Irrungen zwischen dem Müller Hans Wagner zu Schwalheim und den Vormündern der nachgelassenen Kinder des Juden Schmay zu Friedberg
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Regest
Am 12. Juni 1597 sagt der vormals zu Friedberg, jetzt zu Bellersheim ansässige Müller Hen Wagner vor dem Schultheißen zu Dorheim aus, daß er von dem Müller Hans Wagner zu Schwalheim 46 fl. erhalten hat, die dieser sich im Mai gegen Hinterlegung einer Schuldverschreibung bei dem Juden Schmay zu Friedberg geliehen hatte. Bei der Tilgung der Schuld während der Herbstmesse ist die Verschreibung von Schmay nicht zurückgegeben worden, weil noch ein für die Zinsen gefordertes Achtel Korn fehlte, und als dieses nachgeliefert wurde, hat man die Rückgabe der Verschreibung vergessen. Bald darauf sind Schmay, seine Frau und seine Schwiegermutter gestorben, "das man in zweifel gestanden, warahn sie so balt hingefallen und gestorben seyen".
Ein zweiter Zeuge bestätigt am 14. Juni, daß er Schmay einen Sack mit einem Achtel Mehl gebracht und auf die Laube getragen hat.
Trotzdem wird Wagner in Friedberg auf Klagen der Juden verhaftet, und als Räte und Befehlhaber zu Hanau dagegen protestieren, verlangt die Stadt am 12. November die Stellung einer Kaution.
In ihrem Antwortschreiben vom 17. November verweisen die Räte darauf, daß die Friedberger Juden hanauisches Reichslehen sind, ein jährliches Schutzgeld zahlen und dem hanauischen Gerichtszwang unterliegen. Da ihnen bei den im Juni zu Dorheim geführten Verhandlungen die Klage in Hanau freigestellt wurde, können sie sich nicht auf eine Rechtsverweigerung berufen. Gestützt auf die Reichsordnung, verlangen die Räte die Freilassung des Müllers und wiederholen diese Forderung am 28. November.
Am 9. Dezember beschweren sich die Friedberger Juden Behrman, Joseph und Mosche, daß sie seit fünf Wochen in Dorheim festgehalten werden, obwohl sie mit Hans Wagners Verhaftung in Friedberg gar nichts zu tun haben. Sie klagen, daß ihre Frauen und Kinder Not leiden, weil sie auf das angewiesen sind, was die Gefangenen "mit der köetzen vor verdient und seuerlich erwunden" haben. Von den anderen Juden ist keine Hilfe zu erwarten, sie sagen nur, "warumb wir nicht daheim sitzen plieben were, wen unß die zeit zu lang wölt werden, solten wir ein stuck daran abschneiden". Die Drei klagen auch, daß sie in ihrer Haft "verschmachten und abnehmen" und bereits mehrfach ohnmächtig geworden sind. Zeigt sich die Regierung Hanau nicht gnädiger und einsichtiger als die Friedberger Juden, "musten wir wol an diesem orth vollents verderben und verfaulen". Sie bitten, zumindest zwei von ihnen freizulassen.
Ihre Klagschrift wird noch am gleichen Tage vom Dorheimer Keller nach Hanau geschickt, wobei er berichtet, daß die Festgenommenen "niegt zu gar mit den vermogensten" zählen. Josephs Außenstände im Amt Dorheim belaufen sich auf 50 fl., für die ihm ein Acker zu Wisselsheim verschrieben ist. Der Roßkamm Behrman hat Forderungen von 50 fl., für die er weder Unterpfand noch Zinsen verlangt. Mosche berechnet von 20 fl. jährliche Zinsen von 1 Turnosen pro Gulden. Mit Essen und Trinken halten es die Drei "gar genaw" und lassen sich, obwohl man es ihnen anbietet, nicht genug geben. Im übrigen teilt der Keller mit, daß Bürger und Juden zu Friedberg ein kaiserliches Mandat erwirken wollen, das ihnen den freien Zugang zum Sauerbrunnen, den ihnen der Keller gesperrt hat, wieder öffnen soll. Sie berufen sich darauf, daß Hans Wagners Verhaftung vom Burggrafen und nicht von der Stadt vorgenommen wurde.
In ihrer noch am gleichen Tage abgesandten Antwort erinnern die Räte den Keller daran, daß er Weisung hatte, sich vorher enau nach den Juden zu erkundigen [ehe er sich festnehmen ließ].
Ein ebenfalls am 9. Dezember abgesandtes Schreiben der Stadt Friedberg enthält den förmlichen Protest der Stadt gegen die Sperrung des Sauerbrunnens und die Verhaftung der Juden sowie den Vorschlag, letztere gegen Wagner auszutauschen, sofern sich beide Seiten verpflichten, ihre Haftkosten selbst zu tragen. Hanaus Anspruch auf Schutzherrschaft und Gerichtshoheit über die Friedberger Juden weist die Stadt entschieden zurück, will diesen Punkt aber nicht weiter erörtern.
