Frankfurt · Leonhardskirche

 
Standort
Frankfurt
Anzahl Fenster
7
Anzahl Scheiben
48
AEC416D7-3050-4A60-B27E-A826B70B90DD

Katalogdaten

Gegenwärtiger Bestand

Bis auf die oberste Zeile und die Maßwerke des Chorachsenfensters sowie der Kopfscheiben des Fensters süd III geht die heutige Anordnung der Chorverglasung mit insgesamt vierzig erhaltenen mittelalterlichen Rechteckfeldern, zehn Kopfscheiben und sechzehn Maßwerkfeldern auf die Restaurierung von 1898 zurück. Darin enthalten sind zwei stilistisch unterschiedliche Gruppen eines Katharinen- und Georgszyklus nebst einzelnen Resten eines Marien- und Leonhardszyklus aus der Zeit der Chorweihe von 1434 (Fig. 41-43, 45-68, 71f., 77f., 82, Abb. 41-51, 53-56, 59-78, 82f., 92, Farbtaf. V-VIII). Die Chorfenster enthalten daneben auch Glasgemälde aus der Zeit der umfangreichen Erneuerung von 1491 (Fig. 69f., 73-76, 79-81, Abb. 80f., 84-90) und schließlich ein Feld der im übrigen vollständig verlorenen Verglasung der Kapellen und des Langhauses aus dem beginnenden 16. Jahrhundert (Fig. 67, Abb. 79). Von den im späten 18. Jahrhundert zu großen Teilen veräußerten Beständen sind überdies eine Scheibe im Historischen Museum in Frankfurt am Main (Fig. 82, Abb. 52) sowie fünf Scheiben in Stift Neuburg bei Heidelberg (Abb. 285-288) erhalten. Der um 1440 entstandene König einer Anbetung (Fig. 44, Abb. 57f.) sowie die Wappenscheibe des Erzbistums Mainz aus dem frühen 16. Jahrhundert (Abb. 91) gehören dagegen nicht zum ursprünglichen Bestand.
In Zeichnungen und Aquarellen sind ferner verschiedene Wappenscheiben überliefert, die sich nur vereinzelt genauer lokalisieren lassen. Außer dem Epitaphienbuch Holzhausen, das neben der unten erwähnten summarischen Darstellung des Chors auf fol. 50 ein nicht lokalisierbares kleines Fenster mit der Wappenscheibe Holzhausen/Prusse zeigt, erscheinen in dem um 1675 von Philipp Ludwig Authäus erstellten Epitaphienbuch eine ganze Reihe hier nicht weiter berücksichtigter Wappen in dem Chörlein an den Fenstern1. Auf fol. 9r verzeichnet letzteres überdies je zwei Allianzwappen der Frankfurter Patrizierfamilien Holzhausen und Prusse in den Chorfenstern.
[Geschichte des Baues] Die Geschichte der unter dem Schutz des Kaisers stehenden Bürgerkirche, die erfolglos gegen das Pfarreimonopol des Bartholomäusstifts ankämpfte, setzt 1219 mit der Stiftung eines Bauplatzes an die Frankfurter Bürgerschaft durch Kaiser Friedrich II. ein2. Die damals errichtete Kirche, von der sich zwei Portale erhalten haben, war der Gottesmutter und dem Hl. Georg geweiht. Nach Erhalt einer Leonhardsreliquie nahm die wenige Jahre zuvor in ein Kollegiatsstift umgewandelte Kirche 1323 ihren bis heute gültigen Titel an. Nach verschiedenen kleineren Umbauten wurde 1425 wahrscheinlich unter der Leitung des Frankfurter Dombaumeisters Madern Gerthener ein neuer Chor (Fig. 26-28) errichtet, der nach dem Tod Gertheners 1434 geweiht wurde. 1455 erfolgte im Norden der Anbau einer Kapelle; von 1500 bis 1520 wurde schließlich das Langhaus zu einer breitgelagerten fünfschiffigen Halle erweitert, deren eigenwillige Form durch den engen Bauplatz bedingt war. Das nördliche Seitenschiff war 1507 vollendet; es folgte das von der Familie Holzhausen gestiftete Salvatorchörlein mit seinem seit dem 17. Jahrhundert als Sehenswürdigkeit der Stadt bewunderten hängenden Schlußstein. Mit Errichtung der mittleren Schiffe bis 1518 und dem Anbau des südlichen Seitenschiffs war der Bau 1520 in seiner heutigen Gestalt vollendet. Für die Ausstattung konnte die »Bürgerkirche« St. Leonhard nahezu alle einflußreichen Frankfurter Patrizierfamilien als Stifter gewinnen, was sich auch an den erhaltenen und überlieferten Wappenscheiben der Chorverglasung ablesen läßt.
