Schaafheim

Bearbeitet von Daniel Ristau und Cornelia Berger-Dittscheid  
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KDR 100, TK25 1900 ff.
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Basisdaten

Juden belegt seit

1517

Lage

64850 Schaafheim, Spitzengasse 3

Rabbinat

Darmstadt II

erhalten

nein

Jahr des Verlusts

1953

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Synagogen-Gedenkbuch Hessen

Geschichte

Anm.: Diesem Beitrag liegen Passagen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Georgenhausen im Artikel Schaafheim des „Synagogengedenkbuchs Hessen“ zugrunde.1

Obwohl sich bereits seit dem 14. Jahrhundert geschäftliche Beziehungen auswärtiger Juden mit Schaafheimer Einwohnern nachweisen lassen, findet sich erst 1517 im Kirchenbuch ein Jude namens Gers (Gersten) im Ort erwähnt. In der Folgezeit sind Nathan sowie um 1600 Aaron, Salomon und Jonas in Schaafheim nachweisbar. Allerdings wies 1602 Graf Johann Reinhard I. von Hanau-Lichtenberg alle Jüdinnen und Juden aus.2 Dieburger Audienzprotokolle nennen dann erst wieder 1618 einen Isaak aus Schaafheim.3 Offenbar ließen sich erst in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder mehrere Juden im Ort nieder, so etwa der im Geldverleih tätige Jonas, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Schaafheim nachweisbar ist.4 Eine Schatzungsliste von 1708 nennt schließlich Levi, Anser Israel, Mayer und Löw. 1729 lebten sechs jüdische Haushaltsvorstände in Schaafheim: Aaron Levy, Löw, Mayer (Meier), Ephraim, Hirtz und Afhrom.5 In dieser Zeit findet sich die Flurbezeichnung Juden born, die auf einen Weingarten verweist, der offenbar im Besitz eines Juden war.

Zu den Herausforderungen, die mit dem endgültigen Übergang des Ortes an die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt für die in Schaafheim lebenden Juden einhergingen, gehörte ein 1769 für den Handel in der aus 16 Orten bestehenden Gemeinschaft Umstadt eingeführtes Taschengeleit an die kurpfälzische Regierung in Mannheim.6 Zudem sahen sie sich lokal auch Anfeindungen ausgesetzt, etwa, als es zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf das Schutzgesuch des Bonum Seligmann (Lehmann) für sich, seinen Bruder Ephraim Seligmann (Lehmann) und seine verwitwete Mutter Esther hieß, dass doch bekannt sei, „wie lästig die Juden einem und bes[onders] hies[igem] Orte sind, da sie es durch ihre beständige Mackeleyen, dahin zu bringen wissen, daß kein Bürger seine Frucht verkaufen kann, sie haben dann ihren Tribut davon und dadurch selbiges gleichsam in contribution sezen […].“7

Bei Fragen, die religiöse und religionsrechtliche Aspekte betrafen, griffen die Schaafheimer Jüdinnen und Juden um 1800 auf auswärtige Autoritäten zurück: Ephraim Seligmann (Lehmann) und Rößchen Abraham ließen sich 1799 in Schaafheim vom Schwager des Bräutigams, dem Alsbacher Vorsänger Simon Abraham, trauen. Die zweite Ehe Seligmanns mit der Schwester seiner verstorbenen Ehefrau, Stella Abraham, vollzog dagegen 1806 in Obernau der Aschaffenburger Rabbiner Hillel Wolf Sondheimer. Weitere Eheschließungen in Schaafheim vollzog der durch den Darmstädter Landrabbiner autorisierte Hergershäuser Vorsänger Gumpert Israel Stern.8

