Flechtwerkfenster des 12. Jahrhunderts (Eberbach, Klosterkirche)

Flechtwerkfenster (Montage). Ehemals Eberbach, Zisterzienserkirche, Südquerhaus (?). Abteimuseum. Eberbach, um 1175/80.
Katalog
Von Daniel Hess
Abmessungen
Aus drei Feldern mit der Höhe 97/94/77 cm und der Breite 97 bzw. 56 cm bestehendes, rundbogig geschlossenes Fenster. Offenbar erst 1850 von seinem ursprünglichen Standort entfernt und vom Nassauischen Altertumsverein ersteigert (s. Reg. Nr. 6). Das Fenster befand sich seither in der Sammlung Nassauischer Altertümer im Museum Wiesbaden, bevor es 1995 in das Abteimuseum Eberbach überführt wurde.
Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Bis auf die fehlenden unteren Bordüren ist das Fenster offenbar komplett überliefert. Auf Grund seiner Gesamthöhe von ziemlich genau drei Metern und 97 cm Breite kommen als ehemaliger Standort einzig die beiden unteren Stirnfenster des südlichen Querschiffs oder die beiden Fenster der Westfassade in Frage; letztere sind nach den Maßangaben von Hahn, 1957, und dem Aufriß bei Herchenröder, 1965, jedoch etwas zu groß9. Neben den Maßen spricht auch der Umstand, daß das Fenster bis 1850 unversehrt im Bau verblieben war, für das Südquerhaus als ursprünglichen Standort.
Erhaltung
Leichte außenseitige Korrosion auf den mittelalterlichen Gläsern; zahlreiche Sprünge. Bis auf partielle Ergänzungen und stark korrodierte Stellen ist die mittelalterliche Verbleiung intakt; innen- und außenseitig Ansätze bzw. Reste alter Haften zur Befestigung der Windeisen. Die vor allem im untersten Feld auftretenden Ergänzungen in ölbemaltem Fensterglas stammen wohl aus der Zeit des Ausbaus und der Versteigerung von 1850. Die bei der ersten Untersuchung im Herbst 1991 noch vorhanden gewesene dicke, braune Öllasur ist bei der Translozierung 1995 offenbar entfernt und durch eine dünnere Lasur ersetzt worden; die betroffenen Gläser wurden überdies neu gekittet. Die drei Felder sind heute in einen beidseitig verglasten Stahlrahmen eingesetzt10.
Komposition, Ornament
In ihrem grundlegenden Aufsatz hat Eva Frodl-Kraft nicht nur das Muster schematisch aufgelöst, sondern auch mögliche Vorbilder für die frühen Muster in Eberbach und Obazine benannt. Zusammenfassend hat zuletzt Hartmut Scholz zu den verschiedenen, zum Teil umstrittenen Ableitungsversuchen Stellung genommen: Neben Fenstertransennen frühislamischer Prägung seien hier die bei Theophilus erwähnten Bandverschlingungen und die Bauornamentik des 11. und 12. Jahrhunderts, aber auch die Wiederbelebung älterer langobardischer bis karolingischer Zierformen erwähnt. Im Eberbacher Fenster bilden endlose Flechtbänder Paare von Doppelkreisen aus, die von einem Rautengitter durchdrungen und durch Ösen miteinander verbunden werden. Wie in Obazine wird die Binnenfläche von einer breiten, rundum laufenden Bordüre mit Zopfmuster gerahmt; ein großer, weißer Kreis markiert die Fenstermitte. Auch wenn sich die durch Ösen verklammerten Doppelkreise in anderen Beispielen nicht nachweisen lassen, fügt sich das Eberbacher Fenster in die Gruppe der frühen Flechtbandfenster ein, in denen sich Kreis- und Rautenbänder endlos durchdringen. Unter den erhaltenen Beispielen in Obazine, Pontigny, Bonlieu und La Bénisson-Dieu sind die Zusammenhänge mit Obazine noch am engsten, während alle Vergleichsbeispiele im deutschen Raum erst in das 13. Jahrhundert datieren: Neben Marienstatt und einzelnen Fenstern im Kreuzgang von Heiligenkreuz seien auch die Zeichnungen im Reiner Musterbuch (fol. 12r) erwähnt, zumal die überregionale Verbreitung der Muster ohne solche Zeichnungssammlungen nicht zu erklären ist. Da sich in Obazine neben den rein geometrischen Mustern auch erste Beispiele vegetabiler Ornamentfenster erhalten haben, dürften in Eberbach ebenfalls beide Typen nebeneinander vertreten gewesen sein.
Farbigkeit, Technik
Die Farblosigkeit des Fensters folgt einem noch vor der Ordensbestätigung von 1152 erlassenen, in der Folgezeit mehrfach wiederholten Statut des Generalkapitels der Zisterzienser, daß die Ordenskirchen ornamental und farblos zu verglasen seien: Vitreae albae fiant, et sine crucibus et picturis11. Trotz ihrer unterschiedlichen leichten Grün- oder Braunfärbung wurden die Gläser ohne ersichtliches System verwendet. Sie tragen damit jedoch – sicherlich bewußt – wesentlich zum lebendigen Gesamteindruck bei.
