Bundesratsbeschluss zur Führung von Statistiken in Krankenhäusern – Ausbau der Krankenversorgung

 

Ereignis

Was geschah

Seit der Reichsgründung wird die medizinische Versorgung der Bevölkerung als zentrale Aufgabe des Staates gesehen. Für die vielen neu entstandenen privaten und öffentlichen Krankenhäuser sollen vereinheitlichte Standards eingeführt werden. Als Grundlage beschließt der Bundesrat die Führung von Statistiken nach einem einheitlichen Muster. Man stellt sich somit die Aufgabe, die Bevölkerung sozial und medizinisch besser zu versorgen. War bis dahin das Hospital eher ein letzter Ort für Arme, Kranke und Sterbende, so wird nun die Aufgabe in der Heilung der Kranken, in der Wiederherstellung der Menschen, natürlich auch ihrer Arbeitskraft, gesehen. Ein Haus für heilbar Kranke heißt das Konzept der neuen Zeit, das seine Vorbilder in den großen Krankenhäusern von Paris und Wien findet. Die Krankenversorgung ist nicht mehr ein Akt von religiös motivierter Barmherzigkeit, sondern wird Aufgabe einer Institution, des Staates, der Gemeinden, verbunden mit einer ökonomischen Bewertung und damit Bezahlung der erbrachten Leistung. Die modernen Krankenhäuser entstehen verstärkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Städten aufgrund der Binnenmigration und dem Anwachsen der Bevölkerung. Sie erfüllen mehrere Funktionen. Sie bieten ein medizinisches System zur Krankenversorgung, sie entwickeln sich zu einem Wissenschaftszentrum zur Diagnose und Kategorisierung von Krankheiten, sie werden zu einem Ausbildungssystem für Mediziner und Pflegepersonal und sie werden zu einem gewichtigen ökonomischen System, in dem wirtschaftliche, ethische und soziale Kategorien miteinander konkurrieren, sich gegenseitig beeinflussen und geregelt werden müssen.
Die Krankenpflegeausbildung wird überwiegend durch die neuen Ordenskongregationen und die Diakonischen Einrichtungen getragen. 1876 bestehen im Deutschen Reich insgesamt 23 verschiedene Krankenpflegeorden, dazu kommen die Einrichtungen der evangelischen Diakonie und weltliche Krankenpflegevereine von Frauen, die sich meist dem Roten Kreuz anschließen. Krankenpflege wird damit zu einem Frauenberuf und einem Bereich, in dem Berufstätigkeit und eigene Lebensgestaltung für Frauen möglich wird.
Nach den preußischen gesetzlichen Vorgaben sind die Städte seit der Mitte des Jahrhunderts verpflichtet, bei Seuchen Isolationsmöglichkeiten bereit zu halten (Sanitätspolizeiliche Vorschriften bei ansteckenden Krankheiten vom 8. August 1835). Hintergrund ist die Erfahrung mit der großen verheerenden europäischen Cholera-Epidemie von 1831/32. Die Bekämpfung von Epidemien wird nun als Aufgabe der Obrigkeit verstanden und wahrgenommen.
Ein Wertewandel zeigt sich auch in der veränderten Betrachtung von Kindheit. Diesem Lebensabschnitt wird nun eine Eigenständigkeit und eine hohe Bedeutung für die Zukunft der Gesellschaft zuerkannt mit Auswirkungen auf die Einrichtung von Krankenhäusern. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts werden Kinderkrankheiten noch nicht als eigenständiger medizinischer Bereich angesehen, Kinder werden medizinisch nicht behandelt. Eigene Kinderkrankenhäuser entstehen aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Die medizinischen Fortschritte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Tracheotomie – Luftröhrenschnitt, Nutzung des Chloroforms und der Listersche Antisepsis-, Hygienemaßnahmen) verbessern die Behandlung der Diphterie als Kinderkrankheit, die während der 1880er und 1890er Jahre ein Ansteigen der Kindersterblichkeit bedingten. Kinder bilden in den wachsenden Städten den Großteil der Bevölkerung, ihre Anfälligkeit durch die grassierenden Seuchen werden erkannt. Alle politischen Richtungen verschreiben sich um 1900 der Kinderheilkunde, fördern den Auf- und Ausbau von Krankenhäusern und Heilsanatorien, überwiegend in der Trägerschaft religiöser Gruppen. Die Krankenhäuser werden zu einem Arbeitsmarkt für Frauen aus bürgerlichen Häusern.
Die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung fördert die Professionalisierung und den Ausbau von Krankenhäusern, aber auch eine Kostenexplosion. Damit verbunden ist eine Diskussion über die Krankenhaustarife und auch über die Entlohnung des dort arbeitenden Personals. Wenn auch die Schwestern der verschiedenen Krankenpflegeorden auf der Grundlage der jeweils vor Ort verhandelten Verträge entlohnt werden (vgl. Bad Orb – Text zu Bad Orb mit Abdruck des Vertrages), so ist ihr Einsatz doch die kostengünstigste Variante, weshalb viele Städte und Gemeinden Orden mit dem Auf- und Ausbau von Ambulanzen und Krankenhäusern beauftragen (zum Beispiel die Vinzentinerinnen in Fulda). Der Einsatz der weiblichen Krankenpflegeorden wird bewusst gefördert, auch um moralische Einflüsse auf die Kranken zu erzielen. In Krankenhausordnungen werden die Patienten zur Reinlichkeit, Sittsamkeit und moralisch einwandfreiem Verhalten (zum Beispiel Verbote des Kartenspielens, des Fluchens und Trinkens) angehalten.
Unterstützt wird die Entstehung des modernen Krankenhauswesens auch durch die vielen Kriege des Langen 19. Jahrhunderts. In den Einigungskriegen werden Soldaten auch durch viele hessische Ordensschwestern versorgt. Das Reichsgesetz vom 30. Juni 1900 zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten (Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest und Pocken) ordnet die Behandlung der Krankheiten in einem Krankenhaus an. Das preußische Gesetz vom 28. August 1905 verpflichtet die Gemeinden Einrichtungen zu schaffen für Krankheiten wie Diphterie, Genickstarre, Ruhr, Scharlach, Typhus. Damit führen die Seuchen und Epidemien zum weiteren Ausbau der Krankenhäuser.
(RKr)

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