Enthaltene Scheiben
Katalogdaten
Katalog Seite(n)
S. 126ff.
Standort heute
Erbach, Schloss, Rittersaal
Beschreibung
Erhaltung: Während die heute im Rittersaal-Fenster VI eingebauten Scheiben mit den Darstellungen der Heimsu-chung und des Einzugs Christi in Jerusalem in der Glassubstanz noch weitgehend original sind, ist die im Fens-ter IV eingesetzte Pietà in Randbereich und Hintergrund um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu großen Teilen ergänzt worden. Die Farbgläser weisen außen-, vereinzelt auch innenseitig Verwitterungsspuren in Form von Lochfraß bzw. flächigen Wettersteinbelägen auf und scheinen schon einmal scharf gereinigt worden zu sein. Die Bemalung ist namentlich bei der Pietà schlecht erhalten.
Ikonografisches Programm, Komposition: In formaler Hinsicht bilden die drei Scheiben eine zusammengehörige Gruppe, indem sie nicht nur annähernd gleiche Größen und gleiche Randbordüren aufweisen, sondern sich auch im Stilbild zusammenschließen. Folglich dürften die Darstellungen, die mit der Heimsuchung und dem Einzug in Je-rusalem Szenen aus dem Leben Mariä und Christi wiedergeben, Teil eines einst größeren Zyklus gewesen sein, der sicherlich die Verkündigung an Maria einbeschloss und nach der Heimsuchung vielleicht weitere Marien- bzw. Kindheit-Christi-Szenen zeigte, bevor er mit dem Einzug Christi in Jerusalem wohl in eine Folge von Passionsdar-stellungen überging, zu der – wenngleich ein Andachtsbildmotiv – auch die Pietà gehörte; ob mit ihr der Schei-benzyklus beschlossen war oder ob noch weitere Szenen folgten, ist unbekannt. Was die einzelnen Bildkomposi-tionen betrifft, so setzt der Einzug Christi in Jerusalem eine genaue Kenntnis der entsprechenden Szene am 1501 vollendeten Dominikaneraltar Hans Holbeins d.Ä.65 voraus, deren Figurenkonstellation mit Christus auf der Eselin im Zentrum nur leicht variiert wurde (s. Fig. 53f.); die Darstellung Mariens mit dem Leichnam Christi auf ihrem Schoß besitzt in einer der Jörg Schweiger zugeschriebenen Zeichnungen in Basel66 ein recht exaktes, im Gegensinn zu Papier gebrachtes Pendant (Fig. 58).
Farbigkeit, Technik: Aufgrund der geringen Größe
der Scheiben waren die Möglichkeiten reicher farbiger Gestaltung von vornherein beschränkt. Die Palette ist daher im Wesentlichen auf die Farben Blau, Rot und Weiß reduziert, die jeweils großflächig – das Weiß auch unter Ver-wendung von Silbergelb – eingesetzt wurden; hinzu kommt vereinzelt Grün, einmal auch Graublau; die Bordüren sind bernsteinfarben. Die Modellierung erfolgte auf der Grundlage eines wässrig-braunen Halbtons mit ausgepräg-ter Konturenzeichnung und grob ausgewischten oder ausradierten Lichtern.
Stil, Datierung: Die offenkundigen Beziehungen zweier Szenen zum einen zu einer Komposition Hans Holbeins d.Ä. selbst, zum anderen zu einer Figurengruppe, deren Entwurf vermutlich in Holbeins unmittelbarem Umkreis entstan-den ist, lassen an eine Entstehung des Zyklus in Augsburg denken – eine Lokalisierung, die auch aufgrund seiner maltechnischen Ausführung naheliegend ist. Letztere lässt sich nicht nur gut jener erwähnten Zeichnung Jörg Schweigers in Basel an die Seite stellen, sondern findet auch in einer Reihe von – gelegentlich farbig eingefassten – Grisaille-Rundscheiben, die als typische Erzeugnisse der Augsburger Kabinettscheibenmalerei um 1500 gelten, eine recht enge Entsprechung67.
Nachweise
Fußnoten
- Frankfurt/M., Städel Museum, Inv. Nr. HM 7–20, LG 1; s. Stephan Kemperdick, in: Brinkmann/Kemperdick 2005, S. 388–428. ↑
- Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. U. VII. 7; vgl. Katalog der Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts im Kupfer-stichkabinett Basel, I: Das 15. Jahrhundert. Hans Holbein der Ältere und Jörg Schweiger, die Basler Goldschmiederisse, bearbeitet von Tilman Falk (Beschreibender Katalog der Zeichnungen III), Basel/Stuttgart 1979, S. 105, Nr. 288. – Das Blatt reflektiert, wie Ingrid Weber nachgewiesen hat, eine Augsburger Goldschmiedearbeit der Zeit um 1500: die Pietà im ersten Turmobergeschoss der Monst-ranz in der Pfarrkirche zu Tiefenbronn – ein Werk, das als Geschenk des Eichstätter Bischofs Johann Konrad von Gemmingen (1593/95–1612) in die Pfarrkirche seines mutmaßlichen Geburtsortes gelangt sein muss. Weber zufolge ist die Monstranz der Werk-statt des Goldschmieds Jörg Seld zuzuschreiben, in der Schweiger Geselle gewesen sein könnte. Vgl. hierzu Ingrid Weber, Die Tiefenbronner Monstranz und ihr künstlerischer Umkreis, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1966, S. 7–87, bes. S. 65 ↑
- Siehe z.B. die beiden Scheiben mit Darstellungen der Geburt Mariä und der Hll. Barbara und Katharina in München, Bayerisches Nationalmuseum, Inv. Nr. G 984f. Schinnerer 1908, S. 32, Nr. 129f., bezeichnete die Scheiben als »Bayrisch(?) um 1500«; bereits Schmitz 1913, I, S. 130, Anm. 1, wies Nr. 130 der Augsburger Kunst zu. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011
Nachnutzung
Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„[Unbekanntes Fenster]“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-objekte/105-1-06_unbekanntes-fenster> (aufgerufen am 26.11.2025)
Kurzform der URL für Druckwerke
https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/105-1-06