Nach ihrem durch die Reformation bedingten Niedergang diente St. Leonhard zwar weiterhin als katholische Kirche, wurde aus finanziellen Gründen jedoch immer wieder als Lagerhaus für die Buchmesse genutzt. Mit der Besetzung Frankfurts durch französische Revolutionstruppen wurde die in der Barockzeit zu neuer Blüte gekommene Kirche 1792 schließlich Vorratsmagazin. Nach der Unterstellung Frankfurts unter die Herrschaft des Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg setzte 1808/09 die Wiederherstellung der Kirche ein. Größere Restaurierungen folgten 1881 und 1926/27; nach schweren Schäden im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche bis 1948 wiederaufgebaut.
[Geschichte der Verglasung] Die aus der Zeit der Chorweihe stammende Chorverglasung (Fig. 28f.) wurde zusammen mit einzelnen Fenstern in Kirche und Sakristei in den Jahren 1454/55 erstmals geringfügig repariert (s. Reg. Nr. 22). Nachdem die Fenster 1483/84 gereinigt worden waren3, erfolgte 1491 eine größere Reparatur an den Chorfenstern, die der Frankfurter Glaser Hans Thomas II. für etwas mehr als 14 Pfund ausführte (s. Reg. Nr. 23). Damals sind offenbar die heute in Fenster süd III, 4a/d befindlichen Hll. Katharina und Margarethe sowie die in Fenster süd IV zusammengezogenen Wappenscheiben entstanden, die bis auf drei Wappenfelder stilistisch alle um 1490 datiert werden müssen. Wo diese Scheiben ursprünglich saßen und weshalb sie erneuert werden mußten, ist nicht mehr nachweisbar. Unerklärlich ist auch die damalige Erneuerung der Kopf- und Maßwerkscheiben des im Schutz des südlichen Apsidenturmes befindlichen Fensters süd IV; ob damals die gesamte Verglasung dieses Fensters erneuert wurde, läßt sich ebenfalls nicht mehr klären. In die gleiche Zeit weisen – trotz unterschiedlicher Technik – zwei Reparaturen in Fenster süd II (Fig. 32f.). Zu Beginn des 16. Jahrhunderts fand eine weitere, quellenmäßig jedoch nicht belegte Reparatur einzelner Felder statt, die in der Kreuzigung Christi im Achsenfenster ihre Spuren hinterlassen hat (Fig. 30f.). Im Hinblick auf die abweichende Handschrift der im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts für die Leonhardskapelle entstandenen Anbetung der Könige (Abb. 79) stammt diese Reparatur von einer Werkstatt, die offenbar erst etwas später in St. Leonhard tätig wurde. Alle weiteren, glücklicherweise im 19. Jahrhundert nicht ersetzten Ergänzungen stammen von den Reparaturen, die in Folge eines Unwetterschadens von 1605 nötig wurden. Während einzelne Köpfe (Fig. 34f.) sofort ausgeflickt wurden, sind andere Ergänzungen etwas später anzusetzen; nach der Überlieferung von Lersner, 1706, zogen sich die Reparaturen an der Kirche bis zum Jahre 1701 hin. Offenbar wurden bei den langwierigen Instandsetzungsarbeiten nicht alle Ergänzungen in bemaltem Glas ausgeführt. So überliefert Hüsgen, 1780, daß die Lücken in den Chorfenstern mit weißem Glas ausgeflickt worden seien.
