Reinheim

Der Standort der Synagoge von Reinheim im modernen Orthofoto (Bildmitte)
Geschichte
Reinheim wurde 1260 von den Grafen von Katzenelnbogen gegründet. Graf Dieter von Katzenelnbogen erhielt 1312 das Recht, in ausgewählten Ortschaften seiner Grafschaft jeweils zwölf Juden aufzunehmen. 1330 gestattete Kaiser Ludwig dem Grafen Wilhelm I., 24 Juden in der gesamten Grafschaft anzusiedeln. Bezog sich das erste Privileg noch auf ausgewählte Orte wie Lichtenberg und Bieberau, so sind für Reinheim erstmals 1328 und 1343/1347 David und Isaak namentlich erwähnt, die zu diesem Zeitpunkt nach Frankfurt am Main übersiedelten.1 Erst 1550, als Reinheim zum Herrschaftsgebiet der Landgrafen von Hessen gehörte, sind mit Salomon, Liebmann und Samuel wieder jüdische Ortsbewohner genannt. Dann finden sich entsprechende Hinweise erst wieder kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg, so 1606, als die städtischen Rechnungsbücher 3 fl. Einnahmen von einem Juden verzeichnen, die dieser „alle Jar vor Zinsen zu geben [hat] von wegen der Gemeinschaft.“2 Allerdings ist dies wohl kein Hinweis auf die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Reinheim, da die Zahl der Juden in der Region noch sehr gering war. 1616 wird mit Liebmann wieder ein Jude genannt, der beschuldigt war, Unzucht mit der Ehefrau eines Christen getrieben zu haben.3 Mit Beginn des Dreißigjährigen Krieges stieg die Zahl der jüdischen Bewohner Reinheims schnell an, da viele Jüdinnen und Juden aus den umliegenden Orten Schutz in der Stadt suchten. 1622 hatten 13 Juden Abgaben zu leisten, die sich hier mit ihren Familien aufhielten. Zudem mussten sie sich an den Kriegslasten beteiligen. Mit dem Einfall der Schweden in die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt endete eine Phase des Miteinanders: Einwohner der Stadt beteiligten sich zur Deckung von Kriegskosten und Abwendung von Strafaktionen angeblich „fleissieg“ an der Ausplünderung der im Ort anwesenden Juden. In der Stadt und ebenso im benachbarten Ueberau wurde jüdischer Besitz von schwedischen Soldaten mit Unterstützung ortsansässiger Christen geplündert. Der Schaden soll sich auf 1.500 rt. belaufen haben. Bei einem Überfall von Kroaten sollen 1635 zudem 60 Jüdinnen und Juden in Reinheim umgekommen sein, was offenbar zunächst vorläufig das Ende der jüdischen Gemeinschaft in der Stadt zur Folge hatte. Als letzte Jüdin wurde gemäß der landgräflichen Judenordnung von 1629 eine Witwe des Ortes verwiesen.4
Möglicherweise gegen Ende des 17. Jahrhunderts lebte mit Jakob Samuel wieder ein Jude in der Stadt, der als Sohn des „Lehrers“ und „Meisters“ Abraham Schlomo ha-Levi aus Worms auf seinem Grabstein von 1725 ausgewiesen wird. 1725 wurde Löw Samuel in den landesherrlichen Schutz aufgenommen, der wohl ein Bruder Jakob Samuels war.5 1731 wird Süßmann Levi und 1751 Mendele Reinheim genannt.6 Weitere namentliche Nennungen sind der 1750 im Ort geborene Mardochai Lehmann (auch Levi) und 1754 Hertz. Letzterer besaß 1782 ein eigenes Haus. Neben Mardochai und Hertz werden Feist und David in Reinheim genannt. Über Mardochai Lehmann sind einige familiäre Details bekannt: Seine Frau war am 10. November 1790 im Alter von 34 Jahren nach langjähriger Krankheit gestorben. Ein Jahr später verheiratete sich Mardochai nochmals mit Esther aus Büttelborn.7 Bereits in dieser Zeit wird der Grundstein zur Etablierung jüdischer Gemeindestrukturen gelegt worden sein. Bis 1815 stieg die Zahl der Jüdinnen und Juden in Reinheim auf 62 an. Die eigenständige Gemeinde wird sich bis um 1830 gefestigt haben.8 Sie baute sich 1837 eine eigene Synagoge.9
