Georgenhausen

Bearbeitet von Rahel Blum und Cornelia Berger-Dittscheid, überbearbeitet von Daniel Ristau  
Topografische Karten
KDR 100, TK25 1900 ff.
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Basisdaten

Juden belegt seit

1615

Lage

64354 Reinheim, OT Georgenhausen, Ollenhauerstraße 7a

Rabbinat

Oberrabbinat Darmstadt (bis 1898/1900); Rabbinat Darmstadt I (ab 1898/1900)

erhalten

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1912

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Synagogen-Gedenkbuch Hessen

Geschichte

Anm.: Diesem Beitrag liegen Passagen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Georgenhausen im Artikel Reinheim des "Synagogengedenkbuchs Hessen" zugrunde.1

Georgenhausen wurde erstmals 1318 erwähnt. 1429 gehörte das Dorf zur Mark Dieburg und ist 1580 als pfälzisches Lehen des Grafen Wolfgang von Löwenstein ausgewiesen.

Erstmals nachweisbar sind jüdische Einwohner im Ort, als 1615 Marx wegen Diebstahls und 1616 Löw wegen Beleidigung zu Geldstrafen verurteilt wurden.2 1623 werden Zolleinnahmen von drei Juden aus Georgenhausen genannt.3 Nach dem Dreißigjährigen Krieg lebten weiterhin nur vereinzelt Juden vor Ort, wie Gerichtsbücher belegen.4 Von diesen forderte die Landjudenschaft der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt 1652 eine Beteiligung an der gemeinsamen Judensteuer ein.5 Aufsehen erregte 1661 die Taufe des Georgenhäuser Juden Salomon in Reinheim, der sich fortan Georg Reinheimer nannte.6

1671 ging Georgenhausen an die reichsritterschaftliche Familie von Haxthausen über. Ein erster von der Familie ausgegebener Judenschutzbrief ist ab den 1750er-Jahren für einen Juden Siefels belegt, der später nach Spachbrücken übersiedelte.7 Wie viele Juden zu dieser Zeit genau im Dorf lebten, ist unbekannt. Allerdings bildeten sich spätestens in dieser Phase jüdische Gemeindestrukturen heraus. Der Soziologe Arthur Ruppin gibt als Gründungsjahr der jüdischen Gemeinde das Jahr 1706 an.8

Nach dem Übergang an das Großherzogtum Hessen 1806 bildete Georgenhausen zusammen mit dem Dorf Zeilhard sowohl eine politische als auch eine jüdische Gemeinde (Kehilla).9 Die Religionsgemeinde, die unter anderem einen eigenen Religionslehrer anstellte, hatte 1829 36 Mitglieder und war dem Rabbinat in Darmstadt zugeordnet. Um 1898/1900, nach der offiziellen Anerkennung des orthodoxen Darmstädter Rabbinats, bekannte sie sich zum reformorientierten Judentum und blieb beim Rabbinat Darmstadt I.10 1897 sind als Vorsteher S. und A. Morgenstern genannt.11

Weil zahlreiche Mitglieder in die USA auswanderten, schrumpfte die jüdische Gemeinde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Vergleich zu 1867, als die Gemeinde noch 27 Jüdinnen und Juden als Mitglieder zählte, gehörten ihr 1899 nur noch drei Familien mit insgesamt 16 Personen an. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits nur noch eine Filiale der Spachbrückener jüdischen Gemeinde und löste sich wenig später auf.12

In den Jahren 1932/33 lebten noch vier Jüdinnen und Juden in Georgenhausen, die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Reinheim waren. Mindestens acht der im Ort geborenen oder lebenden Jüdinnen und Juden wurden Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung und der Shoah.13

Statistik

  • 1615 2 Personen (Schutzjuden)
  • 1829 24 Personen
  • 1867 27 Personen
  • 1899 3 Familien mit 16 Personen
  • 1900 18 Personen
  • 1925 8 Personen
  • 1929/1932 4 Personen

Quellenangabe Statistik

Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 400.

Betsaal / Synagoge

Betraum im 18. und frühen 19. Jahrhundert

Eine Synagoge existierte in Georgenhausen bereits 1760, wie Streitigkeiten innerhalb der Judenschaft wegen vorgeblich falscher Kassenführung und Bevorteilung einzelner Spender zum Synagogenbau belegen. Ihr Standort ist nicht bekannt. Auch, um zukünftigen Konflikten vorzubeugen, erließ die Schutzherrschaft eine Judenordnung, die zwei Vorsteher mit der Gemeindeleitung betraute. Diese sollten notfalls unter Androhung von Geldstrafen für „Ordnung und Ruhe in der Schule“ sorgen. Als neutrale Schiedsinstanz sollte der „Rebe Mosche aus Spachbrücken“ hinzugezogen werden. Da die kleine jüdische Gemeinde offenbar nicht selbst über ausreichend männliche Mitglieder zur Abhaltung der Gottesdienste verfügte, scheint sie die für den Gottesdienst erforderliche Mindestzahl von zehn jüdischen Männern (Minjan) durch „fremde Juden“, die entweder ohne Schutzstatus im Ort lebten oder von außerhalb stammten, ergänzt zu haben.14

