„Landgängerei“

 

Ereignis

Was geschah

Die Armut vor allem im Westerwald und Taunus zwang die Bevölkerung dazu, außerhalb ihrer Heimatdörfer Arbeit zu suchen. Diese sogenannten Landgänger betätigten sich oft als Musikanten, Besen- und Fliegenwedelhändler und reisten bis nach Russland, Skandinavien und Großbritannien, um dort Geld zu verdienen. Oftmals wurde der Handel mit Besen oder Fliegenwedeln nur vorgeschoben, im Vordergrund stand das Betteln. Die Händler warben dafür Kinder und Jugendliche in der Heimat ab, die dann im Ausland als Straßenmusikanten Geld verdienen mussten. Anfang 1844 erregte der Fall der fünfzehnjährigen Elisabeth Enders aus Cleeberg großes Aufsehen. Zeitungen berichteten, dass sie in London ihren Dienstherren, Bernhard Garlach aus Nieder-Weisel, wegen schlechter Behandlung angeklagt hatte. Garlach beschäftigte drei Mädchen, die Drehorgel spielen und singen mussten. Unterkunft und Verpflegung waren mangelhaft, alle Einnahmen mussten sie abgegeben, hatten sie zu wenig verdient, drohten Schläge. Der Lohn wurde direkt zu ihren Familien geschickt, so dass sie kein Geld zur Verfügung hatten und nicht aus eigenen Kräften nach Hause zurückkehren konnten. Die englische Presse, die den Fall ebenfalls aufgriff, bezeichnete sie als „German slaves“. Der Zeitungsbericht war Anlass für eine Debatte in der nassauischen Deputiertenversammlung, die zudem weitere Auskünfte aus London und von der Mutter des Mädchens einholte. Der Frankfurter Konsul in London führte ein Gespräch mit allen Beteiligten, in dem Elisabeth schließlich angab, gut behandelt zu werden. Die Frau des Bernhard Garlach wollte nach Nassau zurückkehren und das Mädchen mitnehmen. 1845 wurde das Thema noch einmal im nassauischen Parlament aufgegriffen. Elisabeth Enders war kein Einzelfall, wie die vom Abgeordneten Wilhelm Senfft (1795-1873) vorgelegten Zahlen belegten. Alleine aus Cleeberg und zwei weiteren Orten in der Umgebung arbeiteten 1843/44 65 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren im Ausland.
(StF)

Bezugsrahmen

Nachweise

Literatur

Weiterführende Informationen

  • [Bericht im Frankfurter Konversationsblatt vom 19. Januar 1844 über den Fall der Elisabeth Enders; Bericht des Regierungspräsidenten Johann Georg Möller vor der Landesdeputiertenversammlung des Herzogtums Nassau über den Fall der Elisabeth Enders; Bericht des Abgeordneten Wilhelm Senfft vor der Landesdeputiertenversammlung des Herzogtums Nassau über die Jugendlichen, die im Ausland arbeiten mussten]

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Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0

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