Den Gemeindevorstand stellten vor allem Mitglieder der alteingesessenen Familien Lehmann und Frohmann. Zugeordnet waren die Reinheimer Jüdinnen und Juden dem Rabbinat in Darmstadt. Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sie sich dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II an.10
In Reinheim zeigten sich schon früh antisemitische Tendenzen. So erreichten 1893 die Antisemiten bei den Reichstagswahlen hier 42 Prozent der Wählerstimmen. Damit waren sie zweitstärkste Kraft. Diese politische Entwicklung fand ihren Niederschlag auch im Alltag, beispielsweise als Vorstandswahlen des Turnvereins 1892 mehrfach wiederholt werden mussten, bis Elias Frohmann aus fadenscheinigen Gründen ausgeschlossen werden konnte.11
Um die Wende zum 20. Jahrhundert erlangte die Zahl der Jüdinnen und Juden in Reinheim mit 86 ihren Höchststand. Sie waren auch weiterhin Teil der städtischen Gemeinschaft, unter anderem bei der Feuerwehr, im Obst- und Gemüseanbauverein, im Geflügelzüchter- und Turnverein aktiv. Mit Simon Neumann wurde 1910 sogar ein jüdischer Reinheimer in den Stadtrat gewählt. Bereits 1870/1871 war Nathan Schack Teilnehmer am Deutsch-Französischen Krieg. Sechs jüdische Reinheimer nahmen am Ersten Weltkrieg teil. Zwei von ihnen, Julius Morgenstern und Heinrich Frohmann, fielen.12
1925 lebten 64 Juden in Reinheim. Darunter befanden sich ein Fabrikant, etwa zehn Geschäftsleute, rund fünf Viehhändler und zwei Metzger. Zur jüdischen Gemeinde zählten auch die in Spachbrücken und Georgenhausen lebenden Jüdinnen und Juden, die zuvor eigene jüdische Gemeinden gebildet hatten,13 sowie die aus Ueberau und Zeilhard. Als Vorstand wirkten Anfang der 1930er Jahre Sigmund Steiermann, A. Wolf und Max Lehmann.14
Schon 1924 fanden in Reinheim Veranstaltungen der ideologischen Vorläuferorganisation der NSDAP statt, die bei den Reichstagswahlen 1929 nach Stimmenzahl in der Stadt drittstärkste Kraft wurde. Bis 1932 avancierte sie zur stärksten politischen Kraft mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen.15
Mit der Machtdurchsetzung der NSDAP ab 1933 gelangte auch deren antisemitische Politik mehr und mehr zum Tragen. Zunehmende Entrechtung, wirtschaftlicher Boykott und Repressalien veranlassten in den folgenden Jahren viele jüdische Familien, aus Reinheim zu fliehen. Nahezu alle von Jüdinnen und Juden bewohnten Wohnungen wurden in der Pogromnacht überfallen, Einrichtungsgegenstände zerstört und Menschen misshandelt. Mit der Auswanderung der letzten jüdischen Familie 1939 nach Südafrika endet die Geschichte der jüdischen Gemeinde Reinheim.16 Viele der aus Reinheim in andere deutsche Städte geflohenen Verfolgten, unter ihnen auch der Religionslehrer Joseph Vorenberg, wurden Opfer der Shoah.
Zum Andenken an den Gynäkologen Jakob Goldmann, Arzt und jüdischer Einwohner von Reinheim, der 1933 vor dem nationalsozialistischen Terror zunächst nach Frankfurt am Main und anschließend nach New York fliehen konnte, gab die Stadt einem 1999 eingeweihten Kindergarten dessen Namen.17 Sein Sohn Robert Goldmann wurde im gleichen Jahr Ehrenbürger des Ortes.18
2011 wurden Stolpersteine in Reinheim für Max und Rosa Karlsberg sowie Joseph, Thekla und Jakob Vorenberg verlegt.