Die Synagoge von 1828/1829

1828 planten Mitglieder der jüdischen Gemeinde Georgenhausen-Zeilhard den Neubau einer Synagoge in Georgenhausen, der bald darauf erfolgte, denn schon im Folgejahr musste die gerade „neu erbaute Synagoge“ gegen ein Darlehen verpfändet werden.15 Sie befand sich im Ortskern im Bereich der heutigen Ollenhauerstraße 7A (alte Flur-Nr. 106). Möglicherweise war dies auch der Standort der Vorgängersynagoge. Der im Grundriss rechteckige, eingeschossige Bau maß 5,68 m in der Breite und 8,45 m in der Länge. Der Zugang erfolge von der Straßenseite aus, an die die westliche Schmalseite des Gebäudes grenzte. Zum Inventar gehörten Betstände.16

Nach der Auflösung der jüdischen Gemeinde, spätestens ab Ende Mai 1912, übernahm ein nichtjüdischer Besitzer das Synagogengrundstück in Georgenhausen. Er ließ das Gebäude kurz darauf abreißen.17 Gottesdienste fanden bereits wenige Jahre zuvor nicht mehr statt.18

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Mikwen sind in Georgenhausen für die Keller der Häuser von Isaak Morgenthau (um 1816) und Moses Simon (um 1826) dokumentiert. Diese wurden 1832 von den zuständigen Behörden im Kontext der staatlichen Regulierung der Frauenbäder wegen fehlender hygienischer Standards bemängelt und die jüdische Gemeinde zum Bau einer neuen, vorschriftsgemäßen Mikwe aufgefordert. Allerdings sah sich der Gemeindevorstand außerstande, „ein Juten bath nach der Vorschrift zu Fertigen“. Zudem betonte er, dass man auch nicht unbedingt den religiösen Gesetzen entsprechen müsse und die jüdischen Frauen sich auch in ihren Stuben mit warmem Wasser reinigen könnten. Dies war dann offenbar bis mindestens um 1900 die geübte Praxis.19

Schule

Mitte der 1870er-Jahre gab es in Georgenhausen noch acht jüdische Schulkinder. Die noch 6 Schulkinder, die Ende des 19. Jahrhunderts noch im Ort lebten, erhielten ihren Religionsunterricht durch den Spachbrücker Religionslehrer Hirsch Sulzbacher.20

Friedhof

Die Toten der jüdischen Gemeinde Georgenhausen wurden auf dem jüdischen Friedhof in Dieburg beigesetzt. Bereits 1626/1627 wurden Abgaben für die Beisetzung einer Tochter von Hirsch aus Georgenhausen an die Dieburger Stadtkasse entrichtet.21

Nachweise

Fußnoten

  1. Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim.
  2. HStAD, C 4, Nr. 112/1 (1615/1616).
  3. HStAD, O 61 Mueller Adolf, Nr. 5.
  4. StadtA Reinheim, Gerichtsbuch Spachbrücken, Einträge zu 1654 und 1673; HStAD, C 4, Nr. 112/1, Bl. 76-172v.
  5. Vgl. Franz 1997, Schutzjuden, S. 15.
  6. Ziergöbel, 2021, Leben, S. 63-64; Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 20.
  7. StAW, R-Rep. H 9 I, Nr. 762; R-Rep. 12e, Nr. 161.
  8. Ruppin, 1909, Juden, S. 71.
  9. Großherzoglich-Hessisches Regierungsblatt, Nr. 64 , 25.7.1832, S. 488. Auffällig ist, dass die jüdische Gemeinde bis 1837 in den im Großherzoglich-Hessischen Regierungsblatt abgedruckten Umlageverzeichnissen als „Georgenhausen mit Zeilhard“, von 1838 bis 1848 dann aber als „Zeilhard mit Georgenhausen“ firmiert. Für 1849 bis 1858 ist „Georgenhausen und Zeilhard“ als Name verzeichnet, danach bis 1877 wieder „Georgenhausen mit Zeilhard“, ab 1878 nur noch „Georgenhausen“, weil keine Jüdinnen und Juden mehr in Zeilhard lebten.
  10. StadtA Reinheim, G XIII/2, Nr. 1/4; G XIII/2, Nr. 1/2; CAHJP, D-Da3, Nr. 20; Wagner, 1829, Beschreibung, S. 82; Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege, Jg. 21, 1913, S. 188.
  11. Statistisches Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes, Jg. 12, 1897, S. 95.
  12. Statistisches Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes, Jg. 14, 1899, S. 110.
  13. Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, online unter: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ (Stand: 27.10.2025).
  14. StadtA Reinheim, G XIII/3, Nr. 1/1. Vgl. Tischner, 1986, Heimatbuch, S. 168.
  15. StadtA Reinheim, G XIII/2, Nr. 1/1; Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 36-37.
  16. StadtA Reinheim, G XIII/2, Nr. 1/4; HStAD, P 4, Nr. 3716 (Flur I, Abt. B); H 23, Nr. 1983, S. 21. Vgl. Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 36; Tischner, 1986, Heimatbuch, S. 222-223.
  17. HStAD, H 23, Nr. 1983, S. 21.
  18. Ruppin, 1909, Juden, S. 82.
  19. StadtA Reinheim, G XIII/2, Nr. 1/4; G XIII/5, Nr. 1/1; Schostack, 2022, Weg, S. 223–225, 232–234.
  20. Engelbert, 1875, Statistik, S. 53; Statistisches Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes, Jg. 11, 1896, S. 88.
  21. StadtA Dieburg, B, Nr. 14/17.

Weblinks

Quellen

Literatur

Indizes

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Georgenhausen“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/796_georgenhausen> (aufgerufen am 25.11.2025)

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