Geißelung Christi (Erbach, Schloss)

 
Datierung
um 1480-1490
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Katalog

Von Uwe Gast

Abmessungen

H. 31–31,5 cm, B. 21,6–21,9 cm. – Rittersaal, Fenster V, 4a. Zuvor Hubertus-Kapelle, Fenster II, 1c, wohin die Scheibe 1873 von Eulbach transloziert worden war (vgl. Reg. Nr. 18, 20).
Ort und Zeitpunkt des Erwerbs und der ursprüngliche Standort sind nicht überliefert; vielleicht wie Nr. 28f.

Erhaltung

Der blaue Hintergrund mit den seitlichen Konsolen ist bis auf ein (gesprungenes) korrodiertes Stück über dem Kopf des linken Schergen bei der vorletzten Restaurierung ergänzt worden (vgl. Fig. 46). Das kaum mehr lichtdurchlässige rotviolette Gewand des rechten Schergen weist innenseitig Lochfraß auf und ist außen mit einer flächigen Korrosionsschicht überzogen. Demgegenüber sind alle Partien aus farblosem Glas in Substanz und Bemalung gut erhalten. Mehrere mit Notbleien geflickte Sprünge; Verbleiung 20. Jh.

Rekonstruktion, Ikonografie, Komposition

Die Arme am Rücken, die Beine an der Geißelsäule gefesselt, steht Christus auf grünem Fliesenboden vor einer hellen Mauer, die ihrerseits vor tiefblauem Hintergrund steht. Er trägt, das rechte Bein nach hinten abgewinkelt und das Haupt zur Seite geneigt, bloß das Lendentuch und erwartet die Hiebe, zu denen zwei Schergen – der Linke in etwas gezierter, tänzerischer Haltung – mit Geißel und Rutenbündel ansetzen.
Die Darstellung ist in Ikonografie und Komposition einem gängigen Typ verpflichtet51. Ein konkretes druckgrafisches Vorbild lässt sich indessen nicht benennen, auch nicht mit Martin Schongauers Stich aus der Kupferstichpassion (L. 22)52, auf den Hermann Schmitz angespielt hat (s. Bibl.). Wie dieser war aber auch die Scheibe Teil eines Zyklus: In Güttersbach ist aus der Erbach’schen Sammlung ein Scheibenfragment mit der Darstellung einer Vorführung Christi erhalten (Abb. 57), das nach Format, Technik und Stil einst zu derselben Serie gehört haben muss. Für die Erbacher Scheibe ist es insofern aufschlussreich, als die Szene von einem flachen Rundbogen in Grisaillemalerei überfangen wurde, mit dem eine Rahmenarchitektur angedeutet wurde. Gleiches ist für die Geißelung Christi zu erschließen, die im Zustand vor ihrer vorletzten Restaurierung oben einen Bleiverlauf in ähnlich segmentartiger Rundung gezeigt hat (Fig. 46).

Farbigkeit, Technik

Trotz des ergänzten blauen Hintergrundes und des kaum mehr erkennbaren Rotviolett-Tons des Schergengewandes rechts besticht die Darstellung in der Gesamtwirkung durch eine kühle, sehr erlesene Farbigkeit. Die akzentuiert eingesetzten Farbgläser (Grün für den Boden; Rot für die Stiefel des Schergen links; Rotviolett und Blau) kommen namentlich im Zusammenspiel mit der durch Silbergelb bereicherten braungrauen Malerei zur Geltung. Bei Letzterer wurde auf dem Halbton zuerst die Komposition mit deckender Lotfarbe angelegt und die Modellierung mit parallelen Strichlagen angedeutet; die genaue Modellierung vor allem der Körper und Gewänder erfolgte in einer ausgefeilten Negativzeichnung, die weniger dem Duktus der Schwarzlotzeichnung folgt, als sie vorwiegend aus einzeln und schnell gesetzten kurzen, sehr feinen Strichen besteht.

