Nieder-Ramstadt

Bearbeitet von Rahel Blum und Cornelia Berger-Dittscheid, überarbeitet von Daniel Ristau  
Topografische Karten
KDR 100, TK25 1900 ff.
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Basisdaten

Juden belegt seit

1560

Lage

64367 Mühltal, OT Nieder-Ramstadt, vermutlich Dornwegshöhstraße 20

erhalten

nein

Gedenktafel vorhanden

nein

Synagogen-Gedenkbuch Hessen

Geschichte

Anm.: Diesem Beitrag liegen Passagen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Nieder-Ramstadt im Artikel Ober-Ramstadt des "Synagogengedenkbuchs Hessen" zugrunde.1

Der erste jüdische Einwohner, der in Nieder-Ramstadt bekannt ist, war 1560 der Schutzjude Seligmann, der auch in den Folgejahren im Ort belegt ist. 1571 wird ein „Judt Herdtstadt“ erwähnt.2 Weitere Hinweise auf die Anwesenheit von Jüdinnen und Juden im Ort fehlen in der Folgezeit. Erst in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird wieder ein Jude in Nieder-Ramstadt aktenkundig. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts zog aus Ober-Ramstadt Löw (Levi) in den Ort, der dort 1690 im Besitz mehrerer Häuser war. Auch sein Sohn Abraham (Affrom), der vermögend war und unter anderem Kredite vergab, und ein Jude namens Joseph ließen sich hier zu Beginn des 18. Jahrhunderts nieder.3

Dass im 18. Jahrhundert zeitweise, wohl im Verbund mit in benachbarten Orten lebenden Jüdinnen und Juden, eine kleine jüdische Gemeinde bestand, belegt der in dieser Zeit genutzte Betsaal im Ort. Abraham wirkte zudem offenbar als Schächter, denn seinem Sohn Levi (Löw) vererbte er sein gesamtes Schächtwerkzeug. Seine Tochter Michele heiratete Zacharias aus Ober-Ramstadt, der nach Nieder-Ramstadt übersiedelte und unter anderem mit Tabak handelte.4

In Nieder-Ramstadt existierten in den 1750er-Jahren drei bis fünf jüdische Haushalte. Auch im Dorf Modau sind in dieser Zeit zwei jüdisch Steuerpflichtige genannt. In Nieder-Ramstadt waren es 1807 fünf. Insgesamt ging die Zahl der im Ort lebenden Jüdinnen und Juden bis Ende der 1820er-Jahre auf neun Personen zurück, weshalb sich der Schwerpunkt des jüdischen Gemeindelebens nach Ober-Ramstadt verschob.5

In den Folgejahrzehnten lebten in Nieder-Ramstadt nur wenige Jüdinnen und Juden. Gleichwohl kam es auch hier schon im Kaiserreich zu einem antisemitischen Vorfall, als ein Gastwirt in Trautheim, das zur Ortsgemeinde gehörte, damit warb, dass Juden vom Besuch seines Hauses ausgeschlossen seien.6 1910 soll mutmaßlich nur noch ein jüdischer Bewohner im Ort gelebt haben, Mitte der 1920er-Jahre waren es zwei.7

1935 lebten noch fünf als „jüdisch“ verfolgte Menschen in Nieder-Ramstadt, darunter einige, die in der dortigen Pflegeanstalt der inneren Mission untergebracht waren. Von letzteren wurden Aron Löber, der in Alten-Buseck geboren worden war, und der in Gelnhausen geborene Emil Sichel im Rahmen der Euthanasieverbrechen in der Tötungsanstalt in Hadamar am 4. Februar 1941 ermordet. Die in Nieder-Ramstadt geborene Irma Reiß wurde 1942 von Darmstadt deportiert und vermutlich im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Nieder-Ramstadt gehört seit 1977 zur Gemeinde Mühltal.

Statistik

  • 1564 1 Person (vermutlich plus Haushalt)
  • 1690 1 Person (vermutlich plus Haushalt)
  • 1752 3 Personen (plus Haushalte)
  • 1807 5 Personen (plus Haushalte)
  • 1829 9 Personen
  • 1910 1 Person
  • 1925 2 Personen
  • 1935 5 Personen (einschl. Patienten der
  • Pflegeanstalt Nieder-Ramstadt)

Quellenangabe Statistik

Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Ober-Ramstadt, S. 361.

