Holzhausen

Bearbeitet von Daniel Ristau  
Landkreis
Kassel
Topografische Karten
KDR 100, TK25 1900 ff.

Basisdaten

Juden belegt seit

1817

Lage

34376 Immenhausen, OT Holzhausen, vermutlich Kasseler Straße 39

Rabbinat

Niederhessen (Kassel)

erhalten

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Geschichte

Das Dorf Holzhausen liegt am Südwesthang des Reinhardswaldes. Der für 1650 belegte Flurname „Judenhob“ („Judenhof“) deutet auf einen Garten in jüdischem Besitz hin, was bereits für die frühe Neuzeit jüdische Bewohner im Ort vermuten lässt.1 Jedoch verfügen wir erst mit der Niederlassung der Familie Hammerschlag, deren Verwandtschaftsnetz sich auch über weitere Orte Nordhessens erstreckte,2 im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts über einen konkreten Nachweis jüdischer Einwohnerinnen und Einwohner in Holzhausen: Der 1760 in Bettenhausen bei Kassel geborene Viehhändler Aron Israel Hammerschlag, der 1812 zunächst im etwa drei Kilometer südöstlich gelegenen Wilhelmshausen wohnte, lebte ab mindestens 1817 im Dorf. Da er mit seiner dortigen Unterkunft nicht zufrieden war, suchte er für seine neunköpfige Familie im März desselben Jahres um Niederlassung im benachbarten Immenhausen nach, die ihm allerdings verwehrt wurde.3

Bis 1835 wuchs die Zahl der jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner in Holzhausen – allesamt Mitglieder der Familie Hammerschlag – auf zehn an, die meist als Händler tätig waren.4 Bis 1858 stieg ihre Zahl auf 23 an, 1861 lebten noch 15, 1864 dann 17, 1871 16, 1885 wieder 17 und 1897 18 Jüdinnen und Juden im Ort.5 Die relative Konstanz der Zahlen war einerseits durch den Wegzug zahlreicher Mitglieder der Folgegenerationen der Familie Hammerschlag ab der Jahrhundertmitte bedingt. Beispielsweise wanderten der junge Kaufmann Levi Hammerschlag sowie die Familien von Hermann und Simon Hammerschlag zwischen 1860 und 1865 in die USA aus.6 Andererseits lebten bis 1938 kontinuierlich Familienmitglieder im Ort, die in erster Linie im Handel tätig waren.7

Wie ihre Glaubensgenossinnen und -genossen in Immenhausen und anderen Orten im Reinhardswald, war die Familie Hammerschlag der jüdischen Gemeinde im rund neun Kilometer nordwestlich gelegenen Grebenstein zugeordnet. Angesichts der Synagogenbauplanungen in Grebenstein baten die drei Brüder Israel, Heinemann und Moses Hammerschlag 1839 die Behörden um Befreiung von den von ihnen dazu geforderten Beiträgen sowie den übrigen Gemeindelasten. Sie verwiesen darauf, dass die Synagogen in Kassel und Helmarshausen für ihren Gottesdienstbesuch deutlich günstiger lägen und auch ihren Kindern der Schulbesuch in Grebenstein wegen des Weges nicht zuzumuten sei. Zugleich kündigten sie ein weiteres Gesuch an die Provinzialregierung an, in dem sie "um die hohe Erlaubniß zur Haltung des Gottesdienstes in unserm Familienkreise und zugleich, wenn unsere Kinder schulfähig seyn werden, zur Annahme eines Religionslehrers" bitten wollten.8 1840 beantragten die Brüder die Vereinigung mit der Synagogengemeinde in Kassel. Die Vorsteher der Israeliten der Provinz Niederhessen lehnten dies jedoch ab. Auch der Kasseler Gemeindevorstand sprach sich dagegen aus. Da eine eigene jüdische Gemeinde in Holzhausen wegen der geringen Zahl an Juden gar nicht gegründet werden könne, sei an der durch das Gesetz von 1823 bestimmten Zuordnung der Holzhäuser Jüdinnen und Juden zur jüdischen Gemeinde in Grebenstein festzuhalten. Allerdings wurden die Beiträge zu den Gemeindelasten der Familie Hammerschlag auf ein Drittel reduziert.9 1842 wiederholten die Brüder ihre Bitte um Abgabenbefreiung und baten nochmals um eine Zuordnung zur jüdischen Gemeinde in Kassel. Man habe zudem bereits einen Religionslehrer und Schächter angenommen, der nächsten Winter seine Stelle in Holzhausen antreten werde. Bislang sei ihr Vieh in Meimbressen geschächtet worden, weil der Grebensteiner Schächter sich mit Verweis auf die schlechten Wegverhältnisse bislang geweigert habe, dies zu machem. Die Bitte wurde allerdings erneut abgelehnt.10

