Muttergottes im Strahlenkranz (Fragment einer Lactatio des Hl. Bernhard) (Mainz, Landesmuseum)

 
Datierung
um 1500
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Katalog

Von Uwe Gast

Abmessungen

Rheinland (Köln?), um 1500.
H. 63,5 cm, B. 36,2 cm. – Inv. Nr. Ge 72/271.
Erworben 1972 aus Privatbesitz; zuvor in der Sammlung Liebig, Gondorf, wo die Scheibe im Museumssaal der Niederburg ausgestellt war (Nr. 13)2; weitere Vorbesitzer und ursprüngliche Herkunft – vermutlich aus zisterziensischem Kontext (s.u.) – sind unbekannt.

Erhaltung

Bis auf einige wenige Flickstücke aus dem 19. Jh. sowie eine ältere Ergänzung intakt; die Gläser zeigen nahezu keine Verwitterungsspuren, ihre Bemalung ist – mit Ausnahme der Mondsichel – gut erhalten. Verbleiung wohl 19. Jh.

Ikonografie, Komposition

Mit dem Christuskind auf ihrem rechten Arm steht Maria, von einem Strahlenkranz hinterfangen, auf der Mondsichel. Sie vertritt damit einen ganz geläufigen Bildtyp des Spätmittelalters – um doch in einem entscheidenden Punkt von ihm abzuweichen: Ihre linke Brust, auf die das Christuskind deutet, ist entblößt, und es ergießt sich ein feiner, gleichwohl deutlich sichtbarer Milchstrahl aus ihr. Dieses Motiv der Lactatio ist vor allem aus der Bernhard-Ikonografie bekannt3, sodass es naheliegt, die Madonnenfigur in Verbindung mit einer Darstellung des Zisterzienserheiligen zu sehen, der zur Linken von Mutter und Kind erschienen sein muss. Eine südniederländische Tafel mit der Vision des Hl. Bernhard (Fig. 122) gibt eine ungefähre Vorstellung von der verlorenen Komposition4.

Farbigkeit, Technik

Die Farbigkeit der Gläser ist beschränkt auf Blau und Weiß für das Gewand und offenbar beidseitig überfangenes Rot für die Schuhe Mariens sowie Gelb für Mondsichel und rahmenden Strahlenkranz; Haare und Nimben von Mutter und Kind sind in Silbergelbmalerei ausgeführt, ebenso die Borte des Marienmantels. Die vergleichsweise trockene Modellierung von Figur und Gewand erfolgte auf der Basis eines gestupften Halbtons, mit großflächig ausgewischten bzw. mit grobem Pinsel ausgestrichenen Lichtern und spärlichen Schraffuren in den Schattenlagen.

Stil, Datierung

Die von Esser an den Mittelrhein lokalisierte Scheibe lässt sowohl aufgrund ihres früheren Standorts Gondorf, wo sich »vorwiegend Werke der rheinischen, insbesondere der Kölner Glasmalerei« befanden5, als auch angesichts ihrer technischen Ausführung und ihres Stils eher an eine Entstehung im Rheinland denken. Dort hat sie in zwei Darstellungen aus dem Leben Christi, einer Flucht nach Ägypten und dem Zwölfjährigen Christus im Tempel, in der ehemaligen Kreuzherren-Klosterkirche in Ehrenstein ihre nächsten Verwandten. Es sind dies die Reste eines einstmals umfangreichen, im ausgehenden 15. Jh. entstandenen Zyklus6, zu dem auch eine Anbetung des Kindes aus der Sammlung Rehbock, Hannover, gehört haben könnte (Fig. 123)7; aufrecht kniend, ihren Kopf mit dem langen offenen Haar etwas zur Seite gewandt, er-scheint Maria hier in einer Haltung, die jener der Muttergottes in Mainz stark ähnelt, sodass die geschwisterliche Nähe beider Figuren – zugleich, mit Blick auf Ehrenstein, die zweifellos rheinländische, vielleicht kölnische Herkunft der Mainzer Scheibe8 – unmittelbar anschaulich wird.

Bibliografie

Karl-Heinz Esser, Jahresbericht des Mittelrheinischen Landesmuseums Mainz für die Jahre 1970–1973, in: MZ 69, 1974, S. 264–271, hier S. 270 (»mittelrheinisch um 1500«).

