Irrungen wegen der Juden zu Münzenberg und einer von den Mitherren erlassenen Judenordnung

HStAM [ohne Angabe] Nr.  
Laufzeit / Datum
1562 September 2 - 1579 März 24
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Graf Ludwig von Stolberg-Königstein und die Grafen Philipp und Reinhard von Solms, die am 6. Juni 1562 mit den hanauischen Räten und Befehlhabern wegen der Klagen über die Juden zu Münzenberg verhandelt haben, schicken ihnen am 2. September den Entwurf einer Judenordnung, die den hanauischen Vormündern vorgelegt und mit deren Zustimmung von den Münzenberger Mitherren erlassen werden soll. Unter Betonung des alleinigen Rechts der Grafen von Hanau an den Juden zu Münzenberg wird vorgeschlagen, dort künftig nur noch die früher übliche Zahl von vier bis fünf hausgesessenen Juden zu dulden und "die ubermaß" der anderen abzuschaffen.
Die verbleibenden Juden sollen sich an den christlichen Sonnund Feiertagen, insbesondere aber in der Karwoche zur Predigtzeit in ihren Häusern halten und nicht, "wie sie bishero verachtlicher mutwilliger weise getahn" haben, auf den Gassen spazieren oder in ihren Häusern irgendwelche Hantierungen treiben. Da die heilige Schrift sagt, daß die Juden zu ewigem Gedächtnis bis zum jüngsten Tag in der Welt geduldet und gelitten werden sollen, haben sie alle, um sich selbst als vom christlichen Glauben abgesondert zu erkennen und von den Christen erkannt zu werden, die auch in Frankfurt, Friedberg und anderwärts üblichen gelben Ringe tragen.
Die Grafen von Hanau sind aufgrund ihres Regals berechtigt, von den Juden ein jährliches Schutzgeld zu erheben, doch weil die Münzenberger Juden darüber hinaus zugleich Schutz und Schirm aller Mitherren genießen und sich nicht allein von Zins- und Wuchereinnahmen nähren, sondern auch Wasser, Weide, Holz und Viehtrieb wie die anderen Bürger nutzen, sollen sie ebenso wie die Bürger besteuert werden und bei Verfehlungen dem Baumeister mit Rüge und Buße unterworfen sein. Was den Hausbesitz angeht, so haben die Juden erst kürzlich vier oder fünf Bürgerhäuser "hinterlistig" und gegen Recht und Herkommen erworben und gedachten, sie durch "onbestendige prackticken" den Christen auf immer zu entziehen, doch haben die Mitherren dafür gesorgt, daß die Häuser mit Zins, Bede und Diensten in herrschaftlicher Hand verblieben sind. Auch künftig soll den Juden, denen bekanntlich seit ihrer Vertreibung und Zerstreuung weder Erbgerechtigkeit noch Eigentum unter den Christen zusteht, der Erwerb von Häusern durch Kauf, Tausch oder andere Verträge untersagt sein.
Um den Juden keine Gelegenheit zu geben, von zahlungsunfähigen Schuldnern Zinsen und Wucher zu fordern und ihnen dabei Frucht, Eier, Hühner, Butter und anderes abzuschwatzen, wird ihnen verboten, Waren auf Kredit abzugeben. Auch sollen sie die Frucht, die sie zum Schaden der christlichen Konkurrenz oft um 1 Schilling pro Achtel billiger anbieten, nicht mehr ins Ausland verkaufen.
Da derzeit kein Münzenberger Bürger mit Tuch oder Barchent handelt, wird den Juden, solange das so bleibt und sich kein christlicher Händler am Ort niederläßt, der Verkauf von Seidenwerk, Wolle, Leinentuch, Barchent, Fellen, Pelzwerk, Federn und Bettzeug gestattet. Desgleichen können sie, solange es keinen Metzger in Münzenberg gibt, Fleisch, das sie nicht selbst essen wollen, zu einem von einem unparteiischen Schätzer festgelegten Preis verkaufen, wie es in Butzbach, Hungen und Lich üblich ist. Sie müssen jedoch das Pfund Fleisch 1 Pfennig billiger als handelsüblich abgeben. Von dem im Herbst und sonst eingekauften Wein, den sie an fremde Juden ausschenken oder faßweise verkaufen, sollen die Münzenberger Juden das ortsübliche Ungeld zahlen und nur den zum eigenen Hausgebrauch eingelagerten Wein unversteuert behalten.
