[Verlorene Scheiben] (Friedberg, Liebfrauenkirche)

Ornamentscheiben mit Adlern und Lilienkreuzen. 1896 aus Chorfenster nord II ausgebaute und verschollene Restscheiben. Friedberg, vor 1328(?).
Katalog
Von Daniel Hess
Erhaltung
In Chorfenster nord II, 3-6a-c befanden sich bis 1896 – durch Vorzustandsphotos von Linnemann dokumentiert – weitere neun Rechteckscheiben mit Ornamentteppichen und Wimpergbekrönungen (Fig. 123-129). Diese wurden beim Abbruch der Ostpartie 1896 von Linnemann ausgebaut und sollten nach dem Vorschlag des bei der Friedberger Chorsanierung federführenden Architekten Hubert Kratz beim Umbau der unweit gelegenen Kirche zu Blofeld im November 1901 Verwendung finden22. Heute fehlt von diesen Scheiben jede Spur.
Von höchstem Interesse für die Beurteilung der ersten Chorverglasung sind drei von einem Perlbandstab eingefaßte Felder mit übereinandergeordneten blasen- bzw. vierpaßförmigen Medaillonformen, in deren Zentrum wechselweise ein Adler und ein liegendes Lilienkreuz stehen (Fig. 123 f.). Die einzelnen Medaillons sind durch über das gesamte Feld aufwachsende, sich überkreuzende Eichenranken miteinander verbunden. Die einfache Anlage der Muster, der kreuzschraffierte Grund wie die Architektonisierung der Blattfelder finden ihre Parallelen in Verglasungen ab 1300, wobei eine spätere Entstehung auf Grund der Langlebigkeit solcher Muster nicht ausgeschlossen werden kann. Im Gegensatz zu den auf vielen Teppichfenstern um 1300 auftretenden Adlern und Lilien, die zunächst – wie etwa in Fenster nord II der Erfurter Augustinerkirche – eine Interpretation als marianische Symbole nahelegen, weisen sie hier einen auffällig heraldischen Charakter auf23. Während der Adler wohl als Stadtwappen zu verstehen ist24, oder aber als Reichsadler auf das ursprüngliche Reichspatronat der Kirche verweist, ist das liegende Kreuz am ehesten mit dem Wappen der in der Wetterau begüterten Ritter von Buches in Verbindung zu bringen; beide Wappen treten – wie in zahlreichen französischen Beispielen des 13. Jahrhunderts – als ornamentale Bestandteile eines Teppichmusters auf25. Wigand von Buches hatte von Kaiser Ludwig dem Bayern am 22. Januar 1318 das Patronatsrecht über die Liebfrauenkirche erhalten, auf das er jedoch bereits 1320 verzichten mußte, da Ludwig das Patronat bereits 1314 dem Kloster Rupertsberg bei Bingen verliehen hatte26. Trotz aller Vorbehalte bei der Bestimmung des Lilienkreuzes als das vom Glasmaler leicht mißverstandene Wappen der Ritter von Buches und unter Berücksichtigung der unsicheren finanziellen Verhältnisse der Stadtkirche nach der Abspaltung der Burgkirche 1308 ist eine Fensterstiftung durch einen plötzlich auftretenden potenten Patronatsherrn mehr als plausibel. Da Friedberg nur bis 1328 einen einköpfigen Adler im Stadtwappen führt, ihn dann durch einen doppelköpfigen ersetzte27, kann die Stiftung dieser Scheiben vor 1328 angesetzt werden, was sich mit dem stilistischen Befund deckt.