Betsaal / Synagoge

Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts muss die Zahl der Juden in Nieder-Ramstadt und den umliegenden Orten ausreichend groß gewesen sein, um Gottesdienste abhalten zu können. Für 1719 ist eine „Schul“ erwähnt, bei der es sich um einen Betraum in einem Privathaus gehandelt haben dürfte. Möglicherweise befand sich dieser im Haus des aus Ober-Rahmstadt Ende des 17. Jahrhunderts zugezogenen Löw an der Hauptstraße (heute Dornwegshöhstraße 20), das später sein Sohn Abraham übernahm. Die Erwähnung dieser Synagoge wurde deshalb aktenkundig, weil ihre Lage „an der Straße“ als Ärgernis empfunden wurde. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts besuchten die wenigen Jüdinnen und Juden offenbar die Gottesdienste in der Synagoge in Pfungstadt.8

1822 verstarb der letzte Lehrer, Vorsänger und Schächter der Nieder-Ramstädter Jüdinnen und Juden, Seligmann Moses.9 Möglicherweise fanden bis zu diesem Zeitpunkt Gottesdienste im Ort statt, an denen auch die jüdischen Einwohner der Nachbarorte teilnahmen. Anfang der 1830er-Jahre hatte sich der Schwerpunkt des jüdischen Gemeindelebens dann nach Ober-Ramstadt verschoben, wo spätestens ab dieser Zeit ein Betraum existierte.

Weitere Einrichtungen

Schule

Vor seinem Tod 1822 unterrichtete der Lehrer Seligmann Moses aus Weinheim die jüdischen Kinder in Nieder-Rahmstadt. Der wohl einzige verbliebene jüdische Schuljunge musste danach zum Unterricht nach Ober-Ramstadt gehen.10

Friedhof

Im 18. Jahrhundert wurden die verstorbenen Jüdinnen und Juden aus Nieder-Ramstadt auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Alsbach beigesetzt. Abraham aus Nieder-Ramstadt gehörte der für diesen Friedhof gebildeten Beerdigungsbruderschaft an.11 Der älteste identifizierbare Grabstein wurde 1742 für die verstorbene Ehefrau des Löw und Tochter des Feis, Vogel, gesetzt.

Nachweise

Fußnoten

  1. Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Ober-Ramstadt.
  2. Dehnert, 1988, Chronik, S. 422; HStAD, O 61 Mueller Adolf, Nr. 3.
  3. HStAD, O 61 Mueller Adolf, Nr. 5; Dehnert, 1988, Chronik, S. 423–424.
  4. CAHJP D-Da3, Nr. 38; Nr. 53; CJA, 1 A Da2, Nr. 36; ISG FFM, H.15.33, Nr. 10074; GemA Mühltal, Nieder-Ramstadt, X/2, Nr. 9/43; Heinemann/Wiesner, 1999, Friedhof, S. 101.
  5. CJA, 1 A Da2, Nr. 36; HHStAW, 365, Nr. 661; HStAD, G 17, Nr. 5; Nr. 14c; GemA Mühltal, Nieder-Ramstadt, XIII/1, Nr. 1/1; Wagner, 1829, Beschreibung, S. 170.
  6. Die Welt, Nr. 3, 18.6.1897, S. 9.
  7. Dehnert, 1988, Chronik, S. 424.
  8. Dehnert, 1988, Chronik, S. 423–424.
  9. GemA Mühltal Nieder-Ramstadt, XIII/4, Nr. 1/12.
  10. GemA Mühltal Nieder-Ramstadt, XIII/4, Nr. 1/12.
  11. Heinemann/Wiesner, 1999, Friedhof, S. 101.

Quellen

  • ** Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW)
  • HHStAW, 365, Nr. 661.
  • ** Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD)
  • HStAD, G 17, Nr. 5.
  • HStAD, G 17, Nr. 14c.
  • HStAD, O 61 Mueller Adolf, Nr. 3.
  • HStAD, O 61 Mueller Adolf, Nr. 5.
  • ** Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem (CAHJP)
  • CAHJP D-Da3, Nr. 38.
  • CAHJP D-Da3, Nr. 53.
  • ** Centrum Judaicum, Archiv, Berlin (CJA)
  • CJA, 1 A Da2, Nr. 36.
  • ** Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main (ISG FFM)
  • ISG FFM, H.15.33, Nr. 10074.
  • ** Gemeindearchiv Mühltal (GemA Mühltal)
  • GemA Mühltal, Nieder-Ramstadt, X/2, Nr. 9/43.
  • GemA Mühltal, Nieder-Ramstadt, XIII/1, Nr. 1/1.
  • GemA Mühltal Nieder-Ramstadt, XIII/4, Nr. 1/12.

Literatur

Indizes

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Nieder-Ramstadt“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/843_nieder-ramstadt> (aufgerufen am 25.11.2025)

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