Beweinung Christi (Pietà) (Fritzlar, Dommuseum)

 
Datierung
um 1509
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Katalog

Von Daniel Parello

Abmessungen

Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Die Stifterscheibe saß vor ihrem Versatz in die Wochensakristei offenbar passgenau in einem südlichen Seitenschifffenster. An diesen Standort wäre auch aufgrund der räumlichen Nähe zu den einstmals hier vorhandenen Altarplätzen zu denken, zumal das Bildmotiv einen eindeutigen eucharistischen Bezug besitzt, doch kämen ebenso auch die maßgleichen Lanzetten im Kreuzgang in Frage. Aus Symmetriegründen wäre die Komposition in einem dieser dreibahnigen Fenster besser aufgehoben.

Inschriften

Am unteren Bildrand die fragmentarisch erhaltene, mit einer Trugschrift ergänzte Bittformel in gotischer Minuskel: [...]e • mater • misericodie. Am linken Bildrand die Jahreszahl 1509.

Erhaltung

Ergänzt wurden mehrere Fehlstücke im Gesicht Marias, im Oberkörper Christi und in der Inschrift, allerdings sind diese gegenüber den lichteren Originalgläsern zu stark abgetönt. Zahlreiche Sprünge. Die Konturzeichnung ist partiell ausgebrochen, der Fiederrankengrund berieben, fortgeschrittene Korrosionsspuren entlang der horizontal verlaufenden Bleie. Sonst innenseitig lediglich auf dem roten Kleid Marias Lochfraß; Bleiplombe an ihrem linken Arm.

Ikonographie, Farbigkeit

Die bildfüllende Darstellung zeigt Maria vor einer angedeuteten Rosenbank, mit beiden Händen den Leichnam ihres verstorbenen Sohnes auf ihrem Schoß haltend. Rechts vor ihr kniet der Stifter mit zum Gebet erhobenen Händen. Er trägt die Almutia über dem Chorrock und ist durch sein tonsuriertes Haar als Kleriker ausgewiesen. Auf ihn bezieht sich die Bittinschrift, die sich wahrscheinlich zu ora pro me mater misericordie vervollständigen lässt18. Das grisailleartige Kolorit bietet nur wenige Farbnuancen: Gewandung, Inkarnat und rahmende Ranken bestehen aus farblosem Glas und sind wirkungsvoll vor den tiefblauen Fiederrankengrund gesetzt. Nimbus und Astwerk wurden mit Silbergelb hervorgehoben, der Boden ist in einem kühlen Graugrün gehalten, das Kleid Marias ist dunkelviolett. Demandt vermutete hinter dieser Scheibe irrtümlich Hermann Hankrat als Auftraggeber, eine der letzten spätmittelalterlichen Stiftergestalten, welche 1513 im Kreuzgang die später wieder abgebrochene Salvatorkapelle errichten ließ19. Doch trägt dieser ein anderes Wappen. Niederquell erkannte Ähnlichkeiten zur Hausmarke der Familie Günst, die aber zu dieser Zeit keine Stiftsherren stellten. Als mögliche Stifter kämen daher aufgrund ihres Alters ebenso die Kanoniker Ernst Store, Johann Stemmen oder Ludwig Imhof in Frage.

Technik, Stil, Datierung

Die ruhige Ausgewogenheit und Monumentalität der Komposition ist bereits einer ganz renaissancezeitlichen Auffassung verpflichtet, doch klingt in der kraftvollen, expressiven und fast ins Karikaturhafte gehenden Figurencharakterisierung vielleicht noch eine mittelrheinische Eigenart an, wie sie für das Stilumfeld um den Hausbuchmeister bestimmend war. Hier rückt vor allem das Werk des Meisters der Sebastianslegende, von Fedja Anzelewsky mit Wolfgang Beurer identifiziert, in den Mittelpunkt, der im ausgehenden 15. Jahrhundert am Mittelrhein tätig gewesen sein muss20. Die weich fließende Linienführung und das fleischige, in der Glasmalerei virtuos aus den Schattenlagen herausradierte Inkarnat, die lebendige Behandlung der Haare und die Vorliebe für große Augen sind auch seinen Figuren zueigen21. Ernst Buchner und nach ihm Alan Shestack sahen in ihm einen federführenden Meister der Hanauer Marienkirchenfenster22. Von anderer Seite hatte bereits Hermann Schmitz auf Werkstattzusammenhänge zwischen der Fritzlarer und der etwa 20 Jahre älteren Hanauer Pietà hingewiesen23. Über die formalen Mittel hinaus lassen sich jedoch keine engeren Bezüge herstellen, die es erlaubten, beide Gruppen sicher in die gleiche Werkstatt-Tradition einzubinden. Wenn sich auch zu Zeitgenossen wie Martin Caldenbach oder Nikolaus Schit keine engeren Verknüpfungen ergeben, so muss dies noch nicht gegen eine Entstehung der Glasmalerei am Mittelrhein sprechen. Mittelrhein(?), um 1509.

Bildnachweis

CVMA J 12839, MF 480 J 15, 18 Großdias J 01/208, J 01/257 (Detail)

Weitere Angaben

Standort heute

Fritzlar, Dommuseum

Nachweise

Fußnoten

  1. Der Vorschlag zur Ergänzung von Niederquell 1974, S. 51.
  2. Demandt 1985 (s. Bibl.), S. 748f. Zu dem Fritzlarer Kanoniker Hermann Hankrat siehe Nr. 309.
  3. Fedja Anzelewsky, Eine Gruppe von Malern und Zeichnern aus Dürers Jugendjahren, in: Jb. der Berliner Museen 27, 1985. S. 36–59; Bodo Brinkmann, in: Brinkmann/Kemperdick 2002, S. 346–357.
  4. Eine Gemeinsamkeit mit seinen Figuren sind die ganz der Schwerkraft gehorchenden Haare des Leichnams, ebenso die sichtbaren Zähne in den geöffneten Mündern. Die Stifterfigur mit ihren großen runden Augen und den aufgeworfenen Lippen lässt sich gut mit dem Bildnis eines Jerusalemfahrers von Wolfgang Beurer vergleichen. Verwandt ist auch die vegetabile Rahmenarchitektur der Sebastianslegende; Farbabb. bei Bodo Brinkmann, Der Meister WB – Wolfgang Beurer?, in: AK Mainz 2000, hier S. 610f.
  5. Die erstmalige Zuschreibung der Fenster süd II und nord VI der Hanauer Marienkirche an Wolfgang Beurer (Meister WB) erfolgte durch Ernst Buchner, Studien zur mittelrheinischen Malerei und Graphik der Spätgotik und Renaissance, 1: Der Meister WB, in: Münchener Jb. der bildenden Kunst NF 4, 1927. S. 235–275, bes. S. 253–263. Alan Shestack, Master LCz and Master WB, New York 1971. Dagegen lehnt Hess 1999, S. 245, diesen Zuschreibungsversuch ab.
  6. Schmitz 1913, I, S. 116.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen / Daniel Parello unter Verwendung von Vorarbeiten von Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 3), Berlin 2008, 133 [= 6. Beweinung Christi (Pietà)]

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Beweinung Christi (Pietà) (Fritzlar, Dommuseum)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/308-2-03-01_beweinung-christi-pieta-fritzlar-dommuseum> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/308-2-03-01

Beweinung Christi (Pietà): ES [= Erhaltungsschema] Dommuseum Nr. 6Kniender Stifter (Ausschnitt aus Abb. 49)