Klage des Frankfurter Juden Israel zum Engel gegen Ulrichs Ulrich zu Enkheim
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Regest
Am 12. Juni 1572 bittet der Schultheiß zu Bergen Räte und Befehlhaber zu Hanau, sich für die Freilassung des in Frankfurt inhaftierten Ulrichs Ulrich aus Enkheim zu verwenden.
Am 17. Juni verfaßt ein Frankfurter Notar in Ulrichs Auftrag eine förmliche Appellationsschrift an das Reichskammergericht. Darin wird zunächst auf die vom Reichskammergericht noch nicht entschiedene Appellationsklage von Heinz Röders Witwe Elsa aus Enkheim gegen ein von dem Juden Israel zum Engel erwirktes Urteil des Frankfurter Stadtgerichts vom 21. März 1569 verwiesen. Trotz dieses noch schwebenden Verfahrens hat Israel in Frankfurt Klage gegen Ulrich erhoben, der, als Elsa sich zum zweiten Mal verheiratete, zusammen mit Dönges Röder die Vormundschaft für die Kinder erster Ehe übernommen hatte, von diesem Amt aber seit einem Dreivierteljahr entbunden ist, da die Kinder volljährig sind. Auch Röders Nachlaß, auf den Israels Forderungen zielen, ist wieder an die inzwischen zum zweiten Mal verwitwete Elsa gefallen. Dessen ungeachtet hat das Frankfurter Stadtgericht Ulrich, der mehrfach vorgeladen wurde, aber auf Israels Beteuerungen, daß sein Erscheinen unnötig sei, nicht erschienen ist, am 31. August 1571 zur Zahlung der von Israel eingeklagten Forderung von 184 fl. verurteilt, ihn davon aber erst am 9.Juni 1572, als er in Geschäften in Frankfurt war, in Kenntnis gesetzt. Als hanauischer Untertan, der der Frankfurter Gerichtshoheit nicht unterworfen ist, und unter Berufung auf Elsas noch schwebende Appellationsklage appelliert Ulrich seinerseits beim Reichskammergericht gegen das Urteil des Stadtgerichts und seine aufgrund desselben erfolgte Verhaftung.
Am 29. Juni verbürgt sich Peter Geyls Witwe Elisabeth zu Frankfurt vor dem Bürgermeister der Stadt für die Bezahlung der 184 fl. durch Ulrich.
Am 3. Juli beauftragen die hanauischen Räte ihren Prokurator in Speyer, sich mit dieser Angelegenheit näher zu befassen.
Am 5. August schlagen die hanauischen Vormünder, die einen durch den "landtbeschreidten betrüglichen juden" verursachten Reichskammergerichtsprozeß vermeiden wollen, der Stadt Frankfurt einen gütlichen Vergleich vor. Sie geben zu bedenken, daß Israels Forderung sehr zweifelhaft ist, da Heinz Röder zur Zeit des strittigen Schuldgeschäfts "blodes und böses gesichts halben" gar nicht in der Lage war, Geld zu zählen oder Münzen zu unterscheiden. Bei rechtzeitiger Kenntnis dieser Umstände wäre die Stadt sicher nicht bereit gewesen, Israel in dem, "was zu seiner gotlosen freud und quhelung des armen christenpluts dienth", zu unterstützen. Die hanauische Kanzlei ist allerdings bereit, Israels Ansprüche zu überprüfen, sobald er wie die anderen Frankfurter Juden auch seine rückständigen Abtrags- und Schatzungszahlungen leistet.
Als dieser Vorschlag unbeantwortet bleibt, beauftragen die hanauischen Räte am 9. August ihren Prokurator in Speyer, die Appellationsklage einzureichen.
Am 3. September unterrichten sie ihn davon, daß zu ihrem Mißfallen der auf Bürgschaft aus der Haft in ein Frankfurter Bürgerhaus entlassene Ulrich heimlich aus der Stadt entwichen und nach Enkheim zurückgekehrt ist. Sie weisen ihn an, sich um ein Haftverschonungsmandat zu bemühen.
