Ehemals Lorsch · Kloster

 
Standort
Lorsch
Anzahl Fenster
3
Anzahl Scheiben
3
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Katalogdaten

Vorbemerkung

Die mittelalterliche Verglasung des 1620/21 im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Klosters Lorsch ist lediglich durch jene Funde zu erschließen, die in den Jahren 1934–1937 von Friedrich Behn bei Grabungen im südöstlichen Teil des Klosterbezirks und bisher im Zuge des seit 1998 laufenden, am Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit der Universität Bamberg angesiedelten Forschungsprojekts »Baugestalt, Wirtschaftsleben und monastischer Alltag des ehemaligen Reichsklosters Lorsch an der Bergstraße – Weltkulturerbe der UNESCO. Auswertung der Altgrabungen und neue archäologische Untersuchungen« zutage gefördert worden sind. Der Grabungsfund Behns, der 1935 an das Hessische Landesmuseum Darmstadt überwiesen wurde, umfasst – von einer nicht bekannten Anzahl kleinster, im Zweiten Weltkrieg vernichteter Stücke abgesehen (Beeh-Lustenberger 1973, S. 17, Nr. 2/43) – 114 bemalte Scherben aus der Mitte des 11. Jahrhunderts (Fig. 109, 113, Abb. 63–65), darunter als größtes zusammengehöriges Konvolut die Reste eines bärtigen Kopfes mit blauem Nimbus, sowie ungezählte Glasstücke und Scherben des 13./14. Jahrhunderts, die zu zwei Rechteckfeldern zusammengesetzt worden sind. Von Letzteren wird hier nur das ältere Ornamentfeld mit Blättern behandelt (Abb. 66). Das Rautenfeld1, das aus unbemaltem Glas besteht, wird dagegen ebenso wenig aufgenommen wie der Großteil der Funde jüngerer Zeit2, bei denen es sich zumeist ebenfalls um blankes Glas handelt. Als aussagekräftig können überhaupt nur zwei winzige Scherben mit Ornamentresten aus dem 13. Jahrhundert(?) erachtet werden (Abb. 67). Die Funde sollen nach Abschluss ihrer wissenschaftlichen Auswertung in einer Auswahl im Museumszentrum Lorsch präsentiert werden.

Geschichte der Anlage und ihrer Verglasung

Die für die Glas- wie für die Glasmalereifunde relevante Geschichte von Lorsch3 setzt im Jahr 767 ein, als ein bis dahin am Flüsschen Weschnitz gelegenes, von Benediktinermönchen besiedeltes Kloster – das sog. Altenmünster – wenige Jahre nach seiner Gründung durch Graf Cancor und dessen Mutter Williswind und seiner bald darauf erfolgten Übertragung an Bischof Chrodegang von Metz an anderer, noch sichtbarer Stelle neu errichtet wurde. Dieses Kloster – seit 772 unter königlichem Schutz – war den Aposteln Petrus und Paulus gewidmet, sein kostbarster Besitz bestand in den Gebeinen des Märtyrers Nazarius, die sich als Schenkung Papst Pauls I. seit dem Jahr 765 in Lorsch befanden und bereits 774 in die neue, unter Abt Gundeland (765–778) erbaute, von Bischof Lul von Mainz in Anwesenheit König Karls des Großen geweihte Kirche transloziert werden konnten. Unter den Nachfolgern Gundelands, namentlich unter Abt Richbod (784–804), wurden zwischen 778 und 837 zahlreiche Arbeiten an und in der Kirche und im Klosterbezirk durchgeführt: Die Kirche mit dem Nazariusgrab wurde kostbar ausgestattet, das Kloster erhielt Konventsgebäude aus Stein mitsamt der ecclesia triplex. Schließlich kam im späten 9. Jahrhundert die ecclesia varia hinzu – jene Grabkirche, die König Ludwig der Jüngere (876–882) für seinen Vater, sich selbst und weitere Angehörige des Königshauses errichten ließ und die, nach verschiedenen Umbau- und Verschönerungsmaßnahmen an der Hauptkirche im späten 10. und frühen 11. Jahrhundert, im Jahr 1052 unter Abt Arnold (1052–1055) von Papst Leo IX. im Beisein Kaiser Heinrichs III. zu Ehren Mariens, der Apostel und aller Heiligen (neu) konsekriert wurde. Im Jahr 1090 geriet die Klosterkirche während der Sonnwendfeier in Brand und wurde der chronikalischen Überlieferung zufolge vollständig zerstört (tota laureshamensis ecclesia conflagrauit)4. Die Erneuerungsarbeiten zogen sich geraume Zeit hin; erst unter Abt Diemo (1125–1139) konnte sie im Jahr 1130 wieder eingeweiht werden. Abt Folknand (1141–1148) versah sie mit Gewölben, Apsiden, Fenstern, Decken und einem Bleidach (fornicibus, absidibus, fenestris, laquearibus, tecto plumbeo)5. Die Klostergebäude schließlich wurden unter Abt Heinrich (1151–1167) erneuert, erweitert und verschönert. Im Jahr 1247 – das Kloster war inzwischen dem Erzstift Mainz inkorporiert (1232), die Benediktinermönche von Zisterziensern abgelöst worden, die sich aber bald wieder zurückziehen mussten – brannte es in Lorsch erneut; die Neuweihe des nun – seit 1248 – von Prämonstratensern besetzten Klosters durch Erzbischof Werner von Eppstein fand 1266 statt6. Ein Blitzschlag im Jahr 1358 führte zum Abbruch der Kirchtürme. Nachdem Lorsch im Jahr 1461 als Pfand an Kurfürst Friedrich I. den Siegreichen gefallen war, wurde das Kloster unter Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz (1556–1559) aufgehoben und 1620/21 im Dreißigjährigen Krieg von spanischen Truppen verwüstet.

