Wiedereröffnung der Synagoge zu Windecken
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Am 25. Oktober 1594 berichten die Juden der Grafschaft Hanau Räten und Befehlhabern, daß Graf Philipp Ludwig sie wieder in Schutz und Schirm genommen hat und bitten, in der Hoffnung, daß vor seiner Abreise auch Weisungen zur Wiedereröffnung der Schule zu Windecken ergangen sind, ihnen die Nutzung derselben zu gestatten, damit sie nicht mit großen Kosten fremde Schulen aufsuchen müssen, sondern wie die Frankfurter und Friedberger Juden ihre eigene gebrauchen können.
Offenbar bleibt die Bitte erfolglos, denn [der Oberamtmann] unterrichtet Graf Philipp Ludwig später davon, daß die Juden in dieser Angelegenheit keine Ruhe geben und die Beamten beschuldigen, eigenmächtig auf der Schließung der Synagoge zu beharren. Er empfiehlt, ihnen das Beten in Privathäusern zu gestatten, bis eine Entscheidung der Vormundschaftsregierung über die weitere Nutzung der Synagoge vorliegt. Sollte die endgültige Schließung befohlen werden, kann man den Juden zugleich mit der entsprechenden Mitteilung auch die Erlaubnis zum Beten in den Häusern entziehen, "uff welchen fal sie dan auch nicht bleiben werden, wie wol zu erachten".
Am 18. August 1597 wenden sich die Windecker Juden an Graf Philipp Ludwig und verteidigen sich gegen den Vorwurf, mit ihren täglichen Gebeten in der Synagoge Christus zu lästern. Da diese unbegründete Behauptung, wie sie glauben, die Wiedereröffnung ihrer seit unvordenklichen Zeiten bestehenden Windecker Synagoge verhindert, geben sie zu bedenken, daß all ihre Bücher im römischen Reich in der ganzen Christenheit gedruckt vorliegen und ihr Talmud in Basel und Venedig veröffentlicht worden ist, was Obrigkeit und Gelehrte sicher verhindert hätten, würde darin Christus gelästert. Sie erinnern daran, daß Kaiser und Könige seit Hunderten von Jahren an vielen Orten den Bau von Synagogen und "das exercitium jüdischer religion darinnen" gestattet haben und die Erlaubnis dazu auf dem letzten Reichstag zu Augsburg erneuert wurde. So haben auch die Prager Juden mit kaiserlicher Genehmigung vor einem Jahr eine große, stattliche Synagoge für viele tausend Gulden errichtet, obwohl dort bereits drei vorhanden und in Gebrauch sind.
Am 14. Oktober und 17. November 1597 wiederholen die Juden ihr Gesuch und bitten dabei in der zweiten Supplik für den Fall der Ablehnung um die Erlaubnis, sich in einem Privathaus zum Gebet versammeln zu dürfen. Sie versprechen, dabei auch für das Wohlergehen des Grafen und seiner Familie zu beten und ihre bisherigen Abgaben sowie die Maibede von 30 Schilling zu zahlen. Darauf fordert Graf Philipp Ludwig bei seinen Räten eine Stellungnahme und die Vorlage theologischer Gutachten an, damit eine Entscheidung getroffen werden kann.
