Altheim

Bearbeitet von Daniel Ristau  
Topografische Karten
KDR 100, TK25 1900 ff.
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Basisdaten

Juden belegt seit

um 1700

Lage

64839 Münster, OT Altheim, Kreuzstraße 8

erhalten

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Synagogen-Gedenkbuch Hessen

Geschichte

Altheim wurde Ende 1971 nach Münster eingemeindet. Im 17. Jahrhundert stand der fast ausschließlich von Protestanten bewohnte Ort unter hessisch-hanauischer Verwaltung. Während sich Geschäftsbeziehungen auswärtiger Juden mit Einwohnern Spitzaltheims – so die in der Frühen Neuzeit gebräuchlichen Ortsbezeichnung – bereits für 1682 nachweisen lassen, erfolgte ihre Niederlassung wohl erst um 1700.1 So belegen Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Babenhausen für 1727 die Eheleute Joel und Heble aus Altheim. Die 1743 auf dem jüdischen Friedhof in Hanau beigesetzte Bela Levi war eine Tochter „Jehoschua gen. Falk aus Schwizaltum“, also Spitzaltheim. Es handelte sich dabei wohl um Falck Simon, der in Altheim geboren wurde und dort ab 1740 Schutzjude war. Dessen Vater, Simon, soll zu diesem Zeitpunkt bereits 43 Jahre, sein Bruder Moyses 13 bis 14 Jahre mit einem Schutzpatent ausgestattet gewesen sein.2 Weitere Jüdinnen und Juden sind in den Quellen auch in den Folgejahrzehnten belegt, darunter 1747 der Viehhändler Baruch.3 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte zu den niedergelassenen Familien die des Viehhändlers Herz Altheimer. In den Folgejahren wurden zahlreiche weitere Mitglieder seines Verwandtschaftsnetzes im Ort ansässig.4 Als weitere Familiennamen finden sich Oppenheimer, Morgenstern und Krämer.5 Bis Ende der 1820er-Jahre war die Zahl der Jüdinnen und Juden in Altheim auf 59 gestiegen.6 Sie bildeten zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon länger eine eigenständige jüdische Gemeinde, die sich nachweislich ab 1832 auch über amtlich genehmigte Umlagen auf die Gemeindemitglieder finanzierte.7 Im Unterschied zur jüdischen Gemeinde im benachbarten Münster war sie Zeit ihres Bestehens dem Rabbinat in Darmstadt zugeordnet.8

Insgesamt teilten Altheimer Jüdinnen und Juden wie Christinnen und Christen vielfach gemeinsame Erfahrungen, wie die Teilnahme eines Altheimer Juden am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871 zeigt.9 Allerdings sank ihre Zahl bis in die 1870er-Jahre stark, als nur noch zehn Jüdinnen und Juden im Ort lebten.10 Eine Ursache für diese rückläufigen Zahlen war auch die große Bereitschaft zur Emigration nach Nordamerika, wobei in den 1860er-Jahren teils ganze Familienverbände auswanderten.11 Schließlich vermerkte die im Großherzoglich-Hessischen Regierungsblatt abgedruckte Umlagenliste für das Rechnungsjahr 1884/1885 lapidar: „Die isr[aelitische] Gemeinde Altheim hat sich aufgelöst.“12 Die noch im Ort lebenden Jüdinnen und Juden gehörten fortan wohl zur jüdischen Gemeinde in Münster.

Bei den Landtagswahlen von 1932 fiel der NSDAP bei den mehrheitlich protestantischen Altheimern bereits ein Stimmanteil von 87,05 Prozent zu.13 Mit der Machtdurchsetzung der antisemitischen Partei ab 1933 setzte auch die Verfolgung der vier noch im Ort lebenden jüdischen Altheimer ein. Am 10. November 1938 wurde der 1873 geborene Max Krämer im Zuge des Pogroms festgenommen und ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.14 Er kam erst im Dezember 1938 wieder frei und wurde im September 1942 zusammen mit seiner Frau Frieda, seinem Bruder Leopold und dessen Frau Sophie nach Theresienstadt deportiert.15 Bereits im Februar 1941 war der in Altheim geborene, in der Heil- und Pflegeanstalt Heppenheim untergebrachte Moses Altheimer in der Tötungsanstalt in Hadamar ermordet worden.16 Am 6. April 2025 wurden vier Stolpersteine für die hier als „jüdisch“ verfolgten Familien verlegt.

Statistik

  • 1741 3 Familien
  • 1829 59 Personen
  • 1861 53 Personen
  • 1864 46 Personen
  • 1867 33 Personen
  • 1871 19 Personen
  • 1880 10 Personen
  • 1885 18 Personen
  • 1897 10 Personen
  • 1900 8 Personen
  • 1925 6 Personen
  • 1933 4 Personen

Quellenangabe Statistik

Ristau, 2025, Münster, S. 336.