Die Leitung der jüdischen Gemeinde lag um 1800 zunächst in den Händen des Schutzjuden Beer Herz (Oppenheimer). 1831 wurden als Vorsteher Aberham (Abraham) Kassel, Bähr Ostheimer und als erster Vorsitzender Feist Sohlinger gewählt, der die Funktion bereits seit 1819 innehatte und bis 1845 ausübte.9 Der Ellen-, Eisen- und Holzwarenhändler Sohlinger, der zeitweise auch Viehmakler, Branntweinzapfer und Metzger war, verfügte bei seiner Aufnahme als Ortsbürger 1829 nach eigenen Angaben über 4.000 fl. Vermögen.10 Als Vorsteher war er nicht unumstritten, wie Konflikte mit der Familie von Seligmann Lehmann (I) zeigen. 1849 ging Sohlinger in Konkurs, hatte Schaafheim da aber offenbar bereits nach England verlassen. Von dort wanderte er wohl mit seinen Söhnen Isaac und David Sohlinger nach New York aus.11 Ein weiterer Sohn, der Kramwarenhändler Bär (Bernhard) Sohlinger meldete 1853 ebenfalls Konkurs an und emigrierte im Folgejahr mit seiner Familie in die USA.12

Mitte der 1850er-Jahre bildeten Nathan Lehmann, Manasses Fuld und Moses Simon den Vorstand der jüdischen Gemeinde Schaafheim. Vorsteher Moses Kassel musste 1868 wegen einer „Verurtheilung zu Correctionshausstrafe“ aus dem Amt entlassen werden. Da die Zahl der Schaafheimer Jüdinnen und Juden deutlich sank – ihren Höchststand hatte sie 1849 mit 65 Personen erreicht und lag 1871 noch bei 33 – gestaltete sich die Findung geeigneter Kandidaten und Wahlmännern nicht selten schwierig.13

Organisatorisch war die jüdische Gemeinde Schaafheim im 19. Jahrhundert dem Rabbinat in Darmstadt zugeordnet, an das ihre Mitglieder Beiträge zu entrichten hatten. Ende des 19. Jahrhunderts ordnete sich die religiös traditionell orientierte Gemeinde dann dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II zu.14

Im frühen 19. Jahrhundert verfügten die Schutzjuden Lazarus Blum (Blumer), Bär Ostheimer und Feist Sohlinger über Vermögen zwischen 1.500 und 1.900 fl.15 Dagegen hatten es Mitglieder der Familie Lehmann nicht selten schwer, in den Judenschutz nach Schaafheim aufgenommen zu werden. Andere, wie der Makler Hejum Kassel und der Mehlhändler Bär Ostheimer, verarmten. Ihren Lebensunterhalt verdienten die meisten Schaafheimer jüdischen Familien im Vieh- und Landesproduktenhandel.16

Nach einem Höchststand 1849, als 65 Jüdinnen und Juden in Schaafheim lebten, ging ihre Zahl in den Folgejahren stetig zurück. 1880 lebten neben den 1.524 evangelischen und vier katholischen lediglich 32 jüdische Einwohner im Ort, was einem Bevölkerungsanteil von etwa zwei Prozent entsprach. Sie waren in die ländliche Gemeinschaft eingebunden, auch jenseits ihrer beruflichen Tätigkeiten: Als Mitglieder im FC Viktoria Schaafheim 1927, wie Manfred Lehmann, Parzellenbesitzer des Kleingartenvereins, wie Leopold Fuld noch 1933 oder Aktiver im Gesangverein „Eintracht“, wie Moritz Fuld 1894, nahmen sie am Vereinsleben teil und teilten auch den allgemeinen Patriotismus ihrer Zeit. Nathan Lehmann und der Viehhändler Jakob Rothschild nahmen so als Soldaten am Ersten Weltkrieg teil. Rothschild fiel 1918.17 Getrübt wurde das Zusammenleben bereits 1891, als der Landwirt Johann Georg Hauck die Gründung einer Ortsgruppe des antisemitischen Bauernbunds initiierte. Von 1902 bis 1918 saß er für den Bauernbund in der Zweiten Kammer des Landtags, war außerdem von 1910 bis 1919 Bürgermeister Schaafheims. Auch der einzige Vertreter der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung als Nachfolgeorganisation der verbotenen NSDAP kam 1924 aus Schaafheim: Der Landwirt Philipp Hauck baute in den 1920er-Jahren die Schaafheimer NSDAP mit auf und wurde Ortsgruppenleiter.18

Nationalsozialistische Verfolgung und Shoah

Anfang der 1930er-Jahre lebten noch 19 Jüdinnen und Juden in Schaafheim, die sich nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 zunehmend antisemitischer Ausgrenzung und Verfolgung ausgesetzt waren. Der Kaufmann Julius Fuld klagte 1934 über Belästigung von Kundinnen und Kunden, die sein Ellenwarengeschäft in der Schulgasse 1 betraten. Die Familie emigrierte schließlich in die USA.19 Auch andere jüdische Familien gaben ihre Geschäfte und ihren Grundbesitz in Schaafheim auf, zogen in andere Städte oder emigrierten ins Ausland.

