Ehemals Grünberg, Stadtkirche

Ornamentfenster der Pfarrkirche zu Grünberg
Enthaltene Fenster
Katalogdaten
Beschreibung
Im Anschluss an die Errichtung einer Burg durch Landgraf Ludwig III. von Thüringen und Hessen (1186), die der Sicherung des Handelsweges entlang der »kurzen Hessen« diente, wurde der Ort durch Dorfbewohner der Umgebung besiedelt; bereits 1222 wird Gruninberc als Stadt bezeichnet. Als eine Folge der anhaltenden Auseinandersetzungen mit dem Erzbistum Mainz ging Grünberg lediglich als erzbischöfliches Lehen an Gräfin Sophie von Brabant, doch schon 1272 erwirkte Heinrich I. die Befreiung der Bürger aus geistlicher Gerichtsbarkeit. Die der Muttergottes und dem Hl. Georg geweihte Pfarrkirche zu Grünberg war eine Hallenkirche mit einem Querhaus und unmittelbar daran anschließendem Chorpolygon (Mitte 13. Jh.) sowie einem dreischiffigen und sechsjochigen Langhaus, das entgegen älteren Forschungen zum Zeitpunkt der überlieferten Weihe des Hochaltars im Jahr 1313 sicher schon fertiggestellt war4. Die geplante Doppelturmfassade wurde offenbar nie über die Höhe des Langhauses fortgeführt. Nachdem bereits in den ersten Jahren des 19. Jh. mehrere Gewölbe eingestürzt waren, riss schließlich im Jahr 1816 der Einsturz des Vierungsturms weite Teile von Chor und Querhaus mit sich. 1839/40 musste die Ruine einem Neubau weichen5. Noch vor dem Abriss wurden die Reste der Glasmalereiausstattung gesammelt und im Jahr 1817 nach Darmstadt verbracht. Ihr Verbleib ist unbekannt6. Georg Moller hatte jedoch noch vor der Zerstörung der Kirche mehrere Fenster gezeichnet und drei Musterfelder in den ersten Band seiner Denkmäler der deutschen Baukunst aufgenommen (Fig. 638). Die filigranen und naturalistisch wiedergegebenen Blattmuster ordnen sich den strengen geometrischen Grundformen stets unter: Neben tangierenden Kreisen in Feldbreite mit kreuz- oder sternförmiger Binnengliederung und dazwischen liegenden halben Blütenrosetten findet sich auch ein Rapport aus gespitzten Vierpässen mit diagonal ausgestellten Passlappen. Interessante Bezüge ergeben sich hier zur Langhausverglasung in Haina und auch zur Chorverglasung in Hersfeld, die aus einem verwandten Formenkatalog schöpft und die gleiche Vorliebe für die mit Drachen und Vögeln belebte Vegetation verrät, ebenso zu einigen Ornamentmustern der Friedberger Stadtkirche, die wohl noch der Erstverglasung des 1306 geweihten Chores zuzurechnen sind7. Zwischen Haina, Friedberg, Grünberg und Hersfeld scheinen Schulzusammenhänge zu bestehen. Hinweise zur Verortung kann dabei die jüngere Langhausverglasung in Haina geben, die von einer Werkstatt ausgeführt wurde, welche zugleich auch am Frankfurter Dom tätig war8.
Bibliographie
Georg Moller, Denkmaehler der deutschen Baukunst, Darmstadt 1815, S. 41, Taf. 30, Abb. 212 und 217 (»gotisch meisterhaft gezeichnetes Laubwerk etc. grau in grau, sparsam mit Farben belebt«); Gessert 1839, S. 112 (datiert die Ornamentfenster in das 15. Jh.); Carl Glaser, Beiträge zur Geschichte der Stadt Grünberg im Großherzogthum Hessen (Archiv für Hessische Geschichte und Alterthumskunde, hrsg. von Ludwig Baur, Supplement 1), Darmstadt 1846, S. 65, 96–98 (neben Weinrankenornamenten waren in den heruntergefallenen Stücken auch Menschen- und Tiergestalten, »namentlich Figuren von Rittern, Frauen und Vögeln, in herrlich rothem und gelbem Grunde« zu sehen); Oidtmann 1898, S. 186 (»was von den Glasmalereien noch übrig blieb, befindet sich im Museum zu Darmstadt«); Walbe 1938, S. 201–206 mit Abb. 217 (Abb. der Glasmalereien nach Moller 1815); Hess 1999, S. 47, Abb. 25, 27 (die Ornamentmuster bezogen Anregungen aus der Zisterzienserverglasung in Haina); Waltraud Friedrich, »... der Thurm hatte sich‚ wie ein Sarg ins Grab’ hinabgelassen ...«. Vor über 190 Jahren stürzte die gotische Kirche St. Maria zur Altstadt in Grünberg ein, in: Denkmalpflege & Kulturgeschichte 2007/4, S. 14–20 (folgt Hess 1999).
Nachweise
Fußnoten
- Reinhard Lambert Auer, Landesherrliche Architektur. Die Rezeption der Elisabethkirche in den hessischen Pfarrkirchen, in: AK Marburg 1983, I, S. 103–123, bes. S. 106–108, schließt anhand der zeichnerisch zuverlässigen Überlieferung des Baues zu Recht auf eine frühere als bislang angenommene Entstehung des Langhauses und sieht in der Altarweihe 1313 einen terminus ante quem für die Fertiggestellung. ↑
- Eine detailgetreue Zeichnung der eingestürzten Stadtkirche wurde 1838 von Carl Glaser angefertigt; Abb. in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 2, 1841, Tafel. ↑
- Im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt befinden sich lediglich zwei nachmittelalterliche Wappenrundscheiben, die aus Grünberg stammen sollen. Beeh-Lustenberger 1967 bzw. 1973, S. 239, Nr. 309, Taf. 18, und S. 293, Nr. 409, Abb. 256. ↑
- Die Ornamentfelder im Chor der Liebfrauenkirche werden von Hess 1999, S. 182–185, behandelt, dort jedoch in das 2. Viertel des 14. Jh. datiert. Zuletzt hierzu Uwe Gast, Die Chorverglasung der Stadtkirche in Friedberg im 14. und 15. Jahrhundert. Rekonstruktion, Programm und programmatische Änderungen, in: Die gebrauchte Kirche (Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen), Stuttgart 2009 (im Druck). ↑
- Mit Grünberg zu vergleichen sind auch die Ornamente der Kopfscheiben aus dem Frankfurter Dom; Hess 1999, S. 103, 106, Abb. 39f. Die Frankfurter Werkstatt dürfte ferner die Verglasung für Ortenberg geliefert haben; s. wiederum Hess 1999, S. 305, Abb. 265f. Verwandte Muster haben sich in der ehem. Spitalkirche von Stadtprozelten erhalten, wo im 14. und 15. Jh. der Deutsche Orden ansässig war. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen / Daniel Parello unter Verwendung von Vorarbeiten von Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 3), Berlin 2008
Nachnutzung
Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Ehemals Grünberg, Stadtkirche“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-objekte/350-1_ehemals-gruenberg-stadtkirche> (aufgerufen am 27.11.2025)
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