Irrungen zwischen der Gemeinde Marköbel und ihren Juden wegen der Holzrechte

HStAM 81 Hanauer Regierung Nr. C/649  
Laufzeit / Datum
[1616 Juni 5]
Bearbeitung
Uta Löwenstein

Stückangaben

Regest

Am 5. Juni 1616 geht bei Gräfin Catharina Belgica von Hanau eine Beschwerde der Gemeinde Marköbel ein, dass sich die dort wohnenden Juden, wie es die Gemeinde schon vor drei Jahren bei einem Tag im Kloster Rüdigheim klagend angezeigt hat, in allen Dingen der Gemeindeallmende bedienen und insbesondere auch Holzrechte in Anspruch nehmen, wie sie dann de facto und aus grosem Frevel am nechstverschienen Montag, den 3ten huius einen eignen Wiedtage sich erwehlet und jeder 2 Läste Holtz heimbgetragen haben, welches zuvor niemals geschehen. Gehen in unsere Wälde und Feldtgütern krauten und grasen, hollen fast das gantze Jahr ihr Viehe, so sie begeren, under unsere Heerdt zu treiben, fahren mit ihren Khüen ahn verbottenen Wege, auch zu Grasplacken vorbehaltene gemeine Weyde, da unser eigen Vieh nicht darf hingehen. In summa, wöllen unsere Wälde, Feldtmarckung und gemeine Almeyen indifferenter brauchen wie wir, die Christen, ja mehr als die Christen und dasjenige geniessen, das ein alter abgelebter Christenmann oder Witwe, so kein gemeinen des Fleckens Beschwehrung mehr mittragen helfen kann, entrathen und ab sein muß.
Überdies bringen sie auch noch das Vieh fremder Juden unter dem Vorwand, es sei ihres, mit und kommen von den Viehmärkten mit 50, 60 oder mehr Stück Vieh, auch Pferden. Diese Tiere lassen sie nicht wie bisher bis zum baldigen Verkauf ein oder acht Tage auf der Weide, sondern so lange es ihnen beliebt und bis es satt gefüttert ist. Halten auch Geisen, verderben die grüne Hecken, plicken den Nachbarn das Laub ab von Beumen und Zeunen, [...] Im Gegenzug beteiligen sich die Juden nicht im Geringsten an den Diensten und Fronden der Gemeinde, ja sie tun auch die Dienste nicht mehr, die sie doch von Alters wahrnehmen mussten, als die Brieftragung ins Amt Ortenberg ehe es Graf Albrecht von Hanau-Münzenberg eingeräumt wurde. Diesen Dienst müssen sich jetzt die Gemeinde Marköbel ohne Beteiligung ihrer Juden und die Juden zu Hainchen teilen. Da doch eben umb sulches, der Juden, Brieftragens willen unsere Gemeinde vor etlichen Jahren aus Mitleiden und gutem Willen, nicht aus Schuldigkeit, weil sie sich nachbarlich gehalten und den Christen mit Gelt und leidlichem Interesse außgeholfen, aus unsern Wälden einen geringen Zuschueß ahn Brennholtz, soviel ungefehrlich der Geringste in unser Gemeinde, als etwa ein arme Wittib, bekommet, ihnen, Jueden, ebenmesig haben zuekommen lassen, woraus diese nun einen solchen übermäßigen Mitgebrauch der Gemeindeallmende ableiten wollen.
Die Juden geben weder Einzugsgeld noch Ledereimer wie andere aus dem Ausland Zuziehende. Sie beteiligen sich nicht an der Tag- und Nachtwache der Feldschützen und anderen Gemeindelasten. Dargegen mueß die Gemeinde sie vermachen, verhüten und vor unbillichem Gewalt ihnen Zusprung laisten, also daß es anderster nicht scheinet, dann daß sie, Jueden, welche sonsten pro commune stylo der Christen Knecht sein sollen, das Blat umbwenden und uns Christen in Marcköbel zu ihren Knechten gebrauchen wöllen, indem sie trutzen uf ihr Schutzgelt, so sie unser g. Herschaft geben, und derowegen die Gemeinde betrawen, wenn Soldaten durchwandern und ihnen den geringsten Schaden zufüegen, sie sich ahn ihnen, Christen, erholen wolten. Müssen alßo die Pfortenhüeter ihnen, Jueden, die Soldaten vor die Heuser führen, welchen sie doch mehr nicht dan jedem ein Pf. geben, und müssen darnach Achtung geben, daß ihn kein ferner Schadt geschicht, da doch die Christen manchmal vor der Soldaten Hünerschnüren und anderm Schaden alßo wohl nicht wie die Jueden verwahret sein können.