Offene Gewalt brach sich auch in Schaafheim im Kontext des Pogroms vom November 1938 Bahn. Aufgeheizt durch Ansprachen des NSDAP-Ortsgruppenleiters Peter Trautmann griff ein Mob am Abend des 10. November die Wohn- und Geschäftshäuser der letzten Schaafheimer jüdischen Familien an. Die Täter schreckten auch vor körperlicher Gewalt nicht zurück. Betroffen waren die Familien von Nathan Lehmann (Wilhelm-Leuschner-Straße 14), die des letzten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Leopold Fuld (Freundlichgasse 4), und von Kallmann Rothschild (Bangertsgasse 3). Wohl schon im Tagesverlauf waren am 10. November 1938 Leopold Fuld und Nathan Lehmann in „Schutzhaft“ genommen worden. Sie wurden zusammen mit Manfred Lehmann ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, wo der 66-jährige Fuld am 4. Dezember 1938 ums Leben kam.20

Nach dem Pogrom verstärkten die verbliebenen jüdischen Familien ihre Bemühungen um Auswanderung und verkauften unter dem Druck der Umstände ihren Grundbesitz.21 Nathan Lehmann und seiner Familie gelang dies nicht. Ab dem 4. September 1941 lebten Nathan, Luise und die 15-jährige Käthe Lehmann in Schlierbach in der Hauptstraße 75 zusammen mit anderen Verfolgten aus der Region. Im März 1942 wurden sie über Darmstadt ins Ghetto Piaski deportiert und wohl im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ ermordet.22 Das Gedenkbuch „Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945“ verzeichnet 13 Namen von in Schaafheim geborenen oder lebenden Jüdinnen und Juden, die infolge der nationalsozialistischen Verfolgung und der Shoah umkamen.23

Statistik

  • 1729 6 Haushaltsvorstände
  • 1772 45 Personen
  • 1783 36 Personen
  • 1790 44 Personen
  • 1795 35 Personen
  • 1797 28 Personen
  • 1829 48 Personen
  • 1831 7 Familien, 2 Witwen, 3 Junggesellen
  • 1834 53 Personen
  • 1839 46 Personen
  • 1849 65 Personen
  • 1861 56 Personen
  • 1867 41 Personen
  • 1871 33 Personen
  • 1875a 34 Personen
  • 1875b 26 Personen
  • 1880 32 Personen
  • 1885 31 Personen
  • 1896 26 Personen
  • 1900 31 Personen
  • 1907 29 Personen
  • 1910 21 Personen
  • 1921 21 Personen
  • 1922 16 Personen
  • 1932 19 Personen
  • 1933 17 Personen
  • 1936 15 Personen
  • 1937 12 Personen
  • 1938 8 Personen
  • 1939 4 Personen
  • 4. September 1941 0 Personen

Quellenangabe Statistik

Ristau/Berger-Dittscheid, 2025, Schaafheim, S. 425.

Betsaal / Synagoge

Betraum im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Kreuzung Katzengasse/Wilhelm-Leuschner-Straße 13

Schon vor 1700 fanden „in einem absonderlichen Hauß“ gelegentlich jüdische Gottesdienste zu Hochzeiten, Beschneidungen, Fest- und Feiertagen statt. 1693 suchten die Schaafheimer Juden um die Genehmigung eines dauerhaften Betraums nach, da es in der näheren Umgebung keine jüdische Betversammlung gäbe. Inwiefern diesem Wunsch entsprochen wurde, geht aus der Akte nicht hervor. Ansonsten besuchten sie zu dieser Zeit wohl die Gottesdienste im benachbarten Ostheim.24

