Irrungen zwischen dem Schultheißen Jacob Lutz zu Rhens und dem Juden Jacob ebenda
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Regest
Am 5. November 1587 berichtet der Zollschreiber Driander zu St. Goar dem Schultheißen Lutz zu Rhens, daß das von dem Juden Jacob im vergangenen Jahr gelieferte Faß Wein ungefähr 4 Ohm faßte und nach Braubach gebracht wurde. Ein weiteres Fäßchen soll der Schultheiß bis zu einem künftigen Treffen aufbewahren.
Am 27. Februar 1588 teilt der Zollschreiber Lutz mit, daß er Jacob ernstlich aufgefordert hat, sich nicht länger zu widersetzen und Lutz zu bezahlen. Er bedauert, den ihm von Jacob und - wie er ausdrücklich betont - nicht von Lutz angebotenen Wein, der soviel Irrungen verursacht, angenommen zu haben. Driander will die verwitwete Landgräfin bitten, die wiederspenstigen Untertanen, vor allem aber die Juden aufzufordern, Geld zu beschaffen und den Schultheißen zu bezahlen.
Am 29. April klagt Lutz vor Schultheiß und Schöffen zu Rhens gegen Jacob wegen Beleidigung. Da der Jude älter als fünfundzwanzig Jahre und bei gesundem Verstand ist, gibt es keine Entschuldigung dafür, daß er Lutz am 5. Februar vor der Landgräfinwitwe zu Braubach und dem Oberamtmann zu St. Goar verleumdet und behauptet hat, er habe mit seinem Gesinde unter dem Vorwand, Sauerbrunnen zu holen, Wein, der ihm nicht gehörte, in Krügen und Flaschen vom Alberhof getragen. Außerdem hat Jacob Kirsten zum Spiegel und seine Frau angestiftet zu verbreiten, Lutz habe vom Diebstahl eines Jungen gewußt und ihn gedeckt. Der daraufhin bei der Obrigkeit in Ungnade gefallene Schultheiß verlangt öffentlichen Widerruf.
Am 9. Juni schickt der Zollschreiber Jacob zur Vorlage bei Gericht eine von Lutz eigenhändig erstellte Rechnung, aus der hervorgeht, daß Jacob die 4 Ohm Wein, die auf seine Schulden bei Lutz angerechnet werden sollten, dem Zollschreiber im Auftrage von Lutz geliefert hat.
Am 29. Juli entscheidet das Stadtgericht Rhens, daß Lutz Jacob bezahlen und zufriedenstellen soll, und verweist ihn wegen etwaiger eigener Forderungen an Jacob auf den Klageweg.
Am 4. Oktober bekundet der Zollschreiber, daß er sich verpflichtet hat, Jacob das zwischen diesem und Jacob Lutz strittige Fuder Wein zu bezahlen.
Am 2. Dezember wird Jacob aufgefordert, sich wegen der von Lutz anhängig gemachten Beleidigungsklage vor dem Stadtgericht Rhens zu verantworten.
Da Jacob trotz dreimaliger Aufforderung dem Gericht keine Stellungnahme übergibt, wird er am 3. April 1589 zur Ubernahme der Prozeßkosten verurteilt.
Am 12. Mai 1589 erklärt Jacob vor dem Stadtgericht, daß er, als er schuldenhalber in Jacob Trummers Haus war, von dessen Tochter gehört hat, Lutz habe Wein vom Alberhof holen lassen und seine Magd angewiesen, bei Befragen zu erklären, sie käme mit den Krügen und Flaschen vom Sauerbrunnen. Als Beweis legt er eine vor Zeugen schriftlich festgehaltene Aussage des Mädchens vom 11. Dezember 1588 vor.
Weil er zu spät vor Gericht erschienen ist, wird Jacob zur Zahlung von 1 1/2 fl. Kostenerstattung an den Kläger verurteilt.
Da Jacob die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte bestreitet, wird Lutz am 11. August aufgefordert, Beweise beizubringen.
Am 24. November lehnt Jacobs Anwalt die Stellung einer von Lutz verlangten Kaution ab, und Lutz benennt Zeugen, die er zu vernehmen bittet.
Am 11. Mai 1590 betont Jacob nochmals, daß die Gerüchte wegen des Weins nicht von ihm, sondern durch das Gesinde von Lutz in Umlauf gebracht worden sind.
Nachdem der Anwalt von Lutz die Klage am 25. Mai noch einmal erneuert hat, wird Jacob am 10. August verurteilt, Lutz binnen vierzehn Tagen Kosten und Schaden zu erstatten.
Am 7. Dezember erklärt Jacob vor dem Stadtgericht, daß er die nicht von ihm, sondern von Trummers Tochter erhobene Beschuldigung gegen Lutz nicht beim Dingtag anzeigen konnte, weil er kein Bürger ist. Er mußte sie daher direkt der Herrschaft melden, die Lutz kaum allein deshalb bestraft hätte, hätte es nicht noch andere schwerwiegende Verfehlungen gegeben.
