Darmstadt

Der Standort der Synagoge von Darmstadt im modernen Orthofoto (Bildmitte)
Basisdaten
Juden belegt seit
1529
Lage
64283 Darmstadt, Friedrichstraße 2 bzw. Bleichstraße 2-4
Rabbinat
Darmstadt II
erhalten
nein
Jahr des Verlusts
1938
Art des Verlusts
Zerstörung
Gedenktafel vorhanden
ja
Geschichte
Darmstadt wurde erstmals Ende des 11. Jahrhunderts urkundlich erwähnt, hat aber eine wesentlich längere Siedlungskontinuität. Am 23. Juli 1330 verlieh Kaiser Ludwig der Bayer die Stadtrechte an Graf Wilhelm I. von Katzenelnbogen. Nach dem Aussterben dieses Geschlechtes fielen die Gebietsteile und die Stadt 1479 zunächst an Landgraf Heinrich III. von Hessen und kamen später an Philipp den Großmütigen. Nach dessen Ableben wurde Hessen 1567 unter seinen Söhnen aufgeteilt und Landgraf Georg I. begründete die Seitenlinie Hessen–Darmstadt. Er machte aus dem wenig bedeutsamen Ort eine Residenzstadt. Im 19. Jahrhundert wurde die Stadt Hauptstadt des Großherzogtum Hessen und nach Ende des Deutschen Kaiserreichs des Volksstaates Hessen. 1832 wurde der Landkreis Darmstadt gebildet. Seit 1952 ist Darmstadt kreisfreie Stadt.
Mit Verleihung der Stadtrechte für Darmstadt 1330 erhielten die Grafen von Katzenelnbogen auch das Recht, 24 jüdische Familien aufzunehmen. Ungeklärt ist, wo genau in der Grafschaft sich diese Familien niederließen. Während die Anfänge der jüdischen Gemeinden in Groß-Gerau und Zwingenberg wohl in diese Zeit zurückreichen, lassen sich in Darmstadt – wenn auch zunächst nur für einige Jahre – erst nach Einführung der Reformation 1529 ortsansässige Juden nachweisen.1 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ließen sich abermals Juden in der Stadt nieder. 1623 lebten acht jüdische Familien in der Stadt, von deren Oberhäuptern einer Arzt war. Sie wurden aber nach dem Dreißigjährigen Krieg erneut ausgewiesen.
Wesentliche Erleichterungen bei der Niederlassung brachte das sogenannte Toleranz-Patent von Landgraf Ernst Ludwig vom 21. August 1695. Ab diesem Zeitpunkt war die Ausübung der jüdischen Religion an den Orten gestattet, an denen sich mehr als zehn erwachsene Schutzjuden zusammenfanden. Zu diesem Zweck durften in den hinteren Bereichen von Häusern Beträume eingerichtet werden.
Lebte Ende des 17. Jahrhunderts wohl nur die Familie des Hofjuden David in Darmstadt, stieg ihre Zahl in den folgenden Jahren deutlich an. Bis 1707 hatte sich eine Gemeinde etabliert. Ihr Vorsteher war Benedikt David, der sich Benedikt Darmstadt nannte. Die Mitgliedschaft bestand aus Kallmann, einem Bruder Benedikt Davids, dessen Sohn Bonum, weiterhin Baruch Löw und dessen Sohn Wolf, Samuel Hayum, Herz Manche, Herz Löw Manasse, Meyer Kassel, Moses Rotenfels, die beiden Rabbiner Bösermann und Michel und in Bessungen Baruch Moses.2
1713 lebten 30 jüdische Familien in der Stadt. Sie hatten im Jahr zuvor Michael Bacharach als ersten Rabbiner der Gemeinde angestellt. Gottesdienst fand ab 1735 im Haus von Meyer Kassel in der Kleinen Ochsengasse statt. In der Folgezeit entwickelte sich in Darmstadt eine Judenschaft, die zum einen Teil aus wenig wohlhabenden Mitgliedern bestand, andere dagegen konnten sich als Hoffaktoren etablieren oder erhielten zumindest zeitweise das Monopol auf den Tabak- und Salzhandel. Bereits um 1720 gab es eine Judenherberge mit koscherer Küche.
Gab es 1738 noch 24 jüdische Familien in der Stadt, stieg die Zahl der jüdischen Haushalte bis 1784 auf 43 an.