Offenbar gab es nochmals in den 1870er Jahren Bestrebungen um Abspaltung: Einem Zeitungsbericht zufolge waren 1878 – einige Monate nach Erlass des preußischen Austrittsgesetzes von 1876, das Jüdinnen und Juden die Möglichkeit zum Verlassen einer jüdischen Gemeinde bei religiösen Bedenken gestattete – mehrere Grebensteiner Juden aus der dortigen Synagogengemeinde ausgetreten. Sie hätten „in Gemeinschaft mit den in Immenhausen und Holzhausen wohnenden, aus der hiesigen Synagogen-Gemeinde ausgetretenen Personen eine zweite Synagogen-Gemeinde ausgebildet" und hielten ihren "Gottesdienst nach gesetzlicher Vorschrift".11 Wo die Gottesdienste stattfanden, hält der Bericht nicht fest.

1932/33 lebten noch 7 Jüdinnen und Juden in Holzhausen.12 Die nationalsozialistische Verfolgung ab 1933 zwang die letzten Familienmitglieder schließlich 1938, den Ort in Richtung Kassel zu verlassen. Zu den Opfern der Shoah, die aus Holzhausen stammten, zählten unter anderem der Kaufmann Julius Hammerschlag, der 1943 im Ghetto Theresienstadt umkam, der Viehhändler Richard Hammerschlag, der 1940 im Konzentrationslager Dachau starb,13 sowie die Modistin Else und ihre Schwester Jenni Hammerschlag, die in Auschwitz ermordet wurden. Der Textilkaufmann Alfred Hammerschlag wurde 1941 ins Ghetto Riga deportiert, wo sich seine Spur verliert.14

Im Juni 2002 besuchten Nachfahren der Familie Hammerschlag Holzhausen.15 2009 wurde vor der Kirche eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Familie aufgestellt.16

Betsaal / Synagoge

Da die Grebensteiner Synagoge weit von Holzhausen entfernt lag, war es den Holzhäuser Jüdinnen und Juden aus religionsrechtlichen Gründen nicht möglich, am Tag des Gottesdienstes an- und abzureisen, ohne den Eruw (Schabbatgrenze) zu missachten. In der zweiten Hälfte der 1830er Jahre richteten die Brüder Israel, Heinemann und Moses Hammerschlag einen eigenen Betraum ein, der sich vermutlich in einem ihrer Häuser befand. Im August 1842 betonten sie gegenüber den Behörden, sie hielten „seit länger als 5 Jahren den Gottesdienst in unserm Orte in einem besonders dazu bestimmten Zimmer, haben uns die hierzu erforderliche Tora, Bücher u.s.w. auf eigene Kosten angeschafft, um das zur Verrichtung des Gottesdienstes vorgeschriebene Personal von 10 Männern ist stets bei uns vorhanden, da sieben Israeliten aus den nahe gelegenen Ortschaften zu uns kommen.“17 Über die Praxis des Gottesdienstes in diesem privaten Betraum, die Dauer seines Bestehens sowie seine Ausstattung liegen bislang keine Informationen vor. Dass ein 1842 von Moses und Sara Hammerschlag erworbenes Haus, ein Fachwerkgebäude aus dem 18. Jahrhundert, in der heutigen Kasseler Straße 39 im Volksmund die Bezeichnung "Judentempel" führte, lässt vermuten, dass der Betraum ab diesem Jahr dort eingerichtet war. 1862 übernahm es der älteste Sohn Aron Hammerschlag. Nach dessen Tod 1906 wurde es an die Braunkohlenwerke-Gewerkschaft Holzhausen verkauft.18

In ihrer häuslichen religiösen Praxis halfen den Familien christliche Nachbarn, die an Schabbat und den jüdischen Feiertagen Arbeiten in den Wohnungen übernahmen, wie etwa das Anzünden von Feuer und Licht.19

