Standesscheibe von Zug (Worms, Museum Heylshof)

 
Datierung
um 1511
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Katalog

Von Uwe Gast

Abmessungen

Schweiz, um 1511.
H. 45 cm, B. 35,5 cm. – Swarzenski 1927, Nr. 198.
1891 aus der Slg. Vincent, Konstanz, erworben; der ursprüngliche Standort ist nicht überliefert. Die von Franz Wyss vorgetragenen Argumente für eine Herkunft der Scheibe aus Hedingen (Kt. Zürich) sind nicht zwingend (s. Zur Frage des ursprünglichen Standorts).
[Zur Frage des ursprünglichen Standorts] Die von Franz Wyss 1968 vorgeschlagene Herkunft der Scheibe und ihres – 1511 datierten – Pendants in Zürich58 aus der Kirche zu Hedingen (Kt. Zürich) beruht auf einem bloßen Analogieschluss. Im Jahr 1511 wurden dem Zürcher Glasmaler Heinrich Thyg xx lib xv ß […] vmb j fenster gen Hedingen jn die Kilchen gezahlt59. Reste der Glasmalereien dieser Kirche, die im frühen 16. Jh. als Saalraum mit eingezogenem Chor mit 3/8-Schluss erbaut wurde60, waren in der Zeit um 1800 noch vorhanden und wurden nach J. Rudolf Rahn von Kirchenrat Vögelin wie folgt beschrieben: »In einem Seitenfenster des Chores, erstes Feld: zwei Zugerschilde, über welchen das Reichswappen; neben ihm steht zu jeder Seite ein Engel mit einem Panner, worauf ebenfalls das Wappen von Zug. Unten die Jahreszahl 1511. Zweites Feld: dieselben Zugerschilde, nur sind hier statt der Engel zwei Löwen als Schildhalter angebracht. Unten ebenfalls die Jahreszahl 1511«61, etc. Da nun diese Hedinger Standesscheiben je zwei Zuger Schilde zeigten, auf denen in pyramidaler Anordnung die Schilde mit dem Reichswappen standen, und sie außerdem am unteren Rand datiert waren, können sie nicht, wie Wyss indessen vermutet hat, mit den beiden zwar auch 1511 datierten, dafür aber kompositorisch abweichend gestalteten Scheiben in Worms und Zürich identisch gewesen sein. Deren ursprünglicher Standort ist nach wie vor unbekannt.

Inschriften

Im Gewand des rechts stehenden Engels sind folgende, nicht zu deutende Buchstabenfolgen in frühhumanistischer Kapitalis zu lesen: RMS MFRM (links) und AHORVSIMEN (auf dem Ärmel rechts). Im Zwickelfeld links ist im Auflicht die Sammlungs- oder Lotnummer 623 zu erkennen. Die Inschrift »1511« im Scheitelfeld des Astwerkrahmens muss ursprünglich einmal vorhanden gewesen sein, ist aber eine moderne, nach 1927 zu datierende Ergänzung<fn>62#Swarzenski 1927, Taf. LXIII; Schneider (1970), I, Abb. zu Nr. 130.</fn>.

Erhaltung

Die Scheibe weist größtenteils originale Glassubstanz auf; als Ergänzungen sind lediglich die rahmenden Astwerksäulchen und das Stück mit der Jahreszahl »1511« zu bestimmen, das später hinzugefügt wurde (s.o.). In den originalen Stücken einige wenige Sprünge. Lackartiger Überzug. Verbleiung wohl 19. Jh.

Ikonografie, Komposition

Innerhalb eines rundbogig schließenden Astwerkrahmens stehen zwei Engel, die in ihrer Mitte das gekrönte Wappen der Stadt Zug – in Silber ein blauer Balken – präsentieren; der linke Engel hält ein Banner mit dem Reichswappen, der rechte Engel ein Banner des Standes Zug mit einer Pietà im Eckquartier, wie sie das Wappen aufgrund eines 1509 verliehenen Privilegs Papst Julius’ II. bereichern durfte63; in den Zwickelfeldern oben links und rechts stehen zwei Hellebardiere. Zusammen mit ihrem Pendant in Zürich, das anstelle der Engel Löwen als Wappenhalter zeigt, war die Scheibe in ein zweibahniges Fenster eingebaut.

Ornament, Farbigkeit, Technik

Wappenschild und Banner von Ort und Stand Zug sind reich damasziert; die Engel tragen ebenso reich gemusterte Diakonsgewänder, wobei die Dalmatik des rechten Engels mit zwei runden, goldenen Löwenhäuptern an den Schultern besetzt ist64; graublauer Hintergrund, dessen Muster in identischer oder zumindest ähnlicher Gestaltung in jener Glasgemälde-Gruppe wiederkehrt, die erstmals von Hermann Schmitz für den Zürcher Glasmaler Ulrich von Bergarten bzw. Ulrich Ban d.Ä. reklamiert worden ist (s.u.). Der etwas fahle graublaue Grund setzt sich von dem leuchtenden, bräunlich abgedeckten Weiß und dem intensiven Blau im Zuger Wappen ab; insgesamt bestimmen jedoch warme Rot-, Gelb-, Violett- und Brauntöne die farblich geschlossene Grundstimmung. Letztere wird in nicht geringem Maß mit malerischen Mitteln erzielt, und zwar durch die Verwendung einer bräunlichen Lotfarbe bei gleichzeitigem Einsatz von viel Silbergelb und etwas Eisenrot. Im Rotüberfang der Gewänder der Engel rückseitiger Ausschliff.