In den folgenden Jahren nahm sie stetig zu. 1815 lag sie bei circa 400 Personen, 1861 bei 728 und 1905 bei 1.689. Ihren Höhepunkt erreichte sie 1910 mit 1.998 Personen, wobei 512 aus dem Ausland stammten. Von diesen waren 363 Russen und 77 Österreicher.3
Schon vor der Annahme fester Familiennamen 1809 sind die Familien Trier, Callmann, Wolfskehl, Hachenburg und Bessungen (oder Bessunger) nachweisbar. Später kamen Bermann, Ettling, Fuld, Messel, Neustadt, Reichenbach, Sander und Schlösser hinzu.4
Die überwiegende Mehrzahl war als Kaufleute tätig, die mit Tuch, Kleidern, Vieh, Leder, Salz oder Tabak handelten. Daneben gab es wenige wohlhabende Hoffaktoren und eine Reihe kleinerer Händler und Hausierer. Zudem bestand eine jüdische Garküche.5
Die fränkischen Hep-Hep-Unruhen hatten auch bis Darmstadt gewirkt, wo im August 1819 in der Kleinen und Großen Ochsengasse Fensterscheiben an von Juden bewohnten Häusern eingeworfen wurden. Anders als in Würzburg, wo die Täter überwiegend aus den Reihen der Handwerker, Händler und Studenten kamen, waren es in Darmstadt Kinder, Dienstboten oder Lehrlinge.6 Womöglich kein Zufall war es, dass diese Krawalle ein Jahr nach der Erteilung der Zunft- und Bürgerrechte an Juden stattfanden.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden erstmals jüdische Schüler im Darmstädter Pädagog aufgenommen. Annähernd gleichzeitig erhielten zwei Söhne von Darmstädter Judenfamilien das Bürgerrecht, nachdem sie als Uhrmacher einen bürgerlichen Beruf erlernt hatten. Noch vor Inkrafttreten der neuen Verfassung des Großherzogtums Hessen 1821 waren fast zwei Dutzend jüdische Kaufleute Bürger der Stadt geworden.7
Nach dem Beginn der Industrialisierung waren es vor allem jüdische Händler, die den Vertrieb industriell gefertigter Manufakturwaren übernahmen. Sehr bald stieg die Zahl jüdisch geführter Kleider– und Schuhgeschäfte, Spielwaren-, Möbel-, Haushalts- und Eisenwarenläden. Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der Familie Kaulla gegründeten Kerzen- und Tabakfabriken gehörten zu den ersten Fabrikbetrieben Darmstadts.8 Weitere Gründungen kamen hinzu, wie die Streichholzfabriken Bessungen und Reichenbach oder die Maschinenfabrik Blumenthal. Heinrich Blumenthal unterhielt später eine Grundstücksgesellschaft, die das heutige Johannesviertel entwickelte und bebaute. Diesen Unternehmen standen zeitweilig neun bis zehn jüdische Privatbanken in der Stadt zur Seite. Aus der 1852 errichteten Bank für Handel und Industrie entstand später die Darmstädter Bank. Daneben entwickelte sich ein jüdisch geprägter künstlerisch–kultureller Bereich. Aus der Familie Hamburger, die schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine eigene Kapelle unterhielt, stammte ein späteres Mitglied der Darmstädter Hofkapelle, ein weiterer Nachfahre wurde Cellist bei den New Yorker Philharmonikern. Daneben engagierten sich immer wieder Juden im Stadtrat, wie Bernhard Trier, Heinrich Blumenthal oder Otto Wolfskehl. Otto Wolfskehl war zudem Kammerpräsident der Handelskammer Darmstadt und langjähriger Abgeordneter der Nationalliberalen Regierungspartei sowie Vizepräsident des hessischen Landtags.9
Kultureller Mittelpunkt der Gemeinde war die Synagoge in der Ochsengasse.
Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte ein vermehrter Zuzug jüdischer Familien aus dem Umland ein. Sie konnten zumeist nicht an der schon über Generationen geübten städtisch-bürgerlichen Tradition teilhaben, deren Liberalisierung auch Eingang in den religiösen Bereich gefunden hatte. Zudem gab es schon länger Spannungen zwischen dem liberalen Gemeindevorstand, dem orthodoxen Rabbiner Auerbach und den Landgemeinden des Rabbinats.
So hatte sich bereits 1840 der liberale Gemeindevorstand über Dr. Benjamin Auerbach beschwert, er habe durch sein starres talmudisches Treiben „den Riß in der israelitischen Kirche statt versöhnend zu vereinigen nur noch erweitert“.10 Dieses und Differenzen, die wegen der Einführung einer Orgel und weiterer Reformen, wie deutsches Gebet, Frauengesang oder Wegfall des traditionellen Thoravortrages führten schließlich zum Austritt konservativer Mitglieder. Recht bald beschäftigten sie auch einen eigenen Rabbiner, der zunächst im Haus des Gastwirts Lazarus Wolf Gottesdienst abhielt. 1859 übernahm Dr. Julius Landsberger das Rabbinat. Er galt als gemäßigt liberal und so hielt man eine Wiedervereinigung beider Gruppen zunächst für möglich. Da sich dies aber nicht bewahrheitete, beschloss die orthodoxe Gruppe, sich endgültig von der Gemeinde zu trennen und erwarb 1861 ein Grundstück neben der Synagoge, um dort in einem Hinterhaus separaten Gottesdienst zu halten. Ein erster Antrag auf auch formale Trennung und Bildung einer eigenständigen Gemeinde wurde 1863 gestellt, aber zunächst abgelehnt. Ende der 1860er Jahre wuchs die Gruppe zahlenmäßig an und 1871 wurde „in einer Versammlung - unter dem Vorsitz von Rabb. Dr. Lehmann, Mainz – beschlossen, einen Rabbiner für die orthodoxe Gruppe und die Landgemeinden zu berufen. Es wurde der `Verein der gesetzestreuen Israeliten der Provinz Starkenburg´ gegründet […]. Zum Rabbiner wurde Dr. Lehmann Marx gewählt, der am 13.9.1871 in Darmstadt eintraf und sofort sein Amt übernahm.“11 Bereits ein Jahr später beschloss der Vorstand, eine neue Synagoge zu bauen und 1873 erhielt die Gruppe Korporationsrecht und wurde nach Erlass des Hessischen Austrittsgesetzes 1878 eine eigenständige Körperschaft. Um 1900 erreichte die orthodoxe Religionsgemeinschaft mit 110 Familien ihren höchsten Mitgliederstand.12
Insgesamt 34 jüdische Soldaten aus Darmstadt sind im Ersten Weltkrieg gefallen. Ihnen zu Ehren wurde auf dem Bessunger Friedhof ein Ehrenmal errichtet.
Wie an vielen Orten in Südhessen setzten auch in Darmstadt früh antisemitische Tendenzen ein. Im November 1890 gründete Adolf Theiß in Darmstadt eine Zeitschrift, die ab Februar 1891 als „süddeutsche antisemitische Zeitung“13 deklarierte, aus der später die „Neue Hessische Volkszeitung“ hervorging. Damit stand Theiß in der antisemitischen Tradition des Marburger Bibliothekars Otto Böckel. Bei der Reichstagswahl 1898 erreichten die Antisemiten stadtweit 23,5 Prozent der Wählerschaft. Die seit 1929 ebenfalls in Darmstadt erscheinende NS-Zeitung „Hessenhammer“ polemisierte unter anderem gegen das Theater und seinen Intendanten Gustav Hartung, so dass der SPD-Innenminister Wilhelm Leuschner einen Erlass gegen „die auf Schärfte zu verurteilende antisemitische Verhetzung“14 durch die Nationalsozialisten erließ. Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 stimmten rund 50 Prozent der Darmstädter Wahlbeteiligten für die Nationalsozialisten.
