Fragment einer Stifterscheibe (Büdingen, Schloss)

Fragment einer Stifterscheibe (Nr. 3). Ehemals Ersheim, Friedhofskirche. Heidelberg(?), um 1517.
Katalog
Von Daniel Hess
Abmessungen
Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Da die Rechteckscheibe schmaler als die Fensterlanzetten der Schloßkapelle ist und sich auch baugeschichtlich dort nicht unterbringen läßt, kann die Scheibe erst später an ihren heutigen Standort gelangt sein4. Auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer aus Ersheim stammenden Gruppe von Glasgemälden im Hessischen Landesmuseum Darmstadt dürfte sie über den Darmstädter Galeriedirektor Rudolf Hofmann nach Büdingen gekommen sein: Hofmann gehörte nicht nur zum historisch interessierten und kunstsinnigen Freundeskreis des Fürsten Ernst Casimir IV. von Ysenburg, sondern hatte für diesen 1846/52 auch einen Zyklus historistischer Wandmalereien im Schloß Büdingen ausgeführt. Neben anderen angekauften Werken spätgotischer Kunst kam die Scheibe demnach um die Mitte des 19. Jh. in die damals in ihren ursprünglichen Zustand zurückgeführte und teilweise neu ausgestattete Schloßkapelle5.
Erhaltung
Die Rechteckscheibe ist aus verschiedenen Fragmenten zusammengesetzt, Lücken sind mit unbemalten Farbgläsern geschlossen. Originale Bemalung stark berieben.
Ikonographie, Komposition
Analog zu den Ersheimer Stifterscheiben in Darmstadt und München ist der Stifter betend und kniend dargestellt. Da die zugehörigen Wappenschilde nach Ausweis der Münchner Scheiben in Dreiviertelprofil gezeigt waren, könnte der frontale Kolbenhelm zusammen mit dem Hirschhorn-Wappen in der Hirschhorner Karmeliterkirche (Fenster nord V) ursprünglich aus dem Sommerrefektorium des Karmeliterklosters stammen. Wie die beiden Hirschhorner Scheiben besteht das Feld aus verschiedenen, zum Teil seitenverkehrt eingesetzten Fragmenten, die im 19. Jh. in Darmstadt aus Ersheimer und Hirschhorner Reststücken neu arrangiert worden sind.
Farbigkeit
Stifter mit hell rosabraunem Inkarnat in lichter graublauer Rüstung mit silbergelben Ziergliedern. Die Umgebung setzt sich aus Resten eines blauen Damastgrundes und Fragmenten eines pergamentfarbenen Schriftbandes, eines violetten Gewands und einer nicht zugehörigen(?) Grisaillelandschaft zusammen, die von grauen, kannelierten Säulen mit braunen Basen und rosa Kapitellen gerahmt werden. Unterhalb der Figur befinden sich Reste eines Wappens mit gelb/roter Helmdecke und einem mit Silbergelb verzierten graublauen Kolbenhelm.
Stil, Datierung
Die Stifterfigur ist nahezu eine Zweitfassung der in Darmstadt verwahrten Ersheimer Stifterscheibe mit Philipp oder Engelhard von Hirschhorn; die Zugehörigkeit zum Ersheimer Bestand belegen neben Maltechnik und Figurenmaßen auch die übereinstimmenden Damastmuster. Die bislang unbekannte Stifterscheibe erweitert damit den über das Landesmuseum Darmstadt, die Münchner Residenz und die Karmeliterkirche Hirschhorn verstreuten Glasgemäldebestand, der aus der Ersheimer Kapelle in Hirschhorn stammt6. Die Scheibe zeigt wohl einen der drei Brüder aus der Familie der Herren von Hirschhorn, die den Chor der Ersheimer Kapelle gestiftet hatten. Zwischen 1790 und 1816 waren die Glasgemälde dort ausgebaut und nach Darmstadt verbracht worden, wohin kurze Zeit zuvor auch die Reste der von derselben Familie etwa gleichzeitig gestifteten Verglasung aus dem Karmeliterkloster Hirschhorn gelangt waren7. Die nurmehr fragmentarisch erhaltenen Glasgemälde wurden in Darmstadt offenbar zu neuen Feldern zusammengesetzt, wobei die Bestände in den Sammelscheiben vereinzelt durcheinander gerieten8. Im Zusammenhang mit den baugeschichtlich um 1517 anzusetzenden Ersheimer Glasgemälden ist auf Hans Baldung Grien und die Freiburger Ropstein-Werkstatt hingewiesen worden, während Becksmann den Bestand mit der Heidelberger Werkstatt Hans Kambergers in Verbindung brachte9.
Bildnachweis
CVMA A 12234
Nachweise
Fußnoten
- In den Büdinger Archivalien fanden sich bislang keine Angaben zu Glasgemälden; freundlicher Hinweis von Dr. Klaus Peter Decker, Fürstliches Archiv Büdingen, dem ich für seine Bemühungen herzlich danke. ↑
- Zu den historischen Interessen und den Umgestaltungen des Schlosses unter Fürst Ernst Casimir vgl. Klaus-Peter Decker/G. Ulrich Grossmann, Schloss Büdingen (Burgen, Schlösser und Wehrbauten in Mitteleuropa 2), Regensburg 1999, S. 14-16. ↑
- Vgl. Beeh-Lustenberger, 1973, S. 214-219, sowie Fischer, 1914, S. 139f., Taf. 68-70. ↑
- Vgl. Diehl, Hassia sacra 8, 1935, S. 848, sowie Beeh-Lustenberger, 1973, S. 218. ↑
- Die seit 1910 in der Karmeliterkirche in Fenster nord V und VI eingesetzten, aus verschiedenen Fragmenten zusammengestückten Wappenscheiben gehören zum größten Teil ebenfalls zum Ersheimer Bestand; einzelne Bestandteile wie die Stifterinschrift stammen jedoch aus der etwa gleichzeitig erneuerten Verglasung des Sommerrefektoriums im Karmeliterkloster Hirschhorn, welches von den Eltern der drei Ersheimer Stifter instandgesetzt worden war. ↑
- Vgl. Becksmann, CVMA Deutschland I, 2, 1986, S. LVIII. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet / Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 2), Berlin 1999, 77 [= 3. Fragment einer Stifterscheibe]
Indizes
Siehe auch
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Nachnutzung
Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Fragment einer Stifterscheibe (Büdingen, Schloss)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/203-1-03-01_fragment-einer-stifterscheibe-buedingen-schloss> (aufgerufen am 26.11.2025)
Kurzform der URL für Druckwerke
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