Bericht über die Lage in Frankfurt

Die Gewerkschafterin Anna Beyer (1909–1991) berichtet dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund kurz nach dem Kriegsende über die Zustände in Frankfurt am Main: Für mich ist das Warten nun zu Ende. Nach einer langen Reise bin ich dort hingekommen, wo ich hinwollte. Manches habe ich so wieder vorgefunden, wie es vor acht Jahren war.¹ Doch der Gesamteindruck ist sehr traurig, was Menschen und Verhältnisse angeht. Viele haben alles verloren, was sie hatten. Viele Freunde sind irgendwo, man hat keine Ahnung wo, und weiß auch nicht, wie es ihnen geht. Alle Verbindungen sind unterbrochen. Langsam, sehr langsam wird der Neuaufbau vorangehen. Später mehr davon. Heute sind die Eindrücke noch zu frisch, und es sind so viele, daß ich erst einmal daran gehen muß, sie ein wenig zu ordnen. [...]
Sonst geht es mir soweit gut. Wieder ganz von vorne anzufangen, ist nicht ganz leicht, besonders dann nicht, wenn die Menschen, von denen man weiß, man kann zusammenarbeiten, sich gegenseitig helfen und ergänzen, weit weg sind. So habe ich die doppelte Aufgabe, mich auf die neue Arbeit und die neuen Menschen zu konzentrieren, die daran beteiligt sind. Bis jetzt bin ich noch guten Mutes, daß ich es schaffen werde.
(LV)

1. Beyer stammte aus Frankfurt und war 1937 zunächst nach Frankreich und von dort aus nach England emigriert. ↑

• Rüther/Schütz/Dann, Deutschland im ersten Nachkriegsjahr. Berichte von Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) aus dem besetzten Deutschland 1945/46, München 1998, S. 374

Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0

„Bericht über die Lage in Frankfurt, 12. Juni 1945“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/5630_bericht-ueber-die-lage-in-frankfurt_bericht-ueber-die-lage-in-frankfurt_bericht-ueber-die-lage-in-frankfurt> (aufgerufen am 28.11.2025)

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