Ereignis
Was geschah
Die deutsche Regierung hofft, mithilfe von Freiwilligenverbänden „Anarchie“ und „Bürgerkrieg“ bekämpfen zu können. Bereits im März 1919 gibt es einen Aufruf, der gezielt Studenten anspricht. Die Reichswehr-Brigade 11 in Kassel ordnet im Oktober 1919 die Schaffung eines Studentenkorps in Marburg an, das für „den Fall dringender Not und Gefahr […], wenn die Kräfte der Polizei und Reichswehr nicht mehr ausreichen“, dem „Vaterland zu Hilfe“ eilen soll. Die Aufrufe fallen besonders bei Mitgliedern von Studentenverbindungen auf fruchtbaren Boden; die Mehrheit der studentischen Zeitfreiwilligen gehört einer Verbindung an.
In Gießen und Marburg wurden die studentischen Zeitfreiwilligen heimlich von der Reichswehr mit Waffen und Munition ausgestattet, wobei die Waffen in den Verbindungshäusern oder privaten Wohnungen aufbewahrt wurden. Republikanische Studenten wie der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann (1899–1976) und der Bundesminister Ernst Lemmer (1898–1970) versuchten wiederholt bei den Behörden, eine Entwaffnung der Studenten zu erreichen. Sie befürchteten einen Umsturzversuch, da die Verbindungsstudenten als republikfeindlich galten. Tatsächlich gab es in Marburg entsprechende Planungen, die nur aufgrund des Scheiterns des Kapp-Putsches nicht umgesetzt wurden. Gießener Studenten wiesen später Gerüchte, sie hätten einen Putsch geplant, zurück. Beschlüsse zur Entwaffnung wurden in Marburg bis zum März 1920 nicht umgesetzt. Mit den zunehmenden Unruhen in Thüringen wurde die angekündigte Entwaffnung endgültig ausgesetzt.
Die Führung des Marburger Studentenkorps lag bei dem ehemaligen Fregattenkapitän und Geschichtsstudenten Bogislav von Selchow (1877–1943). Nach den gescheiterten Putschplänen in Marburg, löste von Selchow am 19. März 1920 das Studentenkorps auf. Nur wenige Stunden später wurde es jedoch wieder aktiviert, nachdem Regierung und Militär dazu aufriefen, den „Aufruhr in Thüringen rasch niederzuschlagen“.
Das Marburger Studentenkorps bestand aus 1800 Mann, die überwiegende Mehrheit waren Verbindungsstudenten. Zu den insgesamt 10 Kompanien gehörte auch die sogenannte Volkskompanie, die aus republikanischen Studenten und Arbeitern bestand. Schon am 20. März verließen sechs der zehn Kompanien unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Marburg Richtung Thüringen.
(StF)
Bezugsrahmen
Nachweise
Literatur
- Bogislav von Selchow, Hundert Tage aus meinem Leben, Leipzig 1936, S. 315
- Dietrich Heither / Adelheid Schulze, Die Morde von Mechterstädt 1920. Zur Geschichte rechtsradikaler Gewalt in Deutschland, Berlin 2015, S. 102-106, 109-112, 141-145
Weiterführende Informationen
- Gustav Noske, Von Kiel bis Kapp. Die Geschichte der deutschen Revolution, Berlin 1920, S. 119 (eingesehen am 16.9.2025)
- Anfrage des Abgeordneten Alfred Kiel ,Verhandlungen des Landtags des Volksstaates Hessen, 1. Landtag, 1919/21, Drucksachen, Bd. 2, Darmstadt 1920, Nr. 259 [Dig. 153] (eingesehen am 8.9.2025)
- Antwort des Hessischen Innenministeriums auf die Anfrage des Abgeordneten Alfred Kiel ,Verhandlungen des Landtags des Volksstaates Hessen, 1. Landtag, 1919/21, Drucksachen, Bd. 2, Darmstadt 1920, Nr. 344 [Dig. 461] (eingesehen am 8.9.2025)
- „Zeitfreiwillige heraus!“, Gießener Anzeiger Nr. 73 vom 26.3.1920 (eingesehen am 9.9.2025)
- „Die Gießener Studenten als Zeitfreiwillige.“, Gießener Anzeiger Nr. 82 vom 8.4.1920, Zweites Blatt (eingesehen am 9.9.2025)
- „Das Verhalten der Gießener Studentenschaft.“, Gießener Anzeiger Nr. 87 vom 14.4.1920, Erstes Blatt (eingesehen am 9.9.2025)
- Wikipedia: Kapp-Putsch in Thüringen (eingesehen am 9.9.2025)
Kalender
Siehe auch
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Personen
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Quellen und Materialien
Nachnutzung
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Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0
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Empfohlene Zitierweise
„Gießener und Marburger Studenten als Zeitfreiwillige, 1919-1920“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/7706_giessener-und-marburger-studenten-als-zeitfreiwillige> (aufgerufen am 25.11.2025)
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