Beginn des großen Auschwitz-Prozesses in Frankfurt

 

Ereignis

Was geschah

Nach jahrelangen Ermittlungen und der Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung wird die „Strafsache gegen Mulka und andere“ (Aktenzeichen: 4 KS 2/63) – so die offizielle Bezeichnung des ersten Auschwitz-Prozesses – vor dem Landgericht Frankfurt am Main eröffnet. Verhandelt wird gegen 20 Angeklagte, von denen der frühere SS-Hauptssturmführer Robert Mulka (1895–1969), zwischen Anfang 1942 und März 1943 Adjutant des Lagerkommandaten Rudolf Höß (1901–1947), der im NS-Staat ranghöchste war. Unter den Beschuldigten sind auch der Adjutant des letzten Kommandanten von Auschwitz, Karl-Friedrich Höcker (1911–2000), der Leiter der Lagerapotheke, Victor Capesius (1907–1985), sowie als einziger Funktionshäftling Emil Bednarek (1907–2001). Zur Last gelegt wird ihnen die unmittelbare Teilnahme an der fabrikmäßigen Tötung an bis zu 1,5 Millionen Menschen, vornehmlich Juden, in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau. Unter dem Vorsitz von Richter Hans Hofmeyer (1904–1992) werden Zeugenaussagen von insgesamt 356 Auschwitz-Überlebenden herangezogen. Gutachten von Zeithistorikern, in denen die „Anatomie des SS-Staates“ (Buchhheim) und die Hintergründe der NS-Verbrechen beleuchtet werden, leisten ihren Beitrag zur Aufklärung der Verbrechen. Einen Höhepunkt stellt „die angesichts des Kalten Krieges spektakuläre Inaugenscheinnahme des KZ Auschwitz durch das Gericht“1 dar. Nie zuvor und nie danach hat bzw. wird ein deutsches NSG-Verfahren ein derart großes Maß an öffentlicher und medialer Aufmerksamkeit erfahren. Zugleich wird der Prozess „zu einer der wichtigsten Zäsuren der öffentlichen Erinnerungsgeschichte des Holocaust in der BRD“ (ebenda, S. 128). Geprägt war der Prozess von dem starken Kontrast zwischen dem Verhalten der Täter und den Schilderungen der Opfer. Indes sich erschütternde Szenen abspielen, als Zeugen die unfaßlichen Vorgänge im Konzentrationslager lebendig werden ließen (Chronik Hessens), verweigern die Angeklagten die Erinnerung und verleugnen jede Schuld, indem sie sich u.a. darauf berufen, nur Befehle ausgeführt zu haben. Zudem zieht die Verteidigung die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen in Zweifel, wobei sie sich äußerst spitzfindiger Argumentationen bedient. Gleichwohl zeigt der Prozess auch die Grenzen einer strafrechtlichen Aufarbeitung des Holocaust auf, und zwar insofern, als er zwar die Bestrafung individueller Schuld nach § 211 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (Mord aus niederen Beweggründen) erreicht, die unmittelbar Verantwortlichen für die Verbrechen aber im Verhältnis viel zu milde beurteilt. Dies zeigt sich, als am 20. August 1965 in der „Strafsache gegen Mulka und andere“ das Urteil ergeht.
(CP)

Bezugsrahmen

Nachweise

Fußnoten

  1. Fischer, S. 130.

Literatur

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Nachnutzung

Rechtehinweise

Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Beginn des großen Auschwitz-Prozesses in Frankfurt, 20. Dezember 1963“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/2749_beginn-des-grossen-auschwitz-prozesses-in-frankfurt> (aufgerufen am 25.11.2025)

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