Bibliographie

Friedrich Behn, Die Ausgrabungen im Kloster Lorsch, in: Amtliches Adreßbuch der Stadt Darmstadt 1936, S. 65–70, hier S. 70 (erstmalige Erwähnung eines Fundes von »Hunderte[n] von Bruchstücken bemalter Glasfenster aus verschiedenen Jahrhunderten«, darunter »Teile eines spätkarolingischen Apostelkopfes«); ders., Lorsch, das Reichskloster der Karolinger, in: JbBistumMz 3, 1948, S. 321–332, hier S. 332 (erneute Erwähnung des Fundes, nun mit Deutung des Kopfes als Christus-Pantokrator); ders., Kloster Lorsch (Starkenburg in seiner Vergangenheit 7), Mainz 21949, S. 29 mit Taf. 18 (im Wesentlichen wie 1948); Gerke 1950 (deutet den – rekonstruierten – Kopf als Christus-Pantokrator und sieht ihn, nach eingehenden Vergleichen – Augsburg, Weißenburg –, »am Anfang der Entwicklung der Glasmalerei« stehend; konstatiert insulare Einflüsse und datiert Ende 9. Jh.); Hans M. Frhr. von Erffa, Die Verwendung des Glasfensters im frühen deutschen Kirchenbau, Phil. Diss. München 1951 (Typoskript), S. 31 (steht der Einordnung des Kopfes »unter die Reste karolingischer Glasmalerei« aufgrund seiner noch ungenügenden Publikation skeptisch gegenüber); Wentzel 1951 bzw. 21954, S. 14 (Erwähnung); Friedrich Behn, Ausgrabungen in Lorsch. Eine Übersicht über die archäologischen Untersuchungen im Kloster Lorsch, in: Laurissa jubilans. FS zur 1200-Jahrfeier von Lorsch 1964, Lorsch 1964, S. 115–122, hier S. 121 (im Wesentlichen wie 1948 und 1949; bedauert »unheilbare Beschädigungen« des Fundes während des Zweiten Weltkrieges); Gottfried Frenzel, in: Karl der Große. Werk und Wirkung, AK Aachen, Rathaus und Kreuzgang des Domes, Aachen 1965, S. 467f., Nr. 641 mit Abb. 113 (ausführliche Angaben zu Erhaltung, Technik und Rekonstruktion; Deutung als Apostel- oder Heiligenkopf und Datierung ins 9. Jh.); Mille ans d’art du vitrail, AK Strasbourg, l’Ancienne Douane, Catalogue II, Straßburg 1965, S. 16, Nr. 164 (Datierung 9./10. Jh.); Beeh-Lustenberger 1967, Abb. 1, 51, bzw. 1973, S. 15–19, Nr. 1f. mit Taf. 1–9, und S. 33f., Nr. 22f. mit Taf. 10 (grundlegende Publikation des gesamten, Ende 9. Jh. und 3. Viertel 13. Jh. bzw. Anfang 14. Jh. datierten Scherbenfundes; folgt in der Deutung des Kopfes Frenzel 1965 und in der Einordnung weitgehend Gerke 1950); Friedrich Oswald, in: Kdm. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969, I, S. 352 (Erwähnung des Kopfes, Deutung als Christus-Salvator); Rüdiger Becksmann, Das Schwarzacher Köpfchen. Ein ottonischer Glasmalereifund, in: Kunstchronik 23, 1970, S. 3–9, hier S. 6f. (Erwähnung des Kopfes mit Datierung in das späte 9. Jh.); Rode 1974, S. 93 (Datierung der »Ornamentscheibe« aus Lorsch Mitte 13. Jh.); Grodecki 1977, S. 45f. und S. 272, Nr. 17 (weist auf die stilistische Verwandtschaft des Kopfes mit dem Kopf aus Weißenburg hin, zieht eine Entstehung im späten 9. Jh. in Zweifel und erwägt die Möglichkeit einer Datierung »in die nachottonische frühromanische Zeit«); Beiträge zur Geschichte des Klosters Lorsch (GbllBergstraße, Sonderbd. 