Ereignis
Was geschah
Bei Verlust der Arbeit gab es im 19. Jahrhundert keine finanzielle Absicherung, die Arbeitslosenversicherung wurde erst 1927 eingeführt. Arbeitslose waren oft gezwungen, durch Betteln ihr Überleben zu sichern. Um den Betroffenen zu helfen, gründete der evangelische Theologe Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) 1882 in Wilhelmsdorf bei Bielefeld die erste deutsche Arbeiterkolonie. Dort sollten Arbeitslose für eine bestimmte Zeit aufgenommen und nach Möglichkeit in ein neues Arbeitsverhältnis vermittelt werden, damit sie wieder ein „geordnetes Leben“ führen könnten. Ziel war es, „auf dem Boden christlicher Liebesthätigkeit“ das Betteln zu beseitigten, „arbeitsscheue Vagabunden sittlich [zu] heben, zur Arbeit [zu] erziehen.“ Insgesamt entstanden 33 Arbeitskolonien im Deutschen Reich, am 28. September 1885 wurde die Kolonie in Neu-Ulrichstein im Vogelsberg eröffnet. Es war die insgesamt 13. Gründung.
Der Aufenthalt in einer Arbeiterkolonie war freiwillig. Offiziell betrug die maximale Aufenthaltsdauer in Neu-Ulrichstein vier Monate, es standen 120 Plätze zur Verfügung. Oftmals wurde nach der Entlassung eine andere oder auch dieselbe Kolonie wieder aufgesucht. Entscheidend für eine erneute Aufnahme war, dass der Betroffene ohne eigenes Verschulden in Not geraten war. Die statistische Auswertung der Belegungszahlen zeigt, dass im ersten Jahr ihres Bestehens überwiegend jüngere Männer in Neu-Ulrichstein um Aufnahme baten. Von den insgesamt 279 Männern, die zwischen April 1885 und März 1886 in der Kolonie lebten, war die Hälfte unter 35, 88% unter 50 Jahren. Die meisten hielten sich nicht lange dort auf. 20% sind nur bis zu einer Woche geblieben, 60% bis zu 49 Tagen. In dem untersuchten ersten Jahr wohnten nur drei Personen länger als 147 Tage in der Kolonie.
Die Bewohner hatten sich einer strengen Hausordnung zu unterwerfen, bei der die „sittlich-religiöse Fürsorge“ in Form von Andachten und Gottesdiensten eine große Rolle spielte. Alkohol und Kartenspiel war verboten, ohne Erlaubnis durfte die Kolonie nicht verlassen werden.
(StF)
Bezugsrahmen
Nachweise
Literatur
- Georg Berthold, Die Entwickelung der deutschen Arbeiterkolonien, Leipzig 1887
- Errichtung einer Arbeiterkolonie für das Großherzogtum Hessen und den Königlich-Preußischen Regierungsbezirk Wiesbaden, in: HStAD Bestand R 1 B Nr. 35670
Weiterführende Informationen
- [Aus einer 1887 erschienen Abhandlung über „Die Entwickelung der deutschen Arbeiterkolonien“; Tabellen mit den Zahlen der aufgenommenen und entlassenen Bewohner der Kolonie Neu-Ulrichstein; Haus- und Tagesordnung für die Arbeiter-Colonie Neu-Ulrichstein vom 22. Juni 1886]
- Wikipedia: Wilhelmsdorf (Arbeiterkolonie) (eingesehen am 9.2.2024)
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Nachnutzung
Rechtehinweise
Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Die Arbeiterkolonie Neu-Ulrichstein, 1886“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/7510_die-arbeiterkolonie-neu-ulrichstein> (aufgerufen am 25.11.2025)
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