In einer neuerlichen Supplik vom 23. August 1598 berufen sich die Juden auf ihr von Kaiser Karl V. gewährtes und vom regierenden Kaiser bestätigtes Recht, "daß wier unßere schulen und synagogen, wie und ahn welchem orthen wier dieselbe hergebracht, haben undt erhalten mögen". Daher war die von der Vormundschaftsregierung vor etlichen Jahren befohlene Schließung der seit undenklichen Jahren bestehenden Schule zu Windecken, in der die Juden stets ihre "caeremonien unverhindert" ausgeübt haben, widerrechtlich, ist aber von den Juden bislang ohne Berufung auf ihre Privilegien hingenommen worden. Kürzlich aber hat Graf Philipp Ludwig etliche fremde Juden aufgenommen, damit sie zusammen mit den bereits in der Grafschaft ansässigen Juden den Untertanen bei den herrschenden teuren Zeiten mit ihrem Geldverleih "umb leidlichs ziemlichs interesse, wie bei frembten und außländischen juden nit beschicht", helfen. Deshalb bitten die Juden, ihnen den Gebrauch ihrer "sehr alten schulen zu Windecken" wieder zu gestatten. Wie Leute, die ihre Sprache verstehen und Auskunft über ihre Gebote geben können, bestätigen werden, ist der von Mißgünstigen und Neidern erhobene Vorwurf, daß sich die Gebote der Juden gegen Christus richten, unbegründet. Vielmehr wird zu bestimmten Zeiten auch für den Grafen und die Obrigkeit gebetet. Die Juden versprechen, sich bei Ausübung der Zeremonien still zu verhalten und keinen Anlaß zu Klagen zu geben.
Am 11. Dezember 1598 bitten die Juden, sich bis zur Erteilung eines endgültigen Bescheids zum Beten in einem Privathaus versammeln zu dürfen. Am 21. Dezember weist Graf Philipp Ludwig den Keller zu Windecken an, den Juden zu gestatten, "in einem privathauße und ohne sonder geschrey und gelauff" zusammenzukommen, bis mit den vormaligen Vormündern eine Einigung über die weitere Duldung der Juden in der Grafschaft erzielt worden ist. Für die erteilte Erlaubnis sollen die Juden der Kanzlei, der dies am 27. Dezember mitgeteilt wird, ein paar Gulden oder Taler zahlen.
Am 17. Februar 1600 empfiehlt ein kurpfälzischer Rat Graf Philipp Ludwig, den Juden die Wiedereröffnung ihrer "schuel" zu Windecken mit der Auflage zu gestatten, daß wöchentlich oder monatlich dazu qualifizierte Theologen mit den Rabbinern und Kabbalisten über Christus und Messias disputieren sollen. Er gibt zu bedenken, daß, wenn die Wiedereröffnung verweigert wird, die Frankfurter Juden, gestützt auf ihre Privilegien, einen Prozeß beginnen könnten.
Im Nachgang zu seinem Schreiben überschickt derselbe Rat Graf Philipp Ludwig am 20. Februar die seinerzeit nicht zur Hand gewesenen Judenbeilagen und empfiehlt noch einmal, den Juden die erhoffte Duldung zu gewähren. Indem man sie von Zeit zu Zeit über ihren Glaubensirrtum aufklärt, kann man anderen Obrigkeiten ein Beispiel geben, die "dis arme volck als das unvernunftige viehe handeln und gehen laßen”, obwohl "durch Christum virgam judae und dessen apostolen allen juden mit dareichung ihres bluts erkanntnuß des wahren Gottes zu hauß getragen, deßen wir sie wiederumb dankbarlich genießen laßen und sie wiederumb lehren und underweissen solten, wie dan Victor von Carben, ein getauffter jude, vor vielen jaren sehr erbarmlich klaget."
Als am 14. Mai über die Aufnahme weiterer Juden beraten wird, schlagen einige hanauische Räte die Duldung der Windecker Synagoge vor. Da die Meinungen darüber jedoch auseinandergehen, wird beschlossen, zuvor theologische Gutachten aus Basel, Heidelberg und Genf einzuholen.
Am 14. Juli bitten die Windecker Juden um die Erlaubnis, ihr in den Jahren der Schließung baufällig gewordenes Schulhaus wieder in Stand setzen und nutzen zu dürfen. Dabei wird vermerkt, daß ein Jude aus den Niederlanden, der 12000 fl. mitgebracht hat, seine Hilfe anbietet.
Die Erlaubnis zur Wiedereröffnung der Synagoge wird jedoch erst am 15. Dezember 1603 erteilt.
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„Wiedereröffnung der Synagoge zu Windecken“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/5968_wiedereroeffnung-der-synagoge-zu-windecken> (aufgerufen am 26.11.2025)
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