Vierpass mit Vera Icon (Worms, Museum der Stadt im Andreasstift)

Vierpass mit Vera Icon. Worms, Museum der Stadt Worms im Andreasstift, Nr. 1. Mittelrhein oder Oberrhein/Bodenseegebiet(?), um 1280/90
Katalog
Von Uwe Gast
Abmessungen
Mittelrhein oder Oberrhein/Bodenseegebiet(?), um 1280/90.
H. 52 cm, B. 52,5 cm.
Ort und Zeitpunkt des Erwerbs und der ursprüngliche Standort sind nicht bekannt.
Unpubliziert.
[Zur Frage der Herkunft] Mit dem Vierpass ist keine Überlieferung zu seiner Herkunft verbunden. Obwohl sein heutiger Aufbewahrungsort an einen ursprünglichen Standort am Mittelrhein denken lässt – in erster Linie an Worms oder dessen rheinhessisches Umland –, so fehlt es dort doch an einem Bau, zu dem die Scheibe gehört haben könnte, und die Geschichte der Sammlung legt nahe, auch andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. In der Sammlung Vincent in Konstanz befand sich ein Vierpass von gleicher Größe, der ebenfalls eine Vera Icon zeigte8; er wurde 1891 von den Kölner Händlern Bourgeois erworben9, über die Cornelius Wilhelm Freiherr von Heyl zu Herrnsheim eine Reihe von Scheiben für seine Stadtvilla bezogen hatte (s. S. 452) – vielleicht auch jenen Vierpass, der aus Heyl’schem Besitz in die Museumssammlung eingegangen sein könnte.
Erhaltung
Von Fehlstellen in Nimbus und rahmendem Perlband sowie einem mittelalterlichen Flickstück abgesehen, ist der Vierpass vollständig erhalten. Lochfraß (nur Grün), Kratzspuren, Sprünge und Sprungbleie, massive Schwarzlotverluste auf den blassvioletten und weißen Glasstücken und eine große Flinse im Christushaupt trüben das Gesamtbild aber beträchtlich. Verbleiung mittelalterlich.
Ikonografie, Komposition, Farbigkeit
Im Zentrum des Vierpasses ein Medaillon mit dem Hl. Antlitz, das eine sehr frühe Ausformung jenes Vera-Icon-Typs darstellt, der allein das Haupt Christi zeigt10. Hier erscheint der Kopf mit rosigem, ins Violette spielenden Inkarnat und kräftig violetten Haaren auf einem gelb/grün geteilten Kreuznimbus, der von einem weißen Perl-band gesäumt und optisch in die rotgrundigen, mit hellblauen und bernsteingelben Blättern belegten, weiß gerahmten Passenden verlängert wird. Im Bodenseeraum sind vergleichbare Maßwerkfüllungen ab ca. 1300 vielerorts anzutreffen11; hier sei lediglich auf die beiden Christus-Vierpässe aus den Fenstern der Mauritius-Rotunde des Konstanzer Münsters, um 1318 bzw. um 1320, und auf die etwas jüngere, noch in situ befindliche Maßwerkverglasung von St. Laurentius in Frauenfeld-Oberkirch (Kt. Thurgau) hingewiesen12.
Technik, Stil, Datierung
Die einst feine, modellierende Zeichnung des Christuskopfes ist zu großen Teilen verloren. Dennoch lässt sich an der Farbgebung der Scheibe – am Zusammenspiel von Gelb, Grün und Violett – wie auch an den physiognomischen Eigenheiten des Kopfes unschwer erkennen, dass der Vierpass zu einer Farbverglasung gehört haben muss, die stilistisch auf Werke des Zackenstils rekurrierte. Seine Lokalisierung ist angesichts der weiten Verbreitung dieses Stilidioms im 13. Jh. ohne Kenntnis des ursprünglichen Standorts allerdings unmöglich. In Frage kommen sowohl das Mittelrheingebiet, wo sich zahlreiche Werke des Zackenstils erhalten haben – namentlich das aus Mainz stammende Evangeliar in Aschaffenburg (um 1250/60), zwei Tafeln aus Worms in Darmstadt (Textabb. 8) und drei Scheiben unbekannter Herkunft in Frankfurt am Main (3. Viertel 13. Jh.) –, als auch das Oberrheingebiet, hier das Zentrum Straßburg mit einigen eben-falls bald nach 1250 entstandenen Glasmalereien im Münster (Hl. Biulfus, Qhs. s VII [Baie 114]; Christus-Zyklus im Maßwerk der Seitenschiff-Fenster des Langhauses)13. Ein engerer Bezug besteht aber weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe. Dies könnte daran liegen, dass die Vierpass-Scheibe sichtlich später entstanden ist als die genannten Werke, nach Ausweis der gespitzten Passform nicht vor dem letzten Viertel des 13. Jh.14; oder aber sie steht ohnehin in einer anderen Tradition. In letzterem Fall könnten die erwogene Herkunft aus der Sammlung Vincent und die ikonografischen Parallelen zu Werken aus dem Bodenseeraum einen Hinweis geben.
Bildnachweis
CVMA G 8882, Großdia G III 96
Nachweise
Fußnoten
- »Nr. 1. XIV. Jhdt. Ein gothischer Vierpass umschliesst ein Medaillon mit dem Christuskopfe. Durchmesser 0,54. Gut erhalten«; Rahn 1890, S. 187, Nr. 1. ↑
- Dies geht aus einer tabellarischen Rekonstruktion der Sammlung Vincent hervor, die Rudolf Sauser in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Landesmuseum in Zürich erstellt hat (Stand April 2003). Für Auskünfte sei Frau Dr. Mylène Ruoss, Zürich, Schweizerisches Landesmuseum, herzlich gedankt. ↑
- Als eines der ältesten westlichen Werke dieser Art gilt die Darstellung im Psalter-Stundenbuch der Yolande de Soissons (New York, Pierpont Morgan Library, Ms. M. 729, fol. 15r), um 1280. Sie zitiert ihrerseits ein Christus-Bild östlicher Herkunft, die sog. Sainte Face aus dem 13. Jh., die in Laon verehrt wurde. Siehe hierzu Christiane Kruse, Vera Icon – oder die Leerstellen des Bildes, in: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation, hrsg. von Hans Belting, Dietmar Kamper und Martin Schulz, München 2002, S. 105–129, hier S. 116–118. ↑
- Vgl. den Überblick bei Beer 1956, S. 84f. ↑
- Becksmann 1979, S. 110, 112, Fig. 64f. (Rekonstruktion), Abb. 117f.; Beer 1965, S. 48, Taf. 28, 38b. ↑
- Zur Gruppe der an den Mittelrhein zu lokalisierenden Werke s. Kunstgeschichtliche Einleitung S. 52–55. – Zu Straßburg: Christiane Wild-Block, in: CV France IX,1, 1986, S. 118–123 mit Fig. 105 (Biulfus) und S. 141ff., z.B. Fig. 139f. (Noli me tangere). Vgl. die Farbabb. letzterer Szene in: Strasbourg. La grâce d’une cathédrale, Straßburg 2007, S. 235. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011, 441 f. [= 1. Vierpass mit Vera Icon]
Indizes
Siehe auch
Extern
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Nachnutzung
Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Vierpass mit Vera Icon (Worms, Museum der Stadt im Andreasstift)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/136-1-01-01_vierpass-mit-vera-icon-worms-museum-der-stadt-im-andreasstift> (aufgerufen am 26.11.2025)
Kurzform der URL für Druckwerke
https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/136-1-01-01
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