Der unter den Juden selbst strittige Zinssatz soll dem der Grafschaft Hanau angepaßt und auf einen Binger Heller pro Woche und Gulden festgesetzt werden. Jeder Geldverleih ist dem Münzenberger Baumeister anzuzeigen und von diesem in einem eigens dafür anzulegenden Buch festzuhalten. Dabei hat der Baumeister und nicht der Jude, der dabei einen heimlichen Gewinn im Auge haben könnte, zu entscheiden, ob jemandem Geld geliehen wird oder nicht. Auch die Beherbergung fremder Juden, die die Münzenberger Juden in großer Zahl bei ihren Festen und Feiertagen sowie bei Hochzeiten, Markttagen und sonst bei sich aufnehmen und die durch allerhand "uppiger frevelicher mutwilliger hendel" Anlaß zum Ärgernis geben, ist dem Baumeister anzuzeigen, der pro Kopf und Nacht 4 Pfennig erheben soll.
Bei Einritten der Mitherren in Münzenberg erhalten deren Diener 2 Taler von den Juden.
Die hanauischen Räte antworten am 30. September, daß sie den Entwurf an die Vormünder weiterleiten wollen.
Als sich die hanauischen Räte beim Baurechnungstag am 13. März 1564 weigern, sich zu der vorgeschlagenen Judenordnung zu äußern, geben ihnen die Vertreter der Mitherren vier Wochen Zeit, eine Stellungnahme der Vormünder einzuholen, andernfalls soll die Ordnung wirksam werden.
Vor dem Münzenberger Gerichtstag am 10. Oktober vermerkt die hanauische Kanzlei, daß bei dieser Gelegenheit auch dagegen protestiert werden soll, daß die Keller der Mitherren ein Schloß vor das von dem Juden Jecoff gekaufte ehemalige Haus des Marthge1#Vgl. Nr. 154 haben legen lassen und behaupten, die Judenhäuser gehörten allen Mitherren gemeinsam und nicht Hanau alleine.
Am 5. Dezember berichten Bürgermeister und Rat zu Münzenberg nach Hanau, daß das einst von dem Juden David bewohnte Haus eingestürzt ist, und bitten, das Grundstück einem Bürger zu übertragen, damit der Herdschilling erhalten bleibt. Einen Tag später erklärt Hartmann von Bellersheim beim Münzenberger Baurechnungstag, daß er, nachdem der hanauische Keller aus dem eingestürzten Haus zwei Wagen voll Holz hat abfahren lassen, im Namen seiner solmsischen Herrschaft ebenfalls zwei Wagen hat beladen lassen, da die Judenhäuser der Herrschaft Hanau nicht alleine gehören.2#Vgl. Nr. 1643a. David hat das verfallene Haus seinerzeit für 80 fl. vom Almosenkasten mit der Auflage erworben, daß es, wenn er es nicht mehr bewohnt, für 60 fl. an den Kasten zurückfallen soll.3#Vgl. Nr. N 99 und N 115. Auch mußten die Juden, wenn sie sonst der Stadt steuerpflichtige Häuser von den Bürgern gekauft haben, diese nicht erst der Herrschaft Hanau übertragen. Der Streit wegen der Zuständigkeit für Davids Haus besteht übrigens schon seit der Zeit des Grafen Friedrich Magnus von Solms. Vor ein weiteres Judenhaus, dessentwegen es ebenfalls Irrungen gibt, haben die Mitherren ein Schloß legen lassen.
Am 23. Dezember bitten die hanauischen Räte Graf Ludwig von Stolberg-Königstein als derzeitigen Baumeister die Münzenberger Mitherren zum Verzicht auf die die hanauischen Privilegien verletzende Judenordnung zu bewegen, und Graf Ludwig verspricht am 29. Dezember, ihnen diese Bedenken vorzutragen.