4), Lorsch 1978, S. 142f. (z.T. wörtlich nach Beeh-Lustenberger 1973); Becksmann 1979, S. 193, 224 (führt die »Ornamentscheibe« des 13. Jh. aus Lorsch zum Vergleich mit Neckarzimmern an; erwähnt den »spätkarolingischen Lorscher Kopf« im Zusammenhang mit dem Schwarzacher Köpfchen); Friedrich Kobler, in: RDK, IX (Lfg. 5), 1992, Sp. 573 (erwähnt den Kopf in Verbindung mit Scheiben, die im Schleuder-Verfahren hergestellt wurden; zweifelt dessen Datierung ins 9. Jh. an, doch sei nicht zu entscheiden, ob er stattdessen Mitte 11. Jh. oder erste Hälfte 12. Jh. zu datieren sei); Dodwell 1993, S. 376 (datiert den Kopf beiläufig ins 12. Jh.); Enrico Castelnuovo, Vetrate medievali. Officine, tecniche, maestri (Biblioteca di storia dell’arte. Nuova serie 22), Turin 1994, S. 216 (betont die Problematik der Datierung des Kopfes ins 9. Jh.); Françoise Gatouillat, in: CV France, Recensement V, 1994, S. 136 (Erwähnung mit Datierung ins 9. Jh.); Becksmann 1995, S. 16 (erwähnt den Kopf abermals als Beispiel karolingischer Glasmalerei Ende 9. Jh.); Becksmann 1998/99, S. 197–200, 208–211 (äußert nun erstmals Zweifel an der Datierung des Kopfes und der übrigen älteren Lorscher Funde in spätkarolingische Zeit: zum einen aufgrund fehlender Zusammenhänge mit den Wandmalereiresten aus der ecclesia varia, um 876–882, zum anderen aufgrund des Fehlens eines »baugeschichtlich überzeugenden Lokalisierungsvorschlags«; sieht enge Zusammenhänge mit dem Weißenburger Kopf und schlägt eine Datierung der Fragmente in die Zeit nach 1090 sowie eine Lokalisierung der ehemaligen Farbverglasung – eines Standfigurenzyklus – in den Obergaden der Kirche vor); Francesca Dell’Acqua, « Illuminando colorat ». La vetrata tra l’età tardo imperiale e l’alto Medioevo: le fonti, l’archeologia (Studi e ricerche di archeologia e storia dell’arte 4), Spoleto 2003, S. 55f., 64f. (bespricht Lorsch als ehemaligen karolingerzeitlichen Standort im Kontext eines Überblicks über die Glasmalerei nördlich der Alpen im 8./9. Jh.; folgt in der Datierung des Kopfes Becksmann 1998/99 [bzw. 2001]); Markus Sanke, Archäologische Ausgrabungen im ehemaligen Reichs- und Königskloster Lorsch I. Das Fundmaterial der Ausgrabungskampagne 1998, in: Ericsson/Sanke 2004, S. 45–54, hier S. 53 (deutet zwei im Bereich der Klausur gefundene Scherben als »Fragmente von einem ornamentierten Heiligenschein«); Claudine Lautier, Le vitrail de la première moitié du XIIe siècle, in: La France romane au temps des premiers Capétiens (987–1152), AK Paris, musée du Louvre, Paris 2005, S. 35–37, hier S. 35 (Erwähnung des Heiligenkopfes, Datierung nach Becksmann 1998/99); Becksmann 2005/06, S. 105f. (wie 1998/99); Denise Borlée, Fragments de vitraux de l’ancienne abbatiale de Wissembourg: éléments retrouvés d’un ensemble disparu, in: La Revue des Musées de France. Revue du Louvre 57, 2007/1, S. 28–40, hier S. 30f., 32 (Erwähnung des Kopfes, Datierung nach Becksmann 1998/99); Rüdiger Becksmann, Glasmalereifund aus Kloster Schwarzach, in: Jb. der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 44, 2007, S. 131f., hier S. 132 (datiert den Kopf aus Lorsch auf Hinweis des Verf. Mitte 11. Jh.).