Stil, Datierung
Das baugeschichtlich um 1175/80 zu datierende und bis 1850 in situ verbliebene Fenster ist für den deutschen Sprachraum von singulärer Bedeutung, da es sich um das einzige, weitgehend intakt erhaltene Flechtbandfenster handelt, das noch im 12. Jahrhundert entstanden ist. Neben den ebenfalls im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts entstandenen Fenstern in Obazine zählt es damit zu den ältesten zisterziensischen Ornamentfenstern überhaupt.
Bibliographie
Lotz, 1880, S. 89, 496 (erwähnt das Flechtbandfenster »mit interessanten Bleiverschlingungen« im Museum Wiesbaden sowie »Reste von Buntglas romanischen Übergangs« im Abtsbau des Klosters); Cohausen, 1888, S. 300, Nr. 101 (einfarbiges Flechtornament aus Kloster Eberbach); Luthmer, 1902, S. 171, Fig. 160 (erwähnt den Rest eines Zisterzienserfensters im Museum zu Wiesbaden); Oidtmann, 1912, S. 129, Abb. 191 (Erwähnung des Eberbacher Ornamentfensters im Zusammenhang mit Marienstatt und Arnstein); Hans Wentzel, Die Glasmalerei der Zisterzienser in Deutschland, in: Die Klosterbaukunst. Arbeitsbericht der Deutsch-Französischen Kunsthistoriker-Tagung 1951 (Bulletin des relations artistiques France-Allemagne numéro special, Mainz 1951 [ohne Paginierung]); Wentzel, Meisterwerke, 21954, S. 14, 105, Textabb. 2 (bewertet die Flechtbandfenster in Eberbach, Marienstatt und Heiligenkreuz als Widerspiegelungen von Frühformen abendländischer Glasmalerei; das Eberbacher Fenster im Muster zuverlässig erhalten); Schenk von Schweinsberg, 1957, S. 40, Abb. 22 (frühestes, vollständig erhaltenes Beispiel eines zisterziensischen Ornamentfensters); Hanno Hahn, Die frühe Kirchenbaukunst der Zisterzienser. Untersuchungen zur Baugeschichte von Kloster Eberbach im Rheingau und ihren europäischen Analogien im 12. Jahrhundert, Berlin 1957, S. 38 (qualitätsvolle alte Fensterverglasung des 12. Jh. und der Rest einer zweiten in Wiesbaden erhalten); Eva Frodl-Kraft, Das »Flechtwerk« der frühen Zisterzienserfenster, Versuch einer Ableitung, in: Wiener Jb. für Kunstgeschichte 20, 1965, S. 8, 10-14, Abb. 2 (bildet mit Obazine die noch ins 12. Jh. zu datierende ältere Gruppe der abstrakten Flechtwerkfenster mit breiten Bordüren; schematische Auflösung des Musters); Helen Jackson Zakin, French Cistercian Grisaille Glass, New York/London 1979, S. 173, Taf. 164 (französischen Vorbildern folgendes, frühestes unbemaltes Grisaillefenster im deutschen Sprachraum); Lymant, in: Kat. Ausst. Die Zisterzienser, Aachen 1980, S. 346, Kat. Nr. F 8, Farbtaf. 12 (vertritt zusammen mit Obazine die altertümlichste Stufe zisterziensischer Glasmalerei); Kat. Ausst. Saint Bernard et le monde cistercien, Paris 1992, Abb. auf S. 134; Hartmut Scholz, in: Die Klosterkirche Marienstatt (Forschungsberichte zur Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz 4), Worms 1999, S. 90, Abb. 12 (mit Obazine zur älteren Gruppe der Flechtbandfenster zählend).
Bildnachweis
CVMA A 10544-10546, Großdia A 99/46
Nachweise
Fußnoten
- Vgl. Hahn (s. Bibl.), 1957, S. 39, 41, sowie Herchenröder, 1965, Fig. 9f.; die abweichenden Maßangaben konnten mangels genauer Bauaufrisse leider nicht überprüft werden. ↑
- Aus diesem Grunde konnten die Scheiben auch nicht genauer untersucht werden. Da dem Corpus Vitrearum trotz wiederholter Nachfrage keine Einsicht in die Restaurierungsprotokolle des Landesamtes für Denkmalpflege, Wiesbaden, gewährt wurde, ließen sich diese Vermutungen nicht präzisieren. Die drei Felder waren 1995 in der dortigen Glasmalerei-Werkstatt für ihre heutige Aufstellung präpariert worden. ↑
- Vgl. zusammenfassend zuletzt Hartmut Scholz (s. Bibl.), 1999, S. 86. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet / Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 2), Berlin 1999, 82 ff. [= o. A.. Flechtwerkfenster des 12. Jahrhunderts]
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Siehe auch
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Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Flechtwerkfenster des 12. Jahrhunderts (Eberbach, Klosterkirche)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/204-1-01-01_flechtwerkfenster-des-12-jahrhunderts-eberbach-klosterkirche> (aufgerufen am 25.11.2025)
Kurzform der URL für Druckwerke
https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/204-1-01-01
![Flechtwerkfenster des 12. Jahrhunderts: ES [= Erhaltungsschema] Abteimuseum Nr. 1-3 Flechtwerkfenster des 12. Jahrhunderts: ES [= Erhaltungsschema] Abteimuseum Nr. 1-3](https://www.lagis-hessen.de/img/cvmahessen/s1/204-1-01-01_40.jpg)