Große Teile des durch Unwetter dezimierten Bestands verkaufte man ab 1792 an Privatleute als Folge der Nutzung der Kirche als Lagerraum. Mit Ausnahme der an ihrem angestammten Platz bewahrten Reste des Achsenfensters wurden die übrigen in der Kirche verbliebenen Glasgemälde im Rahmen der Instandsetzung von 1808 und 1813 in die Fenster der Westfassade bei der Orgel versetzt4. Füssli hat diese Scheibenbestände 1843 offenbar übersehen. Erst nach der Rückgabe einer Reihe in Privatbesitz abgewanderter Glasgemälde wurde die Rückführung des gesamten noch erhaltenen Bestands in den Chor im Rahmen der zweiten Instandsetzung der Kirche 1851 möglich. Eine damals verfaßte Beschreibung erwähnt je fünfzehn Glasgemälde in den Chorfenstern: In Fenster nord II, dessen oberste Zeile mit gefärbten Scheiben ausgeflickt war, befanden sich größtenteils Wappen und in Fenster süd II ein von Bildern aus dem Leben des Hl. Leonhard umgebenes Kruzifix; das Achsenfenster wird nicht beschrieben. Die Chorfenster sollen überdies mit »reichen Rosen« geschmückt gewesen sein, womit die Wappenscheiben der Hauptstifter – der Frankfurter Patrizierfamilie Holzhausen – gemeint gewesen sein dürften. Zur Sicherung dieser Bestände bewilligten die Stadtverordneten einen Betrag bis zu 850 Mark zur Vergitterung der Chorfenster5, bevor 1898 die grundlegende Restaurierung und Neuordnung durch Alexander Linnemann erfolgte (s. Reg. Nr. 24). Die im Zweiten Weltkrieg ausgebauten Glasmalereien wurden 1946 vom Frankfurter Glasmaler Lorenz Matheis repariert, wobei sich dessen Eingriffe mit Ausnahme einzelner Felder im Chorachsenfenster weitgehend auf die Erneuerung der Verbleiung beschränkten. 1975/81 erfolgte die Restaurierung des gesamten Bestands durch Gottfried Frenzel, Nürnberg, in deren Rahmen die Fenster 1977 eine Schutzverglasung erhielten.
[Erhaltung] Der Zustand der Scheiben hängt sehr stark von der Qualität der in den verschiedenen Zyklen jeweils verwendeten Gläser ab: Während der Katharinenzyklus durch geringen Lochfraß und eine partiell beriebene Bemalung beeinträchtigt ist, zeigen die in ihrer Farbigkeit reicheren Scheiben des Leonhards-, Georgs- und Annenzyklus sowie die von derselben Werkstatt herrührenden Reste im Achsenfenster schwerwiegende Korrosionsschäden und Malereiverluste. Auffällig ist dabei der Lochfraß in den außenbemalten Partien sowie die vor allem in Weißgläsern mitunter beinahe vollständig verlorene Bemalung. Besonders schlecht erhalten ist das oberste Fensterdrittel des Achsenfensters, das offenbar über den gesamten Zeitraum hinweg an seinem originalen Standort verblieben war. Die Ende des 15. Jahrhunderts entstandenen, in ihrer Farbigkeit plakativeren Scheiben zeigen nur auf einzelnen Farbgläsern Korrosion oder reduzierte Bemalung. Der gesamte Bestand wurde 1898 in einigen, stark reduzierten Partien nachkonturiert und mit Überzügen versehen. Mit Ausnahme weniger Felder aus dem oberen Drittel des Achsenfensters wurde die Verbleiung bei der vorletzten Restaurierung durch Lorenz Matheis 1946 erneuert; 1977 erfolgte schließlich der Einbau einer innenbelüfteten Schutzverglasung. Die damals neu gerahmten Scheiben sind relativ stark verrußt und die Schutzverglasung innen verschmutzt.
[Rekonstruktion, ikonographisches Programm] Den umfänglichsten Bestand bildet heute die Georgslegende in Fenster süd II: Den einzigen Anhaltspunkt für eine Rekonstruktion dieses Zyklus geben die drei in allen Legendenfassungen direkt aufeinanderfolgenden Szenen der Räderung und der beiden Brunnenszenen (1a/c, 2a). Der dabei wechselnde blau/rot/blaue Hintergrund dürfte für das gesamte Fenster gültig gewesen sein. Neben weiteren Episoden des unvollständigen Martyriums – es fehlen etwa die Zaubererepisode, die Säge- und Bleimarter sowie die Schleifung und Enthauptung – haben sich eine Reihe von Szenen der Jugendgeschichte erhalten: so etwa der Abschied vom Vater (?), der Auftrag eines Königs und eine Schlachtszene; der zum Martyrium überleitende Drachenkampf ist hingegen verloren. Als Textquelle kommt die Legenda aurea allein nicht in Frage, da dort einzelne Details des Martyriums fehlen. Auffällig ist ferner die breite Anlage der selten dargestellten, in den Textquellen allgemein untergeordneten Jugendgeschichte. Dorsch verwies deshalb auf die im höfischen Bereich angesiedelte Textfassung des Reinbot von Durne (um 1260), der ausführlich von den beiden Brüdern Georgs berichtet, die ihn bis zum Beginn des Martyriums begleiteten6. Auf Grund der in ihrer Abfolge und Ausführlichkeit sehr unterschiedlichen Text- und Bildfolgen ist der Frankfurter Georgszyklus nicht stichhaltig zu rekonstruieren.
