Erschießung von Antifaschisten am Kornsand bei Geinsheim

 

Ereignis

Was geschah

Vor den aus Richtung Bad Kreuznach und Bingen vordringenden US-Truppen bringen sich seit Mitte März versprengte Wehrmachtseinheiten und führende Nationalsozialisten mit ihren Familienangehörigen über die Fährstelle zwischen Nierstein und Kornsand in Sicherheit. Um auf dem rechten Rheinufer eine neue Verteidigungsstellung aufzubauen, wird am 17. März von den führenden Niersteiner Nationalsozialisten beschlossen, ein „Arbeitskommando“ aus früheren politischen Gegnern, Antifaschisten und Reichsbannerleuten für Schanzarbeiten zusammenzustellen. Am 18. März werden von „Politischen Staffeln“ sechs Niersteiner, fünf Männer und eine ältere Frau, verhaftet und über den Rhein gebracht. Dort werden sie zunächst zur Kreisleitung der NSDAP in Groß-Gerau, zur dortigen Polizeiwache und dann zur Gestapo nach Darmstadt geschickt, wo man sie am Morgen des 21. März freilässt.
In der Zwischenzeit ist vom deutschen Kampfkommandanten der Befehl ergangen, den Brückenkopf Oppenheim zu räumen und die Reste der deutschen Truppenteile in neue Stellungen auf der rechten Rheinseite zu bringen. Von hier aus lässt der ehemalige Leiter des Reichsschulungslagers der NSDAP in Oppenheim, Alfred Schniering, der sich zum „stellvertretenden Gauleiter“ aufschwingt, das gegenüberliegende Nierstein beschießen, wo inzwischen von der Bevölkerung weiße Fahnen gehisst worden sind.
Die sechs freigelassenen Antifaschisten, die inzwischen wieder an der Fährstelle Kornsand angekommen sind, werden bei dem Versuch, mit der Fähre oder mit einem Nachen nach Nierstein zurückzukommen, von den dort anwesenden Nationalsozialisten unter Führung Schnierings aufgehalten und „verhaftet“. Während es einem von ihnen noch gelingt, unbemerkt zu entkommen, werden Cerry (geb. 1891) und Johann Eller (geb. 1888), Jakob Schuch (geb. 1888), Georg Eberhardt (geb. 1886), Nikolaus Lerch (geb. 1891) und der kurz zuvor aufgegriffene, unbeteiligte Volkssturmmann Rudolf Gruber, zu einer Flakstellung in der Nähe des Kornsands gebracht. Nachdem sich mehrere Soldaten der Flakeinheit und auch alle Volkssturmangehörige geweigert haben, die Gefangenen zu erschießen, erklärt sich ein 18-jähriger Leutnant der Wehrmacht zur Exekution bereit. Er richtet die sechs Menschen, die vor ihren ausgehobenen Gräbern stehen müssen, mit seiner Dienstwaffe auf grausame Art und Weise durch Genickschuss hin.
Die Erste Strafkammer des Landgerichts Mainz, die vom 19. bis 24. September 1949 im Oppenheimer Amtsgericht tagt, spricht den beteiligten NSDAP-Ortsgruppenleiter Georg Ludwig Bittel trotz erheblichen Tatverdachts mangels Beweises frei, weil ihm eine persönliche Tatbeteiligung nicht sicher nachgewiesen werden könne. Der befehlgebende Nationalsozialist Alfred Schniering wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Strafe wird später in eine 15-jährige, nur teilweise verbüßte Zuchthausstrafe umgewandelt. Der Mordschütze Hans Kaiser wird aufgrund seines jugendlichen Alters und der durch Schule und Hitlerjugend geprägten Erziehung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, wovon ihm später mehrere Jahre erlassen werden. Ende 1950 wird auch der vierte Tatbeteiligte, der NS-Offizier Heinrich Funk, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er nur eineinhalb Jahre verbüßt.
Zur Erinnerung an die Opfer dieser Gewalttat wird 1954 in der Nähe des Tatorts ein Gedenkstein enthüllt.
(OV)

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Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Erschießung von Antifaschisten am Kornsand bei Geinsheim, 21. März 1945“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/886_erschiessung-von-antifaschisten-am-kornsand-bei-geinsheim> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/edbx/886

Die Gedenktafel für die ermordeten Antifaschisten am Kornsand, 2011Das Gasthaus am Kornsand bei Geinsheim, 2011Vier der sechs Opfer der Kornsand-Morde: Jakob Schuch, Rudolf Gruber, Johann Eller und Cerry EllerDrei der vier Täter (von links nach rechts): Alfred Schniering, Georg Ludwig Bittel, Heinrich FunkSkizze des Umgebung des Tatorts der Kornsand-Morde, von Raimund Darmstadt