Nur wenige Tage später setzten erste Repressalien ein, als Kommunisten und Juden drangsaliert und terrorisiert wurden. Darmstadt war die erste Stadt im damaligen Reich, in der schon am 28. März 1933 alle jüdisch geführten Geschäfte für 24 Stunden schließen mussten, „weil ihr Offenhalten […] die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung gefährdet.“15
In der Folgezeit wurden Juden aus dem öffentlichen Dienst entlassen, mussten ihre Praxen und Kanzleien schließen und den Boykott ihrer Geschäfte erdulden. Zwischen 1933 und 1936 verließen etwa 200 zumeist jüngere Juden die Stadt und wanderten nach Palästina aus. Die Zahl der Auswanderer stieg in den folgenden Jahren an und 1939 brüstete sich die Hessische Landeszeitung, dass in „wohl wenigen Städten die Arisierung des Einzelhandels so rasch und so durchschlagend vorangeschritten ist wie in Darmstadt“16. Bis 1938 waren mehr als ein Drittel der 1.650 vor 1933 in der Stadt lebenden Juden ausgewandert.
Im Zuge der Novemberpogrome wurden 169 Juden verhaftet und nach Buchenwald verschleppt, von wo sie erst Wochen später wieder entlassen wurden.
In der Stadt wurden sogenannte Judenhäuser eingerichtet, in denen überwiegend jüdische Familien wohnen mussten, nachdem ihre Wohnungen und Häuser enteignet worden waren.
Trotz der Zerstörung der Synagogen wurden weiter Gottesdienste gehalten. Im Winter 1939/40 bildete sich ein gemeinsamer Vorstand der beiden Gemeinden, der vor allem in der zum jüdischen Altenheim umfunktionierten Privatklinik Rosenthal in der Eschollbrücker Straße agierte. Zugleich wurde die Notküche im Gemeindehaus in der Bleichstraße weiter betrieben. Die Auswanderung hielt an, gleichzeitig kam es aber zu einer Zuwanderung aus dem Umland.
Am 20. März 1942 verließ der erste Deportationszug Darmstadt, dem viele weitere folgten. Rund 600 Menschen wurde im Zuge des Holocaust ermordet.
Nur kurz nach dem Holocaust und dem Ende des Zweiten Weltkrieges bildete sich 1946 eine neue jüdische Gemeinde überwiegend aus Displaced Persons, Vertriebenen und nur wenigen Heimkehrern. Ihr Betraum lag zunächst in dem Haus Wendelstraße 5, das zuvor dem Arzt Dr. Stern gehört hatte. Um 1950 richtete sie im Haus Osannstraße 11 ein Gemeindezentrum ein.17
1988 erhielt die rund 120 Mitglieder zählende Gemeinde eine neue Synagoge in der Wilhelm-Glässing-Straße.
Das Rabbinat Darmstadt
Erste Ansätze einer Organisation der Juden in der Obergrafschaft Darmstadt war die Einführung von Judenversammlungen 1642. Hier wurde vor allem die Verteilung der Steuerlasten geregelt. Die Verwaltung geschah allerdings zunächst von Frankfurt aus. So war der Frankfurter Rabbiner Samuel Schotten ab 1685 der erste Landesrabbiner.18 1770 wurde in Darmstadt ein eigener Rabbinatssitz eingerichtet. Bis 1793 amtierte dort der Rabbiner Simon Feit Flegenheimer, der seit 1761 auch die Stelle des Stadtrabbiners innehatte, und nach ihm Heyum Simon Flegenheimer aus Mühringen im Schwarzwald. Er war der Sohn des Rabbiners Simon Lazarus (Flegenheimer) und hatte verwandtschaftliche Beziehungen nach Breckenheim bei Wiesbaden.19 Nach dem Tod seines Nachfolgers 1833 bewarb sich unter anderem der bekannte Reformrabbiner Abraham Geiger aus Wiesbaden um die Stelle. Unter dem Einfluss der eher orthodoxen Gemeinden des Umlandes bestimmte, da keine Einigung erzielt werden konnte, die hessische Landesregierung 1835 den Rabbinatskandidaten Benjamin Hirsch Auerbach als Landesrabbiner.20 Er hatte 98 Landgemeinden zu betreuen und war der erste Rabbiner, der auf Deutsch predigte. Er übte sein Amt bis 1857 aus.21 Sein Nachfolger wurde der als gemäßigt liberal geltende Rabbiner Dr. Julius Landsberg. Als Kenner der arabischen Sprache hielt er 1870-1871 auf dem Griesheimer Sand kriegsgefangenen Zuaven Gottesdienst und las ihnen aus dem Koran vor. Nach seinem Tod 1890 erhielt er auf dem Friedhof in Darmstadt ein Ehrengrab.
Die Trennung der orthodoxen Gruppe von der liberalen in Darmstadt hatte auch Auswirkungen auf das Rabbinat. Nach Erlass des Austrittsgesetzes 1878 wurde 1895 auch das Rabbinat geteilt. Ihm gehörten zu dieser Zeit 90 Gemeinden im Umland an. In der Folgezeit bildete die Israelitische Religionsgemeinde mit acht Landgemeinden das Rabbinat Darmstadt I und die Religionsgesellschaft mit den anderen 82 Gemeinden das orthodoxe Rabbinat Darmstadt II.