1772 wird ein „Judenschulmeister“ mit Frau und zwei Kindern aktenkundig, doch erst 1786 ist mit der Bezeichnung erstmals ein Name – Joseph Mantel – verbunden. Finanziert wurde seine Stelle durch die örtliche Judenschaft. Spätestens seit dieser Zeit existierte also eine „Judenschul“ in Schaafheim.25

Um 1800 war der Betraum im Haus von Meyer Herz (Oppenheimer) an der Kreuzung der heutigen Katzengasse und Wilhelm-Leuschner-Straße 13 eingerichtet, das sich schon länger im Familienbesitz befand. Vermutlich wurde dies durch ein Reskript des Amts Schaafheim vom 20. Mai 1785 genehmigt oder reguliert. 1824 übernahm Feist Sohlinger das Haus samt Betraum als Testamentserbe von Meyer Herz.26 Dies geschah in einer Phase innerjüdischer Konflikte, die Bürgermeister Nikolaus Arnold zufolge nur dann gelöst werden könnten, „wenn der Bau der neuen Synagoge beginnen und vollendet seyn wird. Dieser Bau wird doch wahrscheinlich von der Art ein großer werden das er hinlänglichen innerlichen Raum erhält, das die gegenwärtige Juden Gemeinde plaz übrig haben wird wo als dann die Ruhe hergestellt werden wird.“27

Die Gemeindesynagoge von 1840, Spitzengasse 3

Tatsächlich hatten die innerjüdischen Streitigkeiten und das Wachstum der Schaafheimer Judenschaft zu Überlegungen zum Bau einer Synagoge und Mikwe geführt. Die Baukosten wurden mit 1.000 bis 1.200 fl. veranschlagt. Ein Gesuch um Überlassung eines geeigneten Bauplatzes wies der Gemeinderat jedoch ab. Er verwies darauf, dass die Kosten die nur aus wenigen Familien bestehende jüdische Gemeinde einerseits stark belasten würden und diese doch mit dem bisherigen Betraum zufrieden gewesen seien. Andererseits verfüge Gemeindevorsteher Feist Sohlinger selbst über Gartenland, das für den Bau genutzt werden könne.28

Tatsächlich kaufte die jüdische Gemeinde 1835 zunächst ein Grundstück „auf dem Graben neben der Gasse nach der Ortsmauer und einem gemeinen Gäßchen“ von Christoph Krautwurst an, hielt aber offenbar nicht daran fest.29 Erst am 29. Oktober 1839 gelangte über Ludwig Dietz im Auftrag der verwitweten Clara Kassel die Hälfte eines größeren, für den geplanten Zweck offenbar besser geeigneten Anwesens (Nr. 24 , heute Spitzengasse 3) für 820 fl. in den Besitz der jüdischen Gemeinde. Die andere Hälfte des Anwesens (Nr. 23) kaufte sie Anfang des Jahres 1840 von Theodor Kreh. Zum Grundstück Nr. 24 gehörte neben einer Wohnhaushälfte, einer halben Scheuer und einem Stall auch ein hofseitig an den Gebäudekomplex angebautes ehemaliges Brauhaus, an dessen Stelle die neue Synagoge errichtet wurde.30

Nach Unterzeichnung der Baupläne durch den Dieburger Bauaufseher Joseph Querner konnten am 16. März 1840 die mit 850 fl. 35 kr. bezifferten Bauleistungen öffentlich versteigert werden.31

Offenbar begann kurz danach der auch durch höhere Umlagen von den Gemeindemitgliedern finanzierte Bau des Gotteshauses, denn schon am 17. Juli 1840 erging die Anweisung an den Polizeidiener, mögliche Störungen bei der Weihe der Synagoge zu unterbinden.32

