Vertreibung der Juden aus Worms
Stückangaben
Regest
Vertreibung der Juden aus Worms
Am 6. Januar 1560 dankt der Bischof von Worms Landgraf Philipp für die Bereitschaft seines Kanzlers, sich im Streit mit der Stadt Worms wegen der Abschaffung der Juden als Vermittler zu betätigen. Er teilt mit, daß er den Kaiser gebeten hat, den Erzbischof von Köln zu veranlassen, seine Teilnahme an der Vermittlungskommission nicht länger zu verweigern, damit diese endlich ihre Arbeit aufnehmen kann und der Rat zu Worms nicht länger Gelegenheit hat, die Juden durch schlechte Behandlung zum Abzug zu drängen und damit den Gerechtigkeiten und Gefällen des Wormser Stifts Abbruch zu tun. Er bittet den Landgrafen zwischenzeitlich um Schutz und Schirm für die Wormser Juden.
Der Jude Latzarus, der sich schon früher bei Landgraf Philipp wegen der von der Stadt Worms erwirkten kaiserlichen Erlaubnis zur Abschaffung der Juden beklagt hat, bittet ihn, als Mitglied der von Hessen, Mainz und Straßburg gebildeten Schlichtungskommission im Namen der Wormser Juden um Unterstützung.
Darauf fordert der Landgraf die Stadt Worms auf, die Juden, sofern sie Christus und die Christen nicht lästern und sich des übermäßigen Wuchers enthalten, zu dulden und fügt ein Gutachten bei, wonach "diese völcker neben dem christenthumb wöl zu gedulden". Der Rat zu Worms antwortet am 23. Februar, daß man die der Stadt einst vom Kaiser mit Leib und Gut geschenkten Juden bislang, wenngleich mit großer Beschwernis, geduldet hat, sie sich aber inzwischen so vermehrt haben, daß sie mit ihren wucherischen Kontrakten Bürger und Bürgerskinder ins äußerste Verderben und um ihre Nahrung bringen. Daher hat die Stadt, die der Juden wegen bereits in schlechten Ruf geraten ist, beim Kaiser die Erlaubnis zu ihrer Abschaffung erwirkt und besteht auf der Durchsetzung dieses Beschlusses.
In einer Stellungnahme zu diesem Bericht erklärt Latzarus von Babenhausen, daß sich die Wormser Judenschaft durchaus nicht vermehrt, sondern vielmehr ihre seit Jahren geringste Kopfzahl erreicht hat. Viele sind gestorben und verdorben, so daß zahlreiche Häuser leer stehen. Den Vorwurf, daß die Juden den Bürgern und ihren Kindern die Nahrung wegnehmen, sucht er durch den Hinweis zu entkräften, daß auch in Gemeinden ohne Juden nicht alle Gewerbe gleichmäßig blühen. Sollten wirklich einige Juden mit übermäßigem Wucher gegen die Ratsordnung verstoßen haben, wovon Latzarus allerdings nichts bekannt ist, wäre das kein Grund, es die gesamte Judenschaft entgelten zu lassen. Die Klage der Stadt, daß sie wegen der Juden ins Gerede kommt, sollte durch die von Landgraf Philipp übersandten gelehrten theologischen Gutachten widerlegt sein, wonach aus der Schrift zu ersehen ist, daß die Juden zu dulden sind, wie dies ja auch viele Reichsfürsten tun. Hinsichtlich des christlichen Glaubens haben sich die Juden bislang an das Gebot gehalten, "demselbigen kein nachtheil noch verachtung zu thun".
Auf ein erneutes Anschreiben des Landgrafen antwortet die Stadt am 28. März, daß sie den Beschluß zur Vertreibung der Juden nach reiflichem Überlegen gefaßt hat und sich anders nicht zu helfen weiß, da über die Hälfte der Bürger den Juden verschuldet ist. Es ist nicht zu verantworten, daß der saure Schweiß der arbeitsamen Christen den größten Feinden Christi zu Müßiggang und Wucher dient. Mit einer Ordnung ist nichts getan, da sich die Juden nicht daran halten, sondern fortfahren Christus zu lästern, Wucher zu treiben und sich zu allerlei wenig ehrbaren Sachen und Handlungen gebrauchen zu lassen. Um sich vor übler Nachrede bei Nachbarn und Fremden, gefährlichen Bedrohungen in Kriegs- und Friedenszeiten, Schaden und Verschwendung durch Leihgeschäfte, Diebstahl, verbotenen Kontrakten und anderem mehr zu schützen, besteht die Stadt auf der Austreibung. Mit Hinweis auf Luthers Mahnung an den Grafen Mansfeld erklärt sie, sich fremder Sünden nicht teilhaftig machen zu wollen, da man mit den eigenen Sünden genug zu tun hat. Mit Billigung des Kaisers soll der Judenschutz in Worms am 23. April 1561 enden.
