Hessen-kasselische Eingriffe in das hessen-rheinfels-rotenburgische Jurisdiktionsrecht über die Juden im Amt Reichenberg und in der Niedergrafschaft
Stückangaben
Regest
In einer Zusammenstellung des Amtmanns J. H. Kohl von allen Beschwerden des Amtes Reichenberg über hessen-kasselische Eingriffe in die Hoheits- und Jurisdiktionsrechte der Landgrafen von Hessen-Rheinfels-Rotenburg heißt es unter Punkt 11:
Der Reservatenkommissar Gössel habe alle Juden des Amtes Reichenberg, einen jeden bei Vermeidung von 100 Rtl. Strafe, am 23. Juli 1753 nach Nastätten vorgeladen, um ihnen gewissen Vorhalt zu thun mit der Drohung, dass jeder, der nicht erscheine und die angesetzte Strafe nicht zahlen könne, zur Strafe auf der Feste Rheinfels arbeiten müsse. Daraufhin hätten die Juden eine Abordnung nach Kassel geschickt. Die dort getroffenen Vereinbarungen seien ein Eingriff in die hessisch-rheinfelsischen Rechte, zu denen auch die uneingeschränkte Jurisdiktion, von der die Juden nicht ausgenommen seien, gehöre. Dem Vertrag von 1654 sei zudem ausdrücklich hinzugefügt, dass die Judenschaft der Niedergrafschaft Katzenelnbogen allein dem Haus Hessen-Rheinfels-Rotenburg unterstehe.
Unter Punkt 17 heißt es, der Jude Schmey zu Nochern, Vorsänger in der dortigen Synagoge, habe eine Forderung an Röse, die Frau des seit einiger Zeit abwesenden Jacob Abraham, wegen des ihm geschuldeten Vorsängerlohns. Auf seine beim Amt Reichenberg geführter Klage habe er schließlich auch ein Vollstreckungsurteil erwirkt. Darauf habe das Reservatenamt in St. Goar am 14. November 1754 Schmey den Befehl erteilt, am folgenden Tag bei 3 sest. Strafe vor dem Amt in St. Goar zu erscheinen und seine Ansprüche zu erklären. Trotz des am 15. November eingelegten Protestes des Amtmanns zu Reichenberg hat der Reservatenkommissar zu St. Goar den Fall an sich gezogen und damit klar in das hessen-rheinfelsiche Jurisdiktionsrecht eingegriffen. Selbst wenn man unterstelle, dass Schmey als Vorsänger zu den geistlichen Personen gehöre und damit die kasselischen Reservatrechte hinsichtlich der Religion wirksam seien, so sei seine Schuldnerin doch eindeutig Hessen-Rheinfels-Rotenburg unterstellt. Nähme man aber an, Schmey sei eine geistliche Person, würdte man nicht solchergestallten den Judten Schmey mit dem Schuhldiener zu Nochern in gleichen Stand setzen? Und wem würdte sich nicht der Landt-Rabbi zu St. Goar an die Seite stellen wollen? Würden nicht auch die Judten ihre Eheversprechungen bey Ambt protocolliren lassen müssen? Würden sie nicht auch verbunden seyn, in gewissen Fällen bey dem hochfürstl[ichen] Consistorio zu Cassel Dispensationes auszuwürcken? Würdte dieses nicht um ihre Synagogen undt übrigen Gottesdienst ( wenn man dieses Wort von denen jüdischen Irrthümern gebrauchen darf ) sich bekümmern, darüber Verordnungen ergehen lassen und dardurch den cultum externum bestimmen ? Man darff in Gedancken nicht weiter gehen, sonsten wirdt Anlas zum Lachen gegeben. Gleichwohl kann ich die Frage nicht unberührt lassen, von wem dann der zu St. Goar wohnende Judten-Rabbi der Niederngraffschafft Catzenelnbogen bestellet werde? Gehöret der Judte Schmey als Vorsänger und die Judenschuhlmeistere unter die geistlichen Persohnen, so mus alsdann der Landt-Rabbi in deren Zahl den ersten Rang genießen, folglich auch von dem […] Hauß Hessen-Cassel bestellet werden. Nun aber wirdt derselbe von dem […] Hauß Hessen-Rheinfels angeordnet, also gehöret er nicht inter personas ecclesiasticas undt ist demnach der geistlichen Gerichtsbahrkeit nicht unterworffen.
Ausstellungsort
Reichenberg
Archivangaben
Altsignatur
Rep. 3 Q X Nr. 1101
Arcinsys-ID
Archivkontext
Nachweise
Edition
Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Marburg / Nachträge von Uta Löwenstein (ungedruckt), Nr. NL 649.
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Quellen und Materialien
Nachnutzung
Rechtehinweise
Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Hessen-kasselische Eingriffe in das hessen-rheinfels-rotenburgische Jurisdiktionsrecht über die Juden im Amt Reichenberg und in der Niedergrafschaft“, in: Quellen zur jüdischen Geschichte <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/quellen-zur-juedischen-geschichte/alle-eintraege/14695_hessen-kasselische-eingriffe-in-das-hessen-rheinfels-rotenburgische-jurisdiktionsrecht-ueber-die-juden-im-amt-reichenberg-und-in-der-niedergrafschaft> (aufgerufen am 26.11.2025)
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