Im Zuge der nurmehr schleppend vorangekommenen weiteren Ausstattung entstanden im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts offenbar eine Reihe von Tabernakelfiguren, von denen nebst einer nurmehr rudimentär erhaltenen Johannesscheibe einzig eine Wimpergbekrönung in Darmstadt erhalten ist. Weitere fünf Architekturfelder (Fig. 125-129) sind photographisch überliefert und waren bis 1896 zu Flickzwecken im unteren Bereich des Chorfensters nord II eingesetzt (s. Fig. 114). Hinsichtlich der formalen Verwandtschaften mit Kiedrich (Fig. 176-178) wird man diese Bekrönungen erst gegen 1350/60 datieren können. Wie in Kiedrich zeigten die Fenster Tabernakeltürme vor Kassettengrund (Fig. 126) oder, wie der seitlich über Wimperg (Fig. 125) und Ornamentfeld (Abb. 123) hinweglaufende Blattstab nahelegt, Tabernakelfiguren vor Ornamentgrund. Ob die Türme mit achteckigem Grundriß noch etwas später anzusetzen und zusammen mit dem Darmstädter Johannes (Abb. 292) unter Umständen vielleicht in die ersten Langhausjoche zu lokalisieren sind, bleibt Spekulation. Turmoktogon und Helmspitze (Fig. 128f.) dürften ursprünglich zusammengehört haben28.
Weitere Angaben
Standort heute
verloren
Nachweise
Fußnoten
- Am 6. November 1901 bittet Kratz den Friedberger Dekan, die alten Glasgemälde nicht anderweitig zu veräußern, da er dem Blofelder Pfarrer Praeborius vorgeschlagen habe, die alten Scheiben aus den Fenstern der Stadtkirche anzukaufen und damit die Fenster der Blofelder Kirche zu verglasen (Darmstadt, ZEK, Pfarrarchiv Friedberg, XX, 8). ↑
- Als Vergleichsbeispiele hierfür bieten sich neben dem oben bereits erwähnten Fenster in Erfurt auch die um 1300 zu datierenden Ornamente aus der Freiburger Dominikanerkirche (DGM I, Abb. 91) an sowie die Rautengitter im Marburger Universitätsmuseum (Michler, 1984, Abb. 139; um 1280/1300), in Altenberg (Lymant, 1979, Abb. 42; um 1310/20) und Wienhausen (CVMA Deutschland VII, 2, 1992, Abb. 214; um 1330). ↑
- Die Burgmannen führten im 13. Jh. zwar ebenfalls den einköpfigen Adler in ihrem Siegel, jedoch ist ihr Wappen nach der Abspaltung der Burgkirche 1308 in der Stadtkirche nicht mehr zu erwarten. ↑
- Als wohl berühmtestes französisches Beispiel für die ornamentale Verwendung von Wappen in Teppichgründen seien hier die Südfenster der Sainte-Chapelle in Paris (um 1250) erwähnt. ↑
- Zur irrtümlichen Doppelverleihung des Patronats vgl. Heitzenröder, 1982, S. 51; zu den Rittern von Buches und ihrem Wappen Walther Möller, Stamm-Tafeln westdeutscher Adels-Geschlechter im Mittelalter, Darmstadt 1922, S. 52f., zur Grabplatte des Ritters Konrad von Buches Kurt Bauch, Das mittelalterliche Grabbild, Berlin/New York 1976, Abb. 356. ↑
- Vgl. dazu Johannes Enno Korn, Adler und Doppeladler. Ein Zeichen im Wandel der Geschichte, in: Der Herold 6, 1966, S. 368. Zu den Friedberger Wappen vgl. ferner Ferdinand Dreher, in: FGb 4, 1914-21, S. 80. ↑
- Als Vergleichsbeispiele für die formale Gestaltung der achteckigen Türme mit perspektivisch wiedergegebenen Seitenfenstern in Fig. 127 bieten sich die Turmschäfte des Fensters süd II in der Nikolaikirche Mühlhausen an (Richter, CVMA Deutschland XVI, 1993, Abb. 199f.), dort jedoch mit wuchtig vorkragenden Brüstungen. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet / Daniel Hess (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 2), Berlin 1999, 187 ff. [= o. A.. [Verlorene Scheiben]]
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Siehe auch
Extern
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Nachnutzung
Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„[Verlorene Scheiben] (Friedberg, Liebfrauenkirche)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/208-1-02-03_verlorene-scheiben-friedberg-liebfrauenkirche> (aufgerufen am 26.11.2025)
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