Christus am Kreuz (Marburg, Universitätsmuseum)

 
Datierung
um 1450-1460
AEC416D7-3050-4A60-B27E-A826B70B90DD

Katalog

Von Daniel Parello

Abmessungen

H. 107 cm, B. 41 cm; rechtes Handstück: H. 12,5 cm, B. 16 cm.
Inv. Nr. 3172.
Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Die Kreuzigung war im Besitz des Marburger Glasmalers Fritz Schultz, der sie gegen Ende des 19. Jh. im Zuge von Restaurierungsmaßnahmen aus einem unbekannten Kirchenbau innerhalb Hessens ausgeschieden hatte. LOTZ berichtet in seinem Inventar von einer Kreuzigungsdarstellung in einem der dreibahnigen Chorfenster der Nikolaikirche zu Korbach, die annähernd gleiche Höhenmaße besessen haben dürfte2. Da Schultz um 1900/10 nachweislich für die Kirchen in Korbach tätig war, wäre eine Herkunft aus dem Chor der gegen 1450/60 erbauten Nikolaikirche durchaus vorstellbar.

Inschrift

Auf dem Balken der Kreuztitulus in gotischer Majuskel: • I • N • R • I •

Erhaltung

Die drei mittleren Felder der ursprünglich aus fünf Einzelscheiben bestehenden Kreuzigungsdarstellung wurden 1986 von Glasmaler E. J. Klonk zusammengebleit. Die beiden in die Seitenbahnen ragenden Balkenenden mit den Händen befinden sich heute in den Depoträumen, wobei das rechte Teilstück eine moderne Ergänzung darstellt. Auf dem Inkarnatglas innenseitig gleichmäßig verteilter Lochfraß. Hier vor allem in Höhe der einstigen Eisenarmierung dunkle Ablagerungen mit schollenartigem Ausbruch der Malschicht. Einige Flickstücke und Sprünge.

Ikonographie, Farbigkeit

Vor einer recht ungewöhnlichen alpinen Bergkulisse aus hintereinander gestaffelten buntfarbigen Gipfeln hängt Christus an einem schweren, leicht nach links ausgerichteten Kreuz. Die grüne Rasenbank ist mit menschlichen Knochen, darunter ein makabrer Schädel, übersät. Gelber, blau eingefasster Kreuznimbus mit maßwerkverzierten Strahlen; Dornenkrone grün. In den Seitenbahnen werden einst die heute verlorenen Figuren von Maria und Johannes zu sehen gewesen sein.

Technik, Stil, Datierung

Ein hervorstechendes Merkmal dieser Arbeit ist ihre dekorative, fast holzschnittartige Bildauffassung. Die Zeichnung bleibt auf eine einfache Charakterisierung der Formen mittels weniger Linien beschränkt, wobei größere Flächen wie der Hintergrund oder die Kreuzstämme mit etwas naiv anmutenden Flächenmustern (Punktmuster und Holzmaserung) überzogen wurden. Die Figur besitzt stark expressive Züge: Das Haupt hängt schwer herab, die einzelnen Rippen treten markant am Brustkorb hervor, der durch gesonderte Bleieinfassung eine zusätzliche Akzentuierung erfährt. Christus trägt ein straff um die Hüften gespanntes Lendentuch, dessen Zipfel im Wind weht. Der Gekreuzigte ist von vergleichsweise gedrungener Statur und unterscheidet sich darin von jenen spinngliedrigen, überlängten Körpern Conrads von Soest, die in den ersten Hälfte des 15. Jh. für lange Zeit als mustergültig rezipiert wurden. Demgegenüber liegen im Kopftyp aber noch Gestaltungsformen des Weichen Stils vor, wie sie sich zu einem frühen Zeitpunkt im Wernigeroder Altar (Darmstadt, HLM, um 1390/95) manifestieren, dessen Entstehung im östlichen Teil Niedersachsens anzunehmen ist3. Kennzeichnend hierfür sind eine kantige, zum Kinn spitz zulaufende Gesichtsform. Die Ohrmuscheln stehen plastisch ab, die Augenlider sind stark angeschwollen, die Lippen kräftig ausgebildet. Nur an den Kieferknochen sprießt der Bart und bildet an der Kinnspitze zwei Lockenzwirbel aus. Dass hierin böhmische Einflüsse zum Tragen kommen, darauf deutet die Gegenüberstellung mit einer Kreuzigungsscheibe des frühen 15. Jh. hin, die sich heute im Prager Nationalmuseum befindet4. In der holzschnittartigen Gesamtwirkung wie in der Gesichtsbildung ergeben sich durchaus Zusammenhänge zur Marburger Darstellung. Parallelen, insbesondere hinsichtlich der plakativen Ornamentierung des Bildes, bestehen überdies zu den Werken des Ahnaberger Meisters5.
Nordhessen oder Niedersachsen, um 1450/60.

Bildnachweis

CVMA JJ 12827 (Mittelstück), JJ 471/16 (MF) Großdia JJ 01/196, 01/260 (Hände)

Nachweise

Fußnoten

  1. Lotz 1862, S. 149 (»Glasgemälde im Chor, gotisch, schöne Reste«). Noch Schäfer 1881, S. 190, zählt Korbach zu den Standorten mit erhaltenen Glasmalereien. Vgl. hierzu auch S. 509f. im Katalog zu den verlorenen Standorten.
  2. Zur Frühdatierung des Wernigeroder Altars s. Fitz 2001; vgl. hierzu auch Gast 2005, S. 442–444.
  3. Frantisek Matous, Mittelalterliche Glasmalerei in der Tschechoslowakei (Corpus Vitrearum Tschechoslowakei), Prag 1975, S. 73 mit Abb. 60.
  4. Vgl. hierzu Schneckenburger-Broschek 1997, S. 134–161 mit Abb. 95, 105, 109f.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen / Daniel Parello unter Verwendung von Vorarbeiten von Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 3), Berlin 2008, 461 [= 35. Christus am Kreuz]

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Christus am Kreuz (Marburg, Universitätsmuseum)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/321-4-02-01_christus-am-kreuz-marburg-universitaetsmuseum> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/321-4-02-01

Christus am Kreuz. Ehemaliger Standort unbekannt. Marburg, Universitätsmuseum, Nr. 35. Nordhessen oder Niedersachsen, um 1450/60.Christus am Kreuz: ES [= Erhaltungsschema] Museum Nr. 35Christus am Kreuz. Ehemaliger Standort unbekannt. Marburg, Universitätsmuseum, Nr. 35. Nordhessen oder Niedersachsen, um 1450/60.Christus am Kreuz. Marburg, Universitätsmuseum, Nr. 35 (Ausschnitt). Um 1450/60.