treuen Dienste zu entlohnen. Er hat dafür Lob und nicht den vom Landgrafen geäußerten Tadel erwartet, zumal er und seine Diener gewiß mehr auf das Wohl des Landgrafen bedacht gewesen sind als diese und alle anderen Juden, die als Feinde der Christen doch nur danach trachten, diesen das Blut auszusaugen und sie zu vertilgen.
Auf die Darstellung des Feldmarschalls erklären Gotschalck und Joseph am 5. April, daß sie Leben und Vermögen in die Hand des Landgrafen legen wollen für den Fall, daß ihnen Verrat am Kurfürsten von Sachsen nachgewiesen werden kann. Joseph klagt, daß ihm in der Gefangenschaft eine Tasche mit 50 fl. abgenommen und nicht zurückgegeben wurde. Gotschalck beschwert sich, daß seiner Frau im Rathaus [zu Wetzlar] im Verlauf der Auseinandersetzungen eine große, tiefe und "gorckliche" Kopfwunde mit einer Feuerbüchse zugefügt wurde, derentwegen sie lange in Behandlung war. In Gießen hat man den beiden Juden die Stricke an den Händen so festgezogen, daß viele Mitleid bekommen haben und der Wirt zum Roß verlangt hat, man sollte sie, wollte man sie so behandeln, aus dem Haus bringen, "dan er khunte daß nit sehen". Man hat den beiden einen Stoßdolch an die Kehle gesetzt, ihnen den Bart gerauft, sie mit "schweinßspiessen und fueherbuchsßen" bedroht und erklärt, man werde sie hängen, wenn sie nicht zahlten. Die abgenötigten Schuldverschreibungen mußten beide nach einem vorgelegten Text schreiben und unterschreiben. Unter der Beteuerung, sich stets an die Landesordnung gehalten zu haben, berufen sich Gotschalck und Joseph auf den landgräflichen Schutz, für den sie schließlich auch zahlen. Sie lehnen es ab, zu einer Verhandlung vor dem Feldmarschall zu erscheinen und bitten, sie von der erzwungenen Schuldverschreibung freizusprechen. Wenn überhaupt, wollen sie nur den Rest der 3000 fl. bezahlen. Die Stadt Wetzlar, die dem Landgrafen diesen Bericht überschickt, bleibt bei ihrer Behauptung, daß Schachtens Diener Gewalt angewandt und 280 fl. erhalten haben.
Am 16. Juni ersucht die Stadt den Landgrafen um eine baldige Entscheidung.
Am 18. September bitten Schachtens Diener Landgraf Philipp, ihnen zu ihrem Geld zu verhelfen. Sie verweisen auf die von den Juden selbst eingestandenen Ubertretungen, auf ihre vom Kurfürsten von Sachsen angeordnete Bestrafung und darauf, daß in Wetzlar ein kinderloser Jude leben soll, der allein auf ein Vermögen von über 2000 fl. geschätzt wird.
Durch Vermittlung des Landgrafen kommt es darauf zu einem Vergleich, bei dem Schachtens Diener sich mit 1000 fl. zufriedengeben, deren sofortige Bezahlung Landgraf Philipp am 13. Oktober in einem Schreiben an die Stadt Wetzlar fordert.
Am 2. November beschweren sich Schachtens Diener über die Verzögerung der Zahlung durch die Stadt, die behauptet, das landgräfliche Schreiben erst gründlich prüfen zu müssen.

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0

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„Schatzung der Juden zu Wetzlar durch den hessischen Feldmarschall von Schachten“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/3810_schatzung-der-juden-zu-wetzlar-durch-den-hessischen-feldmarschall-von-schachten> (aufgerufen am 25.11.2025)

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