Betsaal / Synagoge
Bereits am 21. August 1695 erging das Landesherrliche Toleranz-Patent, das Juden erlaubte, in einem Privathaus Gottesdienst zu halten, wenn die Mindestzahl von zehn Männern erreicht wurde. Bedingung war unter anderem, dass das Haus nicht von einem Christen bewohnt war und sich der Betraum in einem von der Straße abgewandten Bereich des Hauses befand.22 Ein solcher Betraum befand sich in Darmstadt zunächst im Hause des Baruch Löw in der Alten Vorstadt, später bei Hirtz und ab 1714 bei dem Hofjuden Benedikt David.23
Am 4. April 1735 erhielt die Darmstädter Judenschaft die Genehmigung, das Haus des Meyer Cassel in der Kleinen Ochsengasse 14 zu erwerben und im dortigen Hinterhaus eine Synagoge einzurichten.24 Sie wurde 1842 renoviert und blieb bis 1863/64 kultureller Mittelpunkt der Gemeinde und diente anschließend bis 1876 der liberalen Gemeinde als Bethaus. Der Gebäudekomplex in der Kleinen Ochsengasse wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgebrochen.
Die Synagoge der liberalen Religionsgemeinde in der Friedrichstraße 2
Nach der Spaltung der Gemeinde beauftragte die liberale Religionsgemeinde den Darmstädter Kreisbaumeister Eduard Köhler mit den Plänen für eine neue Synagoge, die am 23. Februar 1876 in der Friedrichstraße eingeweiht wurde. Sie umfasste 440 Männer- und 396 Frauenplätze.
Köhler nutzte bei seinen Planungen die liberale Einstellung seiner Auftraggeber und setzte den Almemor an die Stirnseite vor den Thoraschrein. Das außen 33 mal 24 Meter lange Gebäude war durch zwei Säulenreihen dreischiffig geteilt. Die Männersitze befanden sich im Erdgeschoss, die Frauensitze auf Galerien über den beiden Seitenschiffen. Beide wurden durch Rundbogenfenster betont. Schließlich erhielt die Synagoge eine Orgel.
Die Außenflächen waren mit rotem Sandstein verkleidet. Alle vier Ecken betonte je ein achteckiger, von einer Zwiebelhaube bekrönter Turm. Die Portale wurden ebenfalls durch schlanke Türme mit Zwiebelhauben flankiert. Über dem Hauptportal erhoben sich die Tafeln mit den zehn Geboten. Die Dächer über dem Schiff waren mit Schiefer gedeckt, die der Turmhauben mit Zink. Mit diesem dem Historismus entliehenen Stil lehnte sich die Synagoge an die umgebende Bebauung an, wurde aber aufgrund ihrer herausragenden Bauweise immer wieder als Zierde der Stadt bezeichnet.
Der repräsentative und eindrucksvolle Sakralbau fand schon früh Beachtung auch in der Fachwelt und stand 1875 im Mittelpunkt der in Darmstadt stattfindenden Jahrestagung des „Mittelrheinischen Architekten- und Ingenieursverein“.25
Von dieser Synagoge liegt eine Inventarliste vor, die der Gemeindevorstand am 19. September 1938 aufgestellt hatte. Demnach befanden sich dort 13 Thorarollen, sechs Thorabehänge, zwei silbervergoldete Becher mit einem Teller, sechs weiße Thoramäntel, drei alte Silberbecher, zwei große Kidduschbecher, zwölf silberne Aufrufschilder, eine versilberte Waschgarnitur, eine Garnitur Leuchter, Gewürzbüchse und Platte, ein Medaillon mit dem Bildnis des verstorbenen Oberrabbiners Wolff, Kopenhagen, ein Memorbuch, sechs Schofars, eine Estherrolle aus Pergament, ein Chanukkaleuchter aus Messing, ein Trauhimmel, fünf Vorhänge für den Thoraschrank, zwei Kassenschränke, ein Kronleuchter, acht Kandelaber, zwei Wandleuchter für Jahrzeitlicht, zwölf Beleuchtungskörper, zwölf Wandarmbeleuchtungen aus Metall, zwei Wandarme aus der alten Synagoge sowie Vorbeterpult, Bänke, Stühle, Orgel und Teppiche.26
Anlass für die Erstellung dieses Inventares waren vermutlich Bedenken wegen aufkommender Gewaltaktionen gegen jüdische Einrichtungen. Bereits 1937 hatte die Gemeinde 500 Mark ausgegeben, um die Synagogenfenster gegen Steinwürfe zu sichern. Im Sommer 1938 beschloss sie, die Gottesdienste aus Sicherheitsgründen in die Turnhalle zu verlegen.
In der Pogromnacht zündeten Mitglieder der SS die Synagoge an.
Im Zuge der Entschädigungsverhandlungen wurde die Ausstattung rekonstruiert. Mehrere Zeugen trugen dazu bei, die Einrichtung samt Kultgegenständen auflisten zu können. Zur Einrichtung zählten demnach ein Thoraschrein mit holzverkleidetem Altaraufbau und Bronzetüren, ein Vorlesepult mit zwei gepolsterten Wickelbänken, ein Vorlesepult aus geschnitzter Eiche mit Sessel, eine Predigerkanzel aus geschnitzter Eiche,ein Rabbinerpult, ein großer vielflammiger Kronleuchter, 20 dreiflammige Seitenleuchter, zwei Kandelaber, eine Orgel mit 23 Registern aus dem Jahr 1908, eine Laubhütte, zwei kostbare Orientteppiche und eine Heißluftheizung.