Am 21. September verbürgt sich Peter Geyls Witwe mit Verpfändung ihres gesamten Besitzes erneut für die Bezahlung von Israels Forderung, die mit Zinsen von 184 fl. auf 590 fl. 3 Schilling 4 Pfennig angewachsen ist.
Am 24. September teilt der Rat der Stadt Frankfurt den hanauischen Vormündern mit, daß es für den Bestand eines Stadtgerichtsurteils ganz unerheblich ist, ob der Begünstigte Jude oder Christ ist, und daß die den Privilegien der Stadt zuwiderlaufende Appellationsklage von Röders Witwe unrechtmäßig und unzulässig ist. Ohne für die Richtigkeit aller von Israel getätigten Geschäfte garantieren zu wollen, erinnert die Stadt daran, daß bereits einmal ein hanauischer Bürger eine Schuldforderung nachweislich zu Unrecht bestritten hat.
Während vor dem Reichskammergericht seit dem 24. September über die Prozeßvertretung der Parteien verhandelt und Israel dabei am 16. Oktober von Ulrichs Anwalt die Bereitschaft, falsch zu schwören, unterstellt wird, überschickt der Rat der Stadt Frankfurt der Kanzlei Hanau am 17. Oktober eine wegen der übernommenen Bürgschaft von Geyls Witwe gegen Ulrich erhobene Klage. Am gleichen Tage schlagen die hanauischen Vormünder der Stadt eine Untersuchung des Falls durch Unparteiische vor, sofern die Stadt nicht bereit ist, die Entscheidung des Reichskammergerichts abzuwarten. Die Vormünder verweisen darauf, daß Israel, der "hien und wieder betrüglich und gantz ubel beschreit ist", einen seinerseits 1569 beim Reichskammergericht gegen die hanauische Vormundschaftsregierung angestrengten Prozeß "jüdischer arth nach" verschleppt hat. Im übrigen fordern sie von Israel erneut die Zahlung der rückständigen Abtrags- und Schatzungsgelder, da er wiederholt gegen das Geleit verstoßen hat und auch die anderen Frankfurter Juden inzwischen gezahlt haben.
Als die hanauischen Räte die Stadt einen Tag später ihrerseits auffordern, die Entscheidung des Reichskammergerichts abzuwarten, bezeichnen sie Israel als einen, der "under allen betrügerischen, unruwigen und rachgierigen juden ein ausbund ist".
Am 21. Oktober übergibt Geyls Witwe der Stadt Frankfurt eine Supplik, in der sie unter anderem berichtet, daß der dessen bereits verdächtigte Israel kürzlich überführt werden konnte, "daß er nach absterben etlicher menner, so etwas nahrung verlassen", den Witwen und Erben stattliche Summen abgefordert hat, die die Verstorbenen nie geliehen hatten.
Am 25. Oktober begründet Ulrich seine Flucht aus Frankfurt damit, daß ihm Israel, "bey dem keine barmhertzigkheit stat hat", mit einer neuerlichen Verhaftung gedroht hatte. Auch wollte Ulrich sich um neue Bürgen zur Entlastung von Geyls Witwe bemühen, konnte aber keine finden, weil niemand etwas mit Israel zu schaffen haben wollte.
Am 31. Oktober überschickt die Stadt Frankfurt der hanauischen Kanzlei Israels Gegendarstellung auf Elisabeth Geyls Klage, in der er erklärt, daß ihm die hanauischen Räte das Recht verweigert haben, und bestreitet, daß die Appellationsklage von Röders Witwe je beim Reichskammergericht angenommen wurde, da der ursprüngliche Streitwert nur 180 fl. betrug. Darauf erwidern die hanauischen Räte, daß Israel mit Rücksicht auf das schwebende Reichskammergerichtsverfahren keinen Termin vor der hanauischen Kanzlei erhalten hat.
Von Israels Prozeßeinlassung informiert, wiederholt Elisabeth Geyl ihre Anschuldigungen gegen ihn und erklärt ihre Bürgschaftsverpflichtung für nichtig, die Israel ihr entgegen seiner Behauptung, sie habe sie freiwillig übernommen, mit Drohungen abgepreßt hat.
In einem Schreiben der hanauischen Räte an Graf Philipp d. Ä. von Hanau-Lichtenberg, mit dem sie am 7. November Israels Klage gegen Ulrich überschicken, beschweren sie sich unter anderem darüber, daß Israel den gegen die hanauische Regierung beim Reichskammergericht angestrengten Prozeß unzulässig verschleppt, wie ja überhaupt die Juden "das ordentlich recht wie der theuffel das creutz zu fliehen pflegen". Seine hanauischen Schuldner haben bei der Kanzlei inzwischen 150 fl. hinterlegt, die Israel aber nicht ausgehändigt werden, solange er sich weigert, die 23 fl. 9 Batzen 10 Denar Abtrags- und Schatzungsgeld zu zahlen, sondern verlangt, daß ihm das hinterlegte Geld abzüglich der geforderten Summe übergeben wird. Die Kanzlei, die früher in der Regel so verfahren ist, lehnt dies aber jetzt ab, weil Israel seine Schuldner anschließend in Frankfurt in Schuldhaft hat nehmen und ihnen die abgezogenen Beträge hat abpressen lassen. Deshalb soll er künftig die Schatzungsgelder selbst erlegen. Da Israel in seiner Klagschrift den hanauischen Oberamtmann beschuldigt, Röders Witwe beredet zu haben, die Schuld zu bestreiten, erbittet dieser die Erlaubnis, Beleidigungsklage gegen Israel erheben zu dürfen. Ferner bitten die Räte, prüfen zu lassen, ob die Stadt Frankfurt auch nach der neuen Konstitution von 1570 gezwungen werden kann, Gefangene gegen Kaution freizulassen, da dann die hanauische Kanzlei bei nächster Gelegenheit die Kaution für einen zu Frankfurt verhafteten hanauischen Untertan stellen und seine Freilassung gegebenenfalls mit einem Kammergerichtsmandat erwirken würde, um so die Frankfurter Juden "etwas schew und zaghafftig" zu machen.
Die Räte übersenden Graf Philipp auch Abschriften des Schriftwechsels, der 1571 wegen der Verletzung hanauischer Privilegien zwischen der Stadt Frankfurt und den Frankfurter Juden einerseits und der Kanzlei Hanau andererseits geführt wurde sowie Auszüge aus dem Frankfurter Konfeßbuch, die beweisen, daß Frankfurter Juden auch ohne Wissen der Regierung Hanau Geld an deren Untertanen verleihen. So hat zum Beispiel Heyum zum Paradies am 27. Mai 1572 Weigel Röder zu Enkheim 20 fl. geliehen. Aufgrund dieser Vorkommnisse ist allen hanauischen Untertanen untersagt worden, Judenschulden, die ohne amtliche Kenntnis entstanden sind, zurückzuzahlen. Die geschuldeten Beträge sollen vielmehr dem hanauischen Kämmerer übergeben werden. Die Frage, ob Judenschuldner, die aufgrund eines Regierungsverbots [bei Pfändung der Forderungen] ihre Schulden nicht bezahlen dürfen, diese wie es die Juden verlangen, später [nach Aufhebung der Pfändungj für die ganze Zeit verzinsen müssen, bedarf dringend der Klärung.
Nach vielfachen Verhandlungen vor dem Reichskammergericht, der Kanzlei Hanau und dem Stadtgericht Frankfurt beschließt letzteres am 6. März 1573, daß Elisabeth Geyl entweder Ulrich veranlassen soll, bis Pfingsten in die Schuldhaft zurückzukehren, oder Israel seine inzwischen durch das Gericht auf 382 fl. herabgesetzte Forderung bezahlen muß.
Am 10. April einigen sich Ulrich und seine Rückbürgen mit der Witwe Geyl vor der Kanzlei Hanau dahin, daß Ulrich der Witwe 50 fl. zahlen und zugleich beim Reichskammergericht die Inhibition des Frankfurter Urteils gegen Heinz Röders Witwe erreicht werden soll.
Am 6. Juli verlangt die Witwe Geyl vor dem Untergericht zu Bergen Schadloshaltung durch Ulrichs Rückbürgen, da sie Israel 50 fl. zahlen und sich verpflichten mußte, die 382 fl. mit weiteren gleich hohen Raten zu den Frankfurter Messen abzutragen.
Daraufhin erheben die Rückbürgen ihrerseits Klage gegen Ulrich.
Am 14. Juli 1574 beauftragen die hanauischen Räte ihren Prokurator zu Speyer mit der Prüfung der Frage, ob sich das seinerzeit von Ulrich, der inzwischen über der ganzen Streitsache den Verstand verloren hat und kindisch geworden ist, angestrengte Appellationsverfahren wieder aufgreifen läßt. Am 7. August fordern die hanauischen Räte bei der Stadt Frankfurt die Akten des auf Betreiben des inzwischen verstorbenen Juden Israel gegen Ulrich geführten Prozesses an, um das Appellationsverfahren wieder in Gang zu bringen.
Am 6. April 1575 klagen Ulrichs Rückbürgen vor der Kanzlei Hanau auf Schadloshaltung, da Ulrich, der an Israels Erben bereits 150 fl. bezahlt hat, seit der Herbstmesse 1574 jede weitere Zahlung verweigert, so daß die Rückbürgen für ihn zahlen mußten. Daraufhin wird Ulrich mit dem Versprechen, ihm nach erfolgter Begleichung der Schuld zu seinem Recht zu verhelfen, am 8. April zur Zahlung angewiesen.
Ulrich seinerseits klagt am 26. April gegen Röders Erben und bittet, diese zur Zahlung zu verpflichten.
Am 16. Juni unterrichten die hanauischen Räte den Schultheiß zu Bergen davon, daß Ulrich einen Zeugen beigebracht hat, der bestätigt, daß Heinz Röder die strittige Summe noch vor seiner Krankheit bei Israel geliehen und teils für sich, teils für seinen in Wittenberg studierenden Sohn verbraucht, auch 1565 eine Schuldverschreibung darüber ausgestellt hat. Der Schultheiß wird angewiesen, Röders Erben zur Begleichung der Schuld anzuhalten, ihnen aber mit der Zahlung Zeit zu lassen, damit sie nicht in Bedrängnis geraten.
Weitere Angaben
Bl. 1-163; vgl. auch Regest Nr. 1969 (1569 Juli 15 - 1570 Dezember 18) und Regest Nr. 2089 (1571 Mai 15)
Archivangaben
Arcinsys-ID
Archivkontext
Indizes
Personen
- Israel, zum Engel zu Frankfurt am Main, Sohn des Simon Wolf, Bruder des David und Wenzel zur goldenen Scheuer und des Uriel Wolf, Vater des Hayumb und Mosche zum Paradies, der Michla und Mergym, Schwiegervater des Schlam zum Engel
- Ulrich, Ulrich, Einwohner von Enkheim
- Röder, Heinz, verheiratet mit Elsa, Einwohner von Enkheim
- Elsa, verheiratet mit Heinz Röder, Einwohnerin von Enkheim
- Röder, Dönges
- Geyl, Peter, verheiratet mit Elisabeth, Einwohner von Frankfurt
- Elisabeth, verheiratet mit Peter Geyl, Einwohnerin von Frankfurt
- Hanau-Lichtenberg, Philipp IV. von, Graf
- Röder, Weigel, Einwohner von Enkheim
- Hayum (Heyum), zum Paradies zu Frankfurt am Main, Sohn des Israel zum Engel, Bruder von Mosche, Michla und Mergym, Schwager des Schlam
Orte
Sachbegriffe
Siehe auch
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„Klage des Frankfurter Juden Israel zum Engel gegen Ulrichs Ulrich zu Enkheim“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/4603_klage-des-frankfurter-juden-israel-zum-engel-gegen-ulrichs-ulrich-zu-enkheim> (aufgerufen am 28.11.2025)
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