Adolfseck, Kapelle

 
Standort
Adolfseck
Anzahl Fenster
1
Anzahl Scheiben
2
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Katalogdaten

Gegenwärtiger Bestand

Im Chorachsenfenster befinden sich zwei Rechteckscheiben, ein nassauisches Wappen und eine Darstellung der Hl. Sippe, beide aus der Zeit um 1500 (Fig. 1f., Abb. 2f., 10-13, Farbtaf. I).
[Geschichte des Baues und seiner Verglasung] Die kleine, einschiffige, flachgedeckte Kirche mit eingezogenem 3/8 Chor gilt als Stiftung des bislang kaum beachteten, politisch jedoch bedeutenden Grafen Engelbert von Nassau (1448- 1508) und wird gemeinhin um 1500 datiert1. Erste Veränderungen erfolgten 1680, als neben dem Gestühl wohl auch die Empore eingebaut wurde; 1692 folgte die Kanzel und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Dachreiter errichtet. Laut einer Inschriftentafel im Chor wurde die Kapelle 1893 außen und innen in Stand gesetzt; 1959 und 1991 erfolgten weitere Renovierungsarbeiten.
Mit Ausnahme des Flickstücks in der Wappenscheibe, das wohl eine Reparatur des 17. Jahrhunderts dokumentiert, gehen alle übrigen Ergänzungen auf die Maßnahmen von 1893 zurück. Anläßlich der Renovierung von 1959 wurden die gesamten Kirchenfenster durch die Firma Robert Münch, Großumstadt, in Antikglas erneuert; die beiden mittelalterlichen Scheiben erhielten ein neues Bleinetz und wurden in der zweiten Zeile des Langhausfensters nord III untergebracht2. 1995/96 konnte schließlich eine Sicherung der bis dahin ungeschützten Glasmalereien veranlaßt werden: Die Scheiben wurden gereinigt, mit einem Messingrahmen stabilisiert und hinter einer Außenschutzscheibe wieder eingesetzt; die Arbeiten führten die Derix Glasstudios, Taunusstein, durch. Auf Wunsch der Kirchengemeinde wurden die Glasgemälde von ihrem alten Standort im nördlichen Langhausfenster in das Chorachsenfenster übertragen.
[Rekonstruktion, ikonographisches Programm] Die Stiftung der schmucklos bescheidenen Kapelle und ihrer Ausstattung durch den am kaiserlichen Hof tätigen Engelbert von Nassau erklärt sich aus ihrem Zusammenhang mit der Burg Adolfseck, die 1356 durch Adolf von Nassau als Schutz gegen die Grafschaft Katzenelnbogen errichtet worden war. Welche strategische Rolle die Burg nach dem Katzenelnbogischen Erbfall an die Landgrafschaft Hessen 1479 noch spielte, sei dahingestellt, Engelbert jedenfalls erhielt die Burg von seiner Mutter als Leibgeding und erbaute die Kapelle auf dem Felssporn direkt unterhalb der Burg3. Die beiden Glasgemälde sind der einzige Rest der ursprünglichen Ausstattung. Da sie weder an ihrem alten noch an ihrem aktuellen Standort ein gesamtes Feld ausfüllen, stellen sie wohl Reste einer für die Zeit um 1500 typischen partiellen Farbverglasung dar, die als farbiges Band über die Chor- und möglicherweise auch über die Langhausfenster hinweglief. Daß die beiden Scheiben ursprünglich in einem Fenster saßen, ist der unterschiedlichen Rahmung und Hintergründe, aber auch der abweichenden Proportionierung wegen eher unwahrscheinlich.
[Farbigkeit, Technik] Während die Farbigkeit der Wappenscheibe etwas plakativ auf die beiden Kontraste blau/gelb und rot/grün beschränkt ist, wirkt die Scheibe mit der Hl. Sippe in der Verwendung von gebrochenen Tönen in Mauer und Hintergrund kühler und raffinierter. Die Modellierung basiert auf einem flächig lasierend gemalten Halbton, der in den Lichtern gestupft und radiert ist, während die Schattenlagen durch lockere Pinselschraffuren akzentuiert sind. Zur Verstärkung der Plastizität ist auf der Rückseite der Hl. Sippe ein gewischter, wäßriger Halbton aufgebracht, der in den Gewändern flächig breit, in den Gesichtern jedoch fein gewischt und radiert ist. Kopf und linke Hand der Hl. Anna sowie Kopf und Hände Josephs sind ausgeschliffen; die dabei verwendeten Werkzeuge haben entlang der Kanten deutliche Schab- und Kratzspuren hinterlassen.
[Stil, Datierung] Beide Scheiben sind trotz der etwas hölzernen Wirkung des Wappens in einer Werkstatt entstanden, wie die identische Maltechnik und Modellierung der Astwerkbekrönung nahelegen. In Figurentypus und Gewandbehandlung kommt die Hl. Sippe den frühen Werken jenes im Hausbuch-Umkreis tätigen Glasmalers Erhart von Mainz verblüffend nahe4. Die stäbigen, blechern geknautschten Falten finden sich sowohl in dessen Madonna in Hannover als auch in der Martinsscheibe in Amorbach (Textabb. 51); gleiches gilt für die Gesichter von Maria und Joachim. Für eine unmittelbare Verbindung sprechen neben den charakteristischen Wolkengebilden in Adolfseck und Hannover auch die maltechnischen Mittel, die sich durch rechtwinklig zum Faltenlauf mit trockenem Pinsel ausgewischte Lichter und breit radierte Gewandsäume sowie durch ein Gerüst aus langgezogenen, ösenförmig auslaufenden Linien und unsystematisch gesetzten Schraffurstrichen in den Schattenlagen auszeichnen. Trotz dieser Zusammenhänge mit den zwischen 1480 und 1485 zu datierenden Glasgemälden Erharts fällt eine direkte Zuschreibung und entsprechende Datierung schwer. Im Unterschied zu Erhart, der die außerhalb der Straßburger Werkstattgemeinschaft selten angewandte Technik des geätzten Überfangs beherrschte, beobachten wir in Adolfseck ausschließlich mechanischen Ausschliff. Bei den hier verwendeten Gläsern handelt es sich offenbar um jene gegen Ende des 15. Jahrhunderts aufkommenden harten und deshalb kaum verwitterten Gläser, welche eine Ätzung nicht mehr zulassen. Neben der spröden Figuren- und Gewandbehandlung, die mit den späteren Werken Erharts nichts mehr zu tun hat, spricht dies für eine Entstehung erst gegen 1500 in der unmittelbaren Werkstattnachfolge. Als mainzischer Domherr dürfte der Erbauer der Kapelle direkten Zugang zu dieser Werkstatt gehabt und dort die Scheiben selbst in Auftrag gegeben haben.
[Vorbemerkung zum Katalog] Die Scheiben wurden im März 1995 in situ und 1996 im Rahmen der Sicherung in der Werkstatt untersucht und photographiert.