Am 10. Mai 1591 bittet Lutz erneut, die von ihm benannten Zeugen zu verhören.
Am 25. Juni ersucht Lutz das Gericht, den Keller zu Braubach zu veranlassen, die ihm gepfändeten Weingärten freizugeben, da er die aufgrund unwahrer Angaben des Juden Jacob von ihm geforderten 14 fl. 22 Albus auf dem Rathaus hinterlegen will. Er hat der Kellerei in Braubach bereits 19 fl. 16 Albus und noch einmal 7 fl. bezahlt und bislang vergeblich auf Erstattung gedrungen. Weiter fordert Lutz die Vollstreckung des in seinem Beleidigungsprozeß gegen Jacob ergangenen Urteils, wonach Jacob ihm 1 1/2 fl. zahlen sollte, sowie Exekution des gegen Jacobs Frau "des wettenbruchs halben" erlangten Urteils.
Da der Beleidigungsprozeß keinen Fortgang nimmt und ihm die Erklärungen des Gerichts in allen Punkten ungenügend scheint, kündigt er an, daß er sich an das Hofgericht in Marburg wenden wird.
Am 18. September klagt Lutz in Marburg wegen Rechtsverweigerung in dem Beleidigungsverfahren und fordert zugleich die Zahlung von 26 fl. 14 Albus, die er als Schultheiß der Landgräfinwitwe für Jacob gezahlt hat. Er ist mit seiner Forderung vom Stadtgericht Rhens an den rechtlich gar nicht zuständigen Keller zu Braubach verwiesen worden.
Am 29. September beauftragt Jacob einen Anwalt mit seiner Prozeßvertretung, da es ihm "als einem alten bedachten man" nicht möglich ist, selbst in Marburg zu erscheinen.
Am 8. November läßt Lutz durch seinen Anwalt vor dem Hofgericht erklären, daß Jacob der Landesherrschaft 1586 7 fl. 22 Albus Schutzgeld, 1 1/2 fl. Buße, 1 fl. Bußgeld wegen seiner Frau und 9 fl. 6 Albus für 1 1/2 Malter Korn schuldig war. Lutz hat Jacob die insgesamt 19 fl. 16 Albus vorgestreckt. Bei einer am 22. März 1587 vorgenommenen Abrechnung über Wein ist Jacob Lutz 3 fl. 3 Albus 6 Pfennig schuldig geblieben. Dazu schuldet er ihm die Zeche für den zwischen dem 24. März und 16. August bei Lutz getrunkenen Wein sowie 4 Denar, die er sich geliehen, und 4 Denar für einen Wecken, den er am 21. August bekommen hat. Hinzu kommen weiter 2 1/2 Albus Lohn. Ein "pistolet" im Wert von 1 fl. 21 Albus, das Lutz am 4. Juli 1587 von Jacob bekommen hat, ist von ihm mit einem Königstaler bezahlt worden. Mithin schuldet Jacob Lutz noch 7 fl. 5 Albus 6 Denar. Er hat überdies von ihm auch noch zwei "dennen dieln" und 1 Safter Hafer geliehen.
Was den dem Zollschreiber gelieferten Wein angeht, so hatte Lutz ihn Driander zwar versprochen, Jacob aber durchaus nicht mit der Lieferung beauftragt. Da 1586 das Fudermaß überall 29 bis 32 fl. galt, war Jacobs Lieferung allenfalls 22 fl. 16 Albus wert. Jacob hat mit dieser Weinlieferung mit Erfolg versucht, Driander zu bewegen, sich bei der Landgräfin, bei der er in Ungnade gefallen war, zu verwenden, um seine Buße zu mildern. Lutz hat den Driander zugesagten Wein später selbst liefern müssen, kann ihn also nicht auf Jacobs Schulden anrechnen. Ein trotz des von Lutz erhobenen Protests ergangenes gegenteiliges Urteil des Stadtgerichts Rhens ist vom Schwiegersohn des Zollschreibers, dem jetzigen Schultheißen zu Rhens, gefällt worden. Dieser hat Jacob auch gestattet, Lutz zu pfänden, obwohl über die Appellation gegen das Urteil noch nicht entschieden war.
Jacob hat Lutz drei Kühe aus dem Stall geholt, und um sie wiederzubekommen, mußte Lutz ein Fuder Wein verpfänden und dem Unterschultheißen so lange die Kellerschlüssel überlassen, bis 22 fl. 16 Albus bezahlt waren. Lutz fordert von Jacob Erstattung aller Kosten und Entschädigung für den erlittenen Schimpf und Hohn.
Am 22. November überschickt das Untergericht Rhens dem Marburger Hofgericht die angeforderten Prozeßakten.
Am 23. Februar 1592 protestiert der Anwalt von Lutz gegen die von Jacobs Anwalt am 15. Dezember geforderte Rückverweisung des Prozesses nach Rhens und erklärt den dortigen Schultheißen und Keller, die "des juden sache getrieben" haben, für befangen.