Ähnlich verhält es sich mit der Katharinenlegende, von deren ursprünglich wohl insgesamt 15 Szenen nurmehr neun erhalten sind. Als Vergleichsbeispiel kommt hier in erster Linie das nahezu gleichzeitig entstandene Katharinenfenster der Kirche St. Georg in Schlettstadt mit seinen zwanzig Episoden in Frage, auch wenn der Frankfurter Zyklus davon ikonographisch wie kompositorisch weitgehend unabhängig bleibt. Erwähnt seien ferner der zwar fragmentarische, aber immer noch 14 Szenen umfassende Zyklus in der Stendaler Jacobikirche (letztes Viertel des 14. Jh.), schließlich auch lokale Vorbilder wie der Anfang des 15. Jahrhunderts entstandene, fragmentarisch erhaltene Wandmalereizyklus in der Mainzer Karmeliterkirche, der auch stilistisch in das Umfeld unserer Glasmalereien führt7.
Seit Hüsgens Beschreibung von 1780 war bis 1851 ferner auch immer wieder die Rede von Bildern aus dem Leben des Hl. Leonhard. Ein solcher Zyklus ist im Hinblick auf den 1323 eingeführten, allmählich zum Hauptpatron aufsteigenden Heiligen naheliegend, jedoch sind nur zwei Scheiben seiner Legende erhalten geblieben: die bislang in keinem weiteren Leonhardszyklus nachweisbare Szene der Abtsweihe in Fenster nord II, 2b und die nach Stift Neuburg abgewanderte Scheibe mit dem Geburtswunder. Welche Szenen der Zyklus ursprünglich umfaßt haben dürfte, zeigen neben den Glasgemälden im Regensburger Dom (nach 1350) auch die etwa gleichzeitig entstandenen Wandmalereien in Landschlacht8. Es ist höchst zweifelhaft, daß noch 1780 und 1851 umfängliche Reste dieses Zyklus erhalten waren. Vielmehr dürften Hüsgen als auch der unbekannte Verfasser von 1851 mit ihren Bildern die heute noch erhaltenen Reste des Georgszyklus gemeint haben.
Auf Grund ihres wechselvollen Schicksals und des überlieferten heterogenen Bestands von zyklischen Darstellungen, Standfiguren und bahnübergreifenden Andachtsbildern ist eine Gesamtrekonstruktion der Chorverglasung nur unter Vorbehalt möglich. Einzig der obere Teil des Achsenfensters hat mit der um die Muttergottes erweiterten Trinität und den musizierenden Engeln seine ursprüngliche Verglasung bewahrt. Darunter dürfte sich die über drei Bahnen ausgedehnte Kreuzigung sowie das Holzhausen/Marburg-Wappen (süd IV, 4b) befunden haben, das sich auch im Schlußstein des Chorhauptes findet. Für diese Lokalisierung der Wappenscheibe spricht auch das Aquarell in dem um 1600/50 begonnenen Holzhausen-Epitaphienbuch, das eine vereinfachte Darstellung des Chorhauptes mit den obersten Fensterzeilen zeigt, indem besagtes Wappen im Achsenfenster erscheint. Ein weiteres Allianzwappen der Patrizierfamilie von Holzhausen befand sich nach diesem Aquarell in Fenster süd II9. Die untere Hälfte des Achsenfensters könnten jene zweizeiligen Standfiguren aufgenommen haben, von denen nur das obere Feld der Hl. Barbara (Abb. 287) erhalten ist. Im Unterschied zu diesem repräsentativ gestalteten Fenster der Familie Holzhausen – den Hauptstiftern des Chors – waren die übrigen Fenster szenisch gefüllt, wobei die einzelnen Episoden jeweils auf ein Feld begrenzt blieben.
Den wichtigsten Platz in Fenster nord II dürfte die Georgslegende eingenommen haben, da Georg neben der Muttergottes der Hauptpatron der Kirche war. Auf der gegenüberliegenden Seite in Fenster süd II befand sich demnach die Legende des dritten Patrons, des Hl. Leonhard, welche wohl durch Unwetter wie jenen Hagelsturm von 1605 bis auf zwei Scheiben dezimiert wurde. Gleiches gilt für den umfänglichen Christuszyklus, der sich nach Ausweis zweier Maßwerkscheiben in Fenster süd III befunden haben dürfte: Auch dieser Zyklus ist bis auf zwei Szenen der Annen-Marienlegende verloren. Dieser für die Südseite nicht weiter überraschende Befund legt nahe, daß der Katharinenzyklus ursprünglich auf der Nordseite und damit ebenfalls in Fenster nord II, in der oberen Fensterhälfte, gesessen haben muß, während über die obere Fensterhälfte von süd II nur spekuliert werden kann. Die Verglasung des letzten, auf Grund des Turmes auf zwei Bahnen reduzierten Fensters süd IV ist nach Ausweis der Maßwerkscheiben aus unbekannten Gründen um 1491 erneuert worden und zeigte neben kleineren Standfiguren auch einzelne Wappenallianzen, falls es sich bei letzteren nicht um erneuerte Scheiben aus den anderen Chorfenstern handelt.