Bildnachweis

CVMA HD 3275, B 908

Nachweise

Fußnoten

  1. Koblenz, LHA, Best. 655,196 Nr. 1310 (Requisition des Schlosses Niederburg in Gondorf durch die französischen Besatzungsmächte 1946–1952), darin Inventarverzeichnis der Glasmalereien.
  2. Zum Motiv der Lactatio: Marienlexikon, III, 1991, S. 702f. (Peter Morsbach); zuletzt P. Alberich M. Altermatt O. Cist., Lactatio und Amplexus: Die zentralen Themen der Bernhardikonographie, in: Bernhard von Clairvaux. Der Zisterzienserheilige zur und in der Kunst, AK Eberbach, Abteimuseum, (Eberbach) 2003, S. 24–41.
  3. Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Inv. Nr. Dep. 415; Irmgard Hiller/Horst Vey, Katalog der deutschen und niederländischen Gemälde bis 1550 (mit Ausnahme der Kölner Malerei) im Wallraf-Richartz-Museum und im Kunstgewerbemuseum der Stadt Köln (Kataloge des Wallraf-Richartz-Museums V), Köln 1969, S. 127. Der Hl. Bernhard dürfte jedoch nicht kniend dargestellt gewesen sein, sondern als Standfigur neben Maria mit dem Kind.
  4. Die Kunstdenkmäler des Kreises Mayen. Die Kunstdenkmäler der Ämter Mayen-Stadt und Mayen-Land, Münstermaifeld, Niedermendig und Polch, bearbeitet von Hanna Adenauer, Josef Busley und Heinrich Neu (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz XVII,2), Düsseldorf 1943/1985, S. 102.
  5. Die Darstellungen befinden sich in Lhs. s IV, 4/5a+b; s. Oidtmann 1929, Abb. 584. Das benachbarte Fenster Lhs. s V zeigt an entsprechender Stelle die zeitgleichen, in der Ausführung jedoch abweichenden Darstellungen der Brotvermehrung und der Verklärung Christi. Da eine solche Szenenauswahl kein Programm ergibt, ist mit abgewanderten (s. Anm. 7) bzw. verlorenen Darstellungen zu rechnen, für deren Rekonstruktion freilich der Platz in der kleinen Kirche fehlt. Ein möglicher, im Grunde der einzig mögliche Standort für den vermuteten umfangreichen Zyklus wäre der Kreuzgang des Klosters, für den Johann von Schlebusch schon 1486 ein Fenster stiftete und der 1495 vollendet gewesen sein soll; s. hierzu: Die Kunstdenkmäler des Kreises Neuwied, bearbeitet von Heinrich Neu und Hans Weigert (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz XVI,2), Düsseldorf 1940, S. 99. Ein Ritter mit diesem Namen ist in Lhs. s IV, 3a, dargestellt. 1812 wurde das Kloster aufgehoben, »die Klostergebäude wurden in der Folge zum größten Teil niedergelegt« (Neu/Weigert 1940, S. 99). Möglicherweise wurden damals Scheiben aus dem Kreuzgang in das Langhaus der Kirche versetzt und mit dort vorhandenen jüngeren Scheiben kombiniert, was das heutige Nebeneinander spätgotischer und renaissancehaft anmutender Bildkompositionen zwanglos erklären würde.
  6. Hannover, Kestner-Museum, Inv. Nr. 1906/109a.
  7. Eine fundierte Einordnung des Ehrensteiner Scheibenbestandes fehlt bislang. Einen knappen Überblick mit einem Verzeichnis der älteren Literatur geben Neu/Weigert 1940 (wie Anm. 6), S. 102–105; zusammenfassend zuletzt: Hans Kisky, Kreuzbrüderkirche und Kloster Liebfrauenthal in Ehrenstein bei Neustadt a. d. Wied, überarbeitet und erweitert von Werner Kettner und Bernhard Leisenheimer (Rheinische Kunststätten 26), Neuss 31986, S. 5–7. – Leonie Gräfin von Nesselrode geht auf den Bestand im Langhaus nicht ein; s. Nesselrode 2008.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011, 193 f. [= ohne Nummer. Muttergottes im Strahlenkranz (Fragment einer Lactatio des Hl. Bernhard)]

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Muttergottes im Strahlenkranz (Fragment einer Lactatio des Hl. Bernhard) (Mainz, Landesmuseum)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/132-3-01-01_muttergottes-im-strahlenkranz-fragment-einer-lactatio-des-hl-bernhard-mainz-landesmuseum> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/132-3-01-01

Muttergottes im Strahlenkranz (Fragment einer Lactatio des Hl. Bernhard): ES [= Erhaltungsschema] Landesmuseum.Muttergottes im Strahlenkranz (Ausschnitt). Mainz, Landesmuseum. Rheinland, um 1500Vision des Hl. Bernhard. Köln, Wallraff-Richartz-Museum. Südniederlande, Ende 15. Jh.Anbetung des Kindes (Detail). Hannover, Kestner-Museum. Rheinland, um 1500.