Vierpasswappenscheibe mit Quarternionenadler und Genreszenen (Kronberg, Schloss Friedrichshof)

Vierpaßwappenscheibe mit Genreszenen (Nr. 5). Augsburg(?), 1525.
Katalog
Von Daniel Hess
Abmessungen
H. 35,5 cm, B. 34,5 cm. Inv. Nr. G 3016. Herkunft unbekannt; derzeit eingesetzt im Marmorgang.
Inschrift
In gotischen Minuskeln: (Das) hailig R(öm)isch reich mit seinen gelidern 1525. Zu den übrigen Inschriften vgl. unter Ikonographie.
Erhaltung
Neben zahlreichen Sprungbleien einzelne Ergänzungen; das bräunliche Schwarzlot ist partiell berieben.
Ikonographie, Komposition
Im Zentrum steht der Reichsadler (ohne Krone) mit aufgelegtem habsburgisch/burgundischen Wappen; es handelt sich dabei um das zur Regierungszeit Maximilians I. geläufige Reichswappen, das nach Maximilians Tod jedoch auch auf dem von Karl V. verliehenen, 1521 erstmals geprägten Augsburger Gulden erscheint12. Die Vierpaßscheibe ist gerahmt mit einer Folge von 56 Wappen, die außen einzeln bezeichnet und innen durch Schriftbänder zu Vierergruppen zusammengefaßt sind. Auswahl, Gruppierung und Inschriften gehen wörtlich auf den Holzschnitt Hans Burgkmairs mit dem sog. Quaternionenadler von 1510 zurück, so daß sich eine detaillierte Erläuterung der Wappen und Inschriften hier erübrigt. Das Quaternionensystem, ein im frühen 15. Jahrhundert entwickeltes genealogisch-heraldisches Zahlensystem zur Illustration des reichsständischen Gedankens, zeigt die Gliederung des Heiligen Römischen Reiches in meist zehn Gruppen von je vier ausgewählten Vertretern der einzelnen Stände: Die sieben Kurfürsten und der Podestà von Rom im Zentrum des oberen Vierpasses machen den Auftakt, im Gegenuhrzeigersinn folgen wie in Burgkmairs Holzschnitt jeweils vier Wappen der Bauern, Städte, Freiherren, Burggrafen, Markgrafen, Reichsvikare, Landgrafen, Grafen, Ritter, Dörfer und Burgen13. Die ikonographisch einstweilen nicht genauer bestimmbaren Liebespaar- und Hochzeitsszenen könnten auf Grund von Kostüm und ländlicher Staffage mit dem Landadel verbunden werden und würden damit wohl einen Hinweis auf den Stifter geben, oder sie stammen aus einem Stoffkreis wie Boccaccios Decamerone, für dessen Illustration Hans Schäufelein um 1535 eine Holzschnittserie schuf.
Farbigkeit
Schwarzlot und Silbergelb auf durchgängig weißem Glas.
Stil, Datierung
Neben der wörtlich auf Burgkmairs Holzschnitt zurückgehenden Auswahl der Wappen spricht auch die in der Regierungszeit Karls V. ungewöhnliche Kombination der Wappen Österreich/Burgund für eine Entstehung der Scheibe in Augsburg. Stilistisch und maltechnisch ergeben sich keine engeren Beziehungen zu den Werken Jörg Breus d. Ä., doch kommen die im Umfeld Breus angesiedelten zusammengehörigen Rundscheiben mit Planetenbildern in Kronberg (Abb. 246f.) und im Frankfurter Kunstgewerbe-Museum (Abb. 118) dem Vierpaß in der weichen Modellierung recht nahe; die Figuren wirken jedoch klobiger und die Pinselzeichnung etwas spröder.
Bildnachweis
CVMA G 8903
Nachweise
Fußnoten
- Da die für Karl V. typische Wappenkombination neben Österreich meistens Kastilien zeigt, während Burgund nurmehr in den komplizierten neuen Wappenbildungen auftritt, in denen möglichst alle Wappen des Inhabers in den Schild gepreßt werden, scheint die für Karl ungewöhnliche Kombination in Augsburg eine spezifische Bedeutung gehabt zu haben. Zum Augsburger Gulden vgl. Friedrich Blendinger/Wolfgang Zorn (Hrsg.), Augsburg. Geschichte in Bilddokumenten, München 1976, S. 71, Abb. 168b. ↑
- Zur Darstellung der Deutschen Reichsstände und dem Quaternionen-System vgl. grundlegend Ludwig Volkmann, Der Überlinger Rathaussaal des Jacob Ruß und die Darstellung der Deutschen Reichsstände, Berlin 1934, S. 27-57, neuerdings auch Agnes Klodicki-Orlowski, Studien zu Jacob Ruß, einem spätgotischen Bildschnitzer aus Ravensburg, Phil. Diss. Heidelberg 1990, S. 199-219. Zu Burgkmairs Quaternionenadler vgl. Kat. Ausst. Hans Burgkmair. Das graphische Werk, Stuttgart 1973, Nr. 42, Abb. 52. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet / Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 2), Berlin 1999, 292 f. [= 5. Vierpasswappenscheibe mit Quarternionenadler und Genreszenen]
Siehe auch
Extern
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Nachnutzung
Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Vierpasswappenscheibe mit Quarternionenadler und Genreszenen (Kronberg, Schloss Friedrichshof)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/213-2-05-01_vierpasswappenscheibe-mit-quarternionenadler-und-genreszenen-kronberg-schloss-friedrichshof> (aufgerufen am 26.11.2025)
Kurzform der URL für Druckwerke
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