Weitere Einrichtungen

Schule

Die Entfernung zu Grebenstein erschwerte auch den Besuch des jüdischen Religionsunterrichts der jüdischen Kinder aus Holzhausen. Im Oktober 1843 erklärte Heinemann Hammerschlag den Behörden stellvertretend für die anderen Familienmitglieder, man schicke die schulpflichtigen Kinder deswegen nicht nach Grebenstein in die jüdische Elementarschule. Vielmehr besuchten diese die christliche Schule in Holzhausen, erhielten allerdings keinen Religionsunterricht. Deshalb sollte der Grebensteiner Religionslehrer ein- bis zweimal in der Woche zur Unterrichtserteilung nach Holzhausen kommen. 1846 beantragten die Holzhäuser, einen eigenen Lehrer für die nunmehr elf schulpflichtigen Kinder anzustellen. Diese Stelle hatte bis 1851 der Privatlehrer Susmann Seehof inne. Nach seinem Weggang besuchten die jüdischen Kinder wieder die Volksschule in Holzhausen. Ihren Religionsunterricht erhielten sie fortan in Immenhausen.20 Bestand die Absicht des Erwerbs einer höheren Schulbildung, schickten die Hammerschlags ihre Kinder in auswärtige Schulen. Levi (Louis) Hammerschlag, ein Urenkel des Aron Israel Hammerschlag, besuchte so von 1885 bis 1891 das Gymnasium in Hofgeismar.21

Friedhof

Die Jüdinnen und Juden aus Holzhausen bestatteten ihre Toten zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Meimbressen bei.22 Nach der Eröffnung des jüdischen Friedhofs in Grebenstein trugen sie ihre Toten dort zu Grabe.

Nachweise

Fußnoten

  1. Thierling, Gedenken an Richard Hammerschlag, S. 177
  2. Thierling, Auf den Spuren, S. 195-197
  3. Thierling, Bedacht zu nehmen, S. 117
  4. Thierling, Gedenken an Richard Hammerschlag, S. 177
  5. Thierling, Auf den Spuren, S. 192-193; Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, 9. Suppl., 1864, S. 18; Königlich Statistisches Bureau, Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preussischen Staates und ihre Bevölkerung. X. Die Provinz Hessen-Nassau., Berlin 1873, S. 11; Holzhausen, Landkreis Kassel, in: Historisches Ortslexikon, https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/2083 (Stand: 29.4.2024); Gemeindelexikon für die Provinz Hessen-Nassau, 1897, S. 15
  6. HStAM, 180 Hofgeismar, Nr. 875
  7. Thierling, Bedacht zu nehmen, S. 117; Thierling, Auf den Spuren, S. 194
  8. HStAM, 18, Nr. 2681
  9. HStAM, 18, Nr. 2681
  10. HStAM, 18, Nr. 2681
  11. Der Israelit, Nr. 2, 8.1.1879, S. 27. Vgl. zum Konflikt auch Allgemeine Zeitung des Judenthums, Nr. 21, 21.5.1878, S. 326-327.
  12. Holzhausen, Landkreis Kassel, in: Historisches Ortslexikon, https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/2083 (Stand: 29.4.2024)
  13. Sterbeurkunde in AA, Sig. 01010602 069.467, https://collections.arolsen-archives.org/de/document/10085949 (Stand: 30.4.2025)
  14. Thierling, Familie Hammerschlag aus Holzhausen; Thierling, Gedenken an Richard Hammerschlag, S. 180-187
  15. Thierling, Rückkehr; HNA-Hofgeismarer Allgemeine, 13.6.2002
  16. https://www.immenhausen.de/seite/261080/geschichte-von-immenhausen,-holzhausen-und-mariendorf.html (Stand: 29.4.2025)
  17. HStAM, 18, Nr. 2681
  18. Thierling, Hier wohnten, S. 59-60
  19. Thierling, Auf den Spuren, S. 194
  20. Thierling, Auf den Spuren, S. 193-194
  21. Mey, Berufe, S. 103
  22. HStAM, 18, Nr. 2681

Weblinks

Quellen

Literatur

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Holzhausen“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/849_holzhausen> (aufgerufen am 26.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/syn/849

Holzhausen, ehemaliges Wohnhaus von Moses Hammerschlag, Kasseler Straße 39 (2012)