In einer neuerlichen Stellungnahme beruft sich Latzarus auf die Schrift, aus der bewiesen werden kann, daß die Juden zu dulden sind, weil sie als Juden geboren wurden und sich an die zehn Gebote und das alte Testament, wie es ihren Eltern von Moses auf dem Berg Sinai überliefert wurde, halten. Ist der Rat mit der derzeitigen Judenordnung nicht zufrieden, so könnte unter Mitwirkung von Landgraf Philipp eine neue Ordnung ausgearbeitet werden, die die Juden sicher akzeptieren würden. Was die angeblich von den Juden in Kriegs- und Friedenszeiten zu befürchtende Gefahr angeht, so ist bekannt, daß sie sich in Kriegszeiten stets nach Kräften für die Stadt eingesetzt und höhere Verluste als die übrigen Bürger erlitten haben. Auf Diebesgut wird niemand wissentlich leihen oder es kaufen, da er nach der Ordnung das gestohlene Gut für die halbe Kaufsumme wieder herausgeben muß. Diebe gibt es im übrigen auch dort, wo keine Juden sind. Was Luthers Warnung vor den Juden angeht, so hat er doch 1538, als die Theologen sich gegen die Juden gewandt hatten, dem Landgrafen ein Büchlein mit dem Rat übergeben, daß man die Juden "nit so ubel solt halten". Da der Bischof von Worms als Lehnsherr der Juden gegen die kaiserliche Erlaubnis zu ihrer Vertreibung Einspruch erhoben hat und das Verfahren deswegen noch in der Schwebe ist, ist der Stadt die Vertreibung bis zum Abschluß der Verhandlungen durch Mandat untersagt worden.
Am 2. Juli beruft Kaiser Ferdinand Landgraf Philipp neben dem Erzbischof von Mainz und der Stadt Straßburg zum Mitglied der Schiedskommission, die die Irrungen zwischen der Stadt Worms, die 1558 in Prag die kaiserliche Erlaubnis erwirkt hat, ihre Juden vom 23. April 1559 an im Verlauf von zwei Jahren auszuweisen, und dem Bischof von Worms, der zusammen mit der Judenschaft dagegen Einspruch erhoben hat, schlichten soll.
Am 21. September bittet die Stadt, die bislang den Zusammentritt der Schiedskommission nicht gefordert hat, Landgraf Philipp um Übernahme des Vermittleramtes, da alle Hoffnungen auf eine Einigung mit dem Bischof von Worms gescheitert sind.
Am 14. Oktober teilt der Rat der Stadt Straßburg Landgraf Philipp mit, daß er bereit ist, als Vermittler tätig zu werden.
Am 25. Oktober berichtet die Stadt Worms Landgraf Philipp, daß der Erzbischof von Mainz sich geweigert hat, der Schlichtungskommission beizutreten.
Am 6. November unterrichten Kanzler und Räte den Landgrafen davon, daß der Kanzler des Bischofs von Worms das Einverständnis des Bischofs mit der Übernahme der Vermittlerrolle durch den Landgrafen erklärt hat. In einem Schreiben an seine Räte vom 8. November macht der Landgraf sein Engagement davon abhängig, daß Straßburg und Mainz der Kommission beitreten.
Am 11. Dezember fordert Kaiser Ferdinand den Erzbischof zu Mainz nochmals auf, das ihm angetragene Vermittleramt zu übernehmen, da ohne ihn die Kommission nicht zusammentreten kann und der Rat zu Worms unterdessen sich wegen der Vertreibung der Juden "allerley understeen möchte".