Bibliographie

Lotz, 1880, S. 1 (erwähnt die beiden Glasgemälde im Nordfenster des Schiffes und datiert sie »etwa erste Hälfte des 16. Jh.«); Luthmer, 1914, S. 169 (folgt Lotz); Magnus Backes, in: Dehio, Hessen, 1966 und 1982, S. 1 (beschränkt sich auf die Erwähnung der Anfang des 16. Jh. entstandenen Glasgemälde).

Nachweise

Fußnoten

  1. Vgl. Christian Daniel Vogel, Beschreibung des Herzogtums Nassau, Wiesbaden 1843 (Nachdruck 1982), S. 610. Engelbert von Nassau-Idstein war 1475-1481 Propst von St. Bartholomäus in Frankfurt/Main, Domherr zu Mainz und Köln, 1476 gar Kanzler Kaiser Friedrichs III.; 1488 weilte er mit Maximilian in der Brügger Gefangenschaft; sein Grabstein befindet sich im Mainzer Dom. Nicht zu verwechseln ist er mit Engelbert II. von Nassau-Dillenburg, dem 1504 verstorbenen hochrangigen Diplomaten Maximilians I. und Generalgouverneur der Niederlande; vgl. jeweils A. W. E. Dek, Genealogie van het Vorstenhuis Nassau, Zaltbommel 1970, S. 21, 69.
  2. Die Akten im Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden vom 6. 9. 1956 und 28. 3. 1959 beschränken sich auf die pauschale Angabe, daß fünf gotische Fenster mit Echt-Antikglas neuherzustellen und die »Renaissancescheiben« im unteren Feld im Nordfenster des Schiffes einzupassen seien.
  3. Ob mit der Stiftung der Kapelle die Inszenierung der Burg als wichtiger Bestandteil nassauischer Historie einherging, muß offenbleiben. Im Zeitalter der Selbstdarstellung der herrschenden Geschlechter ist dies nicht völlig auszuschließen, zumal die Burg offenbar keine strategische Bedeutung mehr hatte und Engelbert durch den engen Kontakt zu Friedrich III. und Maximilian die habsburgische Selbstdarstellung aus erster Hand kannte.
  4. Neben den in Amorbach erhaltenen drei Rundscheiben, die archivalisch für den zwischen 1484 bis um 1490 in erzbischöflich mainzischen Hofdiensten tätigen Meister Erhart gesichert werden konnten, umfaßt sein Œuvre vier weitere Kabinettscheiben, die sich heute in Hannover, Weimar und in Privatbesitz befinden; vgl. hierzu ausführlicher Hess, 1994, S. 58-64.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet / Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 2), Berlin 1999

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Adolfseck, Kapelle“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-objekte/201-1_adolfseck-kapelle> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/201-1