Zu den Kultgegenständen zählten 25 Thorarollen, zwölf Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, sechs vergoldete und sechs versilberte Schilder, sechs vergoldete und sechs silberne Lesefinger, 30 Thoramäntel mit reicher Goldstickerei aus Samt oder weißer Seide, 100 bemalte oder mit Gold bestickte Wimpel, zwei Thoraschreinvorhänge aus grünem Samt und weißer Seide mit reicher Goldstickerei, zwei Deckengarnituren für Vorbeter-, Vorleser-, Rabbiner- und Kantorenpulte und die Rabbinerkanzel, eine reich verzierte Ewige Lampe aus Bronze, ein siebenarmiger, 1,5 Meter hoher Leuchter auf Sockel aus Messing, ein Channukahleuchter aus Messing, ein weiterer Channukahleuchter aus vergoldetem Silber, zwei große Kandelaber, zwei Jahrzeitleuchter, ein silberner und ein goldener Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Trauhimmel aus Brokat mit reicher Goldstickerei, ein Megillah, sieben Schofarhörner, sieben Gebetmäntel mit Silberborten, 20 weitere Gebetmäntel, 20 Phylakterien, 60 Gebetbücher, 60 Sätze Festtagsgebetbücher, 60 Pentateuche sowie zwei Sätze Aufrufplatten.
Die Wochentagssynagoge war mit 20 Plätzen bestückt, einem kleinen Thora-Eckschrank und einem Vorbeterpult mit einer kleinen Krone und mit vier Wandarmen. In den Umkleideräumen für Rabbiner und Kantor befanden sich zwei Kassenschränke für Kultgeräte, ein schwerer Eichentisch mit Ledereinlage, zwei rote gepolsterte Samtsessel und ein rotes gepolstertes Samtsofa, ein Kleiderschrank, ein Beleuchtungskörper und ein Schrank mit Noten und Partituren für den Chor.27
Mit Kaufvertrag vom 29. März 1940 verkaufte die israelitische Religionsgemeinde das Grundstück Friedrichstraße 2 mit Synagoge und Garten für 24.500 Mark an die Stadt Darmstadt. In diesem Preis war das Abräumen der Ruinen bereits enthalten. Ob der Restbetrag tatsächlich ausgezahlt wurde, ließ sich nach Ende des Krieges nicht mehr feststellen. Daher einigten sich 1952 JRSO und Vertreter der Stadt in einem Vergleich darauf, dass die Stadt 29.325 DM an die JRSO zu zahlen hatte.
Diese ließ die Ruinen abbrechen. Anschließend geriet die Synagoge in „Vergessenheit“. Im Oktober 2003, als Erweiterungsbauten am benachbarten Krankenhaus stattfanden, fand man die Reste eines Eckturms und Teile der westlichen Außenwand wieder und löste damit eine kommunalpolitische Debatte über den Umgang mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit aus. Nach Freilegung und Sicherung weiterer Grundmauern wurden diese als Erinnerungsstätte in den Klinikneubau integriert28 und am 9. November 2009 offiziell eingeweiht. Seitdem steht ein Modell dieser Synagoge in dem kleinen Museum der Synagoge in der Wilhelm-Glässing-Straße.
Die Synagoge der orthodoxen Religionsgesellschaft in der Bleichstraße 2-4
Nach der Ablösung der orthodoxen Gruppe wurde Gottesdienst zunächst im Haus von Löb Sulzbach und dann bei Hermann Neustadt gehalten. 1861 erwarb die Gruppe ein Grundstück neben der Synagoge in der Kleinen Ochsengasse und hielt dort in einem Hintergebäude Gottesdienst. 1871 entstand der Entschluss, eine eigene neue Synagoge auf dem Eckgrundstück Bleichstraße/Grafenstraße zu erbauen. Sie wurde am 22. August 1873 eingeweiht. Es war ein eher schlichter Putzbau, dessen straßenseitige Giebelwand durch runde schlanke Ecktürme betont wurde. Über diesen und auf der abgeflachten Firstspitze erhoben sich laternenartige Aufsätze. Die beiden Aufsätze auf dem Dach flankierten die beiden Tafeln mit den zehn Geboten. Der hohe Bau wirkte von außen zweigeschossig. Im Inneren befand sich aber ein bis an die Decke reichender Betsaal mit je einer Empore an den Traufseiten. Erdgeschoss und Emporen wurde durch Rundbogenfenster erhellt.
Sie wurde 1904 abgebrochen und durch einen nach Plänen des FH-Professors Georg Wickop errichteten prachtvollen Kuppelbau ersetzt. Wickop beschränkte sich auf die handwerkliche Gestaltung lokaler Baumaterialien und schuf mit einer architektonischen Adaptation orientalischer Elemente eine Mischung aus Jugendstil und Heimatstil. Der Sockel bestand aus bossiertem, graugelbem Muschelkalk, viele der Rundbogenfenster verfügten über Gewände aus Sandstein. Eine mächtige Kuppel trug ein gestaffeltes Dach, zu dem sich die Dächer der Neben- und Anbauten erhoben. So entstand eine abwechslungsreiche „Dachlandschaft“. Lange Zeit galt sie als die schönste Synagoge in Darmstadt und wurde von den Reiseführern „zur Besichtigung empfohlen“.29
Männer und Frau verfügten über getrennte Eingänge zur Vorhalle, von der die Frauen auf die Frauenempore auf einer umlaufenden Galerie gelangen konnten. Der Betsaal erstreckte sich über zwei Geschosse bis unter die Kuppel. Der zentral gelegene Almemor und der Thoraschrank bestanden aus poliertem, dunkgrünen Marmor. Die Kuppel des Thoraschreins zierte ein Goldmosaik. Die Wände waren großflächig mit Mustern in grüner, schwarzer und weißer Farbe angemalt. Die Fenster entwarf Johann Vincenz Cissarz.
