Ereignis
Was geschah
In den 1880er und 1890er Jahren bildete Nord- und Mittelhessen eine Hochburg der antisemitischen Bewegung. Der Kasseler „Reformverein“ richtete im Juni 1886 den deutschen Antisemitenkongress aus, in Marburg gründete Otto Böckel (1859–1923) den „Deutschen Reformverein“, dessen Vorsitz er 1886 übernahm.
Der sogenannte „hessische Bauernkönig“ Böckel nahm die führende Rolle in der antisemitischen Bewegung Mittelhessens ein. Er richtete sich vor allem an die Landbevölkerung und warnte vor dem „schädlichen Einfluss des Judentums“. Die Bauern wollte er vor jüdischem Wucher schützen und setzte auf den Aufbau der bäuerlichen Selbsthilfe und der Neuregelung des Kreditwesens auf dem Lande. Hierfür rief er zunächst den „Kurhessischen Bauernbund“ ins Leben, der sich jedoch nicht der Bewegung anschloss, und später den „Mitteldeutschen Bauernverein“. 1890 gründete er die „Deutsche Reformpartei“. Bei der Reichstagswahl am 21. Februar 1887 konnte Böckel das Mandat für den Wahlkreis Regierungsbezirk Kassel 5: Marburg-Frankenberg-Kirchhain erzielen und zog damit als erster bekennender Antisemit in den Reichstag ein. 1890, 1893 und 1898 wurde er wiedergewählt und gehörte bis 1903 dem Reichstag an.
Nachdem die Marburger Presse sich geschlossen weigerte, Anzeigen Böckels zu drucken, gründete er eine eigene Zeitung, den „Reichsherold“, um auf diese Weise seine politischen Vorstellungen verbreiten zu können. Böckel konnte seine Ziele nicht umsetzen und musste im Dezember 1894 das Erscheinen des „Reichsherolds“ einstellen. Auch im Reichstag konnten seine Ansichten nicht überzeugen. Die übrigen Parlamentarier stellten sich gegen den einzigen antisemitischen Abgeordneten, seine Aussagen und Reden wurden nicht ernst genommen.
(StF)
Bezugsrahmen
Quellen
Vorschau
Nachweise
Literatur
- Handbuch der hessischen Geschichte, Bd. 4, Hessen im Deutschen Bund und im neuen Deutschen Reich (1806) 1815 bis 1945, Teilbd. 2, Lfg. 1, Marburg 1998, S. 281-297
- Rüdiger Mack, Otto Böckel und die antisemitische Bauernbewegung in Hessen 1887-1894, in: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen, Wiesbaden 1983, S. 377-410
- Arne Sudhoff, Agitation und Mobilisierung ländlicher Bevölkerung im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die kurhessische Zeitung Reichsherold im Schnittpunkt von Antisemitismus und Agrargesellschaft, in: Aschkenas Bd. 11, 2001, H. 1, S. 87-120
Weiterführende Informationen
- {Auszüge aus einer Rede, die Otto Böckel am 4. Oktober 1886 in Berlin gehalten hat; Bericht des Regierungspräsidenten Anton Rothe vom 25. Juni 1887 über die Entwicklung der „Antisemitenpartei“ nach den der Reichstagswahl 1887; Bericht des Regierungspräsidenten Anton Rothe vom 19. September 1888 für den Zeitraum Juni bis August 1888 über das Anwachsen der antisemitischen Bewegung; Bericht des Regierungspräsidenten Anton Rothe vom 21. Dezember 1888 für den Zeitraum September bis November 1888 über die Aktivitäten der Antisemiten; Bericht über das Auftreten Otto Böckels, aus den 1957 datierten Erinnerungen Wilhelm Buchheims, der 1939 nach Großbritannien und später in die USA emigrierte; Bericht in der Kölnischen Zeitung vom 14. März 1887 über das Wahlprogramm Otto Böckels; Bericht in der Fuldaer Zeitung vom 18. März 1887 über die erste Rede Otto Böckels vor dem Reichstag; Wiedergabe eines Artikels aus der Frankfurter Zeitung vom 17. August 1887 in der Allgemeinen Zeitung des Judentums vom 25. August 1887 über ein Treffen des antisemitischen Reformvereins in Marburg]
- Leo Baeck Institute: Wilhelm Buchheim (eingesehen am 10.4.2024)
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Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0
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Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Antisemitismus im Regierungsbezirk Kassel, 1886-1888“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/7570_antisemitismus-im-regierungsbezirk-kassel> (aufgerufen am 25.11.2025)
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