In einem von den hanauischen Räten angeforderten Rechtsgutachten wird am 10. Dezember festgestellt, daß die Beweiskraft der zu Dorheim gemachten Zeugenaussagen gering und das vom Schultheißen seinerzeit angestellte Verhör einem ordentlichen Gerichtsverfahren nicht gleichzusetzen ist. Es heißt, daß die Friedberger Juden Zeugen dafür beibringen können, daß Müller die Begleichung der Schuld nur angeboten, dann aber nicht gezahlt hat. Die Friedberger Juden haben daher den Müller mit gutem Grund verhaften lassen, wobei dieser sich durch Stellung eines Bürgen leicht aus der Haft hätte lösen können. Was die Verhaftung der Juden zu Dorheim angeht, denen weder Wucher noch sonstige Übertretungen vorgeworfen werden können, so sieht der Gutachter sie "einer gegenpfandung gleich", deren Zusammenhang mit der Festnahme des Müllers kaum bestritten werden kann, da es sonst keine Gründe für diesen Schritt gibt. Über die hanauische Lehns- und Gerichtshoheit über die Friedberger Juden will der Gutachter nicht abschließend urteilen, meint aber, daß die jährlich gezahlten 6 fl. doch wohl mehr als Pauschalzahlung für zollfreies Wandern in der Grafschaft anzusehen sind denn als Schutzgeld. Abschließend empfiehlt der Gutachter, sich bei bestehenden Forderungen besser an die wirklich Betroffenen oder wenigstens an die reichen Juden zu halten, von denen es in Friedberg einige gibt. Ihre großen Außenstände sind leicht mit Arrest zu belegen.
Ein zweites Gutachten vom 12. Dezember erklärt, daß der Müller ohne Kostenübernahme freizulassen ist, die wegen ihres "unfueg" festgenommenen Juden die Haftkosten aber übernehmen müssen. Wird der Müller nicht innerhalb einer gesetzten Frist freigelassen, soll man die drei in Dorheim festgehaltenen Juden früheren Beispielen folgend nach Windecken bringen, um den anderen Juden der Kosten wegen "die füeß warm" zu machen.
Daraufhin teilen die Räte unter nochmaliger Betonung der hanauischen Lehnshoheit über die Juden zu Friedberg der Stadt am 13. Dezember ihr Einverständnis mit einem Gefangenenaustausch mit.
Am gleichen Tag schicken die solmsischen Befehlhaber zu Braunfels die Supplik des Juden David d. J. zu Leun nach Hanau und verwenden sich dafür, daß Davids Bitte entsprechend sein Schwager Mosche von Alfter freigelassen wird.
Am 15. Dezember fordert der Schultheiß zu Dorheim, daß erst der Müller aus der Haft entlassen werden soll, ehe die Juden freigegeben werden. Er erinnert an einen Präzedenzfall, der sich zu Lebzeiten des Oberamtmanns von Berlepsch ereignet hat. Damals ist Hans Heck von Schwalheim auf Betreiben eines Friedberger Juden gepfändet und verhaftet worden, worauf der Oberamtmann selbst zum Burggrafen geritten ist und die Freilassung erwirkt hat. Dabei ist der Jude zur Übernahme der Heck verursachten Kosten und zur Minderung seiner Forderung um 20 fl. verpflichtet worden.
Am 23. Dezember schwören Mosche von Alfter, Behrman und Joseph Urfehde und erklären, daß man sie zu Recht in Dorheim festgehalten und "custodirt" hat, weil sie und die anderen Friedberger Juden sich von Graf Philipp Ludwig von Hanau als ihrem Lehnsherren abgewandt und ihm weder Schutzgeld noch Abgaben gezahlt haben. Auch haben sie die hanauischen Verordnungen gegen die wucherischen Kontrakte nicht beachtet und hanauische Untertanen wegen nicht eingestandener Schulden verhaften lassen.
Noch am gleichen Tage meldet der Schultheiß die Freilassung der Juden nach Hanau.
Am 7. März 1599 bitten Dorheimer Einwohner bei der Kanzlei Hanau um Erstattung der für die Verpflegung der gefangenen Juden aufgewandten Kosten, da sie bislang trotz eines Vergleichs, wonach der Müller zu Schwalheim die Haftkosten der Juden, diese aber die des Müllers übernehmen sollten, kein Geld bekommen haben. Am 29. Juni wiederholen sie ihre Bitte und übergeben ein Verzeichnis dessen, was die Juden verzehrt haben. Es handelt sich um: 143 Heringe, 4 1/2 Maß Wein, Wecken, 3 1/2 Achtel Apfel, 83 Brotlaibe, 9 Maß Wein sowie Geld für Wecken, Heringe, Nüsse, Öl und Brennholz. Insgesamt beläuft sich die Summe auf 39 fl. 1 Schilling 3 Denar.
Am 20. November wird der Oberschultheiß zu Dorheim angewiesen, den Müller zur Zahlung anzuhalten.
Am 21. Juni 1600 ersucht der Müller den Oberamtmann zu Hanau, ihn mit der Forderung nach Zahlung der von den Juden in Dorheim hinterlassenen Wirtshausrechnungen und der angedrohten Pfändung so lange zu verschonen, bis sein Prozeß mit den Friedberger Juden vom Hofgericht Hanau entschieden ist.
Weitere Angaben
Bl. 1-47, 90-91; vgl. auch HStAMarburg, 86 Hanauer Nachträge Nr. 16920 und Nr. 2797
Archivangaben
Altsignatur
81 Regierung Hanau E 42 Nr. 1
Arcinsys-ID
Archivkontext
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„Irrungen zwischen dem Müller Hans Wagner zu Schwalheim und den Vormündern der nachgelassenen Kinder des Juden Schmay zu Friedberg“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/6061_irrungen-zwischen-dem-mueller-hans-wagner-zu-schwalheim-und-den-vormuendern-der-nachgelassenen-kinder-des-juden-schmay-zu-friedberg> (aufgerufen am 25.11.2025)
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