Das etwa 5,90 m breite und 6,50 m lange Synagogengebäude ragte etwa 1,75 m in die ursprünglich offene Hofeinfahrt.33 Es handelte sich um einen flach gedeckten Emporensaal im Rundbogenstil mit Satteldach. Lediglich die gemauerte Nordostwand des ursprünglichen Brauhauses wurde beim Neubau wiederverwendet, alle anderen Außenwände bestanden aus Ziegelfachwerk. Um die Gebetsrichtung einhalten zu können, war der Raum quer zur Firstrichtung nach Nordosten orientiert. Der Zugang erfolgt von der Nordwestseite aus. Laut Bauplan flankierten zwei geschossübergreifende, etwa 1,25 m breite Rundbogenfenster in der Nordostwand den vor einer Wandnische aufgestellten, hölzernen Toraschrein. Die mit einem großen Rundbogen abgeschlossene Bekrönung rahmte ein farbig verglastes Misrach-Fenster. Die Bima stand mittig im Raum auf einem Podest. Die 38 Männersitzplätze waren an den Wänden entlang teils in zwei Reihen angeordnet und mit zeitgemäßen Subsellien möbliert. Der Zugang zur u-förmig angelegten, hölzernen Frauenempore mit 20 bis 26 Plätzen erfolgte separat über eine gedeckte Außentreppe an der Nordwestseite des Gebäudes. Sie ruhte im Nordwesten auf einer roten Sandsteinsäule mit romanischem Würfel- beziehungsweise Schildkapitell. Über der Emporenbrüstung separierte ein fensterähnlicher Sichtschutz den Frauen- vom Männerbereich der Synagoge.34

Aufgrund der baubedingten Verschuldung sah sich die jüdische Gemeinde schon Anfang 1841 gezwungen, die eine Hälfte des Hauses an der Spitzengasse 3 an den Vorsteher Feist Sohlinger und dessen Frau zu verkaufen. Sie ging bereits im Mai 1841 zusammen mit der anderen Haushälfte an das Ehepaar Friedrich und Magdalena Däschner über, die damit das gesamte Grundstück besaßen, der jüdischen Gemeinde aber ein dauerhaftes Zugangsrecht zu ihrer Synagoge einräumten.35

Ab 1935 verhandelte der Landwirt Friedrich Breitwieser mit Vertretern der jüdischen Gemeinde und in Rücksprache mit Landesrabbiner Julius Merzbach über einen Verkauf des in seinem Gehöft gelegenen Synagogengebäudes. Eine vertragliche Einigung vom 12. Oktober 1936 sah vor, dass Breitwieser für die Aufgabe des bisherigen Gotteshauses eine neue Synagoge mit einem Grundriss von 6 m mal 5 m und 3 m Höhe aus Ringofensteinen mit Dachziegeln auf seinem Grundstück im Viehtrieb an der Langstädter Straße errichten sollte. Zur Umsetzung gelangte dieser Plan nicht.36 Am 27. Oktober 1938 verkauften die Vertreter der jüdischen Gemeinde das Synagogengebäude für 1.400 RM gleichwohl an Breitwieser. Sie machten dabei zur Auflage, alle festgemachten Bänke und den eingebauten Schrank (Thoraschrein) noch selbst entfernen zu dürfen. Der Kaufvertrag trat allerdings nicht in Kraft.37

Trotz der Verkaufsverhandlungen wurde auch die Synagoge in der Spitzengasse am Abend des 10. November 1938 Ziel der Pogromangreifer. Diese demolierten die Inneneinrichtung, schändeten Ritualobjekte und die mutmaßlich fünf Thorarollen. Trümmer, Papier- und Stoffreste sollen am Folgetag auf die Spitzengasse gelegen haben.38

Die Synagoge ging schließlich mit einem neuen Kaufvertrag für nunmehr nur noch 1.000 RM am 21. September 1939 doch noch an Breitwieser über. Die Eintragung ins Grundbuch erfolgte am 21. Februar 1940. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Mai 1950, einigten sich Friedrich Breitwieser und die Jewish Restitution Successor Organization auf eine nochmalige Zahlung von 825 DM, wodurch ersterer im Besitz des Gebäudes blieb.39 Das Gebäude wurde zunächst als Stall genutzt und 1953 abgebrochen, weil Platz benötigt worden sei.40