Trotzdem tritt die Ordnung offenbar in Kraft, denn die den hanauischen Räten zum Baurechnungstag im folgenden Jahr mitgegebene Instruktion vom 20. Oktober 1565 enthält einen scharfen Protest dagegen, daß man die Juden zur Einhaltung der von der Herrschaft Hanau für nichtig erklärten Ordnung zwingt. Außerdem wird moniert, daß zu Jahresbeginn etliche reisige Adelsknechte durch Münzenberg gezogen sind, die Juden, insbesondere David, belästigt und nach "ihrem willen und gefallen rankhört und geschetzet haben". Zwar sind die Übeltäter seinerzeit verhaftet worden, konnten aber entkommen, so daß ihre Bestrafung und die Entschädigung der Juden noch immer nicht erfolgt ist. Schließlich wird beanstandet, daß Hartmann von Bellersheim Holz "von den zerfallenen bawen" der unzweifelhaft allein der Herrschaft Hanau zuständigen Judenhäuser hat abfahren und zu seinem Nutzen verwenden lassen.
Alle diese Klagpunkte trägt der hanauische Oberamtmann am 5. November in Münzenberg vor und erwähnt dabei auch, daß es von Muschenheimische und von Bellersheimische Diener waren, die die Juden überfallen und Davids "behaussung ufgestossen, die fenster zerschlagen und noch dazu rancionirt, geschetzt und nach irem mutwillen mit inen gehandelt haben". Darauf antworten die Vertreter der Mitherren, daß über die Judenordnung und die Plünderung der Juden beim Grafentag zu Butzbach am 21. November verhandelt werden soll. Was Davids ehemaliges Haus angeht, so erklärt Bellersheim, daß er es wegen Baufälligkeit zum Schutze der Nachbarn hatte abreißen lassen wollen, daran aber vom hanauischen Keller so lange gehindert worden ist, bis das Haus selber in sich zusammengestürzt war. Als dann der hanauische Keller damit begonnen hat, das Holz des Hauses abfahren zu lassen, hat Bellersheim sich auch einen Anteil im Namen seiner solmsischen Herrschaft gesichert, die Hanau keinerlei Rechte an den Judenhäusern zugesteht. Den Rest haben die anderen Keller und Diener "hin und wider verzogen". Beim Baurechnungstag am 29. Oktober 1567 lehnen die hanauischen Vertreter die Judenordnung im Namen der Vormundschaftsregierung erneut ab.
Am 26. Oktober 1568 werden beim Münzenberger Baurechnungstag Klagen laut, daß die Juden in ihren Häusern mit Wein handeln und auch fremden Juden, die zu ihren Festen "schull halten und beschneidung" kommen, etliche Fuder schenken, von denen sie kein Ungeld zahlen. Außerdem schlachten sie Vieh zum freien Verkauf und geben keinen Schirnzins davon, wie es die Metzger tun müssen. Darauf wird entschieden, daß die Juden keinen Vorzug vor Metzgern oder Wirten haben und die gemeinen Lasten mittragen sollen. Da die hanauischen Vertreter sich jedoch auf die alleinigen Rechte ihrer Herrschaft an den Juden berufen, wird beschlossen, über die vorgebrachten Klagen alle Mitherren zu unterrichten.
Am 4. Februar 1570 berichtet der hanauische Keller seiner Kanzlei, daß Graf Ludwig von Stolberg-Königstein am 21. Januar mit etlichen Dienern in Münzenberg eingeritten ist und den Juden noch nachts hat sagen lassen, daß sie ihm am folgenden Sonntag [Januar 22] morgens um 7 Uhr 80 Taler in seine Kellerei bringen sollten, andernfalls werde er sie seinen Dienern preisgeben und weder Weiber noch Kinder schonen lassen. Die Juden haben daraufhin ohne Wissen des hanauischen Kellers 60 Taler zusammengebracht, auf deren Bezahlung Graf Ludwig auch dann noch bestanden hat, als der inzwischen unterrichtete Keller ihn bat, darauf zu verzichten. Da es heißt, daß die laubachischen Herren in Kürze ebenfalls nach Münzenberg kommen und ähnliche Forderungen stellen wollen, bittet der Keller um Weisung für sein weiteres Verhalten und beschwert sich zugleich, daß sich etliche reisige Knechte wegen dieser Judensache höchst beleidigend gegen ihn geäußert haben.
