Bildung der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau
Datum
12. September 1933 Bezugsort(e)
ohne Bezugsort in Hessen Epoche
Zeit des Nationalsozialismus Themenbereich
Kirche und ReligionEreignis
Was geschah
Zusammenschluss unter den Leitgedanken von „Einheit“ und „Führung“
Getrennt tagende Synoden der „Evangelische Landeskirche in Hessen“ (Hessen-Darmstadt), der Evangelischen Landeskirche in Nassau und der Evangelischen Landeskirche Frankfurt am Main beschließen ihren Zusammenschluss zur „Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen“ (ELKNH). Zugleich beschließen die Synoden das Inkrafttreten einer gemeinsamen Verfassung, die von August Jäger (1887–1949), amtierender Ministerialdirektor im Preußischen Kultusministerium und dort Leiter der Kirchenabteilung, konzipiert wurde und stark vom politischen Konzept des „Führerprinzips“ geprägt ist.1 Bereits seit 1926 hatten die drei bislang selbstständigen Landeskirchen im Rahmen der sogenannten Marburger Konferenz gemeinsam mit der Evangelischen Landeskirche in Hessen-Kassel und der Evangelischen Landeskirche in Waldeck einen Zusammenschluss zu einer „Großhessischen Evangelischen Kirche“ diskutiert. Aus diesen Beratungen ging 1932 ein konkreter Plan zur Zusammenführung aller fünf Landeskirchen hervor, der jedoch aufgrund der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht verwirklicht wurde.Rigorose „Gleichschaltung“
Der Zusammenschluss der drei Landeskirchen bildete den Auftakt und die organisatorische und rechtliche Grundlage für die rigorose „Gleichschaltung“ des Großteils der evangelischen Kirchen in Hessen. Der auf der Landessynode am 28. November 1933 zur Berufung in das Amt des Landesbischofs vorgeschlagene Pfarrer der Wiesbadener Marktkirche Ernst Ludwig Dietrich (Anhänger der 1932 als eigene Kirchenpartei gegründeten völkischen „Deutschen Christen“)2 Die Bevollmächtigten der „Evangelischen Landeskirche in Hessen“ und der Evangelischen Landeskirche in Nassau teilen diese 30 Sitze schließlich wie folgt auf: 16 für die „Landeskirche in Hessen“, neun für die Landeskirche in Nassau und fünf für die Landeskirche Frankfurt.3 entfernte unmittelbar nach seiner Einsetzung am 8. Februar 1934 alle unerwünschten Persönlichkeiten aus der Führungsspitze der ELKNH. Die bisherigen Gliederungsstrukturen der vormalig selbständigen Landeskirchen (in Hessen-Darmstadt parallel zur politischen Provinzialgliederung drei Superintendenten und darunter Dekane, in Nassau nur Dekane und in Frankfurt nur Kirchengemeinden) wurden zugunsten einer einheitlichen, nach dem „Führerprinzip“ gestalteten Gliederung beseitigt (für das gesamte Gebiet der ELKNH fünf Propsteien, gegliedert in Dekanate). Mit Verabschiedung des Kirchengesetzes „über die Dienstverhältnisse der geistlichen und Kirchenbeamten“ vom 10. Februar 1934 übernimmt die ELKNH den kirchlichen „Arierparagraphen“ zum Ausschluss von „Christen jüdischer Herkunft“ aus Kirchenämtern. Das Gesetz etabliert darüber hinaus weitgehende Machtbefugnisse des Landesbischofs: Geistliche können fortan „im Interesse des Dienstes durch den Landesbischof aus dem von ihnen bekleideten Pfarramt in ein anderes Pfarramt versetzt“ werden. Weiterhin bestimmt das Gesetz, dass gegen eine solche Entscheidung kein Einspruch erhoben werden kann. Weitere Kirchengesetze der ELKNH, die im Februar und März 1934 zur Verabschiedung kommen,4 werden in den Pfarreien der Landeskirche Nassau-Hessen als Schikane und Auslieferung an die kirchenpolitische Willkür des Landesbischofs betrachtet.5(KU)
Bezugsrahmen
Indizes
Personen
Sachbegriffe
Nachweise
Fußnoten
- Jäger verstand die von ihm entworfene Verfassung als Musterbeispiel für alle Landeskirchen. Sein Entwurf beinhaltet als zentralen Leitgedanken des verfassungsgemäßen Aufbaus der Landeskirchen die Begriffe „Einheit“ und „Führung“. Diese konzeptionelle Anlehnung an das NS-„Führerprinzip“ wird zur Grundlage der autoritären Führungsstils des im Februar 1934 berufenen Landesbischofs Ernst Ludwig Dietrich (1897–1974), an dem sich vehementer Widerstand entzündete („Kirchenkampf“), der bereits ab 1935 zur faktischen Entmachtung Dietrichs führte. ↑
- Die erste gemeinsame Synode der neu geschaffenen „Evangelische Landeskirche in Nassau-Hessen“ findet am 28. November 1933 in Mainz statt. Gemäß den Bestimmungen der am 12. September in Kraft gesetzten landeskirchlichen Verfassung, soll diese Synode aus 30 Mitgliedern bestehen, „von denen zwei Drittel Laien sein müssen. Die eine Hälfte der Mitglieder wird aus den Gemeinden entsandt. Die andere Hälfte beruft die Evangelische Landeskirche Nassau-Hessen aus Persönlichkeiten, die sich im kirchlichen Dienst hervorragend bewährt haben.“ (Art. 7, 1). Zitiert nach Karl Dienst, Politik und Religionskultur in Hessen und Nassau, S. 143 f. ↑
- Vgl. ebd., S. 144. ↑
- Kirchengesetz „über die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand und Beurlaubung kirchlicher Amtsträger“ vom 10. Februar und „über die Dienstvergehen der Geistlichen und Kirchenbeamten“ vom 22. März. ↑
- Karl Dienst, Kirche-Schule-Religionsunterricht, S. 122. ↑
Literatur
- Dienst, Politik und Religionskultur in Hessen und Nassau zwischen „Staatsumbruch“ (1918) und „nationaler Revolution“ (1933). Ursachen und Folgen, Frankfurt am Main u. a. 2010
- Dienst, Kirche – Schule – Religionsunterricht. Untersuchung im Anschluss an die Kirchenkampfdokumentation der EKHN, Berlin u. a. 2009
Kalender
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„Bildung der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, 12. September 1933“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/724_bildung-der-evangelischen-kirche-hessen-nassau_bildung-der-evangelischen-kirche-hessen-nassau_bildung-der-evangelischen-kirche-hessen-nassau> (aufgerufen am 26.11.2025)
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