Solange keinerlei archivalische Hinweise zur ursprünglichen Gestaltung der Chorverglasung erschlossen werden können, bleiben solche Überlegungen, denen sich problemlos andere Modelle an die Seite stellen ließen, letztlich Spekulation. Wie viele Stifter an der Verglasung von 1430/34 beteiligt waren und ob unter Umständen deren hohe Zahl eine Vergabe von halben Fensterflächen zur Folge hatte, muß auf Grund der nur gerade drei erhaltenen Wappenscheiben der Erstverglasung offenbleiben. Daß eine halbe Fensterfläche eine Auftragseinheit bildete, legt hingegen der stilistische Wechsel nahe, der aus unserer Rekonstruktion in Fenster I und nord II erfolgte, wobei er in Fenster I durch die Stiftung der unteren Fensterhälfte durch den Familienzweig Holzhausen-Lichtenstein motiviert gewesen sein dürfte, deren Wappen im zweiten Schlußstein des Chores erscheint.
Lassen sich somit alle erhaltenen Scheiben ohne großen Zwang im Chor unterbringen, fällt die Scheibe mit dem König einer ursprünglich über drei Bahnen ausgedehnten Anbetung in Fenster nord II, 1c schon auf Grund ihrer bahnübergreifenden Konzeption, aber auch ihrer ursprünglich wohl schmaleren Maße und ihrer stilistisch abweichenden Reparaturen aus dem Rahmen. Es ist daher zu überlegen, ob dieses Glasgemälde nicht aus einer anderen Kirche, wenn auch ihrer geringeren Ausmaße wegen nicht aus einem der anderen Kirchenbauten Madern Gertheners in Frankfurt stammen könnte und erst im Zuge der Rückführung der Scheiben im 19. Jahrhundert in die Leonhardskirche gelangte. Im Unterschied dazu muß die zweite Scheibe einer Anbetung in Fenster süd III, 1a von ihren Ausmaßen her aus dem Achsenfenster der Leonhardskapelle stammen. Die Verglasung der übrigen Kapellen und des Langhauses ist verloren.
[Komposition, Ornament] Auf Grund der großen Überlieferungslücken läßt sich zur Gesamtfensterkonzeption kaum Verbindliches aussagen. Zeigte das Achsenfenster offenbar felderübergreifende Andachtsbilder, waren die übrigen Fenster mit jeweils in sich geschlossenen Einzelszenen ausgefüllt. Ob die von Linnemann 1898 hinzugefügten übergreifenden Architekturmotive wie Tabernakeltürme oder die jeweils eine Lanzette bekrönenden Turmbauten eine wenn auch nicht historisch getreue Vorstellung des ursprünglichen Zustands vermitteln, muß letztlich offenbleiben. Die Einzelszenen der narrativen Zyklen arbeiten mit wenigen, kaum variierten Schemata, wie die verschiedenen Vorführungsszenen deutlich machen. Gleiches gilt für die architektonische Rahmung, die kastenartigen Innenräume und die gleichbleibenden Formeln für Thronbaldachine und Hausansichten. Von den geringfügigen Abweichungen in den Blattmotiven abgesehen, sind auch die Bildhintergründe (Muster III, 19-21) einheitlich mit Blattranken gestaltet, die von Rahmenspiegeln eingefaßt werden. Die dabei verwendeten Motive reichen vom Klee- und Nierenblatt über ein herzförmiges Blatt bis hin zu den löwenzahnartigen Blättern und Fiederranken im Katharinenzyklus und zeigen damit das gängige Repertoire der deutschen Glasmalerei des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts.
[Farbigkeit, Technik] Im Gegensatz zu ihrer weitgehend homogenen Komposition unterscheiden sich die beiden eingangs erwähnten Gruppen innerhalb der Erstverglasung in ihrer Farbigkeit und Technik recht deutlich. Die stilistisch in die regionale Tradition einzuordnenden Glasgemälde des Achsenfensters, der Georgslegende und den Restscheiben eines Christus- und Leonhardszyklus zeigen eine breite Farbpalette. Die Inkarnate und die Grundfarben Rot, Blau, Gelb und Grün treten dabei in verschiedenen, kalkuliert eingesetzten Intensitäten und Nuancierungen auf und heben sich von der eher plakativen Farbigkeit des Katharinenfensters ab. Letzteres gilt auch für die Glasgemälde von 1491.