Stil, Datierung

Die Scheibe ist in allen Teilen – sei es die rahmende Astwerkarkade oder das Wappen mit Krone, seien es die Banner tragenden Engel – routiniert und mit viel Gespür für eine effektvolle technische Ausführung gestaltet. Diverse Malfarben kamen dabei ebenso zum Einsatz wie die Negativtechniken des Wischens, Stupfens und Radierens. In hell gestalteten Partien wie der Krone und den weich modellierten Köpfen der Engel zeichnet sie sich durch eine eminent malerische Wirkung aus. Von Hermann Schmitz ist die Scheibe mit ihrem Zürcher Pendant dem Glasmaler Ulrich von Bergarten alias Ulrich Ban d.Ä. zugeschrieben worden – eine bloße Spekulation, da für den Vater des berühmteren Ulrich Ban d.J. kein einziges Werk gesichert ist65. Gleichwohl hat sie in der von Schmitz zusammengestellten Gruppe enge Verwandte, so in einigen der Standesscheiben aus dem Rathaus der Landschaft March in Lachen (Kt. Schwyz), die im Jahr 1507 gearbeitet worden sind: namentlich der Standesscheibe von Schwyz und der Scheiben der Äbte von Einsiedeln und Rüti66. Nicht weniger spekulativ ist die Zuschreibung von Franz Wyss an Heinrich Thyg.

Bibliografie

J. Rudolf Rahn, in: AK Zürich 1883, S. 52, Nr. 50 (Beschreibung); Rahn 1890, S. 11, Nr. 26 (Beschreibung mit Angaben zur Erhaltung); Auktionskat. Köln, Slg. Vincent, 1891, S. 3, Nr. 23 mit Abb. (wie Rahn 1890); Schmitz 1913, I, S. 180, Abb. 307 (nennt als Standort irrtümlich das »Züricher Landesmuseum«; schreibt die Scheibe dem Zürcher Glasmaler Ulrich von Bergarten alias Ulrich Ban d.Ä. zu); Lehmann 1926, S. 23, Anm. 61 (Zuschreibung an Ulrich von Bergarten); Swarzenski 1927, S. 51, Nr. 198, Taf. LXIII (Beschreibung; »Zürich. Um 1510«); Lehmann (1941), S. 93, 94 (wie Lehmann 1926); Wyss 1968, S. 24, Abb. 2 (Zuschreibung an den Zürcher Glasmaler Heini Thyg; Lokalisierung in die Kirche zu Hedingen, Kt. Zürich); Bergmann 2004, S. 37, 42, 66, 170, Abb. 24 (folgt Wyss 1968).

Bildnachweis

CVMA RT 13351, Großdia RT 05/164

Nachweise

Fußnoten

  1. Zürich, Schweizerisches Landesmuseum, Inv. Nr. IN 67/2; Schneider (1970), I, S. 59, Nr. 130 mit Abb.
  2. Lehmann 1926, S. 27, Anm. 75 (Zürich, Staatsarchiv des Kt. Zürich, Best. A 45.2, Seckelamt 1502–1639, hier Rechnungen zu 1511).
  3. Hermann Fietz, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, I: Die Bezirke Affoltern und Andelfingen, Basel 1938, S. 32.
  4. Zitiert nach: J. Rudolf Rahn, Die Glasgemälde von Maschwanden in der Wasserkirche zu Zürich (Neujahrsblatt … der Stadtbibliothek in Zürich auf das Jahr 1877), Zürich 1877, S. 1–10, hier S. 8f., Anm. 8 (das Zitat S. 9). Vgl. auch Fietz 1938 (wie Anm. 60), S. 34. – Wyss 1968, S. 24, weist auf eine – weitere? – Beschreibung des Dichters Johann Martin Usteri von 1797 hin.
  5. Zur Entwicklung des Wappens s. Bergmann 2004, S. 42.
  6. Vgl. die Tafel mit der Messe des Hl. Gregor von Hans Baldung Grien, um 1511, in Cleveland, The Cleveland Museum of Art, Inv. Nr. 3/27/52; Osten 1983, S. 70–74, Nr. 13, Taf. 37, 39 (Detail).
  7. Schmitz 1913, I, S. 179–181. Zu Ulrich Ban d.Ä. s. zuletzt AKL, VI, 1992, S. 550.
  8. Zürich, Schweizerisches Landesmuseum, Inv. Nr. Dep. 24, 37 und 38; Schneider (1970), I, S. 53f., 57, 58, Nr. 107, 123, 127. Auch die gleichfalls in Zürich aufbewahrte Scheibe des Freiherrn Ulrich VIII. von Hohensax, Inv. Nr. Dep. 46, ist zu nennen; ebd. S. 58f., Nr. 128. Vgl. Albert Jörger, Die Standesscheiben von 1507 aus dem Rathaus der Landschaft March in Lachen, Kanton Schwyz, in: Zs. f. Schweiz. Archäologie und Kunstgeschichte 37, 1980, S. 1–18 mit farbiger Abb. 1, und ders., Die Kunstdenkmäler des Kantons Schwyz, Neue Ausgabe III: Der Bezirk March, Basel 1989, S. 217–226, bes. 224–226.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011, 463 f. [= 11. Standesscheibe von Zug]

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Standesscheibe von Zug (Worms, Museum Heylshof)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/136-2-09-01_standesscheibe-von-zug-worms-museum-heylshof> (aufgerufen am 27.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/136-2-09-01

Standesscheibe von Zug: ES [= Erhaltungsschema] Worms Heylshof Nr. 11Engelskopf (Ausschnitt)Bannerträger (Ausschnitt)Bannerträger (Ausschnitt)