Stil, Datierung

Zusammen mit dem Güttersbacher Fragment (Abb. 57) und weiteren, verschollenen oder verlorenen Scheiben gehörte das kleine Glasgemälde zu einem Passionszyklus, dessen Anbringungsort die Möglichkeit der Nahsicht – sei es eine Kapelle, ein Kreuzgang oder ein anderer, dazu geeigneter Ort gewesen – geboten haben muss. Es mag dem Zufall der Überlieferung geschuldet sein, dass derartige Verglasungen namentlich im Kontext der Nürnberger Kunst des 15./16. Jh. erhalten oder durch Schriftquellen bekannt sind53; doch auch im vorliegenden Fall ist eher an eine Entstehung in Nürnberg als, wie Schmitz wohl zu verstehen ist (s. Bibl.), am Oberrhein zu denken.
Allerdings ist diese Lokalisierung leichter mit (mal-)technischen Beobachtungen als mit stilistischen Vergleichen zu begründen. Was Erstere betrifft, so scheint der Zyklus sowohl in seiner (natürlich auch durch das Format bedingten) reduzierten Farbigkeit mit hohem Weißanteil als auch in der auffälligen Bevorzugung der negativen Zeichentechnik an die im Zuge der Vollendung 1477 entstandene Verglasung der Chorfenster I, nord II und süd II von St. Lorenz in Nürnberg anzuschließen, und hier insbesondere an das sog. Kaiser-Fenster aus der Werkstatt Michael Wolgemuts in der Chorachse54; generell ist dort auch eine verwandte Figurenauffassung und – wie bei den Schergen – eine z.T. derbe Charakterisierung der Köpfe zu beobachten.
Gegenüber diesem Fenster zeichnete sich der Passionszyklus aber durch eine weichere Modellierung aus, die im Christuskopf der Geißelung mit zarten, fast puppenhaften Zügen einhergeht. Hierfür lassen sich in der Nürnberger Glasmalerei des späten 15. Jh. nur zwei kleine Rundscheiben mit weiblichen Heiligen – eine Hl. Lucia und eine Hl. Katharina55 – anführen, die im Hinblick auf ihre technische Ausführung und ihren Stil zwischen Werken der Wolgemut-Werkstatt und frühen Werken der Hirsvogel-Werkstatt zu stehen scheinen.

Bildnachweis

CVMA G 8932, Großdia RT 06/174

Nachweise

Fußnoten

  1. Vgl. LCI, II, 1970, Sp. 127–130 (Curt Schweicher).
  2. Schmitt 1999, S. 62, Nr. 22, Abb. S. 76.
  3. Ein um 1480 entstandener, erst vor wenigen Jahren publizierter Zyklus, der aus dem ehem. Kloster St. Klara in Nürnberg stammen dürfte (Krakau, Muzeum Universytetu Jagiello´ skiego) ist mit (noch) elf erhaltenen Szenen der Passion ein besonders instruktives Beispiel; s. hierzu Hartmut Scholz, Bamberger Glasmaler in der Werkstatt Michael Wolgemuts? Zur ehemaligen Kreuzgangsverglasung des Nürnberger Klaraklosters, in: FS Becksmann 2004, S. 231–244. Des Weiteren ist für die Spätzeit des 15. Jh. eine in Grisaillemalerei ausgeführte Passion in Gotha (Schlossmuseum) und Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum) zu nennen; s. Scholz 1991, S. 33f., Abb. 36, 38, 40, 42. Auf verschiedene Serien der Dürer-Zeit sei nur pauschal hingewiesen.
  4. Zum »Kaiser-Fenster« s. Ulrich 1979 (wie Anm. 50), S. 14–65, Funk 1995 (wie Anm. 50), Abb. S. 15–27.
  5. Hl. Lucia: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv. Nr. MM 142; Essenwein 1898, S. 18. Hl. Katharina: Puschendorf, Pfarrkirche, Chor s III, 2b; Scholz 2002, I, S. 414, II, Abb. 324.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011, 122 ff. [= 31. Geißelung Christi]

Siehe auch

Extern

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Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Geißelung Christi (Erbach, Schloss)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/105-1-04-02_geisselung-christi-erbach-schloss> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/105-1-04-02

Geißelung Christi: ES [= Erhaltungsschema] Nr. 31