Maltechnisch sind die Unterschiede ebenso deutlich, wie ein Vergleich einer Auswahl von Köpfen zeigt (Fig. 36-39). Während die eng an den unten angesprochenen kölnischen Vorbildern orientierten Köpfe (Fig. 38f.) mit spitzem Pinsel und naß gestupftem Halbton gemalt sind, eignet den »mittelrheinischen« Schöpfungen (Fig. 37) eine spontan freie und dadurch sehr lebendige Zeichnung. Wie unbekümmert, aber gleichwohl virtuos dabei gearbeitet wurde, zeigt der als Flickstück eingesetzte Kopf in der Katharinenlegende (Fig. 39), bei dem die erste Anlage der Augen korrigiert wurde, ohne den verworfenen Erstzustand zu eliminieren. In einzelnen Figuren der Katharinenlegende ergänzen sich diese beiden Varianten zu den lebendigen, durch differenzierte Zeichnung und Halbtonmodellierung plastisch durchgestalteten Männerköpfen (Abb. 36). Zeigt die erste Gruppe eine recht detaillierte, flächig gestupfte oder wäßrig gestrichene, in den Lichtern mit trockenem Pinsel gewischte Außenbemalung, bleibt diese im Katharinenzyklus auf dünne Halbtonschichten in den Schattenlagen beschränkt.
[Stil, Datierung] Die baugeschichtlich um 1434 zu datierende Chorverglasung läßt sich in zwei Gruppen gliedern, von denen die eine gewisse Beziehungen zum Ortenberger Altar und seinem Umfeld, die andere jedoch kölnische Einflüsse aus der Nachfolge des Veronikameisters zeigt. Für die erste umfänglichere Gruppe – Achsenfenster, Georgslegende, Reste eines Leonhards- und Vita-Christi-Zyklus – lassen sich keine unmittelbaren Vergleichsbeispiele benennen: Erweist sich der immer wieder in Anspruch genommene Ortenberger Altar (Textabb. 37) in einzelnen Kopfbildungen zwar als durchaus verwandt, läßt er sich trotz seiner an Glasmalerei erinnernden Zeichnung nicht direkt neben unsere Glasgemälde stellen. Hingegen ordnen sich die Glasgemälde in eine Gruppe von mittelrheinischen Werken ein, deren Stilbild relativ einheitlich wirkt. Früheste Vertreter sind die Wandmalereien der Turmvorhalle der Pfarrkirche in Eltville (Textabb. 31f.), die mit ihnen verwandten, wohl gleichzeitig entstandenen Wandmalereien in der Mainzer Karmeliterkirche sowie die im letzten Krieg zerstörten Musikengel im Chorgewölbe der Karmeliterkirche in Frankfurt (Textabb. 40). Zu nennen sind fernerhin die Miniaturen der Mainzer Karmeliterchorbücher von 1430/32, aber auch Tafelmalereien wie der Altar aus der Frankfurter Peterskirche im Städelschen Kunstinstitut (Textabb. 34f.), wohingegen sich die 1440 entstandenen Wandmalereien in der Chorapsis von St. Leonhard auf Grund ihrer schlechten Erhaltung nicht mehr auswerten lassen.
Im Gegensatz zu diesen »mittelrheinischen« Figuren erinnern die schlanken, langgezogenen Figuren des Katharinenzyklus an kölnische Verglasungen aus dem Kreis der Glasgemälde aus der ehemaligen Herrnleichnamskirche (Textabb. 38f.), die baugeschichtlich zwischen 1426 und 1435 datiert werden kann10. Dort finden sich auch die engsten Vergleichsbeispiele für die Modellierung einzelner Köpfe (Fig. 38f.) mit nadeldünnen Strichlagen, für den metallischen Schnitt der verzogenen Lippen und die langblättrigen Ranken im Grund. In diese charakteristisch kölnischen Merkmale mischen sich in vielen Männerköpfen (Fig. 36) jedoch auch Merkmale der ersten Gruppe, so daß man für die Katharinenlegende eine von Köln kommende, vor Ort mit lokalen Kräften zusammenarbeitende Werkstatt verantwortlich machen kann. Bei der Empfehlung dieser Werkstatt dürfte der 1422 aus Köln nach Frankfurt übergesiedelte Großhändler und dort unter die Patrizier zählende Zeliis Rokoch (Textabb. 38) eine zentrale Rolle gespielt haben: Er nämlich gehörte zu den Stiftern der etwa gleichzeitig mit St. Leonhard entstandenen Verglasung der Kölner Herrnleichnamskirche11. Seine archivalisch nachweisbaren direkten Verbindungen zu St. Leonhard beschränken sich jedoch auf die Stiftung von zwanzig Gulden für ein Jahrgedächtnis; die gleiche Summe ging an vier weitere Frankfurter Kirchen.