Betsaal / Synagoge

1827 erwarben die Altheimer Jüdinnen und Juden ein traufseitig zu Straße errichtetes kleines zweistöckiges Gebäude mit Torhaus in der heutigen Kreuzgasse 8. Errichtet hatte es vermutlich der 1820 als Vorbesitzer genannte Johannes Zimmermann. Im Obergeschoss des Gebäudes richtete die jüdische Gemeinde einen Betraum ein. 1843 wurde das Haus gegen Feuer versichert.17 Über die Ausstattung liegen bislang keine Informationen vor. Ein späterer Bewohner des Hauses erinnerte sich, dass das Obergeschoss keine Zimmerdecke gehabt habe, sondern zum Dachstuhl hin offen gewesen sei.18 Es wurde baulich stark verändert.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In Altheim existierten mindestens zwei private Mikwen. Eine befand sich im Haus von Moses Altheimer, „etwas tiefer“ gelegen als der Keller, in dem sie eingerichtet worden war. Die andere war im Haus der verwitweten Betty Altheimer eingerichtet, jedoch in schlechtem Zustand. Offenbar wurden beide Tauchbäder 1857 behördlich geschlossen und Moses Altheimer aufgefordert, das „Badeloch“ zuzuschütten.19

Friedhof

Die Altheimer Jüdinnen und Juden setzten ihre Toten im 19. Jahrhundert auf dem jüdischen Friedhof in Babenhausen bei.

Nachweise

Fußnoten

  1. HStAD, F 16, Nr. 682.
  2. HStAM, 86, Nr. 29468.
  3. Vgl. HStAD, F 16, Nr. 682; HStAM, 81, Nr. A/57/2 Bd. 1, sowie Grabsteine zu Babenhausen in Jüdische Grabstätten, online unter: https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/index/sn/juf (Stand: 19.7.2024).
  4. Vgl. CAHJP, D-Lj4, Nr. 32; HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. F 870; Nr. R 572.
  5. CAHJP, D-Lj4, Nr. 32; HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. F 908; Keim, 1993, Beiträge, S. 26, 40, 120.
  6. Wagner, 1829, Beschreibung, S. 3.
  7. Vgl. die entsprechenden jährlichen Übersichten im Großherzoglich-Hessischen Regierungsblatt.
  8. Hof- und Staatshandbuch des Großherzogthums Hessen, 1854, S. 191.
  9. Comité zur Abwehr antisemitischer Angriffe, 1897, Juden als Soldaten, S. 84.
  10. Engelbert, 1875, Statistik des Judenthums, S. 52-53.
  11. Vgl. HStAD, R 21 B, NACHWEIS; Hessische Auswanderer, online unter: https://lagis.hessen.de/de/personen/hessische-auswanderer/alle-eintraege (Stand: 4.11.2025).
  12. Großherzoglich-Hessisches Regierungsblatt, Beil. 13, 10. 6.1884, S. 98.
  13. Vgl. Hessische Parlamentarismusgeschichte, online unter: https://parlamente.hessen.de/ (Stand: 19.7.2024).
  14. HStAD, G 15 Dieburg, Nr. Q 592.
  15. HHStAW, 518, Nr. 64887; HStAD, G 15 Dieburg, Nr. Q 592; AA, Sign. 8229703; Gedenkbuch „Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, online unter: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ (Stand: 4.11.2025).
  16. HStAD, O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31; Müller, 1983, Juden in Münster, S. 36; Arolsen Archives, Sign. 1835000.
  17. GemA Münster, O, Nr. 610; Tuchlenski, 2016, Altheim, S. 116.
  18. GemA Münster, O, Nr. 610; Tuchlenski, 2016, Altheim, S. 116.

Weblinks

Quellen

  • Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP):
  • CAHJP, D-Lj4, Nr. 32.
  • Arolsen Archives (AA):
  • AA, Sign. 1835000.
  • Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
  • HStAD, F 16, Nr. 682.
  • HStAD, G 15 Dieburg, Nr. Q 592.
  • HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. F 870.
  • HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. F 908.
  • HStAD, G 28 Gross-Umstadt, Nr. R 572.
  • HStAD, R 21 B, NACHWEIS.
  • HStAD, O 61 Kohlmannslehner, Nr. 31.
  • Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM):
  • HStAM, 81, Nr. A/57/2 Bd. 1
  • HStAM, 86, Nr. 29468.
  • Gemeindearchiv Münster (Hessen) (GemA Münster):
  • GemA Münster, O, Nr. 610.
  • Heimat- und Geschichtsverein Münster e. V.:
  • Heimat- und Geschichtsverein Münster e. V., NL Karl J. Müller.

Literatur

Indizes

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Altheim“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/799_altheim> (aufgerufen am 25.11.2025)

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