Statistik
- Reinheim
- um 1550 2 Schutzjuden
- 1622/1623 13 Familien
- 1626/1627 7 Familien
- 1629 9 Familien
- 1770 2 Familien
- 1782 4 Familien mit 35 Personen
- 1785 4 Familien
- 1805 30 Personen
- 1810 36 Personen
- 1815 62 Personen
- 1828 8 Familien mit 59 Personen
- 1871 47 Personen
- 1900 86 Personen
- 1910 78 Personen
- 1925 64 Personen
- 1933 64 Personen
- Mai 1939 0 Personen
- Georgenhausen
- 1615 2 Personen (Schutzjuden)
- 1829 24 Personen
- 1867 27 Personen
- 1899 3 Familien mit 16 Personen
- 1900 18 Personen
- 1925 8 Personen
- 1929/1932 4 Personen
- Spachbrücken
- 1702 4 Familien (mind.)
- 1740 4 Familien
- 1804 5 Familien
- 1829 55 Personen
- 1867 35 Personen
- 1884 22 Personen
- 1896 23 Personen
- 1900 15 Personen
- 1903 4 Familien mit 20 Personen
- 1925 6 Personen
- 1930 2 Familien mit 5 Personen
- 1934 1 Familie
Quellenangabe Statistik
Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 400.
Betsaal / Synagoge
Erster Betraum, An der Stadtmauer 5
Zwar ist nicht auszuschließen, dass die sich in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges in Reinheim aufhaltenden Juden Gottesdienste abhielten. Auch im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts dürfte die Zahl der Jüdinnen und Juden im Ort – 1782 immerhin 35 Personen – ausreichend groß gewesen sein, um einen Minjan zu stellen und Gottesdienste durchführen zu können.19 Allerdings findet sich ein konkreter Nachweis für erst 1806. Zu dieser Zeit befand sich der Betraum der Reinheimer Juden in einem Nebengebäude des Anwesens Hofgasse 5 (heute: An der Stadtmauer 5). Die „Judenschule“ gehörte zur Hofreite des David Hertz Frohmann. 1837 übergab dessen Enkel Hayum Frohmann das aufgrund des Synagogenneubaus nicht mehr für Gottesdienste genutzte Haus an seinen Sohn Süsman, 1840 kam es durch Tausch in nichtjüdischen Besitz. Es ist nicht erhalten.20
Die Synagoge von 1838, Am Biet 11
1837/1838 erbaute sich die jüdische Gemeinde eine Synagoge am Ende der Sackgasse Am Biet 11, die noch 1872 als Synagogenstraße bezeichnet wurde. Die auf dem dort erworbenen Grundstück vorhandenen Gebäude wurden für den Neubau abgebrochen. Den größten Raum nahm der Betraum mit Frauenempore ein. Zudem befanden sich in dem Gebäude eine Mikwe, ein Schulzimmer und die Lehrerwohnung.21
Das freistehende Synagogengebäude war ein stattlicher, zweigeschossiger Sandsteinbau, dessen heute verputzte Fachwerkgiebel das bemerkenswerte Gebäude am Ende der kurzen Nebenstraße betonte. Es maß 9,42 m in der Breite und 11,95 m beziehungsweise 12,75 m in der Länge, hatte also einen unregelmäßigen Grundriss. In der der Straße zugewandten Giebelwand lagen übereinander zwei Reihen mit jeweils drei, im Erdgeschoss hochrechteckigen, oben kleinen Rundbogenfenstern. Auch die Traufwände verfügten über derartige Konstruktionen. Die beiden Haupteingänge lagen in der südwestlichen Traufwand. Während der Männereingang direkt in den Betsaal mit 50 Plätzen führte, betraten die Frauen zunächst einen Vorraum, in dem die Treppe mit Zugang zur dreiseitigen Frauenempore mit 32 Sitzplätzen lag. Der Thoraschrein lag an der nordöstlichen Längsseite des Saals. Direkt davor befand sich die Bima. Dem Vorraum hintan gelagert war die Mikwe, die über einen eigenen, heute verschlossenen Zugang verfügte. Darüber befand sich die Schulstube.22
Während des Ersten Weltkrieges konnten die notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen an dem Gebäude nicht durchgeführt werden, so dass es sich bis Mitte der 1920er Jahre zumindest teilweise in schlechtem Zustand befand. Die 1925 projektierten Reparaturkosten beliefen sich auf bis zu 3.000 RM, ein Betrag, den die jüdische Gemeinde allein nicht aufbringen konnte und deshalb um einen städtischen Zuschuss nachsuchte. Dieser Antrag wurde zunächst abgelehnt. Zunächst konnte deshalb auf der Grundlage eines Darlehens und einer Spendensammlung nur der hintere Teil der Synagoge erneuert werden. Erst als sich die tatsächlichen Baukosten auch aufgrund von Schäden am