Die Ende des 15. Jahrhunderts wohl zur Schließung entstandener Lücken dazugekommenen Glasmalereien, die sich historisch 1491 datieren lassen, zeigen jene für die mittelrheinische Glasmalerei des letzten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts charakteristische Versprödung. In den knautschigen Staufalten und den durch langgezogene, tiefe Mulden zerklüfteten Gewändern sowie der etwas grobschlächtigen Modellierung der Gesichter ergeben sich deutliche Anklänge an die zwischen 1481 und 1491 entstandenen Figuren in der Sakristei der Valentinskirche in Kiedrich (Abb. 229-233). Zu erwähnen sind ferner auch die beiden ursprünglich aus dem Rheingau stammenden Figuren im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum, die ein Bindeglied zwischen Kiedrich und den Beständen von St. Leonhard zu bilden scheinen (Textabb. 52). Ebenfalls in den Kreis dieser etwas derben und retrospektiven Formen gehört schließlich auch die auf Grund ihrer Maße aus der Leonhardskapelle stammende Anbetung der Könige in Chorfenster süd III (Abb. 79): Baugeschichtlich ist sie in das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu datieren, was der weiter fortgeschrittenen Versprödung und dem »moderneren« Damastgrund Rechnung trägt. Die formalen Zusammenhänge mit der Scheibengruppe von 1491 legen eine Entstehung in der Werkstattnachfolge nahe.
[Vorbemerkung zum Katalog] Die Scheiben wurden im November 1997 kurzfristig ausgebaut, vor Ort untersucht und photographiert12.

Bibliographie

Lersner, 1706, 2, S. 113 (überliefert ein Unwetter vom 23. Juli 1606, bei dem Fenster und Quadersteine abgeschlagen worden waren; die Schäden seien jedoch erst 1701 repariert worden); Lersner, 1734, Teil 2, S. 184, 187 (überliefert in seinen Quellenauszügen zu St. Leonhard 1491 die Reparatur der Chorfenster und 1539 den Kauf von Fenstern ante Chori für 6 Gulden); Hüsgen, 1780, S. 287 (erblickte die »gantze Historie des Hl. Leonhardi« in den hohen Chorfenstern); Faber, 1788, S. 259f. (nach Hüsgen); Anton Kirchner, Ansichten von Frankfurt am Main und seiner Umgegend, Frankfurt/Main 1818, S. 92f. (überliefert, daß anläßlich des Umbaus der Kirche zu einem Lagerhaus viele der wertvollen gemalten Scheiben verschwunden seien; den Überrest habe man bei der jüngsten Restaurierung in »einige, dem Hochaltare gegenüberstehende Fenster« eingesetzt); Neue Frankfurter Chronik, I, Frankfurt/Main 1828, S. 272, 506 (berichtet, daß 1605 ein sehr starkes Gewitter alle Fenster zerschmettert hätte, folgt im übrigen jedoch Kirchner); Füssli, 1843, S. 106 (erwähnt nur Glasgemälde im Achsenfenster, die zwar alt, jedoch von unbedeutendem Wert seien); N.N., in: Frankfurter Konversationsblatt vom 31. Oktober 1851, Nr. 260, S. 1039f. (verweist auf die hohen, »mit reichen Rosen geschmückten Chorfenster«, deren Überreste 1813 im Fenster an der Orgel eingesetzt waren; nach Rückgabe der Ende des 18. Jh. verkauften Felder konnten die Glasgemälde 1851 wieder in den Chor zurückgeführt werden); Lotz, 1880, S. 213 (nennt farbenprächtige spätgotische Glasmalereien biblischen Inhalts im Chor); Wolff/Jung, 1896, S. 30 (die im 19. Jh. noch erhaltenen Glasgemälde wurden 1813 im Westfenster eingesetzt und 1851 wieder in den Chor übertragen); Zülch, 1935, S. 207 (bringt die Wappenscheiben mit Conrad von Schotten und den Glasgemälden in Friedberg und Hanau in Verbindung); Wentzel, Meisterwerke, 21954, S. 53 (erwähnt die Verglasung im Rahmen