Am 14. Januar 1561 erklärt sich der Erzbischof von Mainz gegenüber der Stadt Worms zur Vermittlung bereit, sofern wegen seiner ursprünglichen Weigerung keine Bedenken bestehen, daß er dieses Amt übernimmt. Darauf erbittet sich die Stadt am 22. Januar Bedenkzeit.
Am 20. Februar akzeptiert die Stadt die Schlichtungskommission, läßt aber durch ihren Vertreter in Mainz erklären, daß sie eine gütliche Schlichtung für ausgeschlossen hält, da der Wormser Bischof nicht zum Nachgeben bereit ist und sie ihrerseits auf dem Ausweisungsbeschluß besteht. Für den Fall, daß die Schlichter den ihnen für die Dauer der Verhandlungen übertragenen Judenschutz ausüben und Maßnahmen zur Vertreibung der Juden verhindern wollen, beruft sich der Rat zu Worms auf die Unterstützung des Pfalzgrafen bei Rhein. Der städtische Vertreter wird beauftragt, auch daran hinzuweisen, daß die "conträct und pratikhen" der Juden und die dadurch verursachte Verarmung der Christen den Mainzer Erzbischof ebenfalls veranlaßt haben, die Juden aus dem Rheingau zu vertreiben, weswegen er noch in Vergleichsverhandlungen mit dem Pfalzgrafen steht. Daher läßt der Wormser Rat den Erzbischof bitten, von seinem Amt als Schlichter zurückzutreten und den Bischof von Worms zum Einlenken zu bewegen, da doch sein Nutzen von den Juden geringer ist als allgemein angenommen wird. Sein Recht, den Judenrat zu besetzen, ist "mher verkleinerlich dan rhumlich" und lediglich eine persönliche Dienstbarkeit, solange Juden in Worms sind. Der Schaden, den die Juden anrichten, ist dem Bischof wohl bewußt. Das zeigt seine schon vor Jahren beim Kaiser erwirkte Freiheit "wider derselben anleihung". Nur wenn die Juden abziehen, wird es den Bürgern wieder möglich sein, die von Kaiser und Reich geforderten Kontributionen zu zahlen. Im äußersten Falle ist die Stadt bereit, den Bischof für die Verletzung und Minderung seiner Rechte zu entschädigen. Verhandlungen mit der Judenschaft lehnt sie kategorisch ab.
Am 20. Februar unterrichtet der Erzbischof von Mainz den Kaiser davon, daß er die gegen seinen Willen ergangene Berufung in die Schiedskommission ablehnt, weil die Stadt, wie ihre Stellungnahme zeigt, eine solche Vermittlung offenbar nicht wünscht. Einen Tag später unterrichtet er Landgraf Philipp von seinem Schritt, erklärt sich aber grundsätzlich zur Vermittlung bereit, sofern die Stadt Worms ihre Bedenken aufgibt.
Archivangaben
Altsignatur
3 PA Nr. 2922 Bl. 68, Nr. 3051 Bl. 12-13, 22-49, Nr. 3053 Bl. 35-42, 48-67.
Digitalisat vorhanden
✓
Arcinsys-ID
Nachweise
Edition
Regestdruck
Indizes
Personen
- Ferdinand I., Römischer Kaiser
- Philipp I., Landgraf von Hessen
- Mansfeld, Johann Gebhard von, Erzbischof von Köln
- Lazarus (Latzarus), zu Babenhausen, zeitweise in Worms, Arzt, verheiratet mit Gutte, Vater von Menck, Bemuß und Elias zu Treysa, Schwiegervater der Natha
- Luther, Martin, Reformator
- Brendel von Homburg, Daniel, Erzbischof von Mainz
- Mansfeld, Grafen
- Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz
- Dietrich II. von Pettendorf, Bischof von Worms
Orte
Sachbegriffe
Siehe auch
Weitere Angebote in LAGIS (Bezugsort)
Orte
- Hessische Flurnamen
- Historische Kartenwerke
- Jüdische Friedhöfe
- Historisches Ortslexikon
- Synagogen in Hessen
- Topografische Karten
Personen
Quellen und Materialien
Nachnutzung
Rechtehinweise
Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Vertreibung der Juden aus Worms“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/3889_vertreibung-der-juden-aus-worms> (aufgerufen am 25.11.2025)
Kurzform der URL für Druckwerke
https://lagis.hessen.de/resolve/de/qjg/3889