Dieses Schreiben übergeben die Münzenberger Juden am 6. Februar in Hanau zusammen mit einer Supplik in gleicher Sache. Sie berichten, daß Graf Ludwig anfangs 100 Taler gefordert, dann aber erklärt hat, er wollte mit 54 Talern zufrieden sein, wenn ihn die Juden "darzu auß der herberg quittiren" wollten. Diese haben darauf nochmals um Schonung gebeten und darauf verwiesen, daß sie Dienste und Bede zu leisten hätten wie andere Bürger auch. Zudem hätten sie noch niemals "einem herren auß der herberg quittirt" und fürchteten, damit einen Präzedenzfall und künftige große Nachteile für sich zu schaffen. Schließlich haben sie sich mit Graf Ludwig auf eine Zahlung von 60 Talern geeinigt.
Noch am gleichen Tage tadeln die Räte den Keller, daß er die Zahlung nicht verhindert hat, und untersagen ihm jede Zustimmung zur Judenordnung der Mitherren.
Ein in dieser Sache von den hanauischen Räten befragter Frankfurter Advokat erklärt am 23. Februar, daß kaum Aussicht auf die Erlangung eines kaiserlichen Strafmandats gegen Graf Ludwig besteht, weil es sich bei der Forderung der 60 Taler um keine Pfändung gehandelt hat. Er hat zwar vorsorglich eine Klagschrift abgefaßt und beigelegt, empfiehlt aber, sich bei Graf Ludwig zunächst einmal auf das hanauische Judenprivileg zu berufen.
Beim Tag zu Münzenberg am 22. Januar 1571 wird erneut wegen der Judenordnung verhandelt, auf der die Vertreter der Mitherren bestehen, während die hanauischen Räte die Abschaffung verlangen. Wird der Streit nicht beigelegt, drohen die Grafen von Solms, den Juden in ihrer Grafschaft Schutz und Schirm aufzusagen. Gleichzeitig werden Überlegungen angestellt, wie die Zunahme der Münzenberger Juden verhindert werden kann, und beschlossen, allen Untertanen bei Strafe der Einsperrung im Narrenhaus zu untersagen, den Juden am Sabbath Feuer zu machen, da diese dann den Ort verlassen müssen
Gegen diesen Beschluß protestiert der hanauische Keller, der krankheitshalber an dem Tag nicht teilnehmen konnte, am 24. Januar und fordert seine Aufhebung. Am 30. Januar schicken Räte und Befehlhaber dem Keller ein an die solms-laubachischen Vormünder gerichtetes Schreiben, das die Juden auf eigene Kosten nach Laubach bringen sollen. Darin werden die solmsischen Vormünder gebeten, vor einer Verwirklichung ihres Beschlusses zunächst die Stellungnahme der hanauischen Vormünder abzuwarten, ohne deren Vorwissen die hanauischen Räte der getroffenen Entscheidung nicht zustimmen können.
Am 3. Dezember 1572 beschweren sich die Münzenberger Juden beim Baurechnungstag, daß sie seit Jahren genötigt werden, Bede wie andere Bürger zu zahlen. Die hanauischen Beamten tadeln, daß sie dies nicht längst bei der Kanzlei angezeigt haben, und fordern einen schriftlichen Bericht.
Am 19. Oktober 1573 wird der zum Baurechnungstag am 21. Oktober nach Münzenberg entsandte hanauische Beamte in seiner Instruktion angewiesen, dafür zu sorgen, daß die wegen einer unrechtmäßig geforderten Bede gepfändeten Juden ihre Habe zurückbekommen. Dennoch wird am 21. Oktober trotz hanauischen Protests in einem Nebenabschied der Mitherren beschlossen, daß es bezüglich des vom Reichstag zu Speyer geforderten Baugelds bei der Schatzung der Juden nach altem Herkommen zu bleiben hat.
Beim Baurechnungstag 1578 protestiert Hanau erneut gegen die Heranziehung der Juden zur Türkensteuer, doch wird beim Münzenberger Tag am 24. März 1579 der Beschluß der Mitherren vom 21. Oktober 1573 unerachtet des hanauischen Protests bestätigt.

Weitere Angaben

Archivangaben

Altsignatur

81 Regierung Hanau D 1 Nr. 78/6

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0

Zitierweise

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„Irrungen wegen der Juden zu Münzenberg und einer von den Mitherren erlassenen Judenordnung“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/6438_irrungen-wegen-der-juden-zu-muenzenberg-und-einer-von-den-mitherren-erlassenen-judenordnung> (aufgerufen am 26.11.2025)

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