Entführung eines taufwilligen Judenjungen aus Marburg

HStAM [ohne Angabe] Nr.  
Laufzeit / Datum
1537 Oktober 16 - November 2
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Entführung eines taufwilligen Judenjungen aus Marburg
Der Witzenhäuser Pfarrer Antonius Corvinus berichtet dem Amtmann auf dem Ludwigstein am 16. Oktober 1537 aus Marburg, daß vor etwa drei Tagen "unsers juden mutter und bruder" gekommen sind und versucht haben, den Knaben von seinem Vorhaben, Christ zu werden, abzubringen und zur Heimkehr zu bereden. Der Junge hat aber erklärt, "es sey mit dem judenthum narrenwerk". Corvinus, dem der Knabe von den landgräflichen Räten und dem Amtmann anvertraut wurde, hat die Mutter wissen lassen, daß sie ihren Sohn nur auf ausdrücklichen landgräflichen Befehl wieder mitnehmen kann, und sie hat versprochen, ihn nicht heimlich fortzuholen, sondern ihre Rechte einzuklagen. Trotzdem hat sie in der Dämmerung ihren ältesten Sohn veranlaßt, seinen Bruder auf die Straße zu locken und hat ihn weggeführt. Als Corvinus dahinter kam, hat er die Frau verhaften lassen, doch hat sie der Statthalter anderntags trotz des Pfarrers Protest freigelassen und sich auch nur einen Juden, "der denn auch beim weibe, wie man sagt, gelegen hat", zum Bürgen genommen, obwohl man drei hätte haben können. "... solte solche bosheit den juden geschenkt und die lesterwort, so sie des tauffs halben in des schultheissen haus und in meinem beiwesen gehabt, ... geduldet werden, so wuste ich schier nicht, was ich von unserm Christentum sagen sollte."
Am 21. Oktober befiehlt Landgraf Philipp seinem Statthalter in Marburg, alle an der Lahn wohnenden Juden aufzufordern, den Jungen unverzüglich auszuliefern. Die Alsfelder Juden, die vermutlich die Entführung organisiert haben, sollen 100 fl. Buße zahlen. Darauf berichten Rentmeister und Schultheiß zu Alsfeld dem Statthalter am 26. Oktober, daß sie die Mutter des Jungen verhaftet haben. Sie hat geschworen, an der Entführung nicht beteiligt gewesen zu sein. Ein verwandter jüdischer Knabe hat ihren Sohn ohne ihr Wissen zu Freunden nach Adelsheim bei Worms gebracht. Die Mutter hat versprochen, den Jungen auf ihre Kosten zurückholen zu lassen und um Haftentlassung gebeten. Die Beamten geben zu bedenken, daß die Frau als arme Witwe drei unmündige Kinder zu versorgen hat. Am 2. November berichten die nach längerer Abwesenheit nach Alsfeld zurückgekehrten Beamten, daß sie die Jüdin am vergangenen Sonntag entlassen haben. Sie hat versprochen, den Sohn binnen vier Wochen wieder herbeizubringen, andernfalls müssen sie oder ihre Bürgen, die Alsfelder Bürger Antonius Judenschnider und Hen Gretzmoller, 100 fl. Buße zahlen.

Archivangaben

Altsignatur

22a 1 Nr. 5.

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Entführung eines taufwilligen Judenjungen aus Marburg“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/3549_entfuehrung-eines-taufwilligen-judenjungen-aus-marburg> (aufgerufen am 25.11.2025)

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