Gegen solche Beschwerden berufen sich die Juden auf ein altes Herkommen von 30-40 Jahren, auf einen vor zwei oder mehr Jahren von dem Amtmann Dr. Peter Keuch zu Windecken erteilten Bescheid sowie drittens auf ihren gemeinen Gebrauch, den sie wie andere Nachbarn geben. Das alte Herkommen bestreitet die Gemeinde, zumal noch Leute leben, die den ersten Marköbeler Juden Koscher gekannt haben, der nach Windecken gezogen ist. Weil er sich nachbarlich verhalten und die Allmende unbeschwert gelassen hat, hat man ihm ein Geringes an Brennholz gegönnt. Die jetzigen Juden sind alle erst innerhalb der letzten zwanzig Jahre nach Marköbel gekommen, können sich mithin nicht auf unvordenkliche Zeiten berufen. Obwohl sich vor einigen Jahren der Jude Lew und nach ihm alle anderen unterstanden haben, die Allmende mit ihrem Vieh zu beweiden, hat man dagegen doch stets protestiert und Lew ist mit einem Kalb gepfändet worden. Die 5 fl., die er zahlen musste, sind vertrunken worden. Gleichermaßen sind die Juden vor etwa 6 Jahren gepfändet worden und das Geld wurde vertrunken, wogegen der damalige Amtmann Dr. Peter Keuch nichts einzuwenden hatte. Weil aber dieses Bußgeld vertrunken wurde und nicht der Gemeinde zugute kam, haben die Nachbarn später ihren Trunk selbst bezahlen müssen.
Was den seinerzeitigen Bescheid des Amtmanns Keuch angeht, von dem der jetzige Amtmann behauptet, er sei der Gemeinde vorgelesen worden, so gebe es niemand in Marköbel, der eine solche Lesung gehört hätte oder davon wüsste. Vielmehr haben die Juden diesen Bescheid obreptitie ausgewirkt und verweigern der Gemeinde bis heute eine Abschrift, weswegen er auch nicht rechtswirksam herangezogen werden kann.
Den gemeinen Gebrauch belangende, so sie, Jueden, angeben, daß sie es gleich andern Nachbarn an Gelt erlegen sollen und sie, Jueden, es sonsten auch mit einem andern Namen ‚Beede’ nennen, an andern Orten und Flecken aber under den Christennachbarn Wasser und Waide, als Weg und Steg, Wieß und Eingang, Beywohnung und gemeinen Brunnen zu brauchen genandt und deßwegen von jedem Nachbarn ein gewisses Gelt ausserhalb der ordinari Beede von ihren liegenden Gütern erlegt wirdt, solch Fundament kann ihnen, Jueden, nicht dienen, da sie ohne eigene Güter nichts zu den aus Eigenbesitz der Christen gebildeten Wäldern und der Allmende beigetragen haben.
Die Gemeinde bittet, den Juden die eigenmächtige Nutzung ihrer Wälder zu untersagen.

Nachweise

Edition

Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Marburg / Nachträge von Uta Löwenstein (ungedruckt), Nr. NL 344.

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Irrungen zwischen der Gemeinde Marköbel und ihren Juden wegen der Holzrechte“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/14390_irrungen-zwischen-der-gemeinde-markoebel-und-ihren-juden-wegen-der-holzrechte> (aufgerufen am 26.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/qjg/14390