Die Sandsteinsäule mit dem Kapitell, die ehemals die Frauenempore getragen hatte, fand verkehrtherum als Stütze im Keller des Hauses Verwendung. Sie wurde 2013 an den Aufgang zur evangelischen Kirche in Schaafheim neben die 1998 eingeweihte bronzene Gedenktafel für die Schaafheimer Jüdinnen und Juden versetzt. Am ehemaligen Synagogenstandort in der Spitzengasse erinnert heute eine einfache Informationstafel mit der Aufschrift: „Synagoge. Im Hof dieses Anwesens stand von 1841 bis 1938 die Synagoge der jüdischen Einwohner Schaafheims. Es handelte sich um einen schlichten Bau von ca. 5 x 6 Metern Grundriss.“

Weitere Einrichtungen

Mikwe

1826 gab es in Schaafheim zwei Mikwen, die nach sanitärpolizeilicher Anordnung geschlossen werden sollten: bei Peter Krautwurst, einem christlichen Schaafheimer, in der heutigen Wilhelm-Leuschner-Straße 23 und in jenem Haus von Feist Sohlinger, in dem sich auch der Betsaal befand. Das letztere Gebäude unter der ehemaligen Adresse Wilhelm-Leuschner-Straße 13 existiert heute nicht mehr. Sohlinger widersprach der Schließung, sei doch das in seinem Keller befindliche Wasserloch bereits seit 25 Jahren nicht mehr als Mikwe genutzt worden. Außerdem benötige er das Wasser zum Schlachten. Die Aufsichtsbehörde forderte die jüdische Gemeinde letztlich auf, ein neues Frauenbad zu errichten. Fehlende finanzielle Mittel hatten jedoch zur Folge, dass selbst die ursprünglich im Kontext des Synagogenneubaus Anfang der 1840er-Jahre geplante Mikwe nicht umgesetzt wurde. Stattdessen nutzten Schaafheimer Jüdinnen offenbar auch das bisherige Frauenbad bei Nikolaus Krautwurst trotz wiederholten Verbots weiter. Diese Mikwe ist erhalten.41

Eine weitere sanitärpolizeiwidrige Mikwe befand sich 1844 auf dem Grundstück des Seligmann Lehmann (I) in der heutigen Wilhelm-Leuschner-Straße 14. Nach mehrfacher behördlicher Aufforderung 1851, das Bad zuzuschütten, kam dessen Sohn Nathan Lehmann der Aufforderung nach. Das Gebäude wurde um 1970 abgerissen.42

Schule

Mit der Herausbildung jüdischer Gemeindestrukturen und der wachsenden Zahl jüdischer Kinder stellten die Schaafheimer Jüdinnen und Juden Lehrer zur Erteilung des jüdischen Religionsunterrichts ein. Oft, aber nicht immer, übten diese zugleich auch das Amt des Chasans (Vorbeters) und Schochets (Schächters) aus. Für die Jahre von 1824 bis 1827 war neben den Vorsängern und Schächtern Herz Kahn und Seligmann Mahrum Hirsch mit einem Jahresgehalt von 100 fl. der Chassan und Religionslehrer Alexander Berlin bei der jüdischen Gemeinde angestellt, der die Schulkinder in seiner Wohnung im Zinshaus unterrichtete.43 Dass der zwischen 1832 und 1835 angestellte Chasan und Schochet Baruch Oettinger aus Ichenhausen, als es keinen Lehrer gab, auch Religionsunterricht erteilte, unterbanden die Aufsichtsbehörden nach Bekanntwerden strikt, da diese Funktion nur nach offizieller Prüfung übernommen werden durfte.44 Mindestens zeitweise war in den Folgejahren gar kein Religionslehrer bei der jüdischen Gemeinde angestellt, was 1847 dazu führte, dass das Landratsamt in Dieburg dies anordnete, da es nicht zu verantworten sei, „daß die Kinder der Israeliten zu Schaafheim des Religionsunterrichts entbehren.“45 Auch in den Folgejahrzehnten kam es immer wieder zu Vakanzen. Als weitere Religionslehrer sind Nathan Bär Kleiner, der auch schächtete, Lippmann Schwabacher, Salomon Schrach, Anton Stein, der auch als Vorsänger wirkte, ein Herr Nussbaum, Joseph Stiefel, Meier Ullmann und David (Joel) Muhr bekannt.46

Friedhof

Die Schaafheimer Jüdinnen und Juden setzten ihre Toten bis 1932 auf dem jüdischen Friedhof in Babenhausen bei. Das älteste dort datierbare Grab für einen Schaafheimer Juden ist das des 1766 verstorbenen Herz Meier.