Die Synagoge wurde in der Zeitung Der Baumeister vom Mai 1906 ausführlich beschrieben. Dort heißt es zur Innenausstattung: „Es leuchtet ein, dass diesem [orthodoxen] Ritus keine Raumform mehr entsprechen kann, als der Zentralbau. Er wurde auch dem vorliegenden Bau zugrunde gelegt: Eine Kuppel von 9,45 m Durchmesser auf quadratischem Unterbau, rings gestützt durch Tonnen, zwei schmale seitliche, die soweit an die Grenzen des Grundstückes vorgeschoben wurden, als für Fensteranlagen zulässig war, zwei tiefere vorn und hinten. Drei dieser Tonnen nehmen die Frauenemporen auf, die vierte, gegenüber dem Eingang, dass Allerheiligste. Dieses ist – eine ungewöhnliche und in Deutschland vielleicht zum erstenmal ausgeführte Lösung – durch einen kleinen Rundtempel überbaut, der, unten sechseckig, sich an einen geschlossenen Emporeneinbau anlehnt, welche in der Mitte den Thoraschrank, seitlich das Rabbinerzimmer und einen Geräteraum umschließt. Über diesem Einbau, der durch die Rundkuppel überragt wird, sind die Sängerplätze angebracht.“30
Die Baukosten in Höhe von mehr als 185.000 Mark wurden überwiegend durch Spenden finanziert.
Zur Ausstattung gehörten 290 Männerplätze und 136 Frauenplätze, zwei Plätze für Rabbiner und Kantor mit Sesseln, der mit Bronzetüren verzierte Thoraschrein, der Almemor mit Marmorbrüstung, vier Kandelabern, Vorlesepult und Wickelbank, ein vergoldeter vielflammiger Kronleuchter, sechs Hängeleuchter über dem Altar, eine Reihe weiterer verschiedener Decken- und Wandbeleuchtungskörper, fünf Orientbrücken am Almemor und vor dem Thoraschrein, 150 Quadratmeter Velourläufer, eine Garderobenvorrichtung für ca. 430 Einheiten, einschließlich Tischen, Stühlen und Spiegeln, Beleuchtungskörper in der Vorhalle, den Aufgängen und Toiletten. Die beiden Umkleideräume für Rabbiner und Kantor enthielten zwei Tische, vier Stühle, zwei Schränke, zwei Teppiche und zwei Beleuchtungskörper. Im Keller befanden sich der Niederdruckkessel und Kohlen für die Luftheizung. Zudem gab es zwei Laubhütten und auf den Frontseiten der Emporen standen Bronzebrüstungen.
Zu den Kultgegenständen samt Zubehör zählten 40 Thorarollen, fünf silberne Thorakronen und fünf weitere, die vergoldet waren, 15 Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen; weiter 15 Schilder und 15 Lesefinger aus Silber, 60 Thoramäntel mit reicher Goldstickerei, 1.000 handbemalte oder goldbestickte Wimpel, elf komplette Garnituren, bestehend aus je einem Thoraschreinvorhang und je einer Decke für Vorbeter-, Vorleser und Rabbinerpulte, eine Ewige Lampe, ein siebenarmiger Leuchter, ein Channukahleuchter, zwei Jahreszeitleuchter mit je zehn Kerzen aus Bronze, vier große Weinbecher und sechs weitere Weinbecher mit zwei Weinkaraffen aus Silber, zwei Hawdallahgarnituren mit silbernen Platten, ein Trauhimmel aus Brokat mit kostbarer Goldstickerei und Goldborten, zwei Megilloth, zwei Schofarhörner, 40 Gebetmäntel mit 20 Phylakterien 100 Gebetbücher, ein pergamentbeschriebenes, silberbeschlagenes Gebetbuch für den Vorbeter mit Handmalerei, 20 Sätze Festgebetbücher, 100 Pentateuche, ein Priesterwaschbecken mit Kanne aus Silber, eine pergamentgeschriebene Rolle mit Haftaroth und eine Ethrogbüchse aus Silber.31
In der Pogromnacht zündeten Mitglieder der SA und des Pioniersturms unter dem Bauingenieur Wilhelm Mahla die Synagoge an.
2004 ließ eine 3D-Computer-Rekonstruktion die Synagoge virtuell wieder auferstehen. In Zusammenarbeit mit einem Zeitzeugen gelang sogar eine Annäherung an die Ausstattung und die Farbgebung.32
Weitere Einrichtungen
1709, nur wenige Jahre nach Einrichtung des Friedhofs in Bessungen, gründete sich die Begräbnis-Bruderschaft „Genossenschaft der Liebeserweisungen“. Ihr folgte später die Gründung einer Schwesternschaft mit vergleichbaren Aufgaben. Von 1831 bis 1875 bestand zudem der Leichenkonduktverein, dessen Aufgabe es war, „Anstand und Ordnung bei israelischen Leichenbegräbnissen einzuführen und zu erhalten“.33
Darüber hinaus bestand seit 1798 ein Unterstützungsverein, die spätere Gesellschaft zur Unterstützung Hilfsbedürftiger. Dieser Verein finanzierte unter anderem einen Arzt, der kostenlos Arme behandelte. Im Sommer 1860 gründete sich der Israelitische Frauenwohlfahrtsverein und seit den 1880er Jahren je einen Brautunterstützungsverein für jede der beiden Gruppierungen.
Der um 1900 gegründete Israelitische Krankenunterstützungsverein entsprach in seinen Aufgaben etwa einer heutigen Krankenversicherung. Ihnen folgte wenig später die Kohlenkasse der Religionsgesellschaft, 1896 der Verein zur Fürsorge für jüdische Gefangene und 1907 der Verein zur Beschränkung des jüdischen Wanderbettelns und Hilfsverein Darmstadt. Die meisten dieser Wohltätigkeitsvereine mussten in Zusammenhang mit der Inflation 1922/23 ihre Tätigkeiten einstellen. Einige von ihnen schlossen sich zu einer Zentralkasse der vereinigten israelitischen Wohltätigkeitsvereine zusammen.
Daneben bestanden auch Familienstiftungen zur Unterstützung bedürftiger Nachkommen, wie die Jeremias-Aron-Fuld-Stiftung von 1793, die Ephraim-Löb-Bentheim´sche Stiftung von 1844, die Raphael-Löwenstein-Stiftung von 1857, die Hirsch-Westheimer-Stiftung, die Susanna-Stiftung von 1876 oder die Berta-Trier-Brunner-Stiftung von 1912/13. Darüber hinaus gab es weitere Stiftungen mit weiter gefassten Stiftungszwecken.