Am 31. März fordert das Hofgericht Marburg das Stadtgericht Rhens auf, die am 12. Mai und 10. August 1590 ergangenen Urteile zu vollstrecken und dafür zu sorgen, daß Jacob unverzüglich die 3 fl. Buße und die Verfahrenskosten zahlt.
Am 11. September übergibt Lutz dem Hofgericht Marburg durch seinen Anwalt die förmliche Appellationsklage in dem Beleidigungsverfahren und läßt als Entschädigung für erlittene Verunglimpfungen 300 fl. fordern.
Am 8. März 1593 erneuert Jacob die Prozeßvollmacht für seinen Anwalt und dessen Sohn.
Am 14. Mai bittet Lutz das Hofgericht, das Stadtgericht Rhens zur Vollstreckung der gegen Jacob ergangenen Urteile anzuhalten, da ihm bislang nur die am 9. Oktober 1592 auf 13 fl. 10 Albus taxierten Gerichtskosten erstattet worden sind.
Am 16. August erklären Schultheiß und Schöffen zu Rhens, daß Lutz sich zu Unrecht an das Hofgericht gewandt hat und seine Klage zuerst in Rhens hätte entscheiden lassen müssen. Von den 15 fl. 6 1/2 Albus, die Jacob nach Rechnung des Gerichts Lutz als Erstattung für gehabte Kosten schuldet, hat er 13 fl. 10 Albus gezahlt. Wegen der restlichen 1 fl. 20 1/2 Albus hätte Lutz eine Pfändung beantragen können, aber nicht wegen einer solchen Summe das Hofgericht bemühen sollen. Übrigens schuldet Lutz dem Gerichtsschreiber zu Rhens noch 3 fl. 10 Albus und dem Prokurator 1 fl., obwohl dieses Geld dem Juden mitberechnet und von diesem bezahlt wurde. Lutz hat also nichts mehr zu fordern, sondern vielmehr 2 fl. 13 1/2 Albus zuviel erhaltenes Geld zurückzuzahlen.
Am 19. Januar 1594 weist das Hofgericht die von Lutz angestrengte Klage auf Kostenerstattung wegen Geringfügigkeit an den Oberamtmann der Niedergrafschaft Katzenelnbogen.
In der weiter in Marburg anhängigen Beleidigungsklage erklärt Jacobs Anwalt am 27. Februar Lutz wegen seines bisherigen Lebens und Verhaltens für unglaubwürdig und nicht eidfähig. Auf eine Aufforderung der Marburger Richter, Jacob zu zwei Fudern Wein zu verhelfen, die er von Lutz fordert, antworten Schultheiß und Schöffen zu Rhens am 11. März, daß stets nur ein Fuder strittig war, dessen Lieferung Lutz jedoch vom Zollschreiber zu St. Goar quittiert worden ist, so daß an ihn keine Forderungen mehr zu stellen sind.
Am 5. Juli weist das Hofgericht die Appellationsklage an das Untergericht zu Rhens mit der Auflage zurück, daß die von Lutz benannten Zeugen innerhalb von zwei Monaten vernommen werden sollen. Geschieht das nicht, kann Lutz erneut in Marburg klagen.
Am 1. Januar 1595 wendet sich Jacobs Anwalt mit einer Appellationsklage gegen ein am 23. Dezember 1594 gefälltes Urteil des Hofgerichts Marburg an das Revisionsgericht in Kassel.
Am 7. November bittet Jacobs Anwalt in Marburg um Fristverlängerung für seine Prozeßeinlassungen, weil "der jud außgetretten" ist. Der gegnerische Anwalt erklärt dazu, Jacob sei ausgerissen. Am 19. Dezember wiederholt Jacobs Anwalt sein Gesuch mit der Begründung, daß Jacobs Sohn ihm mitgeteilt hat, der Vater sei mehr als zwei Monate von zu Hause fort und die Rückkehr ungewiß. Wieder behauptet der Anwalt von Lutz, Jacob sei geflohen.
Am 26. März läßt Lutz dem Marburger Gericht noch einmals eine detaillierte Aufstellung seiner Forderungen an Jacob übergeben. Sie werden von Jacobs Anwalt zum Teil bestritten, und es ergibt sich schließlich eine Restschuld von 3 fl. 22 Albus 9 Heller, die Jacob noch zu zahlen hat.
Auf die Einlassungen, die Jacobs Anwalt bei dieser Gelegenheit gemacht hat, obwohl sein Mandant aus der Haft entwichen und geflohen ist, antwortet der Anwalt von Lutz am 20. August. Am 17. Januar 1597 erbittet Jacobs Anwalt erneut Fristverlängerung, weil Jacob einige Zeit außer Landes war. Am 28. Februar legt der Anwalt sein Mandat nieder, weil Jacob gestorben ist.
Weitere Angaben
vgl. auch HStAM, 257 L 289 und HStAM, 257 L 290
Archivangaben
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