mittelrheinischer Werke wie den Stifterscheiben aus Partenheim und dem Ortenberger Altar); Schürer-von Witzleben, 1959, S. 415 (führt die Glasgemälde als Beispiele des Weichen Stils am Mittelrhein an und betont die hohe Qualität des Mohrenkönigs in der Anbetung in Fenster nord II); Beeh-Lustenberger, 1965, S. 63-68, Nr. 33 (charakteristische Werke des Weichen Stils in der Nachfolge des Ortenberger Altars); Becksmann, CVMA Deutschland II, 1, 1979, S. 257-259, Abb. 343f., 347f., 350-352 (Bearbeitung der nach Ziegelhausen in das Stift Neuburg abgewanderten Scheiben); Klaus Dorsch, Georgszyklen des Mittelalters (Europäische Hochschulschriften Reihe 28, Bd. 28), Frankfurt/Bern/New York 1983, bes. S. 322-324, Nr. 50, Taf. 3 (ikonographische Bestimmung der einzelnen Szenen und Einordnung in die Tradition weiterer Georgszyklen); Gottfried Frenzel, in: Wolfgang Klötzer/Gottfried Frenzel, St. Leonhard am Main, Königstein 1982, S. 66-79 (zusammenfassender Überblick über die von ihm restaurierten Glasmalereien im Chor von St. Leonhard); Matthias Theodor Kloft, Ehemalige Stiftskirche St. Leonhard in Frankfurt/Main (Schnell Kunstführer Nr. 2196), Regensburg 1995, S. 14-17 (zusammenfassende Würdigung der Chorverglasung).

Nachweise

Fußnoten

  1. Vgl. Frankfurt StA, Holzhausenarchiv, K. 74, fol. 50, sowie Epitaphienbücher Nr. 9, fol. 11v.
  2. Zur Geschichte St. Leonhards vgl. zusammenfassend Herbert Natale, Die St. Leonhardskirche im Spiegel der Frankfurter Stadt- und Kirchengeschichte, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 18, 1966, S. 9-26, zum Pfarreistreit ferner Heitzenröder, 1982, S. 31-35.
  3. Frankfurt, StA, St. Leonhard, Bücher 30, fol. 25v.
  4. Vgl. hierzu den Bericht im Frankfurter Konversationsblatt vom 31. Oktober 1851, S. 1040.
  5. Frankfurt, StA, StvV 1042.
  6. Vgl. Dorsch (s. Bibl.), 1983, S. 48f.
  7. Zu Schlettstadt vgl. Gatouillat, 1994, S. 191-193, zu Stendal Karl-Joachim Maercker, Die mittelalterlichen Glasmalereien in der Stendaler Jacobikirche (CVMA Deutschland XVIII,2), Berlin 1995, S. 65f., 73-77, zur Mainzer Karmeliterkirche zusammenfassend Glatz, 1981, S. 262-265.
  8. Vgl. Fritzsche, 1987 (CVMA Deutschland XIII,1), Abb. 415-426, Jürgen Michler, Gotische Wandmalerei am Bodensee, Friedrichshafen 1992, bes. S. 182f.
  9. Vgl. Epitaphienbuch Holzhausen (Frankfurt StA, Holzhausenarchiv, K. 74), fol. 54.
  10. Vgl. Rode, 1974, S. 170-175, sowie Lymant, 1982, S. 82-86.
  11. Zu Zeliis Rokoch und seinem Stifterbild aus der Herrnleichnamskirche vgl. Hans Gerig, in: Kölner Domblatt 18/19, 1960, S. 121-135, sowie Rode, 1974, S. 173f.
  12. Für die kooperative Zusammenarbeit und den reibungslosen Ablauf sei den Mitarbeitern der Glasmalerei Schillings, Frankfurt/Main, herzlich gedankt.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet / Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 2), Berlin 1999

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Frankfurt · Leonhardskirche“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-objekte/207-2_frankfurt-leonhardskirche> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/207-2

Frankfurt, Leonhardskirche. (Chor um 1425-34 mit spätromanischen Flankentürmen, Leonhardskapelle und Langhaus des frühen 16. Jh.). Ansicht von Osten. Lavierte Zeichnung von Karl Grätz, um 1895 (nach Wolff/Jung, 1896)Frankfurt, Leonhardskirche. Chor. Inneres mit Resten der ursprünglichen Farbverglasung (um 1434)