Nachweise

Fußnoten

  1. Ristau/Berger-Dittscheid, 2025, Schaafheim.
  2. HStAD, C 4, Nr. 23/1; Nr. 23/3; Nr. 23/4; F 16, Nr. 271; Nr. 299; Nr. 951; HStAM, 86, Nr. 26824; Nr. 29977; ISG FFM, H.15.07, Nr. 1128. Zu Jonas vgl. HStAD, E 9, Nr. 10713, zu Nathan HStAM, 86, Nr. 28653; Roth, 2013, Spuren, S. 2.
  3. StadtA Dieburg, N 1, Nr. 479.
  4. Roth, 2013, Spuren, S. 2; HStAD, F 16, Nr. 951; HStAM, 86, Nr. 29188.
  5. Roth, 2013, Spuren, S. 2-3.
  6. HStAD, D 7, Nr. 47/10
  7. GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 3.
  8. GemA Schaafheim, XIII/2, Nr. 2; Roth, 2013, Spuren, S. 24, 26.
  9. GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 1; XIII/2, Nr. 2; XIII/3, Nr. 9; Roth, 2013, Spuren, S. 9-27.
  10. GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 12; Nr. 13; Nr. 14; Nr. 20.
  11. GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 14; Nr. 15; Nr. 20; HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 500; National Archives London, Ho 3, Nr. 50; Roth, 2013, Spuren, S. 100.
  12. HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 503.
  13. GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 1; Nr. 20.
  14. GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 3. Statistisches Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes, Jg. 14, 1899, Nachtrag, S. 54.
  15. CAHJP, D-Lj 4, Nr. 32.
  16. Ristau/Berger-Dittscheid, 2025, Schaafheim, S. 420-421.
  17. HStAD, O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31; G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 114; HStAM, 902, Nr. 1007; Roth 2023, Spuren, S. 196, 248; Der Schild, Jg. 8, Nr. 3, 18.1.1929, Beil. „Unsere Gefallenen“; Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten, 1932, Die jüdischen Gefallenen, S. 329; Sauerwein, 2019; Gefallen, S. 136-137.
  18. Roth, 2013, Spuren, S, 191, 203, 208–211, 217, 219–220, 237, 239, 246–247.
  19. Roth, 2013, Spuren, S. 250–251; Roth, 2013, Jüdische Gemeinde Schaafheim, S. 2.
  20. HStAD, G 15 Dieburg, Nr. Q 593; O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31; AA, Documents, ID 5278171; ID 5278192; ID 5278209; ID 5906494; ID 5906496; ID 6464213; Roth, 2013, Spuren, S. 257, 260; Roth, 2013, Eine kleine Geschichte, S. 2; Roth, 1998, Rede.
  21. HStAD, G 15 Dieburg, Nr. T 765.
  22. Yad Vashem Archive, O.52, Nr. 1181; HStAD, O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31; Roth, 2013, Spuren, S. 266.
  23. Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, online unter: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ (Stand: 11.11.2025); Sauerwein et al., 2022, Leben, S. 422–423.
  24. HStAM, 86, Nr. 29467; Roth, 2013, Spuren, S. 2. Vgl. Töllner/Berger-Dittscheid, 2015, Groß-Ostheim, S. 83.
  25. Roth, 2013, Spuren, S. 11–23; GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 3.
  26. HStAD, O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31; G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 500; Roth, Spuren, S. 13.
  27. GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 9.
  28. GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 8.
  29. GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 5; Nr. 17; Roth, 2013, Spuren, S. 65.
  30. Roth, 2013, Eine kleine Geschichte, S. 1-2; GemA Schaafheim, II-3, Nr. 9, 16.
  31. GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 8; Dieburger Wochenblatt, 24.2.1840, zit. nach Roth, 2013, Eine kleine Geschichte, S. 2.
  32. GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 8. Zu den Umlagen siehe u. a. Großherzoglich-Hessisches Regierungsblatt, Nr. 27, 25.7.1838, S. 329.
  33. GemA Schaafheim, XIII-3, Nr. 8; II-3, Nr. 9, Flur I/D.
  34. Die Baubeschreibung orientiert sich am Bauplan (GemA Schaafheim, XIII-3, Nr. 8) und Berichten. Historisches Bildmaterial zur Synagoge liegt bislang nicht vor. Eine nach der Shoah angefertigte Bestuhlungsskizze weicht stark vom Bauplan ab. HHStAW, 518, Nr. 1376.
  35. Roth, 2013, Spuren, S. 80; Roth, 2013, Eine kleine Geschichte, S. 3-4.
  36. Meyer, 2018, Jahre.
  37. HHStAW, 518, Nr. 1376; HStAD, G 15 Dieburg, Nr. T 765.
  38. HHStAW, 503, Nr. 7382; 518, Nr. 1376; Roth, 1998, Rede zum 9. November, S. [2]; Roth, 2013, Spuren, S. 258; Steffens, 1997, Ausgrenzung, S. 227–228.
  39. HHStAW, 518, Nr. 1376; HStAD, G 15 Dieburg, Nr. T 765; G 29 C, Nr. 4653.
  40. HStAD, C 6, Nr. 1946; O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31; Meyer, 2018, Jahre, S. 1; Reinhold-Postina, 1997, Verbrannt, S. 97; Altaras, 2007, Synagogen, S.297.