Dach auf 4.000 Mark erhöht hatten und ein abermaliges Gesuch mit dem Hinweis gestellt wurde, dass sich viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde freiwillig an der Renovierung der Kirche, des Pfarrhauses und anderer gemeindlichen Einrichtungen beteiligt hätten, wurden für die beiden Jahre 1927 und 1928 jeweils 200 RM bewilligt.23 Zudem bestand in dieser Zeit in Reinheim ein „Verein zur Anschaffung von Synagogen-Requise“.24 Vermutlich in Zusammenhang mit dieser Sanierung wurde auch die Decke über dem Betsaal neu angestrichen. Nochmals wurden 1932 elektrisches Gestühl, Beleuchtungs- und elektrische Heizkörper eingebaut sowie neue Kultobjekte angeschafft.25
Zum Inventar gehörten zudem nach den Zusammenstellungen der Jewish Restitution Successor Organization vor der Zerstörung eine Garderobe mit 85 Einheiten, ein Kronleuchter, sechs Seitenleuchter, ein Altarleuchter, zwei Teppiche und 30 Meter Läufer. In dem Schrank für Kultgegenstände befanden sich vier Thorarollen, vier Paar Thoraaufsätze aus Silber mit silbernen Schellen, ein silberner Lesefinger, zwölf neu angeschaffte goldbestickte Thoramäntel, 100 handbemalte Thorawimpel, vier neue große, goldbestickte Thoraschreinvorhänge, vier goldbestickte Decken für das Vorlesepult, eine silberne Ewige Lampe, ein silberner siebenarmiger Leuchter, ein silberner Channukahleuchter, 30 neue elektrische Seelenlichter, ein silberner Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, eine Megillah mit Mantel, ein Schofarhorn, 30 Gebetmäntel, fünf Paar Gebetriemen, 26 Gebetbücher, darunter zwei kostbare Vorbeter- und vier Festgebetsbücher, sechs Pentateuche, vier handgeschriebene Pergamentrollen sowie eine Etrogbüchse aus Silber.26
Schon kurz nach den Reichstagswahlen 1933 wurde die Reinheimer Synagoge zum ersten Mal überfallen und die darin versammelten Männer gezwungen, vor der Öffentlichkeit kommunistische Wahlparolen abzuwaschen. Dabei kam es auch zu körperlichen Misshandlungen.27
Am 8. November 1938 holten Reinheimer Gendarmen in Anwesenheit des ersten Gemeindevorstehers Josef Frohmann und von Max Lehmann vier Thorarollen aus der Synagoge ab. Sie sollen ins Bürgermeisteramt gebracht worden sein und sollten nach Darmstadt überstellt werden. Über ihren weiteren Verbleib ist nichts bekannt.28
Während des Pogroms vom November 1938 war auch die Synagoge Angriffsziel. Ein Mob, darunter wohl auch SA- und SS-Männer aus Reinheim und Groß-Bieberau, demolierte das Gotteshaus und seine Einrichtung. Zusammen mit dem Inventar von Schulzimmer und Mikwe wurde ein Teil davon auf einer nahegelegenen Wiese in Brand gesetzt. Das Synagogengebäude selbst entging nur wegen der dichten Nachbarbebauung einer Brandstiftung.29
Weit unter Wert – für 1.000 statt 5.000 RM - ging das Synagogengebäude am 9. Oktober 1939 in den Besitz des Landwirts und direkten Nachbar Georg Friedrich Bernius und dessen Ehefrau über, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge eines Vergleiches 1.500 DM an die Jewish Restitution Successor Organization nachzahlten, um im Besitz des Grundstücks zu bleiben.30 Die Nachbesitzer nutzten das ehemalige Synagogengebäude zu landwirtschaftlichen Zwecken. Nach 1950 wurde die Außenfassade durch Umbau massiv verändert. Eine neu eingezogene Betondecke teilte den ehemaligen Betsaal in zwei Geschosse. Außerdem wurde ein Tor in die Giebelfassade eingebrochen. Im Gebäude waren bis 1990 ein Traktorstellplatz und Lagerraum, unter anderem für Kartoffeln, untergebracht. Am 31. Januar 1986 wurde eine Gedenktafel der Künstlerin Marianne Wagner angebracht.31
1994/1995 wurde das lange als Lager genutzte Gebäude zu Wohnraum umgebaut. Da es in den 1980er Jahren unter Denkmalschutz gestellt worden war, erging an den Besitzer die Auflage, die ursprüngliche Außengestalt wiederherzustellen sowie Dachstuhl und Holzbalkendecke zu erhalten. Vorausgegangen waren umfangreiche Bauuntersuchungen auf deren Grundlage ein Aufmaß erstellt werden und eine zeichnerische Rekonstruktion der Innenaufteilung erfolgen konnten. Gefunden wurden auch zwei Schichten Bemalungen: Die untere mit überwiegend floralen Mustern stammt wohl aus der Erbauungszeit und wurde 1927 mit einer Art-Déco Ausmalung überdeckt.32 Allerdings wurden die Reste der Bemalung bei den Umbaumaßnahmen ebenso entfernt wie Dachstuhl und Balkendecke. Heute befinden sich in dem Gebäude drei Mietwohnungen.33
Weitere Einrichtungen
Anfang der 1930er Jahre bestanden ein 1852 gegründeter Israelitischer Männerverein, der auch die Aufgabe einer Chewra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft) übernahm und den M. Lehmann führte, und der 1909 unter dem Vorsitz von Rose Neumann gegründete Israelitische Frauenverein. Mitte der 1920er Jahre war Emma Karlsberg Vorsitzende des Vereins, zu Beginn der 1930er Jahre dann Sara Lehmann.34
Der Lehrer Joseph Vorenberg engagierte sich 1922 für die Gründung der Ortsgruppe Reinheim/Groß-Bieberau des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, deren erster Vorsitzender er wurde.35
Mikwe
Im Anwesen der Familie Frohmann An der Stadtmauer 5 befand sich auch eine Mikwe. Einem Tauschvertrag aus dem Jahre 1840 ist zu entnehmen, dass der neue – christliche – Besitzer dieses Anwesens die Nutzung des Frauenbades bis Ostern 1846 zu dulden hatte. Vermutlich zu diesem Zeitpunkt wurde die Mikwe in die 1837 erbaute Synagoge verlegt. 1878 wurden ein Kamin und ein Heizkessel eingebaut. Sie wurde 1911 renoviert. Das Gebäude ist nicht erhalten.36
Schule
Für den Religionsunterricht ihrer Kinder stellte die Reinheimer Judenschaft eigene Lehrer ein. Der Unterricht wird zunächst in einem Raum des Anwesens An der Stadtmauer 5 abgehalten worden sein, wo sich der Betsaal befand. Auch Sussmann Frohmann wurde Religionslehrer – er amtierte später in Griesheim – und erlernte in Darmstadt das Schächten.37
In der 1837 erbauten Synagoge befand sich auch ein Schulzimmer. 1883 besuchten 18 Kinder den jüdischen Religionsunterricht. Vermutlich weil der Raum in der Synagoge dafür zu klein war, bat der Gemeindevorstand die bürgerliche Gemeinde um Überlassung eines eigenen Raumes. Darüber kam es zu Differenzen. Die jüdischen Kinder waren seit 1880 vom allgemeinen Samstagsunterricht befreit. Da aber der Unterricht für die christlichen Kinder bis 15 Uhr ging, musste der jüdische Religionsunterricht an einem Sonntag stattfinden. Dagegen verweigerte sich allerdings der christliche Hausmeister.38
Nachdem die jüdische Gemeinde im 19. Jahrhundert wiederholt nur für wenige Monate Religionslehrer angestellt hatte, die auch als Vorsänger und Schächter fungierten, nahm sie 1891 mit Joseph Vorenberg einen Lehrer in ihre Dienste, der das Amt 45 Jahre lang ausübte. Er wirkte zudem auch als Gemeinderechner.39
Friedhof
Die Verstorbenen der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof in Dieburg beigesetzt. Seit die Gemeinde 1930 Mitinhaberin des Friedhofs in Groß-Bieberau wurde, beerdigte man überwiegend dort.40
Nachweise
Fußnoten
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 14. ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 14. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 387. ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 15; Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 387-388. ↑
- HStAD, R 21 J, Nr. 52. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 389-390. ↑
- HHStAW, 365, Nr. 717. ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 37. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 390-391. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 396. ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 56. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 397. ↑
- HHStAW, 503, Nr. 7382. ↑
- Mitteilungsblatt des Landesverbandes israelitischer Religionsgemeinden Hessens, Jg. 6, Nr. 9, 1931, S. 10; Reinheim, Israelitische Gemeinde, in: Jüdische Wohlfahrtspflege 1932/33, online unter: https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/juedische-wohlfahrtspflege-1932-33/alle-eintraege/238_reinheim-israelitische-gemeinde (Stand: 3.11.2025). ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 89. ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 95. ↑
- Magistrat der Stadt Reinheim, 2008, Spuren, S. 70. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 399-400. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 390. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 390. ↑
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- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 392-395. ↑
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- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 392. ↑
- HHStAW, 518, Nr. 1370; Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 392. ↑
- HHStAW, 518, Nr. 1370. ↑
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- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 398. ↑
- Magistrat der Stadt Reinheim, 2008, Spuren, S. 91. ↑
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- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 399. ↑
- Reinhold-Postina, 1997, Verbrannt, S. 76. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 399. ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 53; Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 396; Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege, 1924/25, S. 133; Reinheim, Israelitische Gemeinde, in: Jüdische Wohlfahrtspflege 1932-33, online unter: https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/juedische-wohlfahrtspflege-1932-33/alle-eintraege/238_reinheim-israelitische-gemeinde (Stand: 3.11.2025). ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 397. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 390, 392. ↑
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- HHStAW, 503, Nr. 7328. ↑
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 396. ↑
- Mitteilungsblatt des Landesverbandes israelitischer Religionsgemeinden Hessens, Jg. 6, Nr. 9, 1931, S. 10. ↑
Weblinks
Quellen
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW, 365, Nr. 717: Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden von Reinheim, 1791–1805.
- HHStAW, 503, Nr. 7382: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt. Bd. 5: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen im Kreis Dieburg und im Kreis Erbach, (1932-1939) 1960-1966.
- HHStAW, 518, Nr. 1370: Entschädigungsakte Jüdische Gemeinde Reinheim, 1950-1962.
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HStAD, R 21 J, Nr. 52: Reskript des Inhalts, dass der Jude Löw Samuel zu Reinheim erst nach Bezahlung des Schutzgeld in den landgräflich-hessischen Judenschutz aufgenommen werden kann, 1725.
Literatur
- Alicke, Klaus-Dieter, Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Gütersloh 2008.
- Altaras, Thea, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, 2. Aufl., Königstein im Taunus 2007, S. 295-296.
- Arnsberg, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, Bd. 2, Frankfurt am Main 1972, S. 217-219.
- Blum, Rahel/Berger-Dittscheid, Cornelia, Reinheim. Mit Georgenhausen, Spachbrücken und Zeilhard, in: Wiese, Christian, et al. (Hg.), Zerbrechliche Nachbarschaft. Gedenkbuch der Synagogen und jüdischen Gemeinden in Hessen, Bd. 1/1, Berlin/Boston 2025, S. 378-404.
- Hölzer, Klaus-Peter, Taufe eines Juden 1661, in: Der Odenwald, Jg. 36, 1989, S. 37-38.
- Magistrat der Stadt Reinheim (Hg.), Spuren jüdischen Lebens in Reinheim, Reinheim 2008.
- Reinhold-Postina, Eva, Verbrannt, verwüstet, vergessen und verdrängt. Auf der Suche nach alten Synagogen im Landkreis Darmstadt-Dieburg, in: Lange, Thomas (Hg.), L’chajim“. Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, Reinheim, 1997, S. 61-105.
- Ruppert, Wilhelm, Reinheimer Geschichte. Erlebtes, Gesammeltes, Beschriebenes, Reinheim 1995.
- Volz, Fritz, Die Reinheimer Juden. Die jüdischen Gemeinden von Reinheim und seinen heutigen Stadtteilen, Reinheim 1988.
Abbildung vorhanden
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