Nachweise

Fußnoten

  1. Darmstadt, HLM, Inv. Nr. Kg 35:28d; Beeh-Lustenberger 1973, S. 34, Nr. 23, Taf. 10, und AK Mannheim 2010, S. 261f., Nr. VI.A.14 (Uwe Gast).
  2. Umfassend ausgewertet wurden die karolingischen Glasfunde; s. hierzu Markus Sanke, Karl H. Wedepohl und Andreas Kronz, Karolingerzeitliches Glas aus dem Kloster Lorsch, in: Zs. für Archäologie des Mittelalters 30, 2002, S. 37–75, bes. S. 49–51 mit Abb. 8.1–13, und 31, 2003, S. 169–174. Siehe außerdem Markus Sanke, Archäologische Ausgrabungen im ehemaligen Reichs- und Königskloster Lorsch II. Das Fundmaterial der Ausgrabungskampagne 1999, in: Ericsson/Sanke 2004, S. 135–260, hier S. 202, 247, 249, wo einige Flachglasfunde mit Bemalungsresten erwähnt werden.
  3. Die Baugeschichte des Klosters, deren wichtigste Quelle bis 1170/75 das Chronicon Laureshamense bildet, ist bereits vielfach beschrieben und dargelegt worden, grundlegend von Friedrich Behn, Die karolingische Klosterkirche von Lorsch an der Bergstraße nach den Ausgrabungen von 1927–1928 und 1932–1933, mit Beiträgen von August Feigel u.a., 2 Bde., Berlin/Leipzig 1934, hier I, S. 122–142. Der Forschungsstand bis 1969 bzw. bis 1966–1971 und 1991 ist zusammengefasst in: Kdm. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969, I, S. 339–360; Vorromanische Kirchenbauten, I, 1966–1971, S. 179–183, II, 1991, S. 251–253. Aus jüngerer Zeit liegen sowohl neue Untersuchungen zur Lesung der Quellen als auch neue bauarchäologische Forschungen am »Kirchenrest« vor: Sebastian Scholz, Die frühe Baugeschichte des Klosters Lorsch im Spiegel der schriftlichen Überlieferung, in: KHM 32/33, 1992/93 (Kloster Lorsch. Berichtsband zum interdisziplinären Symposium am 12. und 13. November 1991 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt), S. 65–70; Hermann Schefers, Einige Fragen zur Lorscher Baugeschichte und Chronologie, in: Ericsson/Sanke 2004, S. 7–16; Thomas Platz, Neue Forschungen zum Kirchenrest in Lorsch, in: Zs. für Archäologie des Mittelalters 33, 2005, S. 207–214. – Einen knappen, vorzüglichen Überblick über die Geschichte des Klosters bis 1232 gibt Sebastian Scholz, in: Jürgensmeier/Büll 2004, S. 768–798.
  4. Codex Laureshamensis, I, 1929, S. 404.
  5. Ebd., S. 435; vgl. Günther Binding/Susanne Linscheid-Burdich, Planen und Bauen im frühen und hohen Mittelalter nach den Schriftquellen bis 1250, Darmstadt 2002, S. 277.
  6. Böhmer/Will 1886, S. 369, Nr. 169.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Ehemals Lorsch · Kloster“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-objekte/112-1_ehemals-lorsch-kloster> (aufgerufen am 26.11.2025)

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