Weblinks

Quellen

  • ** Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP)
  • CAHJP, D-Da 3, Nr. 6b.
  • CAHJP, D-Lj 4, Nr. 32.
  • ** National Archives, London
  • National Archives, London, Ho 3, Nr. 50.
  • ** Yad Vashem Archive, Jerusalem
  • Yad Vashem Archive, O.52, Nr. 1181.
  • ** Arolsen Archives, Bad Arolsen (AA)
  • AA, Documents, ID 5278171.
  • AA, Documents, ID 5278192.
  • AA, Documents, ID 5278209.
  • AA, Documents, ID 5906494.
  • AA, Documents, ID 5906496.
  • AA, Documents, ID 6464213.
  • ** Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW)
  • HHStAW, 503, Nr. 7382.
  • HHStAW, 518, Nr. 1376.
  • ** Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD)
  • HStAD, C 4, Nr. 23/1.
  • HStAD, C 4, Nr. 23/3.
  • HStAD, C 4, Nr. 23/4.
  • HStAD, C 6, Nr. 1946.
  • HStAD, D 7, Nr. 47/10.
  • HStAD, E 9, Nr. 10713.
  • HStAD, F 16, Nr. 271.
  • HStAD, F 16, Nr. 299.
  • HStAD, F 16, Nr. 951.
  • HStAD, G 15 Dieburg, Nr. Q 593.
  • HStAD, G 15 Dieburg, Nr. T 765.
  • HStAD, G 15 Erbach, Nr. L 243.
  • HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 114.
  • HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 500.
  • HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 503.
  • HStAD, O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31.
  • ** Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM)
  • HStAM, 86, Nr. 26824.
  • HStAM, 86, Nr. 28653.
  • HStAM, 86, Nr. 29188.
  • HStAM, 86, Nr. 29467.
  • HStAM, 86, Nr. 29977.
  • HStAM, 902, Nr. 1007.
  • ** Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main (ISG FFM)
  • ISG FFM, H.15.07, Nr. 1128.
  • ** Gemeindearchiv Schaafheim (GemA Schaafheim)
  • GemA Schaafheim, II/3, Nr. 9.
  • GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 1.
  • GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 3.
  • GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 12.
  • GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 13.
  • GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 14.
  • GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 15.
  • GemA Schaafheim, XIII/1, Nr. 20.
  • GemA Schaafheim, XIII/2, Nr. 2.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 3.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 5.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 8.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 9.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 10.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 11.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 12.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 14.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 16.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 17.
  • GemA Schaafheim, XIII/3, Nr. 18.
  • ** Stadtarchiv Dieburg (StadtA Dieburg)
  • StadtA Dieburg, N 1, Nr. 479.

Literatur

Abbildung vorhanden

(in Bearbeitung)

Indizes

Nachnutzung

Rechtehinweise

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Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Schaafheim“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/204_schaafheim> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

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