Eine besondere Stellung nahm die 1901 gegründete Starkenburg-Loge, die zum B´nai-B´rith-Orden zählte. Sie unterstützte vor allem in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg die jüdische Sozialarbeit. Zudem wollte sie das Judentum hochhalten, „welcher religiösen Richtung dieselben auch angehören mögen“ und damit die Spaltung der Gemeinde überwinden.34
Mikwe
Als zu Beginn der 1870er Jahre die Synagoge der orthodoxen Gemeinde gebaut wurde, ließ sie dort auch eine Mikwe einrichten.35 Sie war auch Bestandteil des 1906 neu eingerichteten Synagogenkomplexes. In ihrem Keller befanden sich der Kesselraum mit Heizkessel für Koks, ein Heizkörper sowie ein Warmwasserspeicher. Im Erdgeschoss lagen zwei Umkleidekabinen und zwei Badezellen mit je zwei Wannen, Spiegeln und Brausen. Der ebenfalls ebenerdig liegende Warteraum barg drei Sessel, eine geschnitzte Bank, einen Teppich, einen Tisch, Kleiderhaken, eine Lampe, einen Spiegel, einen Schrank mit Bademänteln, Wäsche Handtüchern und Föhn.
In der angrenzenden Waschküche befand sich ein Waschkessel aus Kupfer.
Im Obergeschoss befanden sich die vier Räume des Jugendvereins Hechaluz und eine Küche mit Herd, Geschirr und Bestecken nebst Möbeln und Einrichtung für die Schulspeisung.36
Die Mikwe war 1930 erneuert worden und wurde mit der Synagoge in der Pogromnacht zerstört.
Schule
Auf dem Grundstück in der Kleinen Ochsengasse unterhielt die Gemeinde eine eigene Schule. Zudem waren Anfang des 19. Jahrhunderts wenigstens drei Privatlehrer beschäftigt. Mit Erlass des Ediktes über den Jugendunterricht der Israeliten am 17. Juli 1823 trat die allgemeine Schulpflicht auch für jüdische Kinder in Kraft. Während sie vormittags in die allgemeine Schule gingen, erhielten sie nachmittags und abends Unterricht in der Synagoge in verschiedenen „jüdischen Fächern“37. Hier standen auch eine Bibliothek und ein Archiv zur Verfügung.
1875 erbaute die orthodoxe Gemeinde ein neues, dreistöckiges Schulhaus in der Bleichstraße, das mit dem Bau der Synagoge 1906 saniert worden war. Hierin befanden sich in den 1930er Jahren im Keller die Zentralheizung, eine komplett eingerichtete Schulschreinerei mit Hobelbank, Schraubstöcken und Werkzeugen und ein Gärtnereischulraum mit Einrichtung. Das Erdgeschoss barg einen Betsaal mit 55 Plätzen, einen Thoraschrein, ein Rabbinerpult, ein Vorlese- und Vorbeterpult und einen Kleiderständer. Zudem lagen hier vollständig eingerichtete Schulsäle. Zwei weitere große Schulräume nahm auch das Obergeschoss auf. Hier lagen zudem eine Bibliothek von großem antikem Wert mit ca. 3.000 Bänden Judaica und Hebraica und ein Lesezimmer. Im zweiten Obergeschoss lagen zwei weitere Schulräume.
Auch die liberale Gemeinde unterhielt eigene Unterrichtsräume, die sich im Gemeindehaus in der Friedrichstraße befanden. Im Erdgeschoss lag die Bibliotheksraum mit rund 1.000 Bänden wertvoller, teilweise historischer Judaica, Hebraica und weiterer Schriften. Das Archiv verfügte über alte Urkunden, Memorbücher und Gemeindebücher. Im Obergeschoss lag der Sitzungssaal mit einem großen, mit grünem Filz überzogenen Konferenztisch und zwölf schweren, ledergepolsterten Eichenstühlen mit hoher Lehne. Dieser Raum diente gleichzeitig als Gemeindesekretariat und verfügte zusätzlich über einen Schreibtisch mit zwei Stühlen, diversen Schränken, einer Schreibmaschine und sonstigem Büromaterial. Unmittelbar benachbart lagen zwei Schulzimmer, die Platz für 40 Kinder boten.
Aufgrund der Ausgrenzungen zu Beginn der 1930er Jahre wurde in Darmstadt am 15. April 1934 eine erste, vom orthodoxen Rabbinat getragene Schule für zunächst 90 Schülerinnen und Schüler eingerichtet. Am 18. Januar 1936 richtete auch die liberale Religionsgesellschaft eine solche Bezirksschule ein.
Ab 1934 wurde dort auch der allgemeine Unterricht erteilt.
Friedhof
Bis 1680 wurden die Verstorbenen auf dem Friedhof in Alsbach bestattet. In diesem Jahr erhielten die in Darmstadt lebenden Juden die Genehmigung, in Bessungen einen Friedhof anlegen zu dürfen. Er wurde bereits 1711 auf mehr als das doppelte seiner ursprünglichen Fläche erweitert. Der älteste dort erhaltene Grabstein stammt allerdings erst von 1718.38
Nach der Spaltung der Gemeinde ließ sich die orthodoxe Religionsgesellschaft einen Bereich abgrenzen und von einer Mauer einhegen.
Das Ehrenmal für die 34 im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten weihte der Rabbiner Bruno Italiener ein.
Die Leichenhalle war vermutlich Anfang der 1930er Jahre renoviert worden. Hier befanden sind ein rotes Plüschsofa mit zwei Plüschsesseln, ein Schrank mit Gebetbüchern, Trauertafeln und Gebetmänteln, ein Leichenwagen mit Decken und einer fahrbaren Leichenbahre, eine Predigerkanzel, ein Eichentisch, Beleuchtungskörper und diverses weiteres Zubehör. Auch dieses Gebäude wurde in der Pogromnacht erheblich beschädigt und die Einrichtung verbrannt.39
Nachweise
Fußnoten
- Franz in Reinhold-Postina, Darmstädter Synagogenbuch, S. 191 ↑
- Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 54 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 114 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 115 ↑
- Franz in Reinhold-Postina, Darmstädter Synagogenbuch, S. 192 ↑
- Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 124 ↑
- Franz in Reinhold-Postina, Darmstädter Synagogenbuch, S. 193 ↑
- Franz in Reinhold-Postina, Darmstädter Synagogenbuch, S. 194 ↑
- Franz in Reinhold-Postina, Darmstädter Synagogenbuch, S. 196 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 116 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 117 ↑
- Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 113 ↑
- Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 128 ↑
- Franz in Reinhold-Postina, Darmstädter Synagogenbuch, S. 198 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 127 ↑
- Franz in Reinhold-Postina, Darmstädter Synagogenbuch, S. 199 ↑
- HHStAW 503, 7393 ↑
- Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 48 ↑
- Fritzsche/Bartelt, Jüdische Familien, S. 18 ↑
- Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 116 ↑
- HStAD S 1, Nachweis Auerbach ↑
- HStAD E 3 A, in 3/1, fol. 28 ↑
- Italiener, Juden in Darmstadt ↑
- HStAD E 3 A, in 3/1, fol. 29 ↑
- Frenzel, Eine Zierde unserer Stadt, S. 63 ↑
- Reinold-Postina, Darmstadts Synagogen, S. 201 ↑
- HHStAW 518, 1403 ↑
- Frenzel, Eine Zierde unserer Stadt, S. 139 ↑
- Reinhold-Postina, Darmstadts Synagogen, S. 166 ↑
- Der Baumeister, 1909, S. 88 f. ↑
- HHStAW 518, 1402 ↑
- Virtuelle Darstellung der Synagoge: siehe Weblink oben ↑
- zitiert nach Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 115 ↑
- Zitiert nach Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 122 ↑
- Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 112 ↑
- HHStAW 518, 1402 ↑
- Sprung, Geistige Nahrung, S. 251 ↑
- Franz, Juden als Darmstädter Bürger, 1984, S. 48 ↑
- HHStAW 518, 1403 ↑
Weblinks
Quellen
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 503, Nr. 7380: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt Band 3: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen im Kreis Büdingen sowie im Kreis und der Stadt Darmstadt, (1930-1933) 1960-1962
- HHStAW Best. 503, Nr. 7381: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt Band 4: Synagoge und jüdische Schule in Darmstadt, (1932-1938) 1960-1962
- HHStAW Best. 503, Nr. 7393 Rechtsstreit um das Synagogengrundstück der jüdischen Gemeinde Darmstadt, 1951-1952
- HHStAW Best. 518, Nr. 1402: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Darmstadt: Synagoge Bleichstraße, 1950-1962
- HHStAW Best. 518, Nr. 1403: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Darmstadt: Synagoge Friedrichstraße, 1945-1962
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HStAD Best. E 3 A in Nr. 3/1: An Orten mit mindestens 10 erwachsenen männlichen Juden ist die Abhaltung von Sabbat-Gottesdiensten in Privathäusern unter gewissen Bedingungen gestattet, 1695 August 21
Literatur
- Alicke, Klaus-Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh 2008
- Altaras, Thea: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945? Königstein im Taunus 2007, S. 399
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972, hier: Band 1, S. 113-132
- Anonymus: Die Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Darmstadt. Architekt Prof. G. Wickob. In: Der Baumeister, Mai 1909, S. 88-92.
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971; hier: Band 1, S. 113-132
- Battenberg, Friedrich / Engels, Peter / Lange, Thomas (Hrsg.): Juden als Darmstädter Bürger. Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Wiesbaden 2019 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 31)
- Franz, Eckhart G. (Hrsg.): Juden als Darmstädter Bürger. Darmstadt 1984. (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen)
- Frenzel, Martin (Hrsg.): Eine Zierde unserer Stadt. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Liberalen Synagoge Darmstadt. Darmstadt 2008
- Fritzsche, Wolfgang / Bartelt, Frank: Jüdische Familien in Wiesbaden 1818-1946. Band I: Breckenheim-Delkenheim. Hrsg. von der Paul Lazarus Stiftung. Wiesbaden 2018
- Italiener, Bruno: Zur Geschichte der Juden in Darmstadt. In: Darmstädter Tagblatt vom 20. Februar 1926
- Knufinke, Ulrich: Darmstadt. In: Synagogenarchitektur in Deutschland. Dokumentation zur Ausstellung "... und ich wurde ihnen zu einem kleinen Heiligtum ..." - Synagogen in Deutschland. Petersberg 2008, S. 231-233
- Lehmann, Falko: Darmstadt: Die Reste der ehemaligen Liberalen Synagoge. Eine Fundstätte des Jahres 1938. In: Denkmalpflege & Kulturgeschichte, Heft 2, 2006, S. 8 f.
- Rees-Dessauer, Elisabeth: Zwischen Provisorium und Prachtbau. Die Synagogen der jüdischen Gemeinden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Göttingen 2019, S. 84
- Reinhold-Postina, Eva: Darmstadts Synagogen: „Zur Besichtigung empfohlen“. In: Eva Reinhold-Postina und Moritz Neumann (Hrsg.): Das Darmstädter Synagogenbuch. Eine Dokumentation zur Synagogen-Einweihung am 9. November 1988. Darmstadt 1988, S. 166-189
- Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Die Architektur der Synagoge. Frankfurt 1988
- Sprung, Stella: Die geistige Nahrung stand über Sport und Vergnügen. Die Synagoge der Israelitischen Orthodoxen Religionsgemeinschaft war unser zweites Zuhause. In: Eva Reinhold-Postina und Moritz Neumann (Hrsg.): Das Darmstädter Synagogenbuch. Eine Dokumentation zur Synagogen-Einweihung am 9. November 1988. Darmstadt 1988, S. 251-252
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