Beschwerde von Pfarrer, Bürgermeister und Rat zu Vacha über einen betrügerischen jüdischen Arzt ebenda

HStAM 17 I. Alte Kasseler Räte Nr. 239  
Laufzeit / Datum
1571 März 7 - 9
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Am 9. März 1571 überschickt der Superintendent zu Allendorf Landgraf Wilhelm von Hessen eine am 7. März von Pfarrer, Bürgermeister und Rat zu Vacha an ihn abgesandte Klagschrift wegen des "ergernus und unradts" durch den dortigen Juden und bemerkt, daß die Angelegenheit offenbar einen politischen Aspekt hat. In ihrer Beschwerde erinnern Pfarrer und Bürgermeister an ihre bereits vor einem Vierteljahr gemachte Eingabe wegen des "boßhafftigen judens", der sich heimlich in Vacha eingeschlichen hat. Obwohl darauf keine direkte Antwort erfolgt ist, zweifeln sie nicht, daß der Superintendent in christlich gebotenem Eifer gegen die "erschreckliche goteslesterung der juden" um Abhilfe bemüht war, da in dieser Sache landgräfliche Weisungen an die Amtleute zu Vacha ergangen sind, die allerdings nur aufgefordert wurden, die Angelegenheit bis zur Rückkehr des Landgrafen aus Speyer und einer dann in Aussicht gestellten Vernehmung des Juden beruhen zu lassen und ihn vorerst "vor einen artzt, als der gelobt wurde, das er viel kranckheiten durch die kunst der artzeney heilen konte", zu schützen. Nun hat sich aber gezeigt, daß der Jude einer jener Ärzte ist, von denen Nigrinus in seinem Judenfeind 1#Georg Nigrinus, Judenfeind oder von den edlen Früchten der talmudischen Juden, so jetziger Zeit in Deutschland wohnen ..., Gießen 1570. sagt, daß sie sich, nachdem sie alles durchgebracht haben, ihr Geld bei den Christen wieder holen wollen. Bisher hat er noch alle Heilungsuchenden betrogen, ohne einem einzigen zu helfen. Auch treibt er mehr Aberglauben und Zauberei als ordentlich Medizin. Seine Nachbarn, angesehene Leute, berichten, daß er zu bestimmten Zeiten, vor allem aber in der Christnacht mit "stoßen undt dergleichen teufelischen ceremonien umbgehet". Trotz der Weisung, sich still zu halten, arbeitet er auch sonntags, und am letzten Christabend, der auf einen Sonntag fiel, hat er, während die Besucher der Predigt an seinem zu allem Überfluß mitten in der Stadt liegenden Haus vorbeigingen, dort Holz anfahren und abladen lassen. Ziehen Tauf-, Hochzeits- oder Beerdigungszüge an seinem Haus vorbei, liegen die Juden "heuffig undt uff das allerspottisch an den thuren und fenstern" und zeigen ihre Verachtung der christlichen Religion. Es gelingt ihnen auch, Leute zum Verkehr mit ihnen zu bereden, und diese beginnen die Predigt zu verachten und die "thalmudische deuffelische ceremonien zu loben und zu preisen". Die Tochter eines armen Bürgers, die sich bei ihnen verdingt hat, ist seither nicht mehr zum Katechismusunterricht erschienen. Bürgermeister und Pfarrer sehen es als eine besondere Strafe Gottes an, daß dieser Erzfeind Christi bei ihnen wohnt.
Zu alledem treibt der Jude trotz aller Verbote übermässigen Wucher, und fehlt es ihm gelegentlich an Geld, so wuchern an seiner Stelle die zahlreichen Juden, insbesondere aus den braunschweigischen Landen, die bei ihm aus- und eingehen. Sie haben "ihre wechselung von einer wochen zur andern" so aufgeschlagen, daß ein Bürger, der für den Fruchtkauf in Thüringen einen Taler braucht, kaum unter 28 Schneebergern wechseln kann, weshalb es derzeit in Vacha an Frucht fehlt.
Solange der Jude in Vacha ist, können die befohlenen Maßnahmen gegen die Wiedertäufer nicht ins Werk gesetzt werden, zumal diese in vielen Dingen ein weit geringeres Ärgernis geben als der Jude und ungehorsame Pfarrkinder. Eigentlich sollte die Gotteslästerung der Juden um all jener willen, die ihnen aus Einfalt, Bosheit oder wegen ihres Vorteils nachlaufen, mit öffentlicher Kirchenstrafe geahndet werden. Wird dies jedoch praktiziert, so erklären die Verteidiger der Juden, man treibe das Volk "wiederteufferischerweiß" zum Aufruhr und zum Widerstand gegen die Obrigkeit. Schweigt aber die Kirche, so heißt es "vae mihi si evangelium non praedicavero"! In der Tat finden sich verwegene Buben, vor allem unter den zahlreichen in Vacha lebenden ausländischen Handwerkern, die, wenn des Juden auf der Kanzel gedacht wird, demselben, trotz ausdrücklicher Warnung vor Ausschreitungen, nachts die Fenster einwerfen und "dergleichen leichtferttigkeiten" treiben, so daß größeres Unglück zu besorgen ist.
Die Supplikanten bitten dafür zu sorgen, daß der Jude ausgewiesen, zumindest aber nur auf Probe angenommen wird.

Weitere Angaben

Bl. 1-7

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Beschwerde von Pfarrer, Bürgermeister und Rat zu Vacha über einen betrügerischen jüdischen Arzt ebenda“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/4545_beschwerde-von-pfarrer-buergermeister-und-rat-zu-vacha-ueber-einen-betruegerischen-juedischen-